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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 02.04.2008
Aktenzeichen: 4 U 151/07
Rechtsgebiete: VVG, AKB, ZPO


Vorschriften:

VVG § 6 Abs. 3
VVG § 61
AKB § 7 Abs. 5 (4)
ZPO § 517
ZPO § 519
ZPO § 520
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

4 U 151/07 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 02.04.2008

Verkündet am 02.04.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 19.03.2008 durch

die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Chwolik-Lanfermann, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schäfer und die Richterin am Landgericht Brune

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam vom 29.08.2007 (Az.: 2 O 233/07) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Kläger auferlegt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus der Vollkaskoversicherung in Anspruch.

Er ist Eigentümer und Halter des Pkw BMW 318 d mit dem amtlichen Kennzeichen ... 71. Für dieses Fahrzeug bestand am 25.11.2006 bei der Beklagten Versicherungsschutz in der Vollkaskoversicherung.

Am Abend dieses Tages gegen 23.35 Uhr befuhr der Kläger mit seinem Pkw aus Richtung Westen kommend die sechsspurig ausgebaute L... Straße in M.... In der Mitte der Straße befinden sich, die Fahrbahnen unterbrechend, zwei Straßenbahngleise. An der Kreuzung H...straße bog der Kläger nach links ab, um zu wenden. Das Linksabbiegen ist an dieser Kreuzung nur aus Richtung Osten kommend zugelassen, für den Kläger wies die Beschilderung der Kreuzung die Fahrtrichtung geradeaus oder rechts vor, auf der von ihm benutzten Fahrbahn ist ein Markierungspfeil eingezeichnet, der die Fahrtrichtung geradeaus vorschreibt. Gleichwohl überquerte der Kläger nach links abbiegend die Straßenbahngleise, um in Gegenrichtung weiterzufahren. Ob es bei dem Wendemanöver zu einem Unfall kam, bei dem das versicherte Fahrzeug beschädigt wurde, ist zwischen den Parteien streitig.

Die Beklagte beauftragte einen Sachverständigen mit der Feststellung der Schadenshöhe. Der Gutachter ermittelte Reparaturkosten in Höhe von 11.493,03 € netto. Unter Abzug der vereinbarten Selbstbeteiligung von 150,- € und Hinzurechnung der Umsatzsteuer für zur Eigenreparatur benötigte Ersatzteile von 65,32 € ermittelt sich hieraus die Klageforderung.

Der Kläger hat behauptet, er sei einige Meter hinter dem Kreuzungsbereich mit dem VW Golf Cabriolet des Y... G... kollidiert, das ihm auf der L... Straße aus Richtung Westen entgegen gekommen sei. An beiden Fahrzeugen sei Sachschaden entstanden.

Die Beklagte hat eingewandt, sie sei wegen grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls durch den Kläger nicht zur Leistung verpflichtet. Außerdem habe sich der Kläger verschiedener Obliegenheitsverletzungen schuldig gemacht, die ebenfalls zu ihrer Leistungsfreiheit führten.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte sei gemäß § 61 VVG von der Versicherungspflicht frei geworden, weil der Kläger den Verkehrsunfall grob fahrlässig herbeigeführt habe. Außerdem habe der Kläger sich einer Obliegenheitsverletzung mit der Folge von Leistungsfreiheit der Beklagten gemäß § 7 Abs. 5 (4) AKB in Verbindung mit § 6 Abs. 3 VVG schuldig gemacht, indem er der Beklagten gegenüber den Zeugen S... N... nicht benannt habe.

Bereits aus der eigenen Darstellung des Klägers zum streitgegenständlichen Unfallgeschehen ergebe sich, dass er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt habe, indem er als Ortsfremder und bei schlechten Sichtverhältnissen dem vor ihm befindlichen Fahrzeug einfach hinterhergefahren sei, ohne sich selbst über die Verkehrsvorschriften an der späteren Unfallstelle zu informieren. Sein "blindes Hinterherfahren" habe dazu geführt, dass er gegen das Verbot des Linksabbiegens verstoßen habe. Hierin liege ein auch subjektiv unentschuldbares Verhalten, das zumindest mitursächlich für den Schadenseintritt geworden sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Klageziel weiterverfolgt. Er macht geltend, zu Unrecht habe das Landgericht ein grob fahrlässiges Fehlverhalten seinerseits angenommen. Weder habe er gewusst, dass seine Fahrweise den Eintritt eines Versicherungsfalles fördern konnte, noch habe er dies wissen müssen. Weil das vor ihm befindliche Fahrzeug an der fraglichen Stelle gewendet habe, sei er seinerseits nicht davon ausgegangen, dass das Wenden dort besonders gefährlich sei. Als Ortsfremder habe er bei der herrschenden Dunkelheit die Beschilderung übersehen können. Der vom Landgericht von objektiv grobem Fehlverhalten auf subjektive Unentschuldbarkeit gezogene Schluss sei unzulässig, auf die von ihm vorgebrachten Gründe dazu, warum ihn in subjektiver Hinsicht kein grobes Verschulden träfe, gehe das Erstgericht rechtsfehlerhaft überhaupt nicht ein. Die Bewertung des Landgerichts, der Unfall sei zumindest auch durch sein Wendemanöver verursacht worden, treffe nicht zu.

