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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 16.09.2003
Aktenzeichen: 6 U 58/03
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, ZGB/DDR


Vorschriften:

BGB § 94
BGB § 242
BGB § 912
BGB § 917
BGB § 946
BGB § 1004
BGB § 1004 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1004 Abs. 2
BGB § 1018 ff.
ZPO § 517
ZPO § 520
ZGB/DDR § 321 Abs. 1
ZGB/DDR § 321 Abs. 2
ZGB/DDR § 321 Abs. 3
ZGB/DDR § 322
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

6 U 58/03 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 16. September 2003

verkündet am 16. September 2003

In dem Rechtsstreit

hat der 6. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16. September 2003 durch

den Richter am Oberlandesgericht K., die Richterin am Oberlandesgericht E. und die Richterin am Oberlandesgericht Dr. S.

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 26.2.2003 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt (Oder) - 14 O 425/02 - wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand:

Die Parteien wohnen im selben Haus in der P.-Straße 10 in B. Dieses Haus ist über die Grenze auf den benachbarten Flurstücken 474 und 472 errichtet.

Die Mutter des Klägers, A. B., erwarb das Flurstück 474 mit notariellem Kaufvertrag vom 10.8.1959. Das Flurstück 472 wurde zeitgleich von der Beklagten, der Schwester der Mutter des Klägers, erworben. Zu diesem Zeitpunkt war das Wohngebäude bereits errichtet. Die beiden Eigentümerinnen unterzeichneten am 7.11.1991 eine privatschriftliche Vereinbarung (Bl. 23 d. A.), in deren Ziffer 3.) sie zu dem Punkt "Garteneingangstür, Hauseingänge, Hausauf- und abgänge" Abreden trafen, wonach notwendige Reparaturarbeiten und Schönheitsreparaturen "wechselseitig" in Auftrag gegeben werden sollten. Frau A. B. übertrug das Flurstück 474 im Jahre 1992 auf den Kläger.

In dem Haus befinden sich insgesamt fünf Wohnungen, jeweils zwei Wohnungen auf dem Flurstück 474 bzw. 472, und eine vom Kläger genutzte Dachgeschoßwohnung, die mit einer Fläche von 30 qm teilweise in das Grundstück der Beklagten hineinragt.

Das Haus hat in der Mitte einen gemeinsamen Eingang, einen gemeinsamen Flur und ein gemeinsames Treppenhaus. Die Grundstücksgrenze verläuft schräg durch Flur und Treppenhaus (Skizze Bl. 62 d. A.), die sich zum ganz wesentlichen Teil auf dem Grundstück des Klägers. befinden. Die Beklagte nutzt Eingang, Flur und Treppenhaus seit 1959, um in die in ihrem Eigentum stehenden Räume zu gelangen.

Der Kläger kündigte gegenüber der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 13.12.2001 (Bl. 27-28 d. A.) die Nutzung des Hausflurs.

Der Kläger hat behauptet, Eingang, Flur und Treppenhaus befänden sich vollständig auf dem in seinem Eigentum stehenden Grundstück.

Der Kläger hat gemeint, die Beklagte nutze in rechtswidriger Weise den in seinem Eigentum stehenden Flur und sowie das Treppenhaus. Dies habe sie zu unterlassen. Er, der Kläger, sei nicht zur Duldung verpflichtet.

Der Kläger hat zunächst gemeinsam mit der Klägerin, seiner Ehefrau, Klage erhoben. Diese hat ihre Klage jedoch zurückgenommen.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, die Nutzung des - im Zweifamilienhaus P.-Straße 10 in B., Flur 5, Flurgrundstück 474 und 472 belegenen - Flures sowie des Treppenhauses des Klägers zu unterlassen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, das Gebäude sei bei seiner Errichtung falsch eingemessen worden. Nicht nur das Wohnhaus sei versetzt zur Grundstücksgrenze errichtet worden, darüber hinaus befinde sich das Wirtschaftsgebäude des Klägers auf ihrem, der Beklagten, Grundstück.

Die Grundstücksgrenze verlaufe durch das Treppenhaus, es befinde sich deshalb zum Teil auf dem Grundstück des Klägers, zum Teil auf dem Grundstück der Beklagten. Ein gesondertes Treppenhaus für sie, die Beklagte, könne aus bautechnischer Sicht nicht geschaffen werden. Dies sei jedenfalls mit völlig unverhältnismäßigem Aufwand verbunden.

