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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 16.04.2002
Aktenzeichen: 2 U 17/01
Rechtsgebiete: ZPO, EGBGB, EGZPO, BGB, BbgStrG


Vorschriften:

ZPO § 286
ZPO § 713
ZPO § 91 Abs. 1
ZPO § 708 Nr. 10
ZPO § 543 Abs. 1 a.F.
EGBGB § 5
EGZPO § 26 Nr. 5
BGB § 285
BGB § 839
BGB § 284 Abs. 1 Satz 1
BGB § 288 Abs. 1 a.F.
BbgStrG § 10 Abs. 1
BbgStrG § 9 Abs. 4 Satz 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

2 U 17/01 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 16. April 2002

verkündet am 16. April 2002

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12. März 2002 durch den Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Dr. Farke sowie die Richterinnen am Oberlandesgericht Rohrbach-Rödding und Kosyra

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Klägers wird das am 26. Februar 2001 verkündete Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 11 O 433/00 - abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefaßt:

Das beklagte Land wird verurteilt, an den Kläger 913,25 € nebst 4 % Zinsen seit dem 16. April 2000 zu zahlen;

es wird festgestellt, daß das beklagte Land verpflichtet ist, dem Kläger den zukünftig noch entstehenden Schaden aus dem Unfallereignis vom 9. Dezember 1999 auf der L 281 zu ersetzen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat das beklagte Land zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Ohne Tatbestand gemäß § 543 Abs. 1 ZPO a. F. i.V.m. § 26 Nr. 5 EGZPO.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung des Klägers hat in vollem Umfang Erfolg. Dem Kläger steht gegen das beklagte Land ein Anspruch auf Schadensersatz aus dem Gesichtspunkt der Amtshaftung wegen des Vorfalles vom 9. Dezember 1999 auf der L 281 zu, § 839 BGB i V.m. Art. 34 GG.

Dem beklagten Land oblag die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des fraglichen Straßenbaumes, von dem der Ast herabgefallen und zu einer Schädigung des PKW's des Klägers geführt hat, als Amtspflicht gemäß §§ 9 Abs. 4 Satz 1, 10 Abs. 1 BbgStrG. Die Verkehrssicherungspflicht umfaßt den Schutz vor Gefahren, die von Straßenbäumen ausgehen, sei es durch Herabfallen von Teilen eines Baumes, sei es durch Umstürzen eines Baumes selbst (allgemeine Ansicht, vgl. nur BGH VersR 1965, S. 475; OLG Köln, VersR 1992, S. 1370/1371; OLG Hamm, VersR 1994, S. 347; ständige Senatsrechtsprechung, siehe insbesondere Entscheidungen vom 12. Januar 1999 zu 2 U 40/98; vom 23. November 1999 zu 2 U 125/98, vom 7 März 2000 zu 2 U 58/99 und vom 17. Juli 2001 zu 2 U 99/00). Von Straßenbäumen gehen für die Benutzer der Straße dann Gefahren aus, wenn die Bäume selbst nicht mehr hinreichend stand- bzw. bruchsicher sind und wenn die naheliegende Möglichkeit besteht, daß Äste oder ganze Bäume unvermutet auf die Straße stürzen können. Da eine derartige Gefahr grundsätzlich von allen Bäumen ausgehen kann, obliegt es dem jeweiligen Verkehrssicherungspflichtigen, ausreichend Vorsorge dafür zu treffen, daß bei erkrankten Bäumen rechtzeitig Maßnahmen getroffen werden, die eine Gefährdung des Verkehrs im Rahmen des Zumutbaren ausschließen. Je größer die Gefährdung ist, die von dem jeweiligen Baum ausgeht (z. B.: Standort in unmittelbarer Nähe einer stark befahrenen Straße, hohes Alter des Baumes, besonders windanfällige Lage, etc.), desto höher sind die Anforderungen, die an den Inhalt der Verkehrssicherungspflicht zu stellen sind. Wie der Senat in Übereinstimmung mit der herrschenden Rechtsprechung bereits mehrfach entschieden hat, ist es unumgänglich notwendig, daß der Verkehrssicherungspflichtige regelmäßig zweimal pro Jahr die Bäume (einmal im belaubten und einmal im unbelaubten Zustand) kontrollieren muß. Dabei kann sich die Untersuchung normalerweise auf eine Sichtprüfung vom Boden aus beschränken (vgl. neben den angeführten Senatsurteilen: OLG Köln, VersR 1992, S. 371; OLG Hamm, VersR 1994, S. 357; OLG Düsseldorf, VersR 1992, S. 467). Die Untersuchung muß durch hinreichend qualifiziertes Personal durchgeführt werden. Dabei muß es sich zwar nicht notwendigerweise um Forstfachleute handeln; die Bediensteten des Verkehrssicherungspflichtigen müssen jedoch ausreichend dahin geschult worden sein, daß sie Krankheitszeichen an Bäumen erkennen können. Als Schäden am Baum, die auf Krankheiten desselben und Gefährdungen der Verkehrsteilnehmer hindeuten, kommt in erster Linie das Vorhandensein von Totholz, also unbelaubten Ästen, in Betracht. Sind Äste, die noch dazu über eine Straße oder einen Gehweg ragen, völlig unbelaubt, so ist es ohne weiteres erkennbar, daß hiervon die Gefahr eines Abbrechens unmittelbar ausgeht und Maßnahmen zur Beseitigung der Gefahr dringend ergriffen werden müssen.

Über die vorgenannten Grundsätze besteht in der Rechtsprechung Einigkeit. Unterschiedliche Bewertungen gibt es dagegen zu der Rechtsfrage, wie eingehend und in welcher Art und Weise die Kontrollen durchzuführen sind, ob insbesondere eine Baumschau aus einem fahrenden Fahrzeug heraus durchgeführt werden kann. So hat der Senat in seinem Urteil vom 7. März 2000 (Az.: 2 U 58/99) entschieden, eine Begutachtung aus dem fahrenden Fahrzeug reiche jedenfalls dann nicht aus, wenn bei einem sehr hohen Baum vom Boden aus Totholz wegen äußerst dichter Kronen keinesfalls erkennbar ist. Der Senat hat aufgeführt, eine visuelle Kontrolle könne nur dann sinnvoll sein, wenn diese auch so durchgeführt werde, daß der Baum tatsächlich in seinen Einzelheiten in Augenschein genommen werden könne. An dieser Auffassung hält der Senat fest Eine visuelle Kontrolle kann nur dann sinnvoll sein, wenn es auch möglich ist, die kontrollierten Bäume tatsächlich in ihren Ausprägungen in Augenschein zu nehmen. Wird die "Kontrolle" in einer Art durchgeführt, die es nicht ermöglicht, jeden der zu kontrollierenden Bäume, besonders auch dessen Krone, genau ins Auge zu fassen, wird der Sinn der Kontrolle verfehlt. Verlangt man eine visuelle Kontrolle, um insbesondere Totholz als gravierendes Anzeichen für weitere Schäden am Baum feststellen zu können, so muß eine Kontrolle grundsätzlich geeignet sein, totes Astwerk überhaupt feststellen zu können. Ansonsten wäre die Verpflichtung zur Sichtkontrolle ad absurdum geführt. Aus dem Gesichtspunkt der Zumutbarkeit, der eine Rolle für die Begrenzung von Amtspflichten spielt, ergibt sich keine abweichende Würdigung. Der Senat hält den Verkehrssicherungspflichtigen nicht für verpflichtet, jedes kleine Ästchen aus der Nähe in Augenschein zu nehmen. Er hält es allerdings für erforderlich, jeweils den ganzen Baum zumindest vom Boden aus genau zu besehen. Bei der Mehrzahl der Straßenbäume dürfte das Vorhandensein toter Äste vom Boden aus dann ohne weiteres möglich sein, wenn die Baumkrone aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet wird (so auch die Entscheidung zum Az. 2 U 99/00).

