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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 19.07.2006
Aktenzeichen: 7 U 100/05
Rechtsgebiete: InsO, BGB


Vorschriften:

InsO § 129 Abs. 1
InsO § 130 Abs. 1 Nr. 1
InsO § 143 Abs. 1
InsO § 17
InsO § 130 Abs. 2
InsO § 130 Abs. 3
InsO § 138 Abs. 2 Nr. 1
BGB § 167
BGB § 170
BGB § 166 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht

Im Namen des Volkes

Urteil

7 U 100/05

Anlage zum Protokoll vom 19.7.2006

Verkündet am 19.7.2006

in dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Boiczenko, den Richter am Oberlandesgericht Hein und den Richter am Oberlandesgericht Fischer auf die mündliche Verhandlung vom 21.6.2006

für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Beklagten gegen das am 17.6.2005 verkündete Urteil des Einzelrichters der 7. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder wird zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Beklagten wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung des Klägers durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abzuwenden, sofern der Kläger nicht vor der Zwangsvollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Gründe:

I.

Der Kläger hat die Beklagte in seiner Eigenschaft als Insolvenzverwalter über das Vermögen der S... Bau GmbH im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr der Summe dreier Zahlungen der Schuldnerin an die Beklagte in Höhe von insgesