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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 17.06.2003
Aktenzeichen: 2 U 50/02
Rechtsgebiete: ZPO, BbgStrG


Vorschriften:

ZPO § 444
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
BbgStrG § 9 Abs. 4
BbgStrG § 10 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

2 U 50/02 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 17.06.2003

verkündet am 17.06.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 2. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 20.Mai 2003 durch

den Vizepräsident des Oberlandesgerichts ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Landgericht ...

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 20. Juni 2002 verkündete Urteil des Landgerichts Neuruppin (Az. 3 O 215/01) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt Schadensersatz nach einem Baumschaden. Am 12.08.2000 gegen 10.40 Uhr stürzte in Höhe des Km 3,4 im Straßenabschnitt 40 der Landstraße L ... (...) zwischen W... und L... ein Straßenbaum auf das Fahrzeug des Klägers, Typ ... mit dem amtlichen Kennzeichen ... . Am Fahrzeug entstand Sachschaden; der Kläger wurde verletzt.

Der Kläger hat behauptet, das beklagte Land hätte die vom Baum ausgehende Gefahr bei ordnungsgemäßer Baumschau erkennen können. Insbesondere:

- hätten sich vor dem Baum Holzreste befunden, die nicht durch den Baumsturz verursacht seien

- hätte der Baum auf einer Fläche von 2 bis 3 m keinerlei Baumrinde mehr aufgewiesen

- sei der Baumstamm stark zersetzt gewesen und

- hätte er abgestorbene Äste aufgewiesen.

Das beklagte Land hat behauptet, es habe wöchentlich eine Streckenkontrolle mit Sichtung auch des Straßenbegleitgrüns durchgeführt, die letzte am 11.08.2000. Zudem habe im Zeitraum 13.06.2000 bis 15.06.2000 eine der zweimal jährlich notwendigen Baumschau mit der unteren Naturschutzbehörde stattgefunden. Die Krone sei dabei vollständig belaubt gewesen, äußere Anzeichen für eine Vermorschung hätten nicht bestanden.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und ausgeführt, der Kläger habe nicht beweisen können, daß bereits vor dem Unfall die Vermorschung des Baumes für das beklagte Land erkennbar gewesen sei. Dem Sachverständigen würden notwendige Anknüpfungstatsachen fehlen. Auch die vom Kläger benannten Zeugen könnten lediglich Bekundungen über den Zustand des Baumes nach dem Unfall machen. Sie seien deshalb auch nicht zu hören.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen.

Mit der am 07.08.2002 eingelegten und am 09.09.2002 begründeten Berufung gegen das dem Kläger am 09.07.2002 zugestellte Urteil verfolgt der Kläger sein erstinstanzliches Begehren weiter. Er ist der Auffassung, das Landgericht sei seiner Hinweispflicht nicht nachgekommen. Insbesondere hätte es auf die sekundäre Darlegungslast bei der Frage der Durchführung der Kontrolle hinweisen müssen. Zudem sei mit der Beseitigung des Straßenbaumes entsprechend § 444 ZPO eine Beweislastumkehr eingetreten. Weiter führt er aus, die Rindenverluste wären bereits vor dem Unfall sichtbar gewesen; auf dem Bild Bl. 18 d. GA. sei eine große Schnittwunde erkennbar. Allein dies gebe hinreichend Anlaß, den Baum bei der Baumschau genauer zu untersuchen. Auch die Holzspäne am Fuß des umgestürzten Baumes erlaubten den Schluß, daß die Eiche schon seit langer Zeit tot sei.

Das beklagte Land verteidigt das angefochtene Urteil und wiederholt und vertieft die erstinstanzlichen Ausführungen.

II.

Dem Kläger steht kein Schadensersatz nach den Grundsätzen der Amtshaftung (§ 839 Abs. 1 BGB i.V.m. Art. 34 GG) zu.

Dem beklagten Land oblag die Verkehrssicherungspflicht hinsichtlich des Straßenbaumes, der am 12.08.2000 gegen 10.40 Uhr auf der L ... zwischen W... und L... umstürzte und den PKW des Klägers beschädigt hat, als Amtspflicht gemäß §§ 9 Abs. 4, 10 Abs. 1 BbgStrG.