Diesen an eine ordnungsgemäße Baumschau zu stellenden Anforderungen ist das beklagte Land hier nicht nachgekommen. Zwar ist, wie die Vernehmung des Zeugen J am 12. März 2002 ergeben hat, eine Baumschau im fraglichen Bereich sowohl im Frühjahr als auch im Herbst 1999 durchgeführt worden, und zwar vor dem Unfall des Klägers zuletzt am 25., 27. oder 28. Oktober 1999. Daß sich der konkrete Tag, an dem gerade der fragliche Straßenabschnitt kontrolliert worden ist, aus den Aufzeichnungen des Zeugen nicht ergeben hat und der Zeuge hieran auch keine konkrete Erinnerung hatte, hält der Senat für belanglos. Der Zeuge konnte jedenfalls bekunden, daß in dem fraglichen Zeitabschnitt in dem gesamten Bereich eine Baumschau durchgeführt worden ist, wie sich auch aus den eingesehenen Unterlagen ergab. Er konnte mit Sicherheit angeben, daß jedenfalls der Straßenabschnitt, auf dem der Kläger zu Schaden kam, kontrolliert worden sei. Allerdings vermag der Senat nicht festzustellen, daß hier die Kontrolle in ausreichender Weise durchgeführt worden ist. Der Zeuge hat erklärt, daß er in Vorbereitung der Baumschau die Straßen seines Bereichs begehe oder befahre, um schadhafte Bäume vorab zu kennzeichnen. Bei Durchführung der Baumschau seien die Beteiligten dann mit einem geschlossenen Fahrzeug, nämlich mit einem VW-Bus die Strecke abgefahren und seien bei den zuvor gekennzeichneten Bäumen bzw. dann ausgestiegen, wenn einem der Beteiligten etwas aufgefallen sei. Diese Durchführung der Baumschau entspricht nicht den Anforderungen, jedenfalls nicht für einen Bereich, der, wie der Zeuge bekundet hat, sehr dicht mit verschiedenen Bäumen bestanden ist. Es kann nicht festgestellt werden, daß gerade derjenige Streckenabschnitt, in dem es zu dem Schadensfall gekommen ist, von dem Zeugen J oder einem anderen Mitarbeiter des beklagten Landes ordnungsgemäß in Augenschein genommen worden ist. Der Zeuge konnte sich nämlich nicht daran erinnern, ob er gerade in diesem Bereich die Bäume vom Boden aus genau kontrolliert hatte. Es bleibt deshalb möglich, daß sowohl der Zeuge J in Vorbereitung der Baumschau als auch die Teilnehmer der Baumschau diese Strecke lediglich mit einem Auto befahren haben. Aus einem geschlossenen Fahrzeug heraus kann jedoch bei einer dicht mit Bäumen bestandenen Strecke nicht die Krone eines jeden Baumes genau darauf kontrolliert werden, ob Totholz vorhanden ist. Die Sichtmöglichkeit aus dem fahrenden geschlossenen Fahrzeug ist nach oben hin aus jeder Sitzposition erheblich eingeschränkt. Einzelne tote Äste in den Kronen können nicht mit hinreichender Sicherheit erkannt werden. Deshalb war jedenfalls hier die Art der Durchführung der Baumschau nicht ordnungsgemäß. Das beklagte Land war nicht in der Lage, auf diese Art und Weise mit hinreichender Sicherheit Totholz festzustellen und Schäden von den Straßennutzern abzuwenden.

Ob die Qualifikation der Teilnehmer an der Baumschau daneben ausreichend gewesen wäre, um bei ansonsten ordnungsgemäßer Durchführung der Kontrolle schadhafte Bäume auch zu erkennen, kann somit offenbleiben, da es hierauf nicht entscheidend ankommt.

Der Senat ist aufgrund der in I Instanz durchgeführten Beweisaufnahme und der Anhörung des Klägers als Partei auch davon überzeugt, daß das Fahrzeug des Klägers tatsächlich durch einen herabfallenden toten Ast beschädigt worden ist. Es handelt sich bei den beiden Zeugen M und H R zwar nicht um unmittelbare Unfallzeugen, die auch nur etwas ungenaue Angaben zu den Schäden am Fahrzeug und zu dem Ast machen konnten. Gleichwohl gewinnt wie das Landgericht auch der Senat gemäß § 286 ZPO aufgrund ihrer Angaben und der Anhörung des Klägers die Überzeugung, daß insoweit der Vortrag des Klägers zutrifft. Es kann festgestellt werden, daß ein ungefähr armlanger Ast, der an seiner stärksten Stelle etwa handgelenks dick war, auf das Auto des Klägers herabgefallen ist. Es handelte sich dabei auch um Totholz. Die Zeugin M R, die allerdings nur aus dem Fahrzeug heraus den abgestürzten Ast gesehen hat, hat bekundet, sie habe Aststücke auf dem Boden liegen sehen, die ungefähr so ausgesehen hätten, wie diejenigen, die in I. Instanz dem Gericht vorgelegt worden waren. Zwar ist die Zeugin nicht ausdrücklich dazu befragt worden, ob der Ast noch belaubt war. Die Stücke, die der Kläger in der Verhandlung vom 22. Januar 2001 vorgelegt hatte, waren jedoch morsches Totholz. Wenn die Zeugin darauf Bezug nahm, kann davon ausgegangen werden, daß sie auch solche Stücke auf der Fahrbahn hat liegen sehen. Der Zeuge H R hat ebenfalls Bezug auf das vorgelegte längere Aststück genommen. Er hat außerdem bekundet, er habe das Aststück, welches auf der Fahrbahn gelegen habe, genau angeschaut und den Eindruck gehabt, es habe sich um ein morsches Stück Holz gehandelt. Die Rinde sei auch sehr trocken gewesen. Aus der Gesamtheit dieser Bekundungen läßt sich der Schluß ziehen, daß das Fahrzeug des Klägers durch herabfallendes Totholz beschädigt worden ist.

