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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 20.03.2003
Aktenzeichen: 5 U 97/02
Rechtsgebiete: BGB, GBBerG, ZPO, ZGB/DDR, EnVO, SachenR-DV, AVBElt, RegisterverfahrensbeschleunigungsG


Vorschriften:

BGB § 891 Abs. 1
BGB § 1004 Abs. 1
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1004 Abs. 2
BGB § 1090
BGB § 1922
GBBerG § 9
GBBerG § 9 Abs. 1
GBBerG § 9 Abs. 2
GBBerG § 9 Abs. 3
ZPO § 511
ZPO § 511 Abs. 1
ZPO § 511 Abs. 2
ZPO § 513
ZPO § 517
ZPO § 519
ZPO § 520 n. F.
ZPO § 540 Abs. 1 Nr. 1
ZGB/DDR § 321 Abs. 4
EnVO § 29
EnVO § 29 Abs. 1
EnVO § 29 Abs. 2
EnVO § 29 Abs. 3
EnVO § 30
EnVO § 31
EnVO § 48
EnVO § 69
EnVO § 69 Abs. 4
SachenR-DV § 4
AVBElt § 8
AVBElt § 11
RegisterverfahrensbeschleunigungsG § 19
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

5 U 97/02 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 20.03.2003

Verkündet am 20.03.2003

In dem Rechtsstreit

hat der 5. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., den Richter am Oberlandesgericht ... sowie die Richterin am Landgericht ...

auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2003

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Kläger gegen das am 23. Mai 2002 verkündete Urteil des Landgerichts Neuruppin - 1 O 17 / 02 - wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Kläger je zur Hälfte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Den Klägern bleibt nachgelassen, die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 130 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe:

I.

Die Kläger verlangen von der Beklagten die Beseitigung einer im Jahre 1984 von dem Rechtsvorgänger der Beklagten, dem VEB ..., errichteten Trafostation nebst unterirdischer und oberirdischer Zuleitungen auf dem im Grundbuch von M... auf Blatt ... eingetragenen Grundstück, Flur ..., Flurstück ... .

Das Landgericht hat die Klage mit am 23. Mai 2002 verkündetem Urteil abgewiesen.

Zur Begründung hat es ausgeführt, dass offen bleiben könne, ob die Kläger Eigentümer des streitgegenständlichen Grundstücks seien, jedenfalls stehe ihnen ein Beseitigungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB nicht zu, da sie zur Duldung der Anlage gem. § 1004 Abs. 2 BGB verpflichtet seien. Der Beklagten stehe gemäß § 9 Abs. 1 GBBerG ein Recht zur Mitbenutzung des Grundstücks zu. § 9 GBBerG begründe kraft Gesetzes eine persönliche Dienstbarkeit für Energiefortleitungsanlagen zu Gunsten des Versorgungsunternehmers, wenn die Anlage - wie hier unstreitig - am 3. Oktober 1990 bestanden habe. Darauf, ob das Leitungsrecht bis zum Stichtag wirksam begründet worden sei oder die damaligen Parteien ihre Zustimmung hierzu erteilt hätten, komme es nicht an. Von der sich aus § 9 GBBerG ergebenden Duldungspflicht seien sowohl die Trafostation als auch die ober- und unterirdischen Leitungen erfasst.

Durch die Verpflichtung zur Duldung der Energiefortleitungsanlage seien die Kläger auch nicht in ihrem Recht aus Art. 14 GG verletzt. Durch die Regelung des § 9 GBBerG habe sich der Gesetzgeber im Rahmen einer Interessenabwägung für den Schutz und Erhalt des Energieversorgungssystems ausgesprochen. Dieser Schutz müsse gegenüber privaten Interessen Vorrang haben.

Hiergegen wenden sich die Kläger mit ihrer Berufung, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügen.

Auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil wird gemäß § 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO verwiesen. Der Sach- und Streitstand hat sich in der Berufungsinstanz im Wesentlichen nicht geändert.

