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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 21.09.2004
Aktenzeichen: 6 W 41/04
Rechtsgebiete: RPflG, ZPO, InsO, BRAGO


Vorschriften:

RPflG § 11 I
ZPO § 19 a
ZPO § 104 III
ZPO § 116 I Nr. 1
ZPO § 567 I
ZPO § 567 II
ZPO § 569 I
InsO § 53
InsO § 55
BRAGO § 135
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

6 W 41/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In dem Kostenfestsetzungsverfahren

hat der 6. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts in Brandenburg durch die Richter am Oberlandesgericht ...

am 21. September 2004

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde des Klägers gegen den Kostenfestsetzungsbeschluß des Landgerichts Frankfurt (Oder) vom 9. Dezember 2003 in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 18. März 2004 (12 O 439/03) wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens hat der Kläger zu tragen.

Der Wert für das Beschwerdeverfahren wird auf 96,90 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger, Rechtsanwalt und Insolvenzverwalter über das Vermögen einer im Land Brandenburg geschäftsansässigen GmbH, hat gegen die Beklagte am 27. Oktober 2003 im schriftlichen Vorverfahren ein rechtskräftig gewordenes Versäumnisurteil erwirkt. Das Landgericht hat die Kosten des Rechtsstreits der Beklagten auferlegt. Der Kläger hat sich durch die in Berlin geschäftsansässige Rechtsanwaltssozietät, der er selbst angehört, vertreten lassen.

Der Rechtspfleger des Landgerichts hat mit Beschluß vom 9. Dezember 2003, im Rubrum berichtigt durch Beschluß vom 18. März 2004, die von der Beklagten an den Kläger zu erstattenden Kosten festgesetzt und dabei die zur Festsetzung angemeldete Prozeß- und Verhandlungsgebühr mit Rücksicht auf den Sitz der Schuldnerin im Beitrittsgebiet um 10 % gekürzt. Von den angemeldeten Nettokosten in Höhe von 1.009,00 € hat er deshalb lediglich 912,10 € anerkannt und insgesamt 1.689,70 € festgesetzt.

Gegen diesen ihm am 26.1.2004 zugestellten Beschluß wendet sich der Kläger mit der am 27.1.2004 bei Gericht eingegangenen Erinnerung, mit der er die vollen Rechtsanwaltsgebühren berücksichtigt wissen will.

Der Einzelrichter hat die Sache mit Beschluß vom 17. September 2004 wegen grundsätzlicher Bedeutung auf den Senat übertragen.

II.

Die als sofortige Beschwerde zu behandelnde Erinnerung ist gemäß §§ 11 I RPflG, 104 III, 567 I und II, 569 I ZPO zulässig.

Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet.

Zu Recht hat der Rechtspfleger die angemeldete Rechtsanwaltsvergütung nur zu dem auf 90 % ermäßigten Satz berücksichtigt. Diese Ermäßigung ergibt sich aus Anlage I, Kap. III, Sachgebiet A, Abschnitt III, Maßgabe Nr. 26 lit. a) Satz 2 des Einigungsvertrages. Danach ermäßigen sich die Gebühren, wenn ein Rechtsanwalt vor einem Gericht im Beitrittsgebiet für einen Auftraggeber tätig wird, der seinen Wohnsitz oder Sitz im Beitrittsgebiet hat. Hier ist nicht auf den Sitz des Klägers abzustellen, der Partei kraft Amtes ist, sondern auf den Sitz der verwalteten Vermögensmasse.

Der 8. Zivilsenat hat durch Beschluß vom 30.1.1995 (NJ 1995, 318 = MDR 1995, 858 = OLG-Report Brandenburg 1995, 79) entschieden, daß für die Frage des Wohnsitzes bzw. des Sitzes des Insolvenzverwalters im Sinne des Satzes 2 der Einigungsvertragsmaßgabe der Ort der Belegenheit der Masse maßgeblich ist. Der 6. Zivilsenat hat sich dieser Auffassung im Beschluß vom 16. September 2004 - 6 W 156/04 (8 W 251/02) - angeschlossen und hält daran fest.