Einer Obliegenheitsverletzung habe er sich entgegen der Argumentation des Landgerichts ebenfalls nicht schuldig gemacht.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Potsdam vom 29.08.2007 (Az.: 2 O 233/07) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an ihn 11.408,35 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 21.02.2007 sowie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 430,66 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige, namentlich gemäß §§ 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

Der geltend gemachte Zahlungsanspruch steht dem Kläger nicht zu.

1. Die Beklagte ist gemäß § 61 VVG von ihrer Versicherungspflicht frei geworden, weil der Kläger den Versicherungsfall durch grob fahrlässiges Verhalten herbeigeführt hat.

a) Das verbotswidrige Linksabbiegen des Klägers ist für den eingetretenen Schaden kausal geworden. Im Sinne der Äquivalenztheorie kann sein Linksabbiegen nicht hinweggedacht werden, ohne dass die Beschädigung seines Autos entfiele, im Sinne der Adäquanztheorie lag dieser Erfolg nicht außerhalb aller Wahrscheinlichkeit. Dabei hat der Kläger den Versicherungsfall auch dann herbeigeführt, wenn man seine Behauptung als wahr unterstellt, der Unfallgegner Y... G... habe die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h innerhalb geschlossener Ortschaften überschritten. Das Eingreifen des § 61 VVG setzt nicht voraus, dass das Verhalten des Versicherungsnehmers die alleinige Ursache des Versicherungsfalls war, Mitursächlichkeit genügt (BGH, Urteil vom 14.06.1986, IV a ZR 22/85).

b) Der Kläger handelte grob fahrlässig. Grobe Fahrlässigkeit setzt in objektiver und subjektiver Hinsicht eine aus dem normalen Rahmen der Fahrlässigkeit herausfallende grobe Außerachtlassung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt voraus; der Handelnde muss dasjenige unbeachtet gelassen haben, was in der konkreten Situation jedem hätte einleuchten müssen. Bei Teilnahme am Straßenverkehr liegt grobe Fahrlässigkeit vor, wenn das Verhalten des Versicherungsnehmers objektiv grob verkehrswidrig und subjektiv schlechthin unentschuldbar ist (BGH, Urteil vom 14.07.1986, IV a ZR 22/85; OLG Köln, Urteil vom 22.05.2001, 9 U 172/00; OLG Hamm, Urteil vom 04.12.1998, 20 U 127/98 = RuS 1999, 188).

Der Kläger hat unter Missachtung der Beschilderung (Zeichen 214 des § 41 StVO), die eine Weiterfahrt an der Kreuzung L... Straße/H...straße nur geradeaus und nach rechts, nicht aber nach links zuließ, sowie unter Missachtung der Fahrtrichtungsmarkierung auf der Fahrbahn (Zeichen 295 des § 41 StVO), die Geradeausfahrt anordnete, durch Linksabbiegen ein Wendemanöver durchgeführt. Dabei verstieß er, wie die Kollision mit dem aus östlicher Richtung auf der L... Straße entgegenkommenden VW Golf zeigt, zudem gegen die Vorschrift des § 9 Abs. 3 S. 1 StVO, indem er dem Fahrer des VW die Vorfahrt nahm. Das gilt selbst dann, wenn sich die Unfallstelle, wie der Kläger behauptet, erst einige Meter hinter dem Kreuzungsbereich befand, weil derjenige, der links abbiegt, den Gegenverkehr ohne wesentliche Behinderung zunächst durchfahren lassen muss, ihn also nicht zu Gefahrbremsungen veranlassen darf (Jagusch/Hentschel/König, Straßenverkehrsrecht, 39. Auflage, zu § 9, Rdnr. 39). Außerdem muss der nach links Abbiegende sich über die Fahrgeschwindigkeit des Entgegenkommenden vergewissern und darf nicht mit nur mäßiger Geschwindigkeit rechnen (BGH, Urteil vom 14.02.1984, VI ZR 229/82 = NJW 1984, 1962; Jagusch/Hentschel/König, a. a. O.). Seine Behauptung, der Fahrer des VW Golf sei zu schnell gefahren, entlastet den Kläger deshalb nicht.