Nach ihrem unbestritten gebliebenen (neuen) Vortrag befand sich H... K..., der Alteigentümer, in der Zeit von 1946 bis 1954 als politischer Häftling in der Strafvollzugsanstalt T... und wurde am 18.01.1954 in die Bundesrepublik entlassen.

Das Grundstück war ursprünglich mit einem Wohn- und Geschäftshaus, einer elektrischen Mühle und Stallungen bebaut. Die Gebäude wurden 1980 abgerissen.

Anfang 1984 errichtete der VEB ... die Trafostation sowie die unter- und oberirdischen Zuleitungen. Mit Vertrag vom 21. März 1984 verkaufte er die Trafostation an den Rat der Stadt M... für 107.553,00 DM. Mit Vertrag vom 8. Oktober 1984 kaufte der VEB ... die Trafostation zu einem Preis von 80.170,00 DM zurück.

Das in Anspruch genommene Grundstück der Kläger ist 473,75 m² groß. Die Trafostation nebst Nebenflächen nimmt eine Fläche von ca. 91,85 m² oberirdisch und ca. 100 m² unterirdisch (erdgebundene Kabeltrasse) ein. Die Kabel verlaufen in einer Tiefe von ca. 70 cm.

Das Grundstück selbst wird nicht von der Trafostation versorgt.

Die Kläger meinen, dass sich eine Duldungspflicht nicht aus § 9 Abs. 1 GBBerG ergebe, da ein Mitbenutzungsrecht gem. § 321 Abs. 4 ZGB/ DDR i.V.m. § 29 Energieverordnung/DDR nicht entstanden sei. Insoweit fehle es an der erforderlichen Zustimmung des Eigentümers beziehungsweise eines bestellten Verwalters. Die Zwangsverwaltung sei nie angeordnet worden.

Die erteilten elektrotechnischen Prüfbescheide und Anschlussgenehmigungen der Stadt M... seien ohne rechtliche Relevanz.

Das Landgericht habe bei der Anwendung des § 9 GBBerG rechtsfehlerhaft nur auf die tatsächliche Nutzung der Energieanlage am 03. Oktober 1990 abgestellt. Die Vorschrift könne jedoch nur dahingehend verstanden werden, dass nur ordnungsgemäß zustande gekommene und bestehende Mitbenutzungsrechte in persönlich beschränkte Dienstbarkeiten überführt werden können. Keinesfalls habe durch dieses Gesetz ein nach dem DDR-Recht rechtswidriger Zustand in einen rechtmäßigen Zustand umgewandelt werden sollen. Der Gesetzgeber habe den Energieversorgungsunternehmen mit § 9 GBBerG lediglich die Rechte einräumen wollen, die sie zu DDR-Zeiten schon besessen hätten. Eine Auslegung des § 9 GBBerG, wie vom Landgericht vorgenommen, verstoße gegen das Grundgesetz, da ihnen, den Klägern, die wirtschaftliche Verwertung und Nutzung ihres Grundstücks durch ein insofern echtrückwirkendes Gesetz entzogen werde.

Die Kläger beantragen,

unter Abänderung des am 23. Mai 2002 verkündeten Urteils des Landgerichts Neuruppin die Beklagte zu verurteilen, die auf dem Grundstück in ... M... , Gemarkung M... , Flur ..., Flurstück ..., errichtete Trafostation nebst unterirdischer und oberirdischer Zuleitungen zu beseitigen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie pflichtet dem angefochtenen Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrages bei. Hinsichtlich der Anwendbarkeit des § 9 GBBerG verweist sie auf die Bundestagsdrucksache 12/6228 zu § 9 GBBerG.

Wegen der Einzelheiten des Vorbringens wird auf die Berufungsbegründung der Kläger vom 11. September 2002 und 20. Februar 2003 sowie die Berufungserwiderung der Beklagten vom 30. Dezember 2002 Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Kläger ist zulässig, §§ 511, Abs. 1, 2, 513, 517, 519, 520 ZPO n. F. Die Kläger rügen die Verletzung materiellen Rechts.

Es gilt das Berufungsrecht in der Fassung des Zivilprozessreformgesetzes vom 27. Juli 2001, da das angefochtene Urteil auf eine mündliche Verhandlung, die nach dem 1. Januar 2002 stattgefunden hat, verkündet worden ist.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg.

Die Kläger haben keinen Anspruch auf Beseitigung der auf dem streitgegenständlichen Grundstück befindlichen Trafostation sowie der unterirdischen und oberirdischen Zuleitungen, § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB. Sie sind zur Duldung der Energiefortleitungsanlage verpflichtet, § 9 Abs. 1 GBBerG i.vm. § 4 SachenR-DV.

1.

Zwar werden die Kläger durch die Trafostation sowie die oberirdischen und unterirdischen Leitungen in ihren Eigentumsrechten an dem im Grundbuch von M... auf Blatt ... eingetragenen Grundstück im Sinne von § 1004 Abs. 1 BGB beeinträchtigt.

Dafür, dass die Kläger Eigentümer des Grundstücks sind, spricht die Vermutung des § 891 Abs. 1 BGB, da sie seit dem 27. November 2002 als alleinige Eigentümer im Grundbuch eingetragen sind.

2.

Die Kläger sind jedoch zur Duldung der Trafostation sowie der ober- und unterirdischen Leitungen verpflichtet ist, § 1004 Abs. 2 BGB, da zu zugunsten der Beklagten als Rechtsnachfolgerin des VEB ... ein Mitbenutzungsrecht gemäß § 9 Abs. 1 GBBerG i.V.m. § 4 SachenR-DV entstanden ist.

a)

Gemäß § 9 Abs. 1 GBBerG ist kraft Gesetzes zur Sicherung der Mitnutzungsrechte an Grundstücken und Bauwerken für Energiefortleitungsanlagen, die am 03. Oktober 1990 bestanden haben, eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit mit dem Tage des Inkrafttretens dieser Vorschrift unabhängig von der Eintragung im Grundbuch und von der wirksamen Begründung eines Mitbenutzungsrechts nach § 29 EnVO / DDR entstanden.

§ 9 Abs. 1 GBBerG findet auf den vorliegenden Fall Anwendung.

Die Trafoanlage und die ober - und unterirdischen Leitungen befanden sich bereits am 03. Oktober 1990 auf dem streitgegenständlichen Grundstück und wurden von der Rechtsvorgängerin der Beklagten, dem VEB ..., auch genutzt.

Die Beklagte nutzt die Anlage seit einem vor Inkrafttreten des § 9 GBBerG durch das Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz am 25.12.1993 liegenden Zeitpunkt.

b)

Der Ausschluss nach Abs. 2 greift nicht.

aa)

Gem. § 9 Abs. 2 GBBerG ist Abs. 1 nicht anwendbar, soweit Kunden und Anschlussnehmer, die Grundstückseigentümer sind, nach der Verordnung über die AVBElt, die gemäß Anlage I, Kapitel V, Sachgebiet D, Abschnitt III Ziffer 4 b zum Einigungsvertrag auch dann in den neuen Bundesländern gilt, zur Duldung von Energieanlagen verpflichtet sind.

Vorliegend regeln sich die Duldungspflichten nicht nach §§ 8, 11 AVBElt, da die Kläger nicht Anschlussnehmer sind. Das streitgegenständliche Grundstück wird nicht von der Anlage mitversorgt. bb)

Aus der Überleitungsvorschrift in Art. 19 Abs. 2 des Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes vom 25. Dezember 1993 (GBl. I, 2192) folgt, dass die Ausschlusswirkung auch greift, wenn der Grundstückseigentümer auf Grund der Regelung in § 29 Energieverordnung/DDR zur Duldung verpflichtet ist. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen:

Die Vorschriften über Mitbenutzungsrechte aus § 29 Abs. 1 Energieversorgungsverordnung/DDR vom 1.06.1988 (GBl I S. 89), im Folgenden EnVO 1988 genannt, sowie aus § 29 Abs. 1 Energieverordnung/DDR vom 30. Oktober 1980 (GBL I S. 321), im Folgenden EnVO 1980 genannt, i.V.m.§ 69 IV EnVO 1988 sollen gemäß Anlage 2 Kap. V Sachgebiet D Abschnitt III Ziff. 4 b zum Einigungsvertrag vom 31.August 1990 auf die bereits vor dem 3. Oktober 1990 gem. § 29 Abs. 1 EnVO 1980 bzw. 1988 begründeten Duldungspflichten gegenüber Energieversorgungsunternehmen in den neuen Bundesländern bis zum 31. Dezember 2010 fortgelten. Die Duldungspflicht entfällt nach dem 3. Oktober 1990 allenfalls, wenn die Inanspruchnahme des Grundstücks die Eigentümer in unzumutbarer Weise belastet und hierdurch die Grenzen einer im Rahmen der Sozialbindung des Eigentums grundsätzlich entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überschritten sind, Art 14 Abs. 2 GG.

Die Vorschriften über die Mitbenutzungsrechte in der EnVO 1980 bzw. 1988 wären gegenstandslos, wenn hier bereits § 9 Abs. 1 GBBerG eingriffe. Dass dies vom Gesetzgeber nicht gewollt war, ergibt sich aus der ausdrücklichen Überleitungsvorschrift im Einigungsvertrag.

Nach der Überleitungsvorschrift des § 19 RegisterverfahrensbeschleunigungsG sollen §§ 29 Abs. 1 - 3, 30, 31, 48 und 69 Abs. 4 EnVO 1988 vor Ablauf des 31. Dezember 2010 außer Kraft treten, soweit die Rechte bezüglich der Energieanlagen nach § 9 GBBerG gesichert sind.

Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die dingliche beschränkte Dienstbarkeit mit Inkrafttreten des Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes nur dann nicht entstehen soll, wenn sich die Duldungspflicht des Grundstückseigentümers aus den in § 9 Abs. 2 GBBerG ausdrücklich genannten Verordnungen (u. a. AVBElt) ergibt, wären die Vorschriften über die Mitnutzungsrechte gemäß § 29 ff EnVO, die gem. Anlage II Kap. V Sachgebiet D Abschnitt III Ziff. 4 b bis zum 31. Dezember 2010 fortgelten sollen, mit Inkrafttreten des Registerverfahrensbeschleunigungsgesetzes faktisch gegenstandslos geworden. Immer dann, wenn sich die Duldungspflicht aus § 29 Abs. 1 EnVO ergeben hätte, wäre auch eine dinglich beschränkte Dienstbarkeit kraft Gesetzes entstanden mit der Folge, dass mit Inkrafttreten des Art. 19 Abs. 1 Registerverfahrensbeschleunigungsgesetz § 29 EnVO faktisch außer Kraft getreten wäre. Dies war vom Gesetzgeber jedoch nicht gewollt. Die Anwendung des § 9 Abs. 1 GBBerG auch auf Fälle, in denen sich die Duldungspflicht des Grundstückseigentümers aus § 29 EnVO ergibt, hätte zur Folge, dass Eigentümer in den neuen Bundesländern schlechter gestellt werden würden als Eigentümer in den alten Bundesländern, denn in §§ 8, 11 AVBElt ist die Entstehung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit kraft Gesetzes nicht geregelt. Die Eintragung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit ist demnach nur für die Fälle, in denen einerseits kein Mitbenutzungsrecht gemäß § 29 Abs. 1 EnVO zugunsten des Energieunternehmens entstanden ist und andererseits der Grundstückseigentümer bzw. der Grundstücksnutzer nicht Kunde bzw. Anschlussnehmer ist, vorgesehen.

In letzterem Fall gilt die AVBElt als allgemeine Vertragsbedingung für die Beziehung zwischen dem Grundstückseigentümer und Energieunternehmen nicht. In diesen Fällen werden die Versorgungsunternehmen in den alten Bundesländern auf die Bestellung einer beschränkten persönlichen Dienstbarkeit gemäß § 1090 BGB verwiesen. Durch die Regelung des § 9 Abs. 1 GBBerG braucht ein Betreiber einer vor dem 03. Oktober 1990 errichteten und am 25. Dezember 1993 betriebenen Energiefortleitungsanlage mit dem Grundstückseigentümer die Bestellung einer Dienstbarkeit nunmehr nicht auszuhandeln, sie entsteht vielmehr kraft Gesetzes.

