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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 16.01.2008
Aktenzeichen: 4 U 95/07
Rechtsgebiete: BGB


Vorschriften:

BGB § 823
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht

Im Namen des Volkes

Urteil

4 U 95/07

Verkündet am 16.01.2008

In dem Rechtsstreit

hat der 4. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die mündliche Verhandlung vom 12.12.2007 durch die Vorsitzende Richterin am Oberlandesgericht Dr. Chwolik-Lanfermann, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schäfer und die Richterin am Landgericht Brune

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 23.05.2007 verkündete Urteil der 1. Zivilkammer des Landgerichts Potsdam (Az.: 1 O 521/05) wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger nimmt die Beklagten auf gesamtschuldnerische Zahlung von Schmerzensgeld und Feststellung der Ersatzpflicht hinsichtlich zukünftig entstehender materieller und immaterieller Schäden in Anspruch.

Er hat behauptet, am 04.03.2005 als Briefzusteller auf dem Weg zwischen dem Eingang des Hauses Z... 182 a in K... und der - verkehrsberuhigten - Straße glättebedingt zu Fall gekommen zu sein. Hierdurch habe er sich eine Fraktur des Sprunggelenkes zugezogen, deren Folgen noch andauerten, sodass ein Schmerzensgeld von mindestens 16.000,- € gerechtfertigt sei.

Die Beklagten haben eingewandt, ihrer Räum- und Streupflicht nachgekommen zu sein.

Wegen des weiteren Parteivorbringens erster Instanz wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Beklagte zu 2) sei als Arbeitnehmerin ihres Ehemannes nicht Vertragspartnerin der Hausverwaltung geworden und deshalb nicht in deren Verkehrssicherungspflicht eingetreten. Den ihm obliegenden Beweis dafür, dass sich der Unfall in einem der Verkehrssicherungspflicht unterliegenden Bereich ereignet habe, sei der Kläger schuldig geblieben. Dem Beklagten zu 1) habe es oblegen, nicht den gesamten, 2,45 Meter breiten Zugang zum Hauseingang, sondern nur einen Gehbereich in einer Breite von 1,50 Metern mit abstumpfenden Mitteln zu behandeln. Ob der Kläger in diesem Bereich gestürzt sei oder in demjenigen rechten Seitenbereich, welcher der Streupflicht nicht mehr unterlegen habe, stehe nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht mit hinreichender Sicherheit fest.

Darüber hinaus könne nicht mit der erforderlichen Sicherheit festgestellt werden, dass der Beklagte zu 1) seine Streupflicht verletzt habe mit der Folge, dass der Kläger auf nicht beräumter, vereister Stelle ausgerutscht sei.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner Berufung, mit der er seine erstinstanzlichen Ziele weiter verfolgt. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Die Argumentation, mit der das Erstgericht eine Haftung der Beklagten zu 2) als Arbeitnehmerin des Beklagten zu 1) verneint habe, übersehe, dass diese mit der Ausübung ihres Berufs Sorgfaltspflichten gegenüber der Allgemeinheit übernommen habe. Zu Unrecht habe das Landgericht die Feststellung verweigert, dass die Unfallstelle am fraglichen Tag vereist und nicht abgestumpft gewesen sei. Wenn, wie hier, kein Bürgersteig vorhanden sei, müsse als Gehweg ein Streifen von 1,50 Metern Breite vom Rand der Grundstücksgrenze aus geräumt und gestreut werden. Da die Grundstücksgrenze unmittelbar am Beginn der Straße liege, treffe die Beklagten an der Unfallstelle eine Winterdienstpflicht. Überdies existiere entgegen der Argumentation in dem angefochtenen Urteil keine Begrenzung dieser Pflicht im Bereich des Hauszuganges auf eine Breite von 1,50 Metern.

Der Kläger beantragt,

das am 23.05.2007 verkündete Urteil des Landgerichts Potsdam (Az.: 1 O 521/05) abzuändern und

1. die Beklagten gesamtschuldnerisch, hilfsweise wie Gesamtschuldner zu verurteilen,

an ihn ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit,

2. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch, hilfsweise wie Gesamtschuldner verpflichtet sind, ihm sämtliche weiteren aus dem Unfallereignis vom 04.03.2005 vor dem Haus Z... 182 a in K... entstandenen und noch entstehenden materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, soweit diese nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen sind oder noch übergehen werden.

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigen das erstinstanzliche Urteil.

II.

Die zulässige, namentlich gemäß §§ 511 ZPO statthafte sowie gemäß §§ 517, 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen.