Die Verkehrssicherungspflicht umfaßt den Schutz vor Gefahren, die von Straßenbäumen ausgehen, sei es durch Herabfallen von Teilen eines Baumes, sei es durch Umstürzen eines Baumes selbst (vgl. BGH VersR 1965 S. 475; OLG Köln VersR 1992 S. 1370 f.; OLG Hamm VersR 1994 S. 347; ständige Senatsrechtsprechung, insbesondere Entscheidungen des Senats vom 12. Januar 1999 - 2 U 40/98 -, 23. November 1999 - 2 U 125/98 -, 7. März 2000 - 2 U 58/99 -, 26. Juni 2001 - 2 U 99/00 -, 12. März 2002 - 2 U 17/01 -). In diesem Zusammenhang muß nach ständiger Senatsrechtsprechung der Verkehrssicherungspflichtige durch hinreichend qualifiziertes Personal regelmäßig zweimal pro Jahr die Bäume (einmal im belaubten und einmal im unbelaubten Zustand) kontrollieren. Dabei kann sich die Untersuchung normalerweise auf eine Sichtprüfung vom Boden beschränken (vgl. Senatsurteile a.a.O.). Lediglich in den Fällen, bei denen im Rahmen einer - in der Regel vom Boden aus durchzuführenden - visuellen Untersuchung Schäden am Baum auffallen, sind entsprechende weitergehende Maßnahmen, z.B. Abklopfen, Zugprüfungen oder Bohrungen zu veranlassen. Als Schäden am Baum, die auf Krankheiten desselben und Gefährdungen der Verkehrsteilnehmer hindeuten, kommen vor allem das Vorhandensein von Totholz, Fehler in der Rinde sowie in der Belaubung in Betracht. Solche Anhaltspunkte hat der Kläger, wie auch das Landgericht in den Entscheidungsgründen zutreffend ausgeführt hat, nicht ausreichend dargelegt und unter Beweis gestellt bzw. nicht beweisen können:

Der Kläger verweist zunächst auf die vor dem Baum befindlichen Holzspäne, die nicht durch den Baumsturz verursacht worden seien. Diese bieten allerdings keinen Anhaltspunkt für die hier allein zu entscheidende Frage, ob der Zustand des Baumes vor dem Unfall zum Zeitpunkt der Baumschau oder auch nur zum Zeitpunkt der Streckenkontrolle erkennbar war. So führt der gerichtlich bestellte Sachverständige G... in seinem Gutachten vom 22.12.2001 nachvollziehbar aus: "Die Holzspäne ... erwecken den Eindruck, daß dieses Material aus dem Stamm heraus befördert wurde, also wohlmöglich Nagetiere am Werk waren, deren Tätigkeit die Standfestigkeit eines Baumes innerhalb weniger Stunden in Frage stellen kann."

Die vom Kläger als einen weiteren Anhaltspunkt für eine Handlungspflicht des beklagten Landes dargelegten Zersetzungserscheinungen am Baum sind nach den Ausführungen des Sachverständigen auch möglich, ohne daß der Baum äußerlich Anzeichen für den Pilzbefall aufweist. Der Baum kann trotz innerer Vermorschung oder Zersetzung ohne weiteres äußerlich intakt bleiben.

Daß des weiteren der Baum abgestorbene Äste aufgewiesen hätte, stellt der Kläger nicht unter Beweis. Gleiches gilt für die Behauptung - jedenfalls für den Zeitpunkt der Baumschau im Juni 2000 -, der Baum habe auf einer Fläche von 2 bis 3 m keinerlei Baumrinde mehr besessen. Die vom Kläger zu diesem Beweisthema benannten Zeugen haben den Baum erst nach dem Unfall besichtigen können. Der Zustand vor dem Unfall kann deshalb nicht in ihrem Wissen stehen. Auch sachverständig ist die Beweisfrage nicht mehr zu klären. So kann nach den Ausführungen des Sachverständigen "...die Rinde auf dem zweiten Foto der Seite 18 ... erst nach dem Aufprall des Baumes auf die Straße bzw. Fahrzeug abgefallen sein, oder beim Beräumen durch die Feuerwehr...". Weiter hat der Sachverständige ausgeführt, er könne anhand der Verfärbungen des Kambiums nicht mehr feststellen, in welcher Zeit vor der Anfertigung der Fotos die Verfärbungen eingetreten sind. Es sei sogar möglich, daß sie bei äußerlich intakter Rinde eintreten.

