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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 20.02.2002
Aktenzeichen: 14 U 56/01
Rechtsgebiete: VVG, AKB, ZPO


Vorschriften:

VVG § 62
VVG § 63
VVG § 61
VVG § 6 Abs. 3
AKB § 7 Abs. 5 Nr. 4
AKB § 7 Abs. 1 2 S. 3
AKB § 7 Abs. 5 Nr. 4
AKB § 12 Nr. 1 I d
AKB § 12 Abs. 1 II e
ZPO § 711
ZPO § 713
ZPO § 97 Abs. 1
ZPO § 281 Abs. 3
ZPO § 708 Nr. 10
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

14 U 56/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 20.02.2002

Verkündet am 20.02.2002

in dem Rechtsstreit

auf die mündliche Verhandlung vom 23. Januar 2002 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Schäfer, die Richterin am Landgericht Woerner und den Richter am Amtsgericht Dr. Bachnick

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 6. April 2001 wird zurückgewiesen, jedoch werden dem Kläger die Kosten auferlegt, die dadurch entstanden sind, dass er zunächst das unzuständige Landgericht Stade angerufen hat.

Die Kosten der Berufung fallen der Beklagten zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

(Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 ZPO a.F. abgesehen)

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Das Landgericht hat die Beklagte zu Recht zur Zahlung von 20.461,75 DM nebst Zinsen verurteilt.

I

Der Kläger kann seinen Schaden allerdings nicht aus der Teilkaskoversicherung i.V.m. § 12 Nr. 1 I d AKB ersetzt verlangen, weil es unstreitig nicht zu einem Zusammenstoß oder einer Berührung mit Haarwild gekommen ist. Ein Zusammenstoß mit Haarwild ist jedoch Voraussetzung für einen Anspruch auf Ersatz des Fahrzeugschadens nach dieser Vorschrift (BGH VersR 1997, 351; r + s 1992, 77, 82; OLG Karlsruhe r + s 1999, 404). Der Kläger kann den Schaden auch nicht als Rettungskostenersatz gemäß den §§ 62, 63 VVG geltend machen. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen des angefochtenen Urteils verwiesen.

Dem Kläger steht jedoch, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, gegen die Beklagte ein Anspruch aus der Vollkaskoversicherung i.V.m. § 12 Abs. 1 II e AKB zu. Der fragliche Schadensfall, bei dem das Fahrzeug des Klägers infolge einer Vollbremsung ins Schleudern geraten und gegen einen Straßenbaum geprallt ist, fällt zweifellos unter den Begriff des Unfalls, der von der Fahrzeugvollversicherung gedeckt wird. Dabei kommt es nicht darauf an, ob sein Verhalten durch einen die Fahrbahn querenden Hasen oder auch durch einen vorangegangenen Fahrfehler, etwa Fahren mit den Straßenverhältnissen unangepasster Geschwindigkeit, ausgelöst worden ist.

Die Beklagte kann diesem Anspruch des Klägers aus der Vollkaskoversicherung nur den allgemeinen Risikoausschluss des § 61 VVG - von der noch zu behandelnden Obliegenheitsverletzung abgesehen - entgegensetzen. Sie muss darlegen und gegebenenfalls beweisen, dass der Kläger den Unfall durch grobe Fahrlässigkeit herbeigeführt hat. Dies hat die Zivilkammer zu Recht verneint.

Grob fahrlässig handelt, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt und unbeachtet lässt, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen. Dabei muss es sich im Gegensatz zur einfachen Fahrlässigkeit auch in subjektiver Hinsicht um ein unentschuldbares Fehlverhalten handeln, das ein gewöhnliches Maß erheblich übersteigt (BGH VersR 1989, 582 m.w.N.).

