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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 06.01.2005
Aktenzeichen: 2 Ws 229/04
Rechtsgebiete: StGB, StPO


Vorschriften:

StGB § 2 Abs. 6
StGB § 2 a a.F.
StGB § 20
StGB § 21
StGB § 66
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 1
StGB § 66 Abs. 1 Nr. 3
StGB § 66 a Abs. 2
StGB § 66 b
StGB § 66 b Abs. 2
StGB § 66 b Abs. 2 Halbsatz 1
StPO § 275 a Abs. 1 S. 3
StPO § 275 a Abs. 5
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

2 Ws 229/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Strafsache

wegen sexueller Nötigung u.a.,

hier: Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung,

hat der 2. Strafsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...

am 6. Januar 2005

beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde des Verurteilten gegen den Beschluss der 1. großen Strafkammer des Landgerichts Cottbus vom 29. November 2004 wird als unbegründet verworfen.

Gründe:

I.

1. Die Staatsanwaltschaft hat die nachträgliche Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung gemäß § 66 b StGB beantragt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Landgericht die einstweilige Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung gemäß § 275 a Abs.5 StPO angeordnet.

2. Der strafrechtlich relevante Lebensweg des Beschwerdeführers stellt sich wie folgt dar:

Im Zeitraum zwischen August 1980 und August 1981 - der Beschwerdeführer war zwischen 14 Jahren und einem Monat und 15 Jahren und einem Monat alt - missbrauchte er in 10 Fällen seine zwei Jahre jüngere Schwester. Der Beschwerdeführer stieg in den Abendstunden, wenn er und seine Schwester allein im Hause waren, unbekleidet zu ihr in das Bett und betastete dann ihre Brust und manipulierte an ihrem Geschlechtsteil. Zwei- oder dreimal kam es dabei zum Geschlechtsverkehr. Da der Beschwerdeführer mit solchen Handlungen bereits im Kindesalter begonnen hatte, hatte sich seine Schwester schon daran gewöhnt und leistete keine Gegenwehr. Der Beschwerdeführer hatte dazu eingeräumt, seine Schwester teils mit Drohungen, teils mit Gewalt, wobei er ihre Hände festhielt und sie ins Bett drückte, zu sexuellen Handlungen gezwungen zu haben. Er habe ihr auch Finger in die Scheide gesteckt, ihre Schamlippen abgeleckt und sie sein Glied in den Mund nehmen lassen.

Am 1. September 1981 wurde der Beschwerdeführer, der zuvor bereits in Heimerziehung war, in einen Jugendwerkhof eingewiesen. Als Gründe für die Einweisung wurden vom Referat Jugendhilfe der Stadt Cottbus nicht die vorstehenden Sexualstraftaten, die zu dieser Zeit der Behörde noch nicht bekannt waren, genannt, sondern Schulbummelei, Herumtreiberei und Diebstahlshandlungen des Beschwerdeführers. Am 8. April 1983 wurde er aus dem Jugendwerkhof nach Hause entlassen.

Am 2. September 1983 - der Beschwerdeführer war 17 Jahre und einen Monat alt - vergewaltigte er nach einem Diskobesuch ein ebenfalls 17 Jahre altes Mädchen, das er dort kennengelernt hatte. Dazu zog er das Mädchen auf eine Wiese und versetzte ihr, wenn sie sich wehrte, Schläge mit der flachen Hand in das Gesicht und Kopfnüsse. Der Beschwerdeführer entkleidete das Mädchen und führte mit ihr den Geschlechtsverkehr durch. Er hatte hierzu eingeräumt, das Mädchen mit einer Ohrfeige auch dazu gezwungen zu haben, seinen Penis in den Mund zu nehmen.

Im Oktober 1983 beging der Beschwerdeführer gemeinsam mit zwei anderen Jugendlichen insgesamt 13 Einbrüche in Lauben und einen Bauwagen.

Am 15. März 1984 wurde er wegen aller vorgenannten Straftaten durch das Kreisgericht Cottbus-Stadt - 31 S 54/84 - zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten verurteilt. Diese Freiheitsstrafe verbüßte er vom 9. April 1984 an im Jugendhaus Halle, bis er am 21. März 1985 unter Aussetzung des Strafrestes zur Bewährung entlassen wurde.

Am 21. April 1985 - der Beschwerdeführer war 18 Jahre und neun Monate alt und genau einen Monat wieder in Freiheit - versuchte er, eine 45 Jahre alte Schrankenwärterin zu vergewaltigen. Hierzu drang er nachts in das Schrankenwärterhäuschen ein, umfasste von hinten mit dem rechten Arm den Hals der Geschädigten und drückte zu, so dass diese Atembeschwerden bekam. Da sie auch rufen wollte, drückte er den Mund der Geschädigten mit der anderen Hand so kräftig zu, dass sich deren vordere Schneidezähne lockerten. Nachdem der Beschwerdeführer das Licht gelöscht, die Tür abgeschlossen und den Schlüssel abgezogen hatte, würgte er die Geschädigte mit beiden Händen am Hals. Er erklärte ihr, dass er sie los lasse, wenn sie mache, was er wolle. Nachdem der Beschwerdeführer die Geschädigte in einen Sessel geschoben und ihr die Hose heruntergezogen hatte, versuchte er, sein gesteiftes Glied in ihre Scheide einzuführen, was jedoch nicht gelang. Deshalb musste die Geschädigte am Glied des Beschwerdeführers bis zum Samenerguss manipulieren. Die Geschädigte erlitt bei diesem Überfall eine Weichteilschwellung am rechten Scheitelbein, Hämatome an Kinn und Oberlippe, Quetschspuren und Hämatome am Hals sowie Schürfwunden; durch Schock entstand eine Kreislaufschwäche.

Wegen dieser Straftat wurde der Beschwerdeführer am 23. Juli 1985 durch das Kreisgericht Cottbus-Stadt - 31 S 194/85 - zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt; diese und die am 16. August 1985 widerrufene Restfreiheitsstrafe aus dem Urteil vom 7. März 1984 verbüßte er unter Anrechnung von Untersuchungshaft, die am 23. April 1985 begann, bis zum 8. September 1987 vollständig.