Da das beklagte Land die notwendigen Kontrollen nicht ordnungsgemäß durchgeführt hat, haftet es für die dem Kläger entstandenen Schäden aus dem Ereignis vom 9. Dezember 1999 in voller Höhe.

Der Kläger hat die Reparaturkosten über seine Vollkaskoversicherung abgewickelt und hierfür einen Betrag von 650,00 DM an Eigenaufwendungen gehabt. Außerdem beträgt die Wertminderung des Fahrzeugs 600,00 DM, wie zwischen den Parteien unstreitig ist. Ebenfalls unbestritten ist, daß der Kläger für die Erstellung des Gutachtens einen Betrag von 436,16 DM aufgewendet hat. Soweit das beklagte Land vorträgt, die Kaskoversicherung des Klägers verlange bei Schäden bis 4.000,00 DM kein Gutachten zur Höhe des Fahrzeugschadens, wenn ein entsprechender Kostenvoranschlag vorliege, im Zweifel komme die Versicherung selbst für die Sachverständigenkosten auf, begründet dies nicht eine Verletzung der Schadensminderungspflicht des Klägers (§ 254 BGB). Denn weder war aus dem Voranschlag die trotz Reparatur verbleibende nicht unerhebliche Wertminderung des Fahrzeugs ersichtlich, noch hätte der Kläger für die Wertminderung auch ohne Einholung eines Sachverständigen-Gutachtens Ersatz erlangen können. Jedenfalls hat hierzu das beklagte Land nicht vorgetragen, so daß es bei der allgemeinen Regel bleibt, wonach es einem Geschädigten unbenommen ist, seinen Schaden auf Kosten des Schädigers gutachterlich feststellen zu lassen.

Weiter hat der Kläger die Kosten für die Anmietung eines Ersatzfahrzeuges vom 14.-17. Dezember 1999 in Höhe von 100,00 DM belegt und hierzu substantiiert vorgetragen. Eine Reparaturdauer von 4 Tagen steht im Einklang mit den Ausführungen im Gutachten, so daß der Kläger die Aufwendungen für das Mietfahrzeug in voller Höhe ersetzt verlangen kann. Dem Kläger steht deshalb insgesamt ein Anspruch auf Zahlung von 1.786,16 DM = 913,25 € zu. Ein Anspruch auf Verzinsung ergibt sich aus dem Gesichtspunkt des Verzuges, §§ 284 Abs. 1 Satz 1, 285, 288 Abs. 1 BGB a. F. i.V.m. Art. 229 § 5 EGBGB.

Der Feststellungsantrag des Klägers ist zulässig und begründet. Aufgrund der Inanspruchnahme der Kaskoversicherung wegen des Unfallereignisses hat der Kläger dem Grunde nach einen Rückstufungsschaden erlitten, der sich jedoch noch nicht vollständig realisiert hat. Aus diesem Grund kann der Kläger noch keine Leistungsklage erheben und ist auf den Feststellungsantrag angewiesen. Das beklagte Land ist auch insoweit zum Schadensersatz verpflichtet, da der Rückstufungsschaden auf dem Unfallereignis beruht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Bundesgerichtshofs erfordern (§ 543 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 7 EGZPO).

Streitwert: 1.543,08 €

Beschwer des Beklagten: 1.543,08 €



Ende der Entscheidung

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