Daß diese Auffassung zutreffend ist, ergibt sich aus Sinn und Zweck der Maßgabe nach Anlage I, Kap. III, Sachgebiet A, Abschnitt III, Maßgabe Nr. 26 lit. a) Satz 2 des Einigungsvertrages. Die Maßgaben der Anlage I des Einigungsvertrages sind kostenrechtlicher Vorschriften, die der Bundesgesetzgeber aus Anlaß der Herstellung der deutschen Einheit auf das Beitrittsgebiet erstreckt hat. Sie wurden geschaffen, um den wirtschaftlich schwächeren Verhältnissen im Beitrittsgebiet Rechnung zu tragen. Die Gebührenermäßigung für Rechtsanwälte hatte den Zweck, den unterschiedlichen wirtschaftlichen Verhältnissen der in der ehemaligen DDR ansässigen Rechtssuchenden Rechnung zu tragen. Vor dem Hintergrund dieses Gesetzeszwecks muß bei der Frage, wer Auftraggeber ist, nicht auf die Person des Verwalters und dessen Wohnsitz, sondern nur auf den Sitz der Vermögensmasse des Schuldners abgestellt werden. Kosten, die aus einer Prozeßführung des Verwalters entstehen, sind gemäß §§ 53, 55 InsO vorweg zu berichtigen. Sie führen also im Falle des Verlustes des Prozesses bzw. der Uneinbringlichkeit des Kostenerstattungsanspruches zu einer Verminderung des zu verwertenden Vermögens des Schuldners. Die Ermäßigung der Gebühren des Rechtsanwalts kommt dementsprechend der Insolvenzmasse zugute. Wenn auch die Vermögensmasse nicht Beteiligte des Prozesses ist, so wirkt sich die Kostentragungspflicht doch allein auf diese aus. Dem Gesetz ist es auch im übrigen nicht fremd, auf die Vermögensmasse statt auf die Partei kraft Amtes abzustellen. So kann gemäß § 116 I Nr. 1 ZPO einer Partei kraft Amtes Prozeßkostenhilfe bewilligt werden, wenn die Kosten aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden können.

Unerheblich ist in diesem Zusammenhang der Einwand des Klägers, die Schuldnerin habe im Land Brandenburg keinen Sitz mehr und das Gewerbe sei längst abgemeldet; bereits vor Einleitung des Rechtsstreits sei im Jahr 2002 der Geschäftssitz der Schuldnerin vollständig aufgegeben, sämtliches Betriebsvermögen verwertet und sämtliche Arbeitsverhältnisse gekündigt worden; die gesamte verbliebene Insolvenzmasse in Gestalt des Barvermögens und des Forderungsbestandes befinde sich ausschließlich in Berlin. Um Sinn und Zweck der Ermäßigungsbestimmungen der Anlage I des Einigungsvertrages Rechnung zu tragen, muß auf den gegebenenfalls letzten Sitz der Schuldnerin abgestellt werden, die als im Land Brandenburg tätiges Unternehmen in den Genuß dieser Bestimmungen kommen sollte. Die Einstellung des Geschäftsbetriebes am 16.9.2002 nach Stellung des Antrages auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 10.9.2002 und nachfolgende Abwicklungsmaßnahmen im Rahmen des Insolvenzverfahrens können daher auf die Anwendbarkeit der Ermäßigungsbestimmungen der Anlage I des Einigungsvertrages keinen Einfluß mehr haben.

Gestützt wird dies auch durch § 19 a ZPO, der als allgemeinen Gerichtsstand des Insolvenzverwalters für Klagen, die sich auf die Insolvenzmasse beziehen, den Sitz des Insolvenzgerichts bestimmt. Regelmäßig fällt der Sitz des Insolvenzgerichts mit dem Wohnsitz/Sitz des Schuldners zusammen (§ 3 I InsO i.V.m. §§ 13, 17 ZPO). Anders ist es nur, wenn bei unternehmerischer Betätigung eine Anknüpfung an einen vom Sitz verschiedenen Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit (z.B. der Hauptniederlassung) in Frage kommt (§ 3 I 2 InsO). Abgestellt wird mithin auf den Schuldnersitz unabhängig von später sich ergebenden Veränderungen.

Dem steht nicht § 135 BRAGO entgegen. Danach ist die vorgenannte Maßgabe nur in dem Teil des Landes Berlin, in dem das Grundgesetz vor dem 3. Oktober 1990 nicht galt, ab 1. März 2002 nicht mehr anzuwenden. Da hier die Masse im Land Brandenburg ihren Sitz hatte und der Rechtsstreit vor einem Gericht im Land Brandenburg geführt worden ist, bleibt die Maßgabe - außerhalb Berlins - weiterhin anwendbar. Auf den Kanzleisitz der Prozeßbevollmächtigten des Klägers kommt es nicht an.

Nichts anderes ergibt sich aus der zwischenzeitlich ergangenen Entscheidung des 1. Senates des Bundesverfassungsgerichtes vom 28. Januar 2003 (NJW 1003, 737). Danach ist lediglich Satz 1 des Einigungsvertrages mit Wirkung zum 31.12.2003 für verfassungswidrig erklärt worden und nicht der hier einschlägige Satz 2 der Einigungsvertragsmaßgabe. Diese Vorschrift kann weiterhin angewandt werden.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 I ZPO. Die Festsetzung des Beschwerdewertes beruht auf § 14 I 1 GKG.

Die Rechtsbeschwerde wird zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 574 II ZPO vorliegen. Die Rechtssache hat auch nach Inkrafttreten des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes, das keine Abschlagsregelung für die neuen Bundesländer enthält, immer noch grundsätzliche Bedeutung. Für nahezu alle derzeit noch laufenden Gerichtsverfahren gelten noch die BRAO und - soweit einschlägig - die Maßgaben der Anlage I des Einigungsvertrages. Das bedeutet, daß für eine geraume Zeit noch über Kostenfestsetzungs- bzw. -ausgleichungsanträge zu befinden sein wird, bei denen die hier maßgebliche Frage zu entscheiden sein wird.

Ende der Entscheidung

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