Am 27. April 1988 stahl der Beschwerdeführer aus einer Kaufhalle einen Kassettenrecorder. Als er beim Abtransport des Diebesgutes von einem Volkspolizisten gestellt wurde, schlug er diesen mit der Faust und wehrte sich mit Fußtritten. Am 13. Mai 1988 stahl der Beschwerdeführer wiederum einen Kassettenrecorder. Wegen dieser Diebstahlshandlungen wurde er am 3. Juni 1988 durch das Kreisgericht Greifswald - S 127/88 - zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und 10 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung durch Amnestie am 21. Dezember 1989 beendet wurde.

Zwischen Oktober 1990 und Juni 1991 beging der Beschwerdeführer vier Verkehrsstraftaten, für die er in den Jahren 1991 und 1992 jeweils Geldstrafen erhielt.

Am 25. April 1992 - der Beschwerdeführer war 25 Jahre alt - missbrauchte er ein 12 Jahre altes Mädchen. Er hatte den Tag vor einem Imbiss in Cottbus verbracht, als er bemerkte, dass das Kind in den Keller eines nahegelegenen Wohnhauses ging. Der Beschwerdeführer folgte dem Kind, das aus dem Keller sein Fahrrad holen wollte. Das Kind bemerkte, dass es vom Beschwerdeführer verfolgt wurde, und hielt die Tür der Kellerbox, in der es sich versteckt hatte, von innen zu. Der Beschwerdeführer riss die Tür auf und würgte das Kind am Hals. Dabei drohte er, dass er sie umbringen werde, wenn sie nicht aufhöre zu schreien. Der Beschwerdeführer zerriss das Nicki des Kindes samt Unterhemd und verlangte, dass das Kind sich ausziehe. Dieser Aufforderung kam das Kind aus Angst nach. Der Beschwerdeführer hatte seine Hosen heruntergelassen und das Kind kniete vor ihm. Der Beschwerdeführer verlangte, dass sie sein Geschlechtsteil in den Mund nehmen sollte, was sie aus Angst auch tat. Der Beschwerdeführer sagte zu dem Kind, dass er sie aufschlitzen werde, wenn sie schreit. Er führte mit dem Kind den Oralverkehr bis zum Samenerguss durch, der in den Mund des Kindes gelangte. Nunmehr ließ der Beschwerdeführer das Kind sich umdrehen und bücken und versuchte, sein Glied von hinten in die Scheide einzuführen. Dies gelang ihm nicht, weil die Scheide zu klein war. Nunmehr führte er mit dem Kind den Analverkehr durch. Danach ließ er das Kind sich wieder umdrehen und führte mit ihm wiederum den Oralverkehr bis zum erneuten Samenerguss durch. Vor dem Verlassen der Kellerbox bedrohte er das Kind wiederum damit, dass er sie aufschlitzen werde, wenn sie etwas erzählen würde.

Am 26. Juni 1992 geriet der Beschwerdeführer wegen dieser Tat in Untersuchungshaft. Am 10. November 1992 während der Verbüßung einer Ersatzfreiheitsstrafe infolge vorangegangener Verkehrsstraftaten durchsägte der Beschwerdeführer mit einem Eisensägeblatt, das er sich zum Zwecke des Ausbruchs beschafft hatte, zwei Stäbe der Vergitterung der Sanitärzelle seines Haftraumes in der Justizvollzugsanstalt Schwarze Pumpe. Nachdem die durchgesägten Streben des Fenstergitters mit Hilfe eines Rohrbettgestelles auseinander gebogen wurden, gelang es dem Beschwerdeführer und zwei anderen Gefangenen, sich durch die entstandene Öffnung zu zwängen und in der Folge auch die Gefängnismauer zu überwinden. Mit einem entwendeten Pkw gelangten die Flüchtigen nach Bielefeld, wo sie am nächsten Tag von der Polizei ergriffen wurden.

Wegen dieser Taten wurde der Beschwerdeführer am 29. Juli 1993 durch das Bezirksgericht Cottbus - 1 Kls 147/92 - zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt, wobei für die Sexualstraftat zum Nachteil des 12jährigen Mädchens eine Einsatzstrafe von sieben Jahren Freiheitsstrafe verhängt wurde.

Am 25. Mai 1995 - der Beschwerdeführer war 28 Jahre alt - missbrauchte er in der Justizvollzugsanstalt Am Hasenberge in Hamburg einen 42 Jahre alten Mitgefangenen. Der Beschwerdeführer hatte dem Mitgefangenen zuvor einen Brief, in dem homosexuelle Praktiken beschrieben werden, geschrieben, der von diesem jedoch nicht erwidert worden war. Der Beschwerdeführer begab sich in die Zelle des Mitgefangenen, verriegelte diese von innen und rauchte mit dem Mitgefangenen zunächst gemeinsam Haschisch. Nachdem der Mitgefangene zu erkennen gegeben hatte, dass er mit dem Beschwerdeführer nicht freiwillig sexuell verkehren wollte, zog der Beschwerdeführer, der durch die Ausübung von Kraftsport dem Mitgefangenen körperlich weit überlegen war, diesen gewaltsam aus. Sodann steckte er ihm sein Glied in den Mund, wobei er den Kopf des Mitgefangenen ständig hin und her bewegte. Anschließend zwang er den Mitgefangenen zum Analverkehr. Insgesamt kam es dreimal zum Oralverkehr und zweimal zum Analverkehr, wobei der Beschwerdeführer den Mitgefangenen hin und her drehte und wendete, wie es ihm passte. Während des Geschehens drückte der Beschwerdeführer den Mitgefangenen, damit dieser nicht um Hilfe schrie. Der Mitgefangene bat den Beschwerdeführer mehrfach vergeblich, mit dem Geschehen aufzuhören. Nach ca. einer halben Stunde kam es bei dem Beschwerdeführer zum Samenerguss, den der Mitgefangene oral aufnehmen musste. Beim Verlassen der Zelle äußerte der Beschwerdeführer zum Mitgefangenen, diese wisse ja, was passieren würde, wenn er jemandem etwas erzähle; mit dieser Bemerkung bezog sich der Beschwerdeführer auf den gewaltsamen Tod eines Häftlings in der Justizvollzugsanstalt.

