Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 02.04.2007
Aktenzeichen: 3 W 37/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 127 Abs. 2 Satz 2
ZPO § 767 Abs. 1
ZPO § 794 Abs. 1 Nr. 5
ZPO § 795
BGB § 138 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Die Antragstellerin erhält Prozesskostenhilfe für die I. Instanz.

Ihr wird Rechtsanwalt ... beigeordnet.

Sie hat monatliche Raten von 115,00 EUR an die Landeskasse zu zahlen (§ 115 Abs. 1 Satz 4 ZPO).

Gründe:

I. Die Antragstellerin erbittet Prozesskostenhilfe für eine Vollstreckungsabwehrklage, mit der sie sich gegen die Vollstreckbarkeit einer notariellen Unterwerfungserklärung wendet.

Sie übernahm unter Unterwerfung unter die Zwangsvollstreckung in ihr gesamtes Vermögen gem. der Notarurkunde vom 12. Februar 1997 - UR-Nr.: 153/197 des Notars M... aus V...gegenüber den Beklagten die Mithaftung für Rückerstattungsverpflichtungen ihres damaligen Ehemannes aufgrund eines von ihm zur Fortführung seines Betriebes benötigten Darlehens. Dieses gewährten die Beklagten ihrem früheren Ehemann, der zu üblichen Bankbedingungen keinen Kredit mehr erhielt. Nach der oben bezeichneten notariellen Schuldurkunde bekannten sich die Klägerin und ihr damaliger Ehemann gegenüber dem Beklagten dazu, ihnen ein Darlehen über 321.000,00 DM zu schulden, das in gleich bleibenden Monatsraten von 4.863,64 DM abzuzahlen sei. Bleibt der Schuldner mit einer fälligen Zahlungsverpflichtung mehr als 14 Tage in Rückstand, so ist nach den beurkundeten Vereinbarungen ab Fälligkeitstag für jeden angefangenen Kalendermonat eine zusätzliche Vergütung von 2 % des Kapitalbetrages zu zahlen, der zu Anfang des Jahres geschuldet wurde, in dem der Rückstand entstanden ist. Nach der weiter beurkundeten Vereinbarung ist den Gläubigern eine einmalige Entschädigung in Höhe von 15 % des ursprünglichen Darlehensbetrages zu zahlen, wenn das Darlehen vorzeitig gekündigt wird, etwa weil der Schuldner mit einer Zahlung ganz oder teilweise länger als einen Monat in Rückstand bleibt oder sonstige Verpflichtungen nicht jederzeit unverzüglich erfüllt (vgl. Bl. 8, 10 GA). Wie zwischen den Parteien unstreitig ist, hat der Ehemann der Antragstellerin von den Beklagten lediglich 110.000,00 DM zur Verfügung gestellt erhalten; der in der Urkunde genannte Betrag von 321.000,00 DM stellte den insgesamt vom Kreditnehmer an die Kreditgeber zurückzuzahlenden Betrag dar, einschließlich Zinsen und Tilgung (vgl. 3, 22 GA).

Die Klägerin hat unter Hinweis auf ihr damaliges Einkommen von lediglich 800,00 bis 900,00 DM monatlich aus eigener Berufstätigkeit und darauf, dass sie keinerlei Einflussmöglichkeiten auf die Verwendung des ausschließlich für den Gewerbebetrieb ihres damaligen Ehemannes bestimmten Geldes gehabt habe, wegen krasser finanzieller Überforderung die Unwirksamkeit ihrer Mithaftungsunterzeichnung geltend gemacht, auf der die Beklagten bestanden und die ihr früherer Ehemann von ihr verlangt hätte.

Das Landgericht hat das Prozesskostenhilfegesuch der Antragstellerin zurückgewiesen, da die Überforderungsrechtsprechung nur bei gewerblichen Kreditgebern eingreife. Im Übrigen lasse sich dem notariellen Vertrag nicht entnehmen, in welcher Form der Betrag von 321.000,00 DM an ihren damaligen Ehemann geflossen sei, da ihr Vortrag insoweit auch zu ungenau sei.

Auf die sofortige Beschwerde der Antragstellerin hin hat das Landgericht die Sache mit Nichtabhilfebeschluss dem Senat vorgelegt.

II. Die nach § 127 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat in der Sache Erfolg.

Die beabsichtigte Klage hat hinreichende Erfolgsaussichten (§ 114 ZPO). Das Klägervorbringen ist schlüssig für vollstreckungshindernde Einwendungen, §§ 767 Abs. 1, 794 Abs. 1 Nr. 5, 795 ZPO.