Die Beklagte hat gemeint, für beide Parteien bestehe ein Duldungspflicht.

Das Landgericht hat durch am 26.2.2003 verkündetes Urteil die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dem Kläger stehe kein Anspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB zu. Er sei gemäß den §§ 1004 Abs. 2 i. V. m. 912 BGB analog zur Duldung verpflichtet. Nach dem den § 912 BGB beherrschenden Grundsatz, daß wirtschaftliche Werte erhalten werden sollen, bestehe für ihn eine Duldungspflicht. Hinsichtlich des von der Beklagten bis zum Hauseingang mitgenutzten Weges bestehe ein Notwegerecht gemäß § 917 BGB.

Gegen dieses Urteil, ihm zugestellt am 4.3.2003, hat der Kläger durch bei Gericht am 3.4.2003 eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und das Rechtsmittel mit am 2.6.2003 eingegangenen Schriftsatz begründet, nachdem die Berufungsbegründungsfrist auf seinen rechtzeitig gestellten Antrag bis zu diesem Tag verlängert worden war.

Der Kläger meint, das Landgericht habe nicht berücksichtigt, daß der Flur und das Treppenhaus sachenrechtlich ihm zugeordnet werden müßten, weil sie sich zum weit überwiegenden Teil auf seinem Grundstück befänden.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 26.2.2003 - 14 O 425/02 - abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Nutzung des - im Zweifamilienhaus P.-Straße 10 in B., Flur 5, Flurgrundstück 474 und 472 belegenen - Flures sowie des Treppenhauses des Klägers zu unterlassen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte hält das landgerichtliche Urteil für richtig.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze und ihre Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß den §§ 517, 520 ZPO zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung des Klägers hat keinen Erfolg.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB zu.

1.) Zwar ist der Kläger Eigentümer des ganz überwiegenden Teils des streitgegenständlichen Flures und Treppenhauses. Dies ergibt sich schon aus den §§ 946, 94 BGB.

Die Grundsätze zum sog. Eigengrenzüberbau finden hier keine Anwendung. Sie betreffen die Frage, wer Eigentümer von Teilen von über die Grenze gebauten Gebäude ist, die in oberen Stockwerken über die Grundstücksgrenze ragen (so in den Fällen BGH NJW 2002, 54 und BGH NJW 1988, 1078). Diese Frage ist hier ohne Bedeutung.

Der Teil des Treppenhauses und Flures, der auf dem Grundstück des Klägers liegt, steht in seinem Eigentum, umgekehrt fällt die Ecke des streitgegenständlichen Gebäudeteils, die sich auf dem Grundstück der Beklagten befindet, in deren Eigentum.

2.) Auch wird das Eigentum des Klägers beeinträchtigt, wenn die Beklagte bzw. die Nutzer der auf ihrem Grundstücksteil belegenen Wohnungen Flur und Treppenhaus betreten, um zu diesen Wohnungen zu gelangen.

3.) Diese Nutzung ist jedoch nicht rechtswidrig. Der Anspruch des Klägers ist ausgeschlossen, weil er zur Duldung der Nutzung von Flur und Treppenhaus durch die Beklagte verpflichtet ist, § 1004 Abs. 2 BGB.

Zwar gibt es keine rechtsgeschäftliche Vereinbarung, die den Kläger zur Duldung verpflichtet.

Es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, daß die Beklagte aufgrund einer Grunddienstbarkeit gemäß den §§ 1018 ff. BGB zur Nutzung des Treppenhauses und des Flures berechtigt wäre. Es kann auch offen bleiben, ob der Beklagten ein Mitbenutzungsrecht i. S. d. §§ 321 Abs. 1 bis 3 und 322 des ZGB/DDR zugestanden hat. Ein solches Mitbenutzungsrecht wäre mit dem 1.1.2001 erloschen, weil nicht vorgetragen ist, daß ein solches Recht bis zum 31.12.2000 in verjährungsunterbrechender Weise geltend gemacht worden wäre (Bamberger/Roth-Kühnholz, BGB Band 3 2003, Art. 233 § 5 EGBGB Rz 16).