Dem Kläger steht unter keinem rechtlichen Aspekt ein Anspruch gegen die Beklagten auf Zahlung von Schadensersatz oder Schmerzensgeld wegen des Unfallereignisses vom 04.03.2005 zu mit der Folge, dass er auch die zu Ziffer 2 seines Antrages begehrte Feststellung der Einstandpflicht der Beklagten nicht erreichen kann.

Die Haftung der Beklagten setzt eine vom Kläger darzulegende und zu beweisende objektive Pflichtverletzung voraus. An einer solchen fehlt es. Hiervon ist das Landgericht auf der Grundlage des Beweisergebnisses zu Recht ausgegangen; der Kläger hat den Beweis, dass die Beklagten ihrer vertraglich gegenüber der Hausverwaltung übernommenen Verpflichtung, die Zuwegung zu dem Hauseingang des Gebäudes Z... bei Glatteis mit abstumpfenden Mitteln zu behandeln, nicht im geschuldeten Umfang nachgekommen sind, nicht zu führen vermocht. Auf die Frage, ob die Beklagte zu 2) als Arbeitnehmerin des Beklagten zu 1) dem Kläger auf Schadensersatz haftet, kommt es deshalb nicht an.

Der Senat folgt der vom Landgericht vertretenen Auffassung, die Streupflicht der Beklagten habe sich nicht auf die gesamte Breite der Zuwegung bezogen, sondern nur auf eine Breite von 1,50 Metern.

Da eine Verkehrssicherung, die jeden Unfall ausschließt, nicht erreichbar ist, muss nicht für alle denkbaren, entfernten Möglichkeiten eines Schadenseintritts Vorsorge getroffen werden; erforderlich sind vielmehr nur diejenigen Vorkehrungen, die im Einzelfall nach den Sicherheitserwartungen des jeweiligen Verkehrs im Rahmen des wirtschaftlich Zumutbaren geeignet sind, Gefahren abzuwenden, die bei bestimmungsgemäßer oder nicht ganz fern liegender Benutzung Dritten drohen (BGH, Urteil vom 16.05.2006, VI ZR 189/05 = NJW 2006, 2326; OLG Frankfurt a. M., Urteil vom 22.08.2001, 23 U 195/00 = NJW-RR 2002, 23; OLG Bamberg, Urteil vom 27.05.1975, 5 U 46/75 = NJW 1975, 1787). Bezogen auf die Abstumpfung von Wegen bei Eisglätte sind insbesondere die Verkehrsbedeutung des Weges und der Umfang dessen üblicher Benutzung zu berücksichtigen, es sind nur diejenigen Gefahren auszuschließen, die ein sorgfältiger Benutzer nicht oder nicht rechtzeitig erkennen kann. Das bedeutet, dass auf Bürgersteigen, in Fußgängerzonen und auf belebten Fußgängerüberwegen in der Regel etwa in einer Breite von 1,20 bis 1,30 Metern (so OLG Bamberg a. a. O.) bzw. 1,50 Metern (so OLG Frankfurt a. M. a. a. O.) gestreut werden muss, auf der Fußgänger vorsichtig aneinander vorbeikommen. Auf einem nur wenige Male am Tag benutzten Zugangsweg zu einer Wohnung auf einem Privatgrundstück ist sogar nur eine Durchgangsbreite erforderlich, die für die Begehung durch eine Person ausreicht (OLG Frankfurt a. M. a. a. O.: 0,45 Meter). Unter Anwendung dieser Maßstäbe traf die Beklagten nur die Pflicht, den Hauszugang in einer maximalen Breite von 1,50 Metern mit abstumpfenden Mitteln zu bestreuen.

Soweit der Kläger in seiner Berufungsbegründung geltend macht, wegen des Fehlens eines Gehweges neben der Straße sei die Zuwegung zu dem Haus 1,50 Meter tief auf ganzer Breite zu bestreuen, folgt der Senat dieser Argumentation nicht. Der Kläger bezieht sich für seine Argumentation auf § 4 Abs. 3 der Straßenreinigungssatzung für die Gemeinde K...; diese Satzung betrifft indes nicht die hier in Rede stehende privatrechtliche Verkehrssicherungspflicht des Grundstückseigentümers, sondern regelt die öffentlich-rechtliche Pflicht der Gemeinde, den Winterdienst auf öffentlichem Straßenland zu verrichten sowie diejenige Dritter, auf die die Gemeinde diese Verpflichtung übertragen hat. Eine Heranziehung auch nur des Rechtsgedankens der genannten Bestimmung verbietet sich angesichts dessen, dass nicht nur die Zuwegung zum Haus, sondern auch die Straße "Z..." im Privateigentum steht. Im Übrigen wäre die vom Kläger reklamierte Streupflicht, nähme man sie an, nicht dem Hauszugang mit nur untergeordneter Verkehrsbedeutung zuzuordnen, sondern der immerhin dem öffentlichen Verkehr gewidmeten Straße.