Unabhängig von der unter den Parteien streitigen Frage, ob die Bremsreaktion aus einem Reflex heraus erfolgte, lässt sich die nach dem Vorbringen des Klägers vollzogene Vollbremsung nicht als objektiv grob fahrlässiges Verhalten werten. Ein Kraftfahrer, der aus einer Fahrgeschwindigkeit von 80 km/h anstelle der auf der Bundesstraße zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 100 km/h eine Vollbremsung einleitet, um einen Hasen nicht zu überfahren, verletzt seine Sorgfaltspflicht nicht in besonders hohem Maße. Das Risiko, dass ein ordnungsgemäß bereifter Pkw bei einer Vollbremsung auf gerader Strecke aus einer Geschwindigkeit von 80 km/h heraus infolge nasser und feuchter Blätter auf der Fahrbahn ins Schleudern gerät und unkontrollierbar wird, ist nicht so groß, dass bereits ein solches Bremsmanöver als unentschuldbares Fehlverhalten gewertet werden könnte. Hierzu müssen weitere Umstände hinzutreten.

Solche besonderen Umstände hat die Beklagte nicht hinreichend dargetan und unter Beweis gestellt. Soweit sie behauptet, der Kläger habe neben der Vollbremsung auch ein "Ausweichmanöver" durchgeführt, ist ihr Vorbringen schon nicht substantiiert, um ein grob fahrlässiges Verhalten des Klägers begründen zu können. Sie verweist lediglich darauf, dass "ausweislich des Polizeiprotokolls.. der Kläger ausgewichen (ist)." Zu Einzelheiten dieses Ausweichmanövers, das der Kläger bei seiner Anhörung strikt in Abrede gestellt hat, trägt sie nichts vor. Nur bei einer plötzlichen, abrupten und deutlichen Fahrtrichtungsänderung und dem gleichzeitigen Abbremsen des mit hoher Geschwindigkeit fahrenden Pkws besteht ein besonders hohes Unfallrisiko, das "jedem Kraftfahrer einleuchten (muss)" (BGH r+s 1997, 98, 99) und das er deshalb "nicht ohne Not eingehen darf, auch wenn es darum geht, einem Hasen auszuweichen, mit dem ein Zusammenstoß andernfalls unmittelbar bevorstünde" (BGH aaO S. 99). Dagegen hat eine nur leichte Lenkbewegung, wie sie im Übrigen auf Autobahnen auch bei hohen Geschwindigkeiten immer wieder stattfindet und nicht selten erforderlich ist, selbst dann nicht stets dieses enorm hohe Unfallrisiko zur Folge, wenn es mit einer starken Bremsung verbunden ist. Es kommt jeweils auf den Einzelfall, insbesondere auf die Höhe der Geschwindigkeit, die Stärke des Lenkaussschlages und der Bremsung, die Bereifung sowie die Bremsvorrichtung an. Zu dem Ausweichmanöver selbst verhält sich die Verkehrsunfallaufnahme, auf die sich die Beklagte bezieht, nur sehr ungenau. Wenn es darin heißt, " 01 (der Kläger) versuchte mit seinem Pkw dem Hasen auszureichen, kam dabei nach rechts auf den Seitenstreifen und verlor auf regennasser Fahrbahn die Kontrolle über seinen Pkw ", wird schon nicht deutlich, ob der Kläger bereits durch die Ausweichbewegung oder erst dadurch ins Schleudern geriet, dass er nach rechts auf den Seitenstreifen abkam. Es ist durchaus denkbar, dass der von der Beklagten behauptete Lenkeinschlag selbst noch nicht die Schleuderbewegung auslöste, sondern erst das Abkommen von der Fahrbahn. Deshalb war der von der Beklagten als Zeuge benannte Polizeibeamte, der erst nach dem Unfall an den Unfallort gerufen wurde und die " Verkehrsunfallaufnahme" niederschrieb, zu dieser streitigen Ausweichbewegung nicht zu vernehmen.

Da die Beklagte bereits in tatsächlicher Hinsicht nicht vorgetragen und unter Beweis gestellt hat, dass der Kläger neben der Vollbremsung auch eine gefahrgeneigte Fahrtrichtungsänderung vorgenommen und dadurch den Unfall ausgelöst hat, steht schon nicht fest, dass der Kläger bereits in objektiver Hinsicht in ungewöhnlich hohem Maße gegen seine Sorgfaltspflicht verstoßen hat. Da aber nur vom äußeren Geschehensablauf und dem Ausmaß des objektiven Pflichtverstoßes auf innere Vorgänge und deren gesteigerte Vorwerfbarkeit geschlossen werden kann (BGH aaO S. 99 mwN), ist der dem Kläger von der Beklagten gemachte Vorwurf, auch subjektiv unentschuldbar gehandelt zu haben, nicht gerechtfertigt. Deshalb braucht der Senat auch nicht der Frage nachzugehen, ob ein "Augenblicksversagen" - das hier im Hinblick auf die Schnelligkeit der Verkehrsabläufe selbst nach dem Beklagtenvortrag anzunehmen wäre - überhaupt als grob fahrlässiges Verhalten bewertet werden könnte (so BGH aaO S. 9.9). Der Senat hält diese Ansicht für sehr bedenklich (ebenso OLG Frankfurt VersR 2001, 1276 ff), wobei er allerdings die Lösung nicht in einer unterschiedlichen Bestimmung des Begriffs "grobe Fahrlässigkeit" sieht (vgl. OLG Frankfurt aaO S. 1277), es vielmehr darauf abstellt, dass ein "Augenblicksversagen", eine "kurzfristige Geistesabwesenheit" oder "schreckbedingte Fehlreaktion" dem Versicherungsnehmer trotz objektiv groben Pflichtenverstoßes nur dann auch subjektiv als unentschuldbar vorgeworfen werden können, wenn er dieses "Augenblicksversagen" nicht selbst in hohem Maße vorwerfbar verursacht hat.

Soweit die Beklagte bestreitet, dass die Fahrgeschwindigkeit des Klägers, wie von ihm behauptet, 70 - 80 km/h betragen habe, verkennt sie, dass sie die Voraussetzungen des § 61 VVG substantiiert darlegen, also angeben muss, mit welcher Geschwindigkeit der Kläger tatsächlich gefahren ist. Soweit sie Sachverständigenbeweis anbietet, handelt es sich um einen unzulässigen Ausforschungsbeweis. Die Beklagte muss schon eine konkrete (höhere) Fahrgeschwindigkeit des Klägers behaupten und unter Beweis stellen. Auch ihr Vorbringen, die vorhandenen Straßen- und Sichtverhältnisse hätten lediglich eine Geschwindigkeit von 50 km/h zugelassen, veranlasst keine Beweiserhebung, denn ohne Darlegungen der konkreten Umstände, insbesondere der Sichtweite infolge Nebels und des Fahrbahnzustandes fehlt dem Beweisantritt die erforderliche Bestimmtheit der Anknüpfungstatsachen.

II

Die Beklagte ist auch nicht gemäß § 7 Abs. 5 Nr. 4 AKB von ihrer Leistung frei geworden, weil dem Kläger eine nachträgliche Obliegenheitsverletzung nicht vorgeworfen werden kann.

Nach § 7 Abs. 1 2 S. 3 AKB ist allerdings der "Versicherungsnehmer verpflichtet, alles zu tun, was zur Aufklärung des Tatbestandes und zur Minderung des Schadens dienlich sein kann".

§ 7 Abs. 5 Nr. 4 AKB bestimmt, dass dann, wenn "eine dieser Obliegenheiten in der Fahrzeug- oder Kraftfahrtunfallversicherung verletzt" wird, Leistungsfreiheit nach Maßgabe des § 6 Abs. 3 VVG besteht. Nach dieser Vorschrift tritt Leistungsfreiheit jedoch nicht ein, wenn die Verletzung weder auf Vorsatz noch auf grober Fahrlässigkeit beruht. Bei grob fahrlässiger Verletzung bleibt der Versicherer insoweit verpflichtet, als die Verletzung Einfluss weder auf die Feststellung des Versicherungsfalls noch auf die Feststellung oder den Umfang der dem Versicherer obliegenden Leistung gehabt hat. Dabei muss zunächst der Versicherer die objektive Verletzung der Obliegenheit darlegen und ggf. beweisen; ist eine Angabe objektiv falsch, muss der Versicherungsnehmer beweisen, dass ihn kein oder nur ein geringerer Grad des Verschuldens trifft (BGH VersR 1993, 828).