Wegen dieser Tat wurde der Beschwerdeführer am 2. Oktober 1996 durch das Landgericht Hamburg - 616 Kls 2/96 - zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt. Die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung wurde - soweit es aktenkundig ist - von keiner Seite erwogen oder beantragt.

Im November 1997 - der Beschwerdeführer war 31 Jahre alt - bedrängte er einen 26 Jahre alten Mitgefangenen sexuell, indem er mehrfach gegen dessen Willen seinen nackten Oberkörper an dem Mitgefangenen rieb und ihn an das Gesäß und Geschlechtsteil fasste. Wegen dieser Handlungen wurde der Beschwerdeführer in der Justizvollzugsanstalt vom 19. November 1997 bis zum 16. Januar 1998 auf eine geschlossene Station verlegt. Am 3. Juli 1998 erließ das Amtsgericht Hamburg - 143 B 3401 Js 796/97 (226/98) - gegen ihn einen Strafbefehl wegen Beleidigung über 60 Tagessätze zu je 10 DM.

Im Juli 1999 - der Beschwerdeführer war 33 Jahre alt - ohrfeigte er einen Mitgefangenen, zudem er sexuellen Kontakt unterhielt. Deswegen wurde er vom 20. Juli 1999 an erneut für zwei Monate auf eine geschlossene Station verlegt.

3. Von 1995 an hatte der Beschwerdeführer mehrfach seine Aufnahme in sozial therapeutische Anstalten, bzw. sozial therapeutische Stationen beantragt. Zu einer Aufnahme kam es nicht, weil der Beschwerdeführer entweder als dafür nicht geeignet beurteilt wurde oder zu den behandelnden Psychologen kein Vertrauen fassen konnte. Zuletzt sollte der Beschwerdeführer Ende 2003 in die sozial therapeutische Abteilung der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel verlegt werden. Zu einer Aufnahme des Beschwerdeführers kam es nicht, weil dieser seine zuvor gegebene Zustimmung zu einer antihormonellen Behandlung, deren Notwendigkeit im November 2003 durch den Sachverständigen Prof. Dr. Berner bestätigt wurde, zurückzog.

Bereits im Jahre 1996 hatte sich bei der Justizvollzugsanstalt Werner P. gemeldet, der sich als freier ehrenamtlicher Helfer vorstellte und um Langzeitbesuche bei dem Beschwerdeführer nachsuchte, welche ihm auch genehmigt wurden. Seit Juli 2002 hat der Beschwerdeführer eine Lebenspartnerin, Frau Claudia G., die sich auch im Rahmen des hiesigen Beschwerdeverfahrens zu Gunsten des Beschwerdeführers schriftlich an den Senat gewandt hat. Am 14. Juli 2003 versuchte der Beschwerdeführer, zwei Briefe an der Postkontrolle vorbei aus der Justizvollzugsanstalt zu schmuggeln. Ein Brief an Werner P. hatte den folgenden sexuellen Inhalt:

"... oh Mann, oh Mann, habe selbst schon wieder einen Ständer und könnte jetzt mit Dir und dem Kleinen einen flotten Dreier veranstalten, doch tu mir den Gefallen und erzähle Claudia nichts, denn damit würdest Du unsere Freundschaft aufs Spiel setzen und das wollen wir beide doch nicht ..."

4. Der Beschwerdeführer wurde bisher dreimal psychiatrisch begutachtet:

Das erste Gutachten wurde von Prof. Dr. med. E. Lange am 29. März 1993 im Rahmen des Strafverfahrens vor dem Bezirksgericht Cottbus wegen des am 25. April 1992 begangenen Missbrauchs des 12jährigen Mädchens erstattet. Der Gutachter kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen normal intelligenten Mann handelte, bei dem weder eine krankhafte psychische Störung noch eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne der §§ 20, 21 StGB vorlag. Das Gutachten beschäftigte sich weiter mit der Frage, ob der Beschwerdeführer, der angegeben hatte, vor der Tat Alkohol getrunken zu haben und sich nicht mehr erinnern zu können, bei der Tatausführung infolge zuvor genossenen Alkohols schuldunfähig oder erheblich vermindert schuldfähig war, und kam zu dem Schluss, dass bei dem Beschwerdeführer allenfalls die Voraussetzungen des § 21 StGB vorgelegen haben könnten. Zu der weiter aufgeworfenen Frage, ob die Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Entziehungsanstalt geboten sei, bejahte der Gutachter die Gefahr, dass der Beschwerdeführer weitere erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Zu der Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in einer Entziehungsanstalt kam es indes nicht, weil im Ergebnis der Hauptverhandlung eine Alkoholsucht des Beschwerdeführers nicht festgestellt werden konnte; zudem bestanden erhebliche Zweifel an der Bereitschaft des Beschwerdeführers, sich einer Heilbehandlung zu unterziehen.

Das nächste Gutachten über den Beschwerdeführer wurde durch den Arzt K. Lietz am 6. Juli 2001 im Rahmen der Prüfung einer Reststrafenaussetzung zur Bewährung erstattet. Der Gutachter diagnostizierte bei dem Beschwerdeführer eine dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD-10F60.2), eine Alkoholabhängigkeit, gegenwärtig abstinent, aber in beschützender Umgebung (ICD-10F10.21) und den schädlichen Gebrauch von Cannabinoiden (ICD- 10F12.1). Insgesamt stellte der Gutachter ein hohes Rückfallrisiko für allgemeine Gewalt- und Sexualdelinquenz fest, das eine Haftentlassung aus psychiatrischer Sicht nicht erlaube.

Das letzte Gutachten über den Beschwerdeführer wurde durch den Arzt für Psychiatrie Dr. med. J. Lotze am 20. Juli 2004 wiederum im Rahmen der Prüfung einer Reststrafenaussetzung zur Bewährung erstattet. Der Gutachter diagnostizierte eine schwere dissoziale Persönlichkeitsstörung (ICD 10: F 60.2). Ob es sich bei dem Konsum von Alkohol und Cannabis durch den Beschwerdeführer um eine Abhängigkeit handele, sei nicht sicher einzuschätzen. Festzustellen sei immerhin, dass die Gefährlichkeit der Persönlichkeitsstörung durch den Rauschmittelkonsum massiv erhöht werde. Die Gefährlichkeit des Beschwerdeführers bestehe unverändert fort. Wesentliche Veränderungen durch eine Therapie seien zurzeit nicht zu erwarten und geeignete Therapieeinrichtungen seien dem Gutachter nicht bekannt. Eine zumindest ernsthaft zu diskutierende antihormonelle Behandlung, die durch intensive Psychotherapie begleitet werden müsse, lehne der Beschwerdeführer ab.