Gemäß § 9 GBBerG sollte eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit kraft Gesetzes nur dann entstehen und im Grundbuch eingetragen werden können, wenn Grundstücke vor dem 03. Oktober 1990 mitbenutzt wurden, ohne dass heute die Mitbenutzungsfrage in § 8 der jeweiligen allgemeinen Versorgungsbedingungen geregelt sind. Der Gesetzgeber wollte vermeiden, dass Grundstückseigentümer in den neuen Bundesländern schlechter gestellt werden als Eigentümer in den alten. Dies ergibt sich auch aus den Gesetzesmotiven. Zu § 9 Abs. 2 GBBerG heißt es in der Bundesdrucksache 12/6228, Seite 76:

"Die Bestellung beschränkter persönlicher Dienstbarkeiten ist allerdings auch in den alten Bundesländern nur üblich und geboten, soweit Leitungsrechte nicht auf Grund der Verordnung über die allgemeinen Bedingungen für die Versorgung mit Elektrizität, Gas und Fernwärme abgesichert sind. Dieser Bereich soll daher ausgenommen bleiben, so dass hier eine Dienstbarkeit nicht entsteht. Ausgenommen bleiben muss ferner der Bereich der öffentlichen Verkehrswege und Verkehrsflächen. In den alten Bundesländern sind hier traditionell Konzessionsverträge üblich, die die wechselseitigen Rechte und Pflichten des Trägers der Straßenbaulast auf der einen und des Energieversorgungsunternehmens auf der anderen Seite regeln. Dienstbarkeiten werden hier üblicherweise nicht bestellt. Da die Regelung darauf ausgerichtet ist, die Rechtslage in den neuen Ländern grundsätzlich genauso zu gestalten, wie dies in den alten Ländern der Fall ist, soll es auch insoweit bei dem in den alten Ländern üblichen System bleiben."

cc)

Der Ausnahmetatbestand des § 9 Abs. 2 GBBerG i.V.m. § 29 EnVO /DDR 1980, § 69 EnVO 1988 greift vorliegend nicht.

Wie ausgeführt, gilt § 29 EnVO 1980 i.V.m. § 69 EnVO 1988 über den 03. Oktober 1990 gemäß Anlage II Kapitel V Sachgebiet D Abschnitt III Ziffer 4 b des Einigungsvertrages weiter.

Aus der Gesetzessystematik ergibt sich, dass §§ 8 ff AVBElt nur gelten, soweit § 29 EnVO hinsichtlich der Mitbenutzung nicht eingreift.

Die Voraussetzungen für die Begründung eines Mitnutzungsrechts der Beklagten gegenüber den Klägern liegen hier jedoch nicht vor.

Gem. § 29 Abs. 1 EnVO 1980 war das Energieversorgungsunternehmen berechtigt, Grundstücke und Bauwerke dauernd und zeitweilig für oberirdische Energiefortleitungsanlagen mit einer Fläche von höchstens 60 m²/ je Einzelanlage mit zu nutzen.

Danach fallen die Transformatorenstation und die Leitungen, deren Beseitigung die Kläger begehren, bereits nicht unter den Schutzbereich der Norm, da diese bereits oberirdisch eine Fläche von ca. 90 m² und unterirdisch eine Fläche von ca. 100 m² beansprucht.

Die Frage, ob § 29 EnVO deshalb überhaupt eingreift, kann offen bleiben, weil es an der erforderlichen Vereinbarung einer Mitbenutzung mit dem Eigentümer oder dem Rechtsträger des Grundstücks, § 29 Abs. 2 EnVO 1980, fehlt.

Zum Zeitpunkt Errichtung der Energiefortleitungsanlage waren die Mutter der Kläger, A... K..., sowie die Kläger in ungeteilter Erbengemeinschaft Eigentümer des Grundstücks. Da der ursprüngliche Eigentümer, H... K..., sein Eigentum am Grundstück zu Lebzeiten nicht verloren hat, ging dieses mit seinem Tod am 16. Oktober 1967 auf seine Erben, A... K... sowie die Kläger gemäß § 1922 BGB über. Dass A... K... sowie die Kläger Erben nach H... K... geworden sind, ergibt sich aus dem Erbschein des Amtsgerichts K... vom 08. Februar 1968 (Vermutung gemäß § 2365 BGB).

Unstreitig haben A... K... und die Kläger einer Mitnutzung ihres Grundstücks durch den VEB ... nicht zugestimmt. Sie hatten von den Baumaßnahmen keine Kenntnis.

Da das Grundstück nicht in Volkseigentum überführt wurde, konnte der Rat der Stadt M... auch nicht als "Rechtsträger" eine entsprechende Erklärung abgeben.

Die Beklagte, die sich auf eine Duldungspflicht der Kläger aufgrund einer Zustimmung des Rat der Stadt M... berufen haben und insoweit darlegungs- und beweisbelastet sind (Bassen-ge in Palandt, BGB, 61. Aufl., § 1004, Rn. 52), haben auch nicht hinreichend substantiiert Umstände vorgetragen, aus denen sich ergibt, dass dieser als Verwalter des Grundstücks wirksam der Inanspruchnahme des Grundstücks zugestimmt hätte.

Die Beklagte hat nicht schlüssig behauptet, dass der Rat der Stadt M... zum staatlichen Verwalter bestellt worden ist.

Dies ergibt sich noch nicht ohne weiteres aus dem Umstand, dass H... K... am 18. Januar 1954 als politischer Häftling in die Bundesrepublik Deutschland entlassen wurde.

Zwar sollte gemäß § 1 Abs. 1 der Anordnung Nr. 2 über die Behandlung des Vermögens von Personen, die die DDR nach dem 10. Juni 1953 verlassen haben, vom 20. August 1958 (GBl. I, 664), das Vermögen von Personen, die die DDR ohne staatliche Genehmigung verlassen haben durch einen staatlichen Treuhänder verwaltet werden. Gemäß Abs. 2 sollte die Einsetzung des Treuhänders durch das zuständige Fachorgan des Rat des Kreises erfolgen.

Dabei kann offen bleiben, ob die Vorschriften auch für den - in die Bundesrepublik entlasse-nen - H... K... gelten, da der Rat der Stadt M... nicht zum staatlichen Verwalter des Vermögens des H... K... bestellt wurde.

Nach der Anweisung Nr. 30/58 vom 27. September 1958 ist die Bestellung des Treuhänders durch eine Bestallungsurkunde, die der Bestätigung des zuständigen Fachorgans des Rates des Kreises bedurfte, erfolgt. Auf das Vorliegen einer solchen Bestallungsurkunde zugunsten des Rates der Stadt M... hat die Beklagte sich nicht berufen.

Lagen die Voraussetzungen der Anordnung Nr. 2 nicht vor, hätte jedenfalls der Eigentümer zustimmen müssen, und zwar in Gestalt eines Grundstücksverwalters. Hieran fehlt es. Dafür, dass H... K... oder später A... K... und die Kläger den Rat der Stadt M... beauftragt hätten, das Grundstück zu verwalten, liegen keine Anhaltspunkte vor. Steht nach alle dem fest, dass der Rat der Stadt M... weder staatlicher Verwalter noch von den Grundstückseigentümern beauftragter Verwalter war, wäre eine Vereinbarung im Sinne von § 29 EnVO/1980 auch dann unwirksam, wenn in dem Vertrag zwischen dem Rat der Stadt M... und dem VEB ... über den Kauf gebrauchter unbeweglicher Grundmittel zwischen dem VEB ... und dem Rat der Stadt M... aus März 1984 sowie dem Rückkaufvertrag vom 08. Oktober 1984 eine schriftliche Vereinbarung einer Mitbenutzung zugunsten des VEB ... gesehen werden könnte. Ein etwaiger Mangel der Vertretungsberechtigung ist nicht geheilt.

Eine Vereinbarung über die Mitbenutzung kann auch nicht auf Grund der sonstigen Umstände, insbesondere nicht gemäß § 1 der Durchführungsbestimmung zur EnVO - Grundstücksbenutzung - vom 10. November 1980 (Gbl. I, 336) durch den Abschluss eines Elektoenergielieferungsvertrages fingiert werden. Da das Grundstück unbebaut ist, bestand ein solcher Vertrag für das Grundstück nicht.

Liegen nach alledem die Voraussetzungen des Ausnahmetatbestandes des § 9 Abs. 2 GBBerG nicht vor, ist mit Inkrafttreten des § 9 GBBerG am 25. Dezember 1993 kraft Gesetzes eine beschränkte persönliche Dienstbarkeit entstanden, auf Grund derer die Kläger zur Duldung der Trafostation und der ober- und unterirdischen Leitungen verpflichtet sind. Gem. § 4 SachR-DV umfasst die beschränkte persönliche Dienstbarkeit das Recht, das belastete Grundstück für den Betrieb einer Energieanlage zu nutzen.

dd)

Darauf, dass eine Mitnutzung des Grundstücks weder im Sinne von § 29 Abs. 2 EnVO 1980 i.V.m. der 5. DVB "Grundstücksbenutzung" zur EnVO noch nach § 29 EnVO 1988 i.V.m. der 5. DVB " Bevölkerung" zur EnVO vereinbart wurde und damit am 03. Oktober 1990 kein Mitnutzungsrecht des Energieunternehmens bestanden hat, kommt es nicht an. Dies ergibt sich bereits aus den obrigen Ausführungen zum Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1 GBBerG bzw. aus den Ausschlusstatbeständen nach § 9 Abs. 2 GBBerG und entspricht auch der Rechtsprechung des BGH (BGHZ 144, 29, 31 = VIZ 2000, 00, 294 = NJW 2000,1490 [1495]). Maßgeblich ist allein die tatsächliche Nutzung am 03. Oktober 1990 (a.a.O.) Ist ein Mitwirkungsrecht gemäß § 29 EnVO 1980 bzw. 1988 entstanden, greift der Ausschlusstatbestand des § 9 Abs. 2 GBBerG.

Der Gesetzgeber hat bewusst in Kauf genommen, dass durch die Regelung des § 9 Abs. 1 GBBerG letztlich eine am 03. Oktober 1990 unberechtigte Mitnutzung eines fremden Grundstücks für die Betreibung von Energienanlagen legalisiert wird. Dies ergibt sich aus dem aus den Gesetzesmotiven zum Ausdruck kommenden Willen des Gesetzgebers. Durch die Regelung des § 9 Abs. 1 GBBerG sollten die mit der Bestellung der Grunddienstbarkeit verbundenen vielfältigen Probleme, wie Auffinden des Eigentümers, Notwendigkeit der Neuvermessung der katastermäßig vorhandenen Grundstücke, die von den Betrieben der Energieversorgung in Anspruch genommen wurden, zugunsten der Energieversorgungsunternehmen gelöst werden. Den Nachfolgeunternehmen der Betriebe der Energieversorgung der DDR sollte insbesondere der Nachweis des Vertragsschlusses erspart werden, zumal vielfach der Abschluss von Verträgen verabsäumt wurde. Die Rechtslage sollte den tatsächlichen Gegebenheiten angepasst werden. Zur Sicherung der Stromversorgung war es notwendig, für die Energieversorgungsunternehmen einen Bestandsschutz für die vorhandenen Energiefortleitungsanlagen zu regeln, um hierdurch die rechtlichen Voraussetzungen für notwendige Instandhaltungs- und Modernisierungsmaßnahmen zu schaffen.

c)

Der sich aus der Regelung in § 9 GBBerG ergebende Bestandsschutz für die "Altanlagen" ist nach Auffassung des Senats - zumindest derzeit noch - verfassungskonform , Art 14, Abs. 3 GG.

Zwar erleidet der Eigentümer eines betroffenen Grundstücks hierdurch eine schwere eigentumsrechtliche Beeinträchtigung auf unbeschränkte Zeit.

Im Hinblick auf die grundsätzlich bestehende Notwendigkeit, die Versorgung der Bevölkerung mit Elektrizität auch nach dem 03. Oktober 1990 umfassend zu sichern, war es notwendig, für die "Altanlagen" einen Bestandschutz zu regeln und den Energieversorgungsunternehmen die Möglichkeit einzuräumen, das Versorgungssystem unter Berücksichtigung ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit schrittweise zu erneuern und an die nach dem 03. Oktober 1990 geltenden rechtlichen und technischen Vorschriften, insbesondere DIN- Vorschriften, anzupassen.

Die hiermit einhergehende Beschränkung der Eigentumsrechte der Grundstückseigentümer durch Legalisierung der unter Verstoß des § 29 EnVO erbauten Anlagen hält sich vor diesem Hintergrund jedenfalls derzeit noch im Rahmen dessen, was ein Eigentümer im Rahmen der Sozialbindung seines Eigentums hinzunehmen hat. Der Gesetzgeber hat durch die Regelung in § 9 Abs. 3 GBBerG gleichzeitig für die Einschränkung des Eigentums eine im Sinne des Art 14 Abs. 3 GG ausreichende Entschädigungsregelung getroffen und hierdurch einen sachgerechten Ausgleich geschaffen.

Nach § 9 Abs. 3 GG ist das Energieversorgungsunternehmen verpflichtet, dem betroffenen Eigentümer des Grundstücks eine Abfindung zu zahlen, dessen Höhe sich nach den allgemein üblichen Sätzen für die Bestellung einer solchen persönlich beschränkten Dienstbarkeit richtet. Maßgeblich ist der Umfang der Inanspruchnahme, der sich hieraus ergebenden Beeinträchtigung und Einschränkung der Nutzbarkeit des Grundstücks.

Der Senat hat allerdings erhebliche Zweifel, ob § 9 Abs. 1 GBBerG auch nach dem 31. Dezember 2010, d.h. nach Ablauf der Geltung des § 29 EnVO noch verfassungsgemäß ist. Der Senat vermag keine vernüftigen Gründe dafür erblicken, dass die Mitbenutzungsrechte für eine unter Verstoß von § 29 EnVO errichtete Anlagen länger festgeschrieben werden, als die gemäß § 29 EnVO begründeten Mitnutzungsrechte, die gemäß der Überleitungsvorschrift in Anlage II Kapitel V Sachgebiet D Abschnitt III Ziffer 2 b Einigungsvertrag nur bis zum 31. Dezember 2010 fortgelten. Durch die Regelung des § 9 GBBerG wird ein unbefristetes Mitbenutzungsrecht begründet; der Grundstückseigentümer muss die hiermit verbundenen Einschränkungen auf unbegrenzte Zeit hinnehmen. Er erhält hierfür jedoch lediglich einen einmaligen Ausgleich, wobei die Dauer der Grundstücksbelastung bei der Berechnung der Höhe der Entschädigung nicht berücksichtigt wird. Die Entschädigung ist bis spätestens zum 31. Dezember 2010 zu zahlen, unabhängig von der Dauer der weiteren Grundstücksnutzung durch das Energieunternehmen.

Letztlich kann diese Frage hier offen bleiben, da nach Auffassung des Senats zumindest bis zum 31. Dezember 2010 gegen die Rechtmäßigkeit des § 9 GBBerG aus den obengenannten Gründen keine verfassungsrechtlichen Bedenken bestehen.

Die Kostenfolge ergeht gemäß § 97 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO.

Die Entschädigung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 708 Ziffer 10, 711 ZPO.

Die Revision wird zugelassen, da die Sache grundsätzliche Bedeutung hat und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

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