Zwar war nach dem eigenen Vorbringen des Klägers die Angabe in dem Zusatzfragebogen zur Laufrichtung des Hasen (Frage 2.) objektiv falsch, so dass eine Vermutung für vorsätzliches Handeln des Klägers spricht (OLG Hamm VersR 1994, 590; OLG München VersR 1981, 1170). Allerdings wird ein Versicherer nach der Relevanztheorie, der der Senat folgt, nur dann von seiner Leistung völlig frei, wenn die Obliegenheitsverletzung generell geeignet ist, das berechtigte Interesse des Versicherers zu gefährden, und ein erhebliches Fehlverhalten des Versicherungsnehmers vorliegt. Das ist nicht der Fall. Die Angabe in dem Zusatzfragebogen vom 14. November 1999 zur Laufrichtung des Hasen war nicht generell geeignet, die berechtigten Interessen der Beklagten ernsthaft zu gefährden (fehlende Relevanz, vgl. BGH VersR 1975, 752; VersR 1984, 228; OLG Köln VersR 1984, 378; Stiefel/Hofmann AKB 17. Aufl. § 6VVG Rn 33 mwN). Die Beklagte selbst hat in ihrem Schreiben vom 23. Dezember 1999, mit dem sie jede Zahlung ablehnte, der Tatsache, dass ein "auf oder über die Straße laufende(r) Hase" Unfallauslöser gewesen sein soll, nur insoweit Bedeutung zugemessen, als sie unter Hinweis auf von ihr zitierte Rechtsprechung zum Rettungskostenersatz in einem solchen Fall grobe Fahrlässigkeit annahm. Die Laufrichtung des Hasen spielte dafür keine Rolle. Das war immerhin ungewöhnlich, weil aus dem Umstand, dass ein Hase von links nach rechts die Fahrbahn querte, hätte geschlossen werden können, dass dem Kläger wegen der größeren Wegstrecke, die der Hase hätte zurücklegen müssen, noch ausreichend Zeit zu einer anderen Reaktion geblieben und jedenfalls eine starke Bremsung unter diesen Umständen auch für ihn erkennbar völlig überflüssig und (möglicherweise) leichtfertig gewesen wäre. Sah die Beklagte zu dieser denkbaren Schlussfolgerung, die bei einem Wildwechsel von rechts nach links ausgeschlossen gewesen wäre, keinen Anlass, dann liegt die Annahme nahe, dass sie der Richtung, aus der das Tier kam, tatsächlich keine Bedeutung beimaß. Es ist auch in der Tat nicht zu erkennen, welches berechtigte Interesse der Beklagten dadurch generell ernsthaft gefährdet wurde, dass der Kläger die Richtung dieses Wildwechsels unrichtig angab. Offenbar will sie aus dem Umstand, dass der Kläger bei seiner Anhörung durch das Landgericht im Gegensatz zu seiner schriftlichen Erklärung in dem Zusatzfragebogen angab, das Tier habe die Fahrbahn von rechts nach links überquert, generell seine Glaubwürdigkeit und seine Unfalldarstellung in Zweifel ziehen. Abgesehen davon, dass damit der Anwendung der Relevanzlehre nicht begegnet werden kann, besteht für derartige Zweifel auch kein Anlass, dies um so weniger, als die Polizei bereits kurz nach dem Unfall am Unfallort erschien und die Schäden am Pkw und dem Straßenbaum feststellte. Für eine alkoholische Beeinflussung des Klägers gab es keine Anhaltspunkte.

III

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO. Der Senat hat allerdings die Kostenentscheidung des Landgerichts berichtigten müssen, weil die Entscheidung nach § 281 Abs. 3 ZPO unterblieben ist.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Gegenstandswert für das Berufungsverfahren wird auf 10.461,93 € (20.461,75 DM) festgesetzt.

IV

Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO n.F.) und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs nicht erfordert (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO n.F.).

Ende der Entscheidung

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