5. Der Beschwerdeführer verbüßte zunächst bis zum 12. April 1998 zwei Drittel der Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren aus dem Urteil des Bezirksgerichts Cottbus vom 29. Juli 1993. Bis zum 12. April 2002 verbüßte er sodann vollständig die Freiheitsstrafe von vier Jahren aus dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 2. Oktober 1996. Im Anschluss daran verbüßte er bis zum 12. Dezember 2004 den Rest der Gesamtfreiheitsstrafe aus dem Urteil des Bezirksgerichts Cottbus. Seit dem befindet er sich in einstweiliger Unterbringung auf Grund des angefochtenen Beschlusses des Landgerichts vom 29. November 2004.

Die Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel, in der der Beschwerdeführer einsitzt, hat die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung gegen ihn befürwortet; die Generalstaatsanwaltschaft beantragt, den angefochtenen Beschluss aufzuheben.

II.

Das Rechtsmittel des Beschwerdeführers ist unbegründet. Das Landgericht hat zu Recht gegen ihn einen Unterbringungsbefehl erlassen, weil dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass gegen ihn die nachträgliche Sicherungsverwahrung angeordnet wird (§ 275 a Abs. 5 S. 1 StPO).

1. § 66 b StGB ist durch das Gesetz zur Einführung der nachträglichen Sicherungsverwahrung (BGBl 2004 I, 1838), das am 29. Juli 2004 in Kraft getreten ist, in das Strafgesetzbuch eingefügt worden. Der Senat hat sich bei seiner Entscheidung zunächst mit dem Einwand auseinanderzusetzen, dass die neu geschaffene Vorschrift verfassungswidrig und damit nichtig sei, weil sie gegen das Verbot der Mehrfachbestrafung nach Artikel 103 Abs. 3 GG ("ne bis in idem") verstieße (vgl. Kinzig, NStZ 2004, 655, 660).

Artikel 103 Abs. 3 GG bestimmt, dass niemand wegen derselben Tat auf Grund der allgemeinen Strafgesetze mehrmals bestraft werden darf. Würde man die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung als "Bestrafung" im Sinne des Artikel 103 Abs. 3 GG verstehen, wäre sie stets verfassungswidrig, denn es ist unmöglich, über deren Verhängung zu entscheiden, ohne an die früheren, bereits abgeurteilten Straftaten anzuknüpfen. Dieser Einwand würde nicht nur für die im Anlassverfahren abgeurteilten Straftaten gelten, sondern auch hinsichtlich aller relevanten Vorverurteilungen, denn auch diese haben bereits rechtskräftig abgeurteilte Straftaten zum Gegenstand.

Der Senat folgt diesem Einwand nicht, weil es sich bei der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nach § 66 b StGB nicht um eine weitere Bestrafung des Täters, sondern ausschließlich um eine Maßnahme der Gefahrenabwehr handelt.

Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil vom 5. Februar 2004 - 2 BVR2029/01 - (BVerfGE 109, 133 - 190), mit dem über die Verfassungsmäßigkeit der Streichung der 10jährigen Höchstgrenze bei einer erstmalig angeordneten Sicherungsverwahrung durch das Gesetz zur Bekämpfung von Sexualdelikten und anderen gefährlichen Straftaten vom 26. Januar 1998 (BGBl I 1998, S. 160) entschieden wurde, den Unterschied zwischen Bestrafungen im Sinne des Artikel 103 Abs. 2 GG und Maßregeln der Besserung und Sicherung grundlegend heraus gearbeitet. Verkürzt wiedergegeben argumentiert das Bundesverfassungsgericht wie folgt:

Vom Wortlaut ausgehend wird staatliches Strafen herkömmlich als ein Übel verstanden, das als gerechter Ausgleich für eine rechtswidrige, schuldhafte und vom Gesetz mit Strafe bedrohte Handlung auferlegt wird und die öffentliche Missbilligung der Tat zum Ausdruck bringt (BVerfGE 105, 135, 153). Strafe gilt als Ausdruck vergeltender Gerechtigkeit und ist damit Reaktion auf ein normwidriges Verhalten (BVerfGE 109, S.168).

Historisch betrachtet sollte das Rückwirkungsverbot des Artikel 103 Abs. 2 GG nach dem Willen des Grundgesetzgebers denselben Bedeutungsinhalt haben wie die fast wortgleiche Vorgängervorschrift in Artikel 116 der Weimarer Reichsverfassung. Zur Weimarer Zeit unterfielen die Maßregeln der Besserung und Sicherung jedoch anerkanntermaßen nicht dem absoluten Rückwirkungsverbot. Mit der Einführung der Maßregeln der Besserung und Sicherung durch das Gesetz gegen gefährliche Gewohnheitsbrecher und über Maßregeln der Sicherung und Besserung vom 24. November 1933 (RGBl I S. 995) wurde auch § 2 a StGB a.F. geschaffen, der bestimmte, dass über Maßregeln ausnahmslos nicht nach dem Recht der Tatzeit, sondern nach dem Recht des Entscheidungszeitpunkts zu urteilen sei. Bei den Beratungen über das Grundgesetz fand der Verfassungsgeber das dualistische Sanktionssystems des Strafrechts einschließlich der Vorschrift des § 2 a StGB a.F. als Teil der Rechtsordnung vor. Hinweise darauf, dass die Zweispurigkeit von Strafe und Maßregel eingeschränkt oder das Rückwirkungsverbot abweichend von der damaligen Rechtsauffassung auf Maßregeln ausgedehnt werden sollte, sind nicht ersichtlich (BVerfGE 109, S.168-170).

Systematisch betrachtet steht diese Auslegung nicht im Widerspruch zur kompetenzrechtlichen Bedeutung des Begriffs "Strafrecht" in Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. In seinem Urteil vom 10. Februar 2004 - 2 BVR 834/02 - (BVerfGE 109, 190 - 255) hat das Bundesverfassungsgericht weiter entschieden, dass zum Strafrecht im Sinne des Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG die Regelung aller staatlichen Reaktionen auf Straftaten, die an die Straftat anknüpfen, ausschließlich für Straftäter gelten und ihre sachliche Rechtfertigung auch aus der Anlasstat beziehen, gehört, somit auch die Regelung der Vorschriften über die Maßregeln der Besserung und Sicherung. Der Bedeutungsunterschied des Begriffs "Strafrecht" aus Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG zur Bestrafung iSd Artikel 103 Abs. 2 GG folgt jedoch aus den verschiedenen Zwecken beider Grundgesetzbestimmungen. Während Artikel 103 Abs. 2 GG die rückwirkende Begründung und Verschärfung vergeltender strafrechtlicher Sanktionen verbietet und damit freiheitsgewährleistende Funktionen hat, regelt die Kompetenzvorschrift des Artikel 74 Abs. 1 Nr. 1 GG kein subjektives Recht des Einzelnen, sondern die Aufteilung der Gesetzgebungsbefugnis zwischen Bund und Ländern (BVerfGE 109, S.170).

Teleologisch betrachtet ist Normzweck des Artikel 103 Abs. 2 GG ein erhöhter rechtsstaatlicher Schutz gegenüber spezifisch strafrechtlichen Maßnahmen, mit denen der Staat auf schuldhaftes Unrecht antwortet.

Bestrafung im Sinne des Artikel 103 Abs. 2 GG setzt danach voraus, dass das auferlegte materielle Übel mit der Missbilligung vorwerfbaren Verhaltens verknüpft ist und von seiner Zielrichtung her (zumindest auch) dem Schuldausgleich dient (BVerfGE 109, S.172).

Die Maßregeln der Besserung und Sicherung sollen demgegenüber nach der Konzeption des Gesetzgebers diejenigen Funktionen übernehmen, welche die Strafe wegen ihrer Bindung an die Schuld des Täters nicht ausreichend erfüllen kann (BVerfGE 91, 1, 31 f.). Maßregeln dienen insbesondere der Individualprävention, also der Verhinderung zukünftiger Straftaten durch Einwirkung auf den Täter. Diese Einwirkung kann in Form fürsorgender oder heilender Eingriffe geschehen, aber auch - wie im Falle der Sicherungsverwahrung - durch mit Behandlungsangeboten verbundene Verwahrung des Betroffenen, von dem Gefahren ausgehen. Anknüpfend an die Gefährlichkeit des Täters ist allgemeiner Maßregelzweck die Verhütung künftiger Rechtsbrüche des Täters unabhängig davon, ob seine Schuld für sich genommen einen solchen Eingriff rechtfertigen würde.

Die Sicherungsverwahrung dient im Gegensatz zur Strafe nicht dem Zweck, begangenes Unrecht zu sühnen, sondern dazu, die Allgemeinheit vor dem Täter zu schützen (BVerfGE 2, 118, 120). Nicht die Schuld, sondern die in der Tat zu Tage getretene Gefährlichkeit ist bestimmend für die Anordnung, Ausgestaltung, und zeitliche Dauer der Maßregel. Die Maßregel ist eine Maßnahme, die Gefahren vorbeugt und in die Zukunft wirken soll (BVerfGE 109, S.173,174).

Der Senat verkennt nicht, dass die vorstehend zitierten überzeugenden Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts nicht zum Verbot der Mehrfachbestrafung aus Artikel 103 Abs. 3 GG, sondern zum Rückwirkungsverbot aus Artikel 103 Abs. 2 GG gemacht wurden. Beide Grundgesetzvorschriften verwenden jedoch bei sprachlicher Ableitung vom Verb "bestrafen" denselben Begriff der Bestrafung, von dem die Maßregeln der Besserung und Sicherung abzugrenzen sind. Beide Grundrechtsvorschriften haben freiheitsgewährende Funktionen zu Gunsten des Einzelnen im Strafrecht. Nicht erkennbar ist deshalb, warum sich der Begriff der Bestrafung in Artikel 103 Abs. 3 GG von demjenigen in Artikel 103 Abs. 2 GG unterscheiden soll; er umfasst eben nicht die Maßregeln der Besserung und Sicherung.

2. Mit den vorstehenden Ausführungen ist auch der weitere Einwand gegen die Verfassungsmäßigkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung, diese verstoße gegen das absolute Rückwirkungsverbot des Artikel 103 Abs. 2 GG, beantwortet; das absolute Rückwirkungsverbot des Artikel 103 Abs. 2 GG umfasst die Maßregeln der Besserung und Sicherung nicht.

3. § 66 b StGB verstößt auch nicht gegen das rechtsstaatliche Vertrauensschutzgebot aus Artikel 2 Abs. 2 GG i.V.m. Artikel 20 Abs. 3 GG. Die Vorschrift schafft, auch wenn sie das Wort "nachträglich" in ihrer Bezeichnung trägt, nur die Möglichkeit, Rechtsfolgen für die Zukunft zu schaffen; sie entfaltet damit keine sogenannte "echte" Rückwirkung, sondern nur eine tatbestandliche Rückanknüpfung (vgl. zu diesem Unterschied BVerfGE 109, S.181). Bei Gesetzen mit tatbestandlicher Rückanknüpfung wird den allgemeinen Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit kein genereller Vorrang vor dem jeweils verfolgten gesetzgeberischen Anliegen eingeräumt, das hier mit dem Schutz der Allgemeinheit vor hoch gefährlichen Straftätern schwerwiegt. Ein schutzwürdiges Vertrauen von verurteilten Straftätern in das Fortbestehen - und damit auch in das Nichtbestehen - bestimmter Regelungen zur Sicherungsverwahrung gibt es schon deshalb nicht, weil § 2 Abs. 6 StGB bestimmt, dass über Maßregeln der Besserung und Sicherung nach dem Gesetz zu entscheiden ist, das zurzeit der Entscheidung gilt, sofern - was hier nicht der Fall ist - gesetzlich nichts anderes bestimmt ist.

4. Dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 10. Februar 2004 (BVerfGE 109, S.190 f.,216,224,240) lassen sich schließlich Mindestanforderungen an die verfassungsgemäße Ausgestaltung einer Regelung über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung entnehmen. Das Grundrecht aus Artikel 2 Abs. 2 S. 2 GG und das verfassungsrechtliche Verhältnismäßigkeitsprinzip gebieten, die Prognoseentscheidung für die Straftäterunterbringung auf eine breite Tatsachenbasis unter Einbeziehung der von dem Verurteilten begangenen Straftaten zu stellen. Notwendige Voraussetzung einer Entscheidung über die Freiheitsentziehung ist daher eine umfassende Würdigung der Täterpersönlichkeit, der vom Täter begangenen Straftaten sowie seiner nachträglichen Entwicklung. Diese Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sind Gesetz geworden, denn § 66 b StGB verlangt eine Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs.

5. Nachdem die vorgenannten Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 66 b StGB nicht durchgreifen, hat der Senat das Vorliegen von dessen Voraussetzungen zu prüfen. Festzustellen ist zunächst, dass der Beschwerdeführer am 29. Juli 1993 durch das Bezirksgericht Cottbus wegen versuchter Vergewaltigung in Tateinheit mit sexueller Nötigung und sexuellen Missbrauchs eines Kindes zu einer Einsatzstrafe von sieben Jahren Freiheitsstrafe verurteilt wurde. In diesem Verfahren hat die Staatsanwaltschaft vor Ablauf der Vollstreckung den Antrag auf Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung nach § 275 a Abs. 1 S. 3 StPO gestellt. Der Beschwerdeführer erfüllt damit die formelle Voraussetzung des § 66 b Abs. 2 StGB, denn er ist wegen eines Verbrechens gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu einer Freiheitsstrafe von mindestens fünf Jahren verurteilt worden.

6. Der Aufbau des § 66 b Abs. 2 StGB ist - wie derjenige des 66 b Abs. 1 StGB - zweistufig. Das Gericht kann im Ergebnis die Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nachträglich anordnen, wenn die Gesamtwürdigung des Verurteilten, seiner Tat oder seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzugs ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden (§ 66 b Abs. 2 Halbsatz 2 StGB). Diese Gesamtwürdigung ist dem Gericht jedoch nur eröffnet, wenn nach der Verurteilung vor Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe Tatsachen erkennbar werden, die auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinweisen (§ 66 b Abs. 2 Halbsatz 1 i.V.m. § 66 b Abs. 1 Halbsatz 1 StGB).

Das Gesetz stellt an die in erster Stufe in § 66 b Abs. 2 Halbsatz 1 StGB genannten Tatsachen zwei Anforderungen: Zeitlich müssen sie nach der Verurteilung und vor Ende des Vollzugs dieser Freiheitsstrafe erkennbar geworden sein. Diese Formulierung bringt zum Ausdruck, dass es nicht darauf ankommt, wann diese Tatsachen eingetreten sind, sondern nur darauf, wann sie bekannt werden. Damit können auch weitere Straftaten vor der Anlassverurteilung, die erst nachträglich bekannt werden, etwa weil der Verurteilte sie während des Strafvollzugs einräumt, als prüfungsrelevante Tatsachen herangezogen werden (vgl. die amtliche Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Drucksache 15/2887, Seite 12). Inhaltlich müssen die Tatsachen geeignet sein, auf eine erhebliche Gefährlichkeit des Verurteilten für die Allgemeinheit hinzuweisen. Dies können z.B. wiederholte verbal- aggressive Angriffe auf Bedienstete der Justizvollzugsanstalt, die Drohung des Verurteilten, nach der Entlassung weitere Straftaten zu begehen, die Begehung einer erneuten Straftat während des Vollzuges der Freiheitsstrafe oder intensive Kontakte zu einem gewaltbereiten Milieu aus der Haft heraus sein (amtliche Begründung a.a.O.).

Solche Tatsachen liegen im Falle des Beschwerdeführers vor. Dieser hat zunächst während des Vollzugs der Freiheitsstrafe aus dem Urteil des Bezirksgerichts Cottbus vom 29. Juli 1993 am 25. Mai 1995 eine neue schwere Sexualstraftat zum Nachteil eines Mitgefangenen begangen; diese spricht in der Brutalität ihrer Ausführung für sich. Im November 1997 hat er erneut einen Mitgefangenen massiv sexuell belästigt, indem er mehrfach gegen dessen Willen seinen nackten Oberkörper an ihm gerieben und mit der Hand an sein Gesäß und Geschlechtsteil gefasst hat. Im Juli 1999 hat er einen Mitgefangenen, mit dem er sexuelle Beziehungen unterhielt, geohrfeigt. Schließlich ist auch der im Juli 2003 sichergestellte Brief des Beschwerdeführers an Werner P. im Zusammenhang mit der Weigerung des Beschwerdeführers, sich einer antihormonellen Behandlung zu unterziehen, zu seinem Nachteil heranzuziehen. Zusammengenommen weisen beide Geschehnisse darauf hin, dass der Beschwerdeführer einen starken Sexualtrieb hat, weil er zu dessen Befriedigung durch homosexuelle Fantasien oder Praktiken sogar den Bestand seiner Lebenspartnerschaft mit Claudia G. gefährdet, und sich diesen Trieb, der wesentlicher Grund für die Befürchtung neuerlicher Sexualstraftaten ist, gerade nicht mindern lassen will.

7. Im Verfahren vor dem Bezirksgericht Cottbus war die Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung neben der dort verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren aus Rechtsgründen nicht möglich (vgl. Artikel 1 a EGStGB a.F., eingefügt durch Anlage 1 des Einigungsvertrages vom 31. August 1990 i.V.m. Artikel 1 Einigungsvertrag vom 23. September 1990 - BGBl II 885, 889, 954). Die Vorschriften über die Sicherungsverwahrung gelten im Gebiet der neuen Bundesländer uneingeschränkt erst für nach dem 1. August 1995 begangene Taten (vgl. Artikel 1 a EGStGB a.F. in der Fassung Artikel 1 SichVG vom 16. Juni 1995 - BGBl I 818).