Selbst für den Fall, daß die Rindenverluste zum Zeitpunkt der Streckenkontrolle am 11.08.2000 vorhanden waren, ergibt sich keine Handlungspflicht des beklagten Landes. Zweifelhaft ist bereits, ob die Rindenverluste für den Streckenwart tatsächlich erkennbar waren. Befanden sie sich auf der straßenabgewandten Seite, so hätten sie nur bemerkt werden können, wenn der Baum eingehend und von allen Seiten betrachtet worden wäre. Dies ist jedoch nicht Aufgabe des Streckenwarts. Er hat den Zustand der Straße zu kontrollieren und kleinere Reparaturen durchzuführen. Ferner obliegt es ihm, offen erkennbare Gefahren zu beseitigen oder die zuständigen Stellen zu informieren. So mag es eine Aufgabe des Streckenwartes sein, offen erkennbares loses Geäst zu beseitigen. Eine Baumschau im eigentlichen Sinne muß er nicht durchführen, insbesondere sind die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Baumschau auf die wöchentliche Streckenkontrolle nicht anzuwenden. Ausreichend und erforderlich ist vielmehr die jährlich zweimal durchzuführende Baumschau, soweit nicht ausnahmsweise bei der Streckenkontrolle offen zutage tretende Mißstände bekannt werden. Der Streckenwart ist von seiner Vorbildung und seinem Aufgabenkreis her gerade nicht derjenige, der dazu berufen wäre, eine Art wöchentliche Baumschau durchzuführen. Regelmäßig wird es bereits an der notwendigen besonderen fachlichen Qualifikation fehlen. Auch unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten ist es nicht vertretbar, die für jährlich zwei Baumschauen entwickelten Grundsätze faktisch auf die wöchentliche Streckenkontrolle auszudehnen.

Im Ergebnis bleibt es dabei, daß nicht ausgeschlossen werden kann, daß im Verlaufe der vorgeschriebenen Sichtprüfung durch das beklagte Land ein tatsächlich gefährlicher Zustand des Baumes nicht erkennbar war und daher kein Anlaß zu weiteren Maßnahmen bestand.

Die vom Kläger unter Hinweis auf ein Foto Bl. 18 d. GA. behauptete Baumwunde vermag ebenfalls keine Pflicht des beklagten Landes zur Sicherung des Baumes zu begründen. Zwar hat der Senat in seiner Entscheidung 2 U 40/98 unter Berufung auf den dort gehörten Sachverständigen schon das Vorhandensein einer größeren Schnittstelle als Anlaß gesehen, einen Baum eingehender auf seine Standsicherheit zu untersuchen. Es kann hier offenbleiben, ob dies allgemein so gilt. Zunächst vermag der Senat nämlich auf dem vorliegenden Foto die Baumwunde schon nicht verläßlich zu erkennen; ein weiterer Beweisantritt fehlt. Im übrigen bleibt die Möglichkeit, daß die behauptete Baumwunde erst durch den Unfall bzw. im Zusammenhang mit der Beseitigung des Baumes entstanden sein könnte. Zwingende Rückschlüsse auf die Erkennbarkeit von Baumschäden zum Zeitpunkt der Baumschau erlaubt das in bezug genommene Foto jedenfalls nicht.

Die Beweisfälligkeit des Klägers für die Frage der Erkennbarkeit der Baumschäden geht zu Lasten des Klägers. Grundsätzlich trägt der Kläger für die Voraussetzungen der Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht die Beweislast. Eine Beweislastumkehr in entsprechender Anwendung des § 444 ZPO bei fahrlässiger Beweismittelvernichtung kommt vorliegend nicht in Betracht.