1. Die Voraussetzungen der Nichtigkeit der Mithaftungserklärung der Antragstellerin, die an der Kreditgewährung an ihren früheren Ehemann allein zu dessen gewerblichen Zwecken kein eigenes wirtschaftliches Interesse hatte, auch nicht über die Valuta verfügen konnte und dessen ungeachtet von den Kreditgebern als Ehefrau des existentiell auf den Kredit angewiesenen Darlehensnehmers nachhaltig zu einer Mithaftungsübernahme gedrängt worden ist, obwohl die eingegangene Verpflichtung ihre eigene Leistungsfähigkeit bei Weitem überschreiten würden, liegen vor. Es lässt sich, wie das Landgericht übersehen hat, keineswegs feststellen, dass die Grundsätze der Sittenwidrigkeit einer Angehörigenbürgschaft/Haftungsübernahme wegen krasser finanzieller Überforderung höchstrichterlich beschränkt wären auf die Sicherung von Darlehensansprüchen gewerblicher Kreditgeber.

Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschlüsse vom 19.10.1993 - 1 BvR 567/89, 1 BvR 1044/89 = BVerfGE 89, 214) muss die Zivilrechtsordnung reagieren und Korrekturen ermöglichen, bei typisierbaren Fallgestaltungen, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen lassen und bei denen die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Vertragsteil ungewöhnlich belastend sind. Die Personalsicherung von Darlehensforderungen eines privaten Darlehensgebers aufgrund eines erheblich belastenden Darlehensvertrages mit einem Gewerbetreibenden, der über keine banküblichen Kreditmöglichkeiten mehr verfügt, durch dessen nahe Angehörigen erscheint keineswegs atypisch.

Auch der BGH bejaht die Vergleichbarkeit der wirtschaftlichen Machtstellung eines Kreditgebers mit der eines Kreditinstitutes durchaus, wenn der Darlehensgeber dem Darlehensnehmer in dessen auswegloser wirtschaftlichen Lage unter nicht verhandelbaren Bedingungen einer unbeschränkten Mithaftung der Familienmitglieder ein auf dem freien Kapitalmarkt nicht mehr zu erhaltendes Darlehen zur Erfüllung seiner gewerblichen Verpflichtungen anbietet (vgl. BGH, Urt. v. 13.11.2001 - XI ZR 82/01 = NJW 2002, 746). Dass derartige Konstellationen bei Verbraucherkreditverträgen typisch sein können, lässt keinen Schluss dahin zu, dass sie in anderen Konstellationen atypisch wären (vgl. ähnlich Medicus, EWiR 2002, 793). Vielmehr spricht vieles dafür, die angesprochenen Grundsätze auf jeden entgeltlichen Kreditvertrag anzuwenden, unabhängig von der Rechtsform des Kreditgebers (vgl. Gehrlein, BGHReport 2002, 161).

Mit Urteil vom 29.09.2004 (XII ZR 22/02 = GuT 2005, 6) hat der BGH auch im Rahmen eines gewerblichen Miet- oder Pachtvertrages die Anwendung des § 138 Abs. 1 BGB auf Bürgschafts- und Mithaftungsverträge zwischen dem (privaten) Vermieter oder Verpächter einerseits und einem privaten Sicherungsgeber andererseits regelmäßig entscheidend vom Grad des Missverhältnisses zwischen dem Verpflichtungsumfang und der finanziellen Leistungsfähigkeit des Bürgen oder Mitverpflichteten abhängig gemacht. Dem ist das OLG Nürnberg gefolgt (Grundeigentum 2005, 613).

Bei dieser Sachlage stellt sich die Einschätzung des Landgerichts, die höchstrichterlich erarbeitete Überforderungsrechtsprechung beschränke sich auf Sicherungen gewerblicher Kreditgeber als unzutreffend dar und überdies als eine im Prozesskostenhilfeverfahren unzulässige Vorwegentscheidung einer zumindest zweifelhaften Rechtsfrage (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 114 Rn. 21).

2. Zudem lässt sich die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage unter Geltung der im Prozesskostenhilfeverfahren maßgeblichen Grundsätze einer kursorischen Prüfung auch deswegen nicht verneinen, weil hier greifbare Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Gelegenheitsdarlehen vorliegen. Soweit die Grundsätze über Sittenwidrigkeit von Darlehensverträgen gewerblicher Kreditgeber unabwendbar sind, worauf das Landgericht in seinem Hinweisbeschluss zunächst abgestellt hatte, führt dies noch nicht ohne Weiteres zum Fehlen einer von Amts wegen zu beachtenden Nichtigkeit (vgl. Palandt/Heinrichs, BGB, 66. Aufl., § 138 Rn. 21). Auch Gelegenheitsdarlehen privater Kreditgeber können sittenwidrig sein, mag auch die Feststellung eines auffälligen Missverhältnisses zwischen Leistung und Gegenleistung beim Gelegenheitsdarlehen eines nicht gewerbsmäßig handelnden Darlehensgebers größere Schwierigkeiten bereiten (vgl. dazu etwa BGH, Urt. v. 19.06.1990 - XI ZR 280/89 = NJW-RR 1990, 1199; BGH, Urt. v. 01.02.1994 - XI ZR 105/93 = NJW 1994, 1056).