Rechtlich möglich wäre die Anordnung der Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung erstmals im Zusammenhang mit dem Urteil des Landgerichts Hamburg vom 2. Oktober 1996 gewesen. Der Beschwerdeführer erfüllte im Zeitpunkt der damaligen Verurteilung die formellen Voraussetzungen des § 66 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Der Senat hat danach zu prüfen, ob die dort abgeurteilte Straftat vom 25. Mai 1995 etwa deshalb hier nicht als prüfungsrelevante Tatsache im Sinne des § 66 b Abs. 2 Halbsatz 1 StGB zum Nachteil des Beschwerdeführers herangezogen werden darf, weil im damaligen Verfahren gegen ihn die Sicherungsverwahrung gerade nicht angeordnet wurde, obwohl dies rechtlich möglich war. Die Fragestellung anders formuliert könnte es sein, dass die während des hiesigen Strafvollzugs begangene Straftat vom 25. Mai 1995 gerade deshalb als prüfungsrelevante Tatsache bei der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung "verbraucht" ist, weil sie - obwohl rechtlich möglich - nicht die Anordnung der Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nach § 66 StGB durch Urteil im dortigen Erkenntnisverfahren nach sich zog.

Der Senat verneint diese Frage. Der Umstand, dass im damaligen Strafverfahren vor dem Landgericht Hamburg die Unterbringung des Beschwerdeführers in der Sicherungsverwahrung - soweit aktenkundig - nicht erörtert wurde, hat für das hiesige Verfahren über die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung keinerlei Bindungswirkung. Dies zeigt bereits die folgende Parallele: Begeht ein zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilter Straftäter während des Laufs der Bewährungszeit eine neue Straftat und wird er deswegen - obwohl dies rechtlich möglich wäre - nicht zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt, sondern nur zu einer Geldstrafe oder einer erneuten Freiheitsstrafe auf Bewährung, so hindert dies das zuvor tätige Gericht nicht daran, wegen der neuerlichen Straftat seine Strafaussetzung zur Bewährung zu widerrufen. Genausowenig kann die Entscheidung eines Gerichts, wegen einer während des Strafvollzuges begangenen schwerwiegenden Straftat keine Sicherungsverwahrung zu verhängen ,bzw. hier die Nichtbefassung des Gerichts mit dieser Frage, das Gericht, dessen Urteil vollstreckt wurde, daran hindern, die neuerliche Straftat bei nachträglichen Entscheidungen zum Nachteil des Verurteilten zu werten.

Zudem entstünde ein Wertungswiderspruch, wenn zwar die Begehung von einfachen und mittleren Straftaten während des Strafvollzuges, bei denen die Anordnung der Sicherungsverwahrung im Urteil nach § 66 StGB aus Rechtsgründen nicht in Betracht kommt, zum Nachteil des Verurteilten bei der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung herangezogen werden könnte, nicht aber die Begehung von schwersten Straftaten, die die formellen Voraussetzungen des § 66 StGB erfüllen.

Zu bedenken ist schließlich, dass § 66 b StGB die Möglichkeit der nachträglichen Anordnung der Sicherungsverwahrung nicht einmal für den Fall ausschließt, dass zuvor in demselben Verfahren eine Anordnung abgelehnt wurde (vgl. die amtliche Begründung, a.a.O.). Wenn schon in demselben Verfahren die frühere Ablehnung der Sicherungsverwahrung deren nachträgliche Anordnung nicht hindert, gilt dieser Gedanke entsprechend auch für die Ablehnung - bzw. Nichtbefassung - in anderen Verfahren.

8. Das OLG Koblenz hat in seinem Beschluss vom 28. September 2004 - 1 Ws 561/04 - (Strafo 2004, 392) zu den prüfungsrelevanten Tatsachen im Sinne des § 66 b StGB Stellung genommen. Nach Meinung des OLG Koblenz setze § 66 b StGB schon nach seinem Wortlaut voraus, dass während des Strafvollzugs Tatsachen zu Tage treten, welche geeignet sind, die Persönlichkeit des Verurteilten und damit das Rückfallrisiko "in einem neuen Licht" erscheinen zu lassen. Tatsachen in diesem Sinne seien in erster Linie Handlungen des Verurteilten, die Schlüsse auf eine deutlich erhöhte Gefährlichkeit zulassen. Das OLG Koblenz zieht daraus den Schluss, dass ein Verurteilter, dessen bekannte Gefährlichkeit am Ende des Strafvollzuges schlimmstenfalls genauso hoch ist wie bei Strafantritt, nicht zu dem Täterkreis gehört, dessen Gefährlichkeit sich erst nach der Verurteilung - ggf. sogar erst gegen Ende des Vollzugs der Freiheitsstrafe - ergibt.

Diese Ausführungen des OLG Koblenz sind nach Auffassung des Senats zumindest missverständlich. Soweit damit zum Ausdruck gebracht werden soll, dass die nachträgliche Sicherungsverfahren nur gegen solche Verurteilte angeordnet werden kann, deren Gefährlichkeit sich während des Strafvollzugs deutlich erhöht, ist dies falsch und geht an der Intention des Gesetzes, die Entlassung hochgefährlicher Straftäter, gegen die zum Urteilszeitpunkt aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen Sicherungsverwahrung nicht angeordnet wurde, zu verhindern (amtliche Begründung a.a.O. S. 10), vorbei. Hochgefährliche Straftäter, für die die Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung in Frage kommt, sind häufig oder gar regelmäßig weder durch Verurteilung noch Strafvollzug zu beeindrucken. Sie sind deshalb am Ende des Strafvollzuges typischerweise noch genauso gefährlich wie am Anfang - und genau das ist das Problem, das zur Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung drängen kann. Das Gesetz stellt deshalb in seinem zweistufigen Aufbau nicht darauf ab, dass sich die tatsächliche Gefährlichkeit des Verurteilten am Ende des Strafvollzuges gegenüber dem Zeitpunkt seiner Verurteilung erhöht haben muss, sondern darauf, dass sich die Tatsachengrundlage, nach der zu beurteilen ist, ob der Verurteilte gefährlich ist, zum Nachteil des Verurteilten verbreitert hat.