Die Darstellung des Klägers, die Zuwegung zur Haustür sei überhaupt nicht gestreut gewesen, hat das Landgericht mit nachvollziehbarer Begründung als durch die Beweisaufnahme nicht bewiesen betrachtet. Die hiergegen in der Berufungsbegründung vorgebrachten Argumente geben keinen Anlass zu einer nochmaligen Tatsachenfeststellung in der Berufungsinstanz. Für einen erfolgreichen Angriff gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung müsste der Kläger konkrete Anhaltspunkte dafür aufzeigen, dass die Tatsachenfeststellung der Vorinstanz unrichtig ist. Hierfür genügt die bloße Darstellung einer abweichenden Bewertung des Beweisergebnisses nicht. Die tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts entfalten daher Bindungswirkung für die Berufungsinstanz (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Die Beweiswürdigung des Landgerichts entbehrt nicht einer belastbaren Tatsachengrundlage. Sie gründet sich weder auf bloße Vermutungen noch stellt sie sich als lückenhaft dar. Einen Verstoß gegen Denkgesetze oder allgemein anerkannte Erfahrungssätze lässt sie nicht erkennen. Vielmehr hat das Landgericht mit nachvollziehbarer Begründung ausgeführt, warum die Angaben der Zeugin Ke..., die allein den Vortrag des Klägers bestätigten, nicht geeignet waren, den erforderlichen Beweis zu erbringen. Zweifel ergaben sich namentlich daraus, dass der Zeuge Z... bekundete, keinerlei Probleme mit Glätte gehabt, sondern sicher gestanden zu haben, als er dem Kläger geholfen habe, aufzustehen. Hiermit korrespondiert die weitere Aussage des Zeugen, er habe den Beklagten zu 1) vor dem Unfall beim Streuen beobachtet. Schließlich wurden die Angaben des Zeugen Z... durch diejenigen des Zeugen G... bestätigt, der aussagte, täglich morgens die Zeitung wegzubringen - ihm sei kein Tag bekannt, an dem der Weg nicht ausreichend abgestumpft gewesen sei.

Soweit der Kläger in seinem Schriftsatz vom 30.11.2007 erstmals behauptet, er sei im mittleren Bereich der Gehwegplatten gestürzt, ist sein Vortrag als neu zu bewerten und gemäß § 531 ZPO präkludiert. Er entspricht nicht der vom Kläger selbst vorgenommenen Markierung auf den als Anlage K 4 zum Schriftsatz vom 14.02.2006 zu den Akten gereichten Fotos (Bl. 44 der Gerichtsakten) und seinen mit dieser korrespondierenden Ausführungen im Rahmen der persönlichen Anhörung vor dem Landgericht, er sei auf der zweiten Platte von rechts und auch von der Straße aus gesehen gestürzt.

Die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er in einem der Streupflicht unterliegenden Bereich des Hauszugangs gestürzt ist, hat das Landgericht nach allgemeinen Grundsätzen zutreffend dem Kläger zugeordnet. Dessen Annahme, zu seinen Gunsten streite ein Anscheinsbeweis, verkennt, dass ein solcher nach ständiger höchstrichterlicher Rechtsprechung, der sich der Senat anschließt, nur dann in Betracht kommt, wenn feststeht, dass der Unfall sich innerhalb der räumlichen und zeitlichen Grenzen der Streupflicht ereignet hat. Dann spricht nach der Lebenserfahrung ein Anschein dafür, dass die Unfallverletzungen bei Beachtung der Streupflicht vermieden worden wären (BGH, Urteil vom 04.10.1983, VI ZR 98/82, NJW 1984, 432; OLG Celle, Urteil vom 27.02.2004, 9 U 220/03, NJW-RR 2004, 1251). Diesen Anscheinsbeweis ermöglichende Feststellungen hat das Landgericht, wie erörtert, mit für den Senat bindender Wirkung nicht getroffen. Der Kläger stürzte außerhalb des von den Beklagten pflichtgemäß bestreuten Bereichs, er hat ein Unglück erlitten und kann den Beklagten kein Unrecht vorhalten.

III.

Die Kostentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 oder Nr. 2 ZPO nicht vorliegen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 19.000,- € festgesetzt.



Ende der Entscheidung

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