Das Landgericht hat das Parteivorbringen hierzu unzureichend ausgeschöpft und überdies rechtsfehlerhaft beurteilt. Der Ehemann der Klägerin hat von den Beklagten lediglich 110.000,00 DM erhalten. Der in der Notarurkunde ausgewiesene Betrag von 321.000,00 DM ist die Summe aller vom Darlehensnehmer zu leistenden 66 Monatsraten. Diesen Vortrag hat das Landgericht im Kern verkannt. Er ist entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht unklar, das in seinem Hinweis vom 12.10.2005 insoweit auch keinerlei Unklarheit beanstandet hatte; er ist vielmehr klar, eindeutig und unstreitig, da die Beklagten ihn in ihrem Schriftsatz vom 21.11.2005 ausdrücklich als zutreffend eingeräumt haben (vgl. 22 GA).

Verbliebe dem Darlehensnehmer das Kapital von 110.000,00 DM für 5 1/2 Jahre tilgungsfrei und müsste er es erst endfällig mit 321.000,00 DM tilgen, entspräche dies einem Jahreszins von etwa 21,5 %. Da der Darlehensnehmer indessen ratierlich monatlich zu tilgen hatte, dürfte der Jahreszins überschlägig bei etwa 50 % liegen. Hinzu tritt die vorzeitige Fälligkeit der Gesamtsumme im Falle eines Zahlungsrückstandes nach § 3 der weiteren Darlehensbedingungen (vgl. Bl. 10 d. GA). Gerät der Schuldner etwa mit der ersten Rate ganz oder teilweise länger als einen Monat in Rückstand, so werden 321.000,00 DM sofort fällig. Dieser Gesamtbetrag verzinst sodann mit monatlich 2 %, was einer endfälligen Jahresverzinsung von etwa 26,8 % entspricht, allerdings nicht bezogen auf die hingereichte Valuta von 110.000,00 DM, sondern auf die Summe aller bei ordnungsgemäßer Bedienung anfallender Zinsen und Raten.

Die Auffassung des Landgerichts, wonach entgegen der ausdrücklichen Fassung des beurkundeten Vertrages (vgl. Bl. 8 GA) die Regelung in Ziff. III dahingehend auszulegen sei, dass der angegebene Zinsbetrag - wie es der Verkehrssitte entspräche - für ein Jahr gelte, die Verzinsungsperiode mithin nicht monatlich, sondern jährlich zu verstehen sei, verstößt gegen allgemein anerkannte Auslegungsgrundsätze. Die notariell beurkundete Erklärung der Parteien ist eindeutig und einer Auslegung nicht zugänglich. Davon abgesehen hat auch keine der Parteien ein vom Landgericht unterstelltes Vertragsverständnis für sich beansprucht.

Ferner tritt als ein weiterer besonders drückender Umstand die kündigungsabhängige "Vorfälligkeitsentschädigung" in Höhe von 15 % aus 321.000,00 DM (= 48.150,00 DM) hinzu. Der Kreditnehmer hätte also im ungünstigsten Fall (Rückstand mit der ersten Rate oder einem ersten Ratenteil mehr als ein Monat) nach einer Entgegennahme von 110.000,00 DM an die Beklagten sofort 369.150,00 DM zu leisten, mithin deutlich mehr als das Dreifache des empfangenen Betrages für einen Verbleib von weit weniger als drei Monaten, wobei der gesamte Rückzahlungsbetrag noch dazu mit 26,8 % jährlich zu verzinsen wäre, wie bereits erörtert.

Der Senat legt bei der Berechnung der von der Antragstellerin zu entrichtenden monatlichen Raten an die Justizkasse folgende Werte zugrunde:

Monatsbruttolohn: 1.953,00 EUR

sonstiges Einkommen/Jahresdurchschnitt: 183,44 EUR

Steuern: - 245,33 EUR

Sozialversicherungsbeiträge: - 428,06 EUR

Versicherungen: - 20,70 EUR

Mehrbedarf für Berufstätige: - 173,00 EUR

Grundfreibetrag: - 380,00 EUR

Nettokaltmiete: - 233,00 EUR

Heizung: - 100,00 EUR

weitere besondere Belastungen: - 234,00 EUR

einzusetzendes Einkommen: 322,35 EUR

Prozesskostenhilferate: 115,00 EUR.

Ende der Entscheidung

Zurück