Dies ist ein entscheidender Unterschied, denn in den allermeisten Fällen werden prüfungsrelevante Tatsachen, die während des Vollzuges bekannt werden, wie etwa neuerliche einschlägige Straftaten, nur diejenige Gefährlichkeit bestätigen, die bereits in den der Verurteilung zu Grunde liegenden Straftaten zum Ausdruck gekommen ist. Widersinnig und mit Wortlaut und Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung des § 66 b StGB nicht zu vereinbaren wäre es, einen hochgefährlichen Straftäter, der seine Gefährlichkeit durch die Begehung neuer Straftaten während des Strafvollzuges unter Beweis stellt, nur deshalb von der Anordnung der nachträglichen Sicherungsverwahrung auszunehmen, weil schon seine frühere Straftaten aus heutiger Sicht seine Gefährlichkeit widerspiegeln. Ebenso zeigt der mögliche Fall, dass erst während des Strafvollzuges weitere Straftaten bekannt werden, die der Verurteilte bereits vor seiner Anlassverurteilung begangen hat, dass es hier nicht auf eine Veränderung der tatsächlichen Gefährlichkeit des Verurteilten, sondern auf die Gewinnung von zusätzlichen Informationen darüber ankommt.

9. Der Senat hat schließlich in einer letzten Stufe zu prüfen, ob nach Aktenlage dringende Gründe für die Annahme vorhanden sind, dass eine Gesamtwürdigung des Beschwerdeführers, seiner Taten und ergänzend seiner Entwicklung während des Strafvollzuges ergibt, dass er mit hoher Wahrscheinlichkeit erhebliche Straftaten begehen wird, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden (§ 66 b Abs. 2 Halbsatz 2 StGB). Dies ist der Fall.

Mit der gesetzlichen Neuregelung ist der Begriff der "hohen Wahrscheinlichkeit" erstmals Tatbestandsmerkmal geworden. Der systematische Vergleich zu den Regelungen in § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB (die Gesamtwürdigung muss ergeben, dass der Täter für die Allgemeinheit gefährlich ist) und § 66 a Abs. 2 StGB (die Gesamtwürdigung muss ergeben, dass vom Täter erhebliche Straftaten zu erwarten sind, durch welche die Opfer seelisch oder körperlich schwer geschädigt werden) zeigt, dass damit der Prognosemaßstab noch verschärft wurde; der verlangte Wahrscheinlichkeitsgrad für die Begehung neuer schwerster Straftaten ist gegenüber den bisherigen Vorschriften gesteigert. Während § 66 Abs. 1 Nr. 3 StGB die "bestimmte Wahrscheinlichkeit" (BGHSt 25, 61; NStZ-RR 2003, 108 f.) und § 66 a Abs. 2 StGB eine "erhebliche, naheliegende Wahrscheinlichkeit" (Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl., § 66 a Rn. 8) für die Begehung neuer schwerster Straftaten verlangt, setzt § 66 b StGB noch mehr, nämlich eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür, voraus. Der Gesetz gewordene Wahrscheinlichkeitsmaßstab trägt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Rechnung (amtliche Begründung, a.a.O., S. 13).

Eine solche hohe Wahrscheinlichkeit im Sinne des § 66 b StGB lässt sich, da es um die Vorhersage künftigen menschlichen Verhaltens geht, nicht einmal zur Veranschaulichung beziffern. Sie liegt nach Auffassung des Senats vor, wenn im Ergebnis der vorzunehmenden Gesamtwürdigung weitaus mehr oder weitaus gewichtigere Umstände dafür sprechen, dass der Verurteilte auch in Zukunft schwerste Straftaten begehen wird, als dafür, dass er dies nicht tun wird.

Im Falle des Beschwerdeführers spricht sehr viel dafür, dass er auch in Zukunft Verbrechen der Vergewaltigung und der sexuellen Nötigung begehen wird. Der Beschwerdeführer hat bereits 14 schwere Sexualstraftaten begangen, nämlich 10 Fälle des sexuellen Missbrauchs seiner jüngeren Schwester zwischen August 1980 und August 1981 sowie Vergewaltigungen bzw. sexuelle Nötigungen am 2. September 1983, 21. April 1985, 25. April 1992 und 25. Mai 1995. Bei der Auswahl seiner Opfer hat er sich wahllos gezeigt, denn er hat nach seiner 12jährigen Schwester ein 17jähriges Mädchen, eine 45jährige Frau, wiederum ein 12jähriges Mädchen und zuletzt einen 42jährigen Mann sexuell missbraucht. Diese Taten hat er von frühster Jugend an beginnend im Alter von 14 Jahren über einen Zeitraum von 11 Jahren hinweg bis zum Alter von 25 Jahren begangen. Verurteilungen und beinahe durchgängiger Strafvollzug bis zur Begehung der letzten schweren Sexualstraftat haben ihn unbeeindruckt gelassen. Auch nach der Verurteilung durch das Landgericht Hamburg am 2. Oktober 1996 wegen der sexuellen Nötigung eines Mitgefangenen zu einer Freiheitsstrafe von immerhin vier Jahren ist der Beschwerdeführer sogleich wieder mit einer sexualbezogenen Straftat im November 1997 aufgefallen, indem er wiederum einen Mitgefangenen sexuell belästigte. Wegen einer neuerlichen Tätlichkeit gegen einen Mitgefangenen wurde der Beschwerdeführer im Juli 1999 diszipliniert. Die bei dem Beschwerdeführer unverändert fortbestehende dissoziale Persönlichkeitsstörung ist zumindest nach Auffassung des letzten Gutachters derzeit durch eine Psychotherapie nicht zu heilen. Die notwendige antihormonelle Behandlung verweigert der Beschwerdeführer.

Diesen zahlreichen und gewichtigen Umständen, die für eine Rückfälligkeit des Beschwerdeführers sprechen, steht letztlich nur seine Lebenspartnerschaft mit Claudia G. als möglicher stabilisierender Faktor gegenüber. Der Beschwerdeführer hat jedoch durch die Abfassung des Briefes an Werner P., den er im Juli 2003 an der Postkontrolle in der Justizvollzugsanstalt vorbei zu schmuggeln versuchte, bewiesen, dass er bereit ist, diese Lebenspartnerschaft für die Befriedigung seiner homosexuellen Fantasien oder Praktiken aufs Spiel zu setzen.

Ende der Entscheidung

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