Durch dieses Verhalten hat sich der Kläger in besonders eklatanter Weise über die an der Kreuzung herrschende Verkehrsregelung hinweggesetzt (vgl. zur groben Fahrlässigkeit des verbotswidrig nach links Abbiegenden OLG Köln, Urteil vom 16.09.1993, 5 U 246/92 = RuS 1993, 406), sodass der Vorwurf grober Fahrlässigkeit in objektiver Hinsicht gerechtfertigt ist. Aus der grob verkehrswidrigen Fahrweise ist subjektiv auf eine gesteigerte persönliche Vorwerfbarkeit zu schließen (vgl. hierzu OLG Hamm, Urteil vom 04.12.1998, 20 U 127/98). Dem Kläger musste sich aufdrängen, dass ein Linksabbiegen an der nämlichen Kreuzung ohne eine gesonderte Ampel angesichts der Größe der Kreuzung (sechs Fahrspuren, zwei Straßenbahngleise) mit erheblichen Gefahren verbunden war.

Umstände, die geeignet wären, ihn von dem Vorwurf grober Fahrlässigkeit zu entlasten, hat der Kläger nicht vorgetragen - solche sind auch sonst nicht ersichtlich.

Soweit sich der Kläger auf seine Ortsunkundigkeit und die schlechte Einsehbarkeit der L... Straße wegen der kurz vor der Kreuzung H...straße befindlichen Unterführung beruft, ist ihm entgegen zu halten, dass gerade diese Umstände ihn zu erhöhter Aufmerksamkeit und Umsicht sowie zur Befolgung der Verkehrsregelung hätten veranlassen müssen. Sollte er tatsächlich "blindlings" dem vor ihm befindlichen Fahrzeug hinterhergefahren sein in der - irrigen - Erwartung, dessen Fahrer werde sich angemessen verhalten, würde gerade dies belegen, dass er sich von den örtlichen Verhältnissen und der Straßenführung nicht einmal ein oberflächliches Bild gemacht hatte und ohne jede Vorstellung von der konkreten Verkehrssituation in den Kreuzungsbereich hineingefahren ist (vgl. OLG Köln, Urteil vom 16.09.1993, 5 U 246/92 = RuS 1993, 406). Dies gilt umso mehr, weil ihm, wie er in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat klargestellt hat, der Fahrer des vor ihm abbiegenden Pkw überhaupt nicht bekannt war, sodass er nicht von dessen Ortskundigkeit ausgehen konnte.

Dass er die richtungsweisenden Schilder und den Fahrtrichtungspfeil auf der Fahrbahn gar nicht wahrgenommen hätte, behauptet der Kläger nicht - im Übrigen ergäbe sich auch hieraus grobe Fahrlässigkeit, weil er sich dann nicht mit der gebotenen Aufmerksamkeit und Vorsicht dem Kreuzungsbereich genähert hätte. Anzeichen für ein so genanntes Augenblicksversagen, das geeignet sein könnte, den Verkehrsverstoß in einem milderen Licht erscheinen zu lassen und den Schuldvorwurf der groben Fahrlässigkeit herabzustufen, obwohl die objektiven Merkmale der groben Fahrlässigkeit gegeben sind (vgl. hierzu OLG Köln, Urteil vom 22.05.2001, 9 U 172/00), liegen nicht vor.

2. Darauf, ob dem Landgericht auch darin zu folgen ist, dass die Beklagte ferner gemäß § 7 Nr. V Abs. 4 AKB in Verbindung mit § 6 Abs. 3 VVG wegen einer Obliegenheitsverletzung des Klägers von ihrer Leistungspflicht frei geworden ist, kommt es nach alldem nicht an.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 S. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Ziffer 10, 713 ZPO.

Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Rechtssache weder grundsätzlich Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 11.408,35 € festgesetzt.

Ende der Entscheidung

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