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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 24.08.2006
Aktenzeichen: 15 WF 312/06
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 42 Abs. 2
ZPO § 43
ZPO § 47 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

15 WF 312/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 3. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Gottwaldt, den Richter am Amtsgericht Neumann und den Richter am Oberlandesgericht Dr. Wendtland

am 24. August 2006

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Beklagten wird Ablehnungsgesuch gegen den Richter am Amtsgericht V... unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Luckenwalde vom 29. Mai 2006 - 31 F 98/05 - für begründet erklärt.

Gründe:

I. Zwischen den Parteien sind mehrere Verfahren - unter anderem dieses - rechtshängig, für deren Entscheidung der Richter am Amtsgericht V... zuständig ist (AG Luckenwalde: 31 F 55/05, 31 F 98/05, 31 F 139/05 und 31 F 102/06). Mit Schriftsatz vom 18.April 2006 hat der Beklagte ein Ablehnungsgesuch eingereicht und zur Begründung ausgeführt, er befürchte, der Richter stehe ihm nicht unvoreingenommen gegenüber, weil er in diesem Verfahren am 16. Februar 2006 eine unrichtige Entscheidung getroffen habe.

Einen in dieser Sache auf den 18. Mai 2006 anberaumten Termin hat der Richter aufrechterhalten. In diesem Termin hat die Prozessbevollmächtigte des Beklagten erklärt, das Ablehnungsgesuch aufrecht zu erhalten und sich zur Sache nicht eingelassen. Gleichwohl hat der Richter die Verhandlung fortgesetzt und der Klägerin im weiteren Verlauf rechtliche Hinweise erteilt und einen Verkündungstermin in der Sache anberaumt.

In seiner dienstlichen Stellungnahme vom darauf folgenden Tag, dem 19. Mai 2006, hat der Richter eingeräumt, dass ihm der mit dem Ablehnungsgesuch beanstandete Fehler bei seiner Entscheidung am 16. Februar 2006 unterlaufen sei.

Mit am selben Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 23. Mai 2006 hat der Beklagte sein Ablehnungsgesuch auch darauf gestützt, dass der Richter in der Sache verhandelt hat, obwohl über den gegen ihn gerichteten Befangenheitsantrag noch nicht entschieden war.

Mit Beschluss vom 29. Mai 2006 hat das Amtsgericht das Ablehnungsgesuch des Beklagten als unzulässig verworfen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Beklagte habe sein Befangenheitsgesuch erst zwei Monate nach Erlass des von ihm beanstandeten Beschlusses eingereicht. In der Zwischenzeit habe er in einem anderen Verfahren (AG Luckenwalde: 31 F 55/05) Schriftsätze eingereicht und selbst ein weiteres Verfahren gegen die Klägerin anhängig gemacht (AG Luckenwalde: 31 F 102/06), was einem Einlassen in eine Verhandlung gleichkomme, sodass er sein Ablehnungsrecht nach § 43 ZPO verloren habe.

Der hiergegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat das Amtsgericht nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde ist begründet.

1. Darauf, ob sich der Beklagte vor dem 18. Mai 2006 in eine Verhandlung vor dem abgelehnten Richter eingelassen hat, kommt es nicht an. Mit bei Gericht am 23. Mai 2006 eingegangenem Schriftsatz hat der Beklagte einen neuen Ablehnungsgrund vorgetragen, indem er beanstandet hat, der Richter habe am 18. Mai 2006 unter Verstoß gegen das Wartegebot aus § 47 Abs. 1 ZPO einseitig mit der Klägerin verhandelt. Jedenfalls das auf diesen weiteren Grund gestützte Ablehnungsrecht hat der Beklagte nicht nach § 43 ZPO verloren.