Zwar können unter diesen Billigkeitsgesichtspunkten Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr in Betracht kommen (BGH NJW 1998, 79, 81; 1986, 59, 61).

Vorliegend hat das beklagte Land zwar den Baum als Beweismittel für die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen beseitigt und die Beweisführung für den Kläger objektiv erschwert. Eine schuldhafte Beweisvereitelung ist darin jedoch nicht zu sehen. So ist das beklagte Land nicht zur unbeschränkten Aufbewahrung des Baumes verpflichtet. Dies gilt schon deshalb, weil die dauerhafte Aufbewahrung des Baumes einen Aufwand und Kosten erfordert, der nicht unbeschränkt auf sich genommen werden muß. Jedenfalls nach einer Zeit von fast einem Jahr brauchte das Land nicht mehr damit zu rechnen, der Baum werde als Beweismittel noch benötigt. Der Unfall fand am 12.08.2000 statt. Das Brandenburgische Straßenbauamt hat mit Schreiben vom 23.03.2001 die Schadensersatzansprüche des Klägers zurückgewiesen. Während der gesamten Zeit - fast ein 3/4 Jahr - hat das beklagte Land den Baum zunächst am Straßenrand und sodann auf dem Lagerplatz der Straßenmeisterei aufbewahrt. Der Kläger hat während dieser Zeit keinerlei Interesse an dem Baum gezeigt oder auch nur deutlich gemacht, den Baum durch einen Sachverständigen begutachten zu lassen. Auch im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ablehnungsschreiben vom 23.03.2001 hat der Kläger nichts zur Beweissicherung in die Wege geleitet. Die Klagezustellung erfolgte erst am 16.07.2001, mithin fast 1 Jahr nach dem Unfall. Das beklagte Land durfte unter diesen Umständen davon ausgehen, der Baum werde als Beweismittel nicht mehr benötigt. Dabei ist, was dem Senat - wie auch dem beklagten Land - aus einer Vielzahl von "Baumfällen" bekannt ist, davon auszugehen, daß nach einer gewissen, jedenfalls weniger als 1 Jahr andauernden Zeit Schlußfolgerungen des Sachverständigen zum Zustand des Baumes am Unfalltag im allgemeinen nicht mehr gezogen werden können. So führt auch vorliegend der Sachverständige in seinem Gutachten aus: "Die Holzzersetzung kann innerhalb eines Jahres soweit fortgeschritten sein, daß aus heutiger Sicht nicht mehr nachvollziehbar ist, welche Wandstärke der morsche Stamm zum Zeitpunkt des Bruches hatte und ob dieses von außen zu sehen war. Die intakten Holzteile der verbliebenen Stammwände könnten vom Unfalltag bis heute wesentlich weiter zersetzt sein."

Durch sein Abwarten über den Zeitraum von fast einem Jahr hat der Kläger seine Beweisnot letztlich selbst verursacht. Selbst wenn hier ein Fall von fahrlässiger Beweisvereitelung gegeben wäre, wäre die Untätigkeit des Klägers derart schwerwiegend, daß bei Abwägung nach Billigkeit dem Kläger keine Beweiserleichterungen zugute kommen können. Die bestrittene Behauptung des Klägers in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat, Forstarbeiter hätten dem Kläger gesagt, der Baum würde beseitigt, vermag an dieser Wertung nichts zu ändern. Verbindliche Auskünfte konnten die Forstarbeiter mangels Zuständigkeit erkennbar nicht geben. Der Kläger wäre bei dieser Sachlage gehalten gewesen, beim zuständigen Straßenbauamt nachzufragen.

Nach allem muß der Berufung der Erfolg versagt bleiben.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war gem. § 543 ZPO n. F. i. V. m. § 26 Nr. 7 EGZPO nicht zuzulassen, da die Sache weder grundsätzliche Bedeutung hat, noch zur Fortbildung des Rechts oder der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erforderlich ist. Die Entscheidung beruht allein auf den festgestellten Umständen des Einzelfalles.

Streitwert für das Berufungsverfahren: 5.943,87 €

Ende der Entscheidung

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