Die schuldrechtliche Vereinbarung der Rechtsvorgängerin des Klägers mit der Beklagten vom 7.11.1991, die das Nutzungsrecht des Grundstückseigentümers des Flurstückes 472 zwar ausdrücklich nicht regelt, aber stillschweigend voraussetzt, bindet den Kläger nicht. Solche privatschriftlichen Vereinbarungen gelten nur zwischen den Vertragsparteien und nicht zwischen den jeweiligen Grundstückseigentümern, selbst wenn dies gewollt gewesen sein sollte. Ohne dingliche Sicherung ist der Einzelrechtsnachfolger des Eigentümers nicht gebunden.

Eine ausdrückliche Vereinbarung der Parteien darüber, daß die Beklagte das Treppenhaus und den Flur nutzen darf, existiert nicht. Auch von einer stillschweigenden Vereinbarung kann nicht ausgegangen werden. Zwar hat der Kläger die Nutzung durch die Beklagte seit seinem Eigentumserwerb 1992 jahrelang geduldet. Eine solche Duldung stellt jedoch noch keine Einwilligung dar. Selbst wenn man die jahrelange Duldung als Einwilligung ansehen wollte, wäre sie mangels vertraglicher Grundlage widerrufbar. Ein solcher Widerruf ist vom Kläger erklärt worden.

Jedoch stellt sich das vom Kläger geltend gemacht Unterlassungsbegehren als rechtsmißbräuchlich dar, so daß er nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert ist, den Unterlassungsanspruch geltend zu machen, § 242 BGB.

Der Kläger will der Beklagten die Nutzung eines das gemeinsame Gesamtgebäude erschließenden Gebäudeteils untersagen, ohne den die Beklagte ohne Zugang für den in ihrem Eigentum stehenden Gebäudeanteil bliebe. Daß ein derartiges Unterlassungsbegehren nicht angemessen ist, der benachteiligte Grundstückseigentümer in einem derartigen Fall vielmehr Nutzung beanspruchen kann, ist für den Fall, daß das gesamte Grundstück nicht erreicht werden kann, in § 917 BGB ausdrücklich geregelt. Nichts anderes kann für den vorliegenden Fall gelten, bei dem es um die Nutzung des das gemeinsame Gebäude erschließende Treppenhaus und den Flur geht.

Der Kläger hat im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat keinen nachvollziehbaren Grund angeben können, der ihn berechtigen würde, die Beklagte von der Nutzung auszuschließen. Demgegenüber wäre die Beklagte gezwungen, wenn sie von der Nutzung ausgeschlossen würde, ein neues Treppenhaus zu bauen. Außerdem müßte sie, da die in ihrem Gebäudeteil belegenen Wohnungen im Eingangsbereich auf das Treppenhaus und den Flur ausgerichtet sind, die Grundrisse umgestalten und neue Zugänge schaffen. Das steht in keinem Verhältnis zu den Eigentumsbeeinträchtigungen, die der Kläger durch die Nutzung des Treppenhauses und des Flures durch die Beklagte und die Nutzer der Wohnungen erleidet.

Der Kläger kann sich nicht mit Erfolg auf die Entscheidung des Reichsgerichts (RGZ 70, 200) berufen. Dieser Fall lag insofern anders, als dort die von einem der Grundstückseigentümer geplante Baumaßnahme am gemeinsamen Gebäude keine Gebäudeteile betraf, die den Zugang zu dem im Eigentum seines Nachbarn stehenden Gebäudeteil ermöglicht.

Darauf, daß viel dafür spricht, daß ein Unterlassungsanspruch aus § 1004 BGB schon in der Person der Rechtsvorgängerin des Klägers verwirkt war und dieser Anspruch beim Eigentums-erwerb des Klägers nicht wieder aufleben konnte, kam es deshalb nicht mehr an.

Wenn, wie in der mündlichen Verhandlung angeklungen, eine angemessene Beteiligung an den Unterhaltungskosten für Treppenhaus und Flur durch die Beklagte Hintergrund der vorliegenden Klage sein sollte, hindert den Kläger nichts, mit einem derartigen Begehren an die Beklagte heranzutreten. Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreit ist es jedoch nicht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, § 543 ZPO. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

Ende der Entscheidung

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