Unabhängig davon, ob ein Verhandeln in einem anderen Verfahren überhaupt die Folgen von § 43 ZPO nach sich ziehen kann, liegen die Voraussetzungen dieser Bestimmung nicht vor. Nicht jeder bei Gericht eingereichte Schriftsatz stellt eine Verhandlung im Sinne von § 43 ZPO dar. Erforderlich ist ein Handeln, das der Erledigung eines Streitpunkts unter Mitwirkung des Richters oder der unmittelbaren Vorbereitung einer bevorstehenden Entscheidung des Richters dient. Diese Voraussetzungen erfüllt keine der vom Beklagten oder seiner Prozessbevollmächtigten nach dem 18. Mai 2006 in den vorbezeichneten insgesamt vier Verfahren (die dem Senat allesamt vorliegen) vorgenommenen Handlungen. Die nach diesem Tag eingereichten Schriftsätze verhalten sich lediglich zum Ablehnungsgesuch, mit Ausnahme der Schriftsätze vom 24. Mai 2006 (AG Luckenwalde: 31 F 55/05, dort Bl. 162) und vom 9. Juni 2006 (AG Luckenwalde: 31 F 102/06, dort Bl. 72), die gleichfalls beide nicht den Verlus-tigkeitstatbestand von § 43 ZPO erfüllen. Mit dem Schriftsatz vom 24. Mai 2006 ist lediglich die Kopie eines zwischen den Parteien vor dem Landgericht Potsdam geschlossenen Vergleichs zu den Akten gereicht worden, und im Schriftsatz vom 9. Juni 2006 hat die Prozessbevollmächtigte des Beklagten ihr Ablehnungsgesuch ausdrücklich aufrechterhalten und ausgeführt, dass sie zwar auf eine Verfügung des abgelehnten Richters reagiere, ihren Schriftsatz aber an den Richter richte, der "im Geschäftsverteilungsplan an die Stelle des Richters V... tritt".

2. Das Ablehnungsgesuch ist begründet. Die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 ZPO sind erfüllt. Danach findet die Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit statt, wenn aus der Sicht des Antragstellers ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des zuständigen Richters zu rechtfertigen. Unerheblich ist insoweit, ob der Richter sich befangen fühlt oder tatsächlich befangen ist (vgl. BVerfGE 73, 330, 335f.). Entscheidend ist allein, ob aus der Sicht des Ablehnenden genügend objektive Gründe vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung die Befürchtung erwecken können, der Richter stehe der Sache nicht unvoreingenommen und damit nicht unparteiisch gegenüber (vgl. BGH NJW 1995, 1677, 1679).

Das ist hier der Fall. Der abgelehnte Richter hat am 18. Mai 2006 in der Sache verhandelt, der Klägerin rechtliche Hinweise gegeben und einen Verkündungstermin anberaumt, obwohl ihm das gegen ihn gerichtete Ablehnungsgesuch bekannt war und ihn die Prozessbevollmächtigte ausweislich des Protokolls noch einmal ausdrücklich darauf hingewiesen hatte, dass es sich auch auf den verhandelten Verfahrensgegenstand bezieht. Damit hat er - auch aus der Sicht einer vernünftigen, objektiv denkenden Partei - den Anschein erweckt, er übergehe das Ablehnungsgesuch und werde trotz der gegen ihn gerichteten Besorgnis der Befangenheit alsbald in der Sache entscheiden, ohne die Bescheidung des Befangenheitsgesuchs abzuwarten. Dieses Verhalten ist objektiv geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des abgelehnten Richters zu rechtfertigen.

Die Durchführung der Verhandlung am 18. Mai 2006 war auch nicht etwa nach Maßgabe von § 47 Abs. 1 ZPO geboten. Nach dieser Bestimmung darf ein abgelehnter Richter auch vor Erledigung des Ablehnungsgesuchs Handlungen vornehmen, die keinen Aufschub dulden. Unaufschiebbar in diesem Sinne sind aber nur solche Handlungen, deren sofortige Vornahme der Abwendung wesentlicher Nachteile für eine Partei dient oder bei deren Unterlassung Gefahr im Verzug ist (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 25. Aufl., § 47 ZPO Rn. 3). Diese Voraussetzungen liegen hier offenkundig nicht vor. Das folgt auch schon aus dem Beschluss vom 24. Mai 2006, mit dem der abgelehnte Richter den von ihm zunächst anberaumten Verkündungstermin unter Hinweis auf die fehlende Eilbedürftigkeit der Sache wieder aufgehoben hat.

Ende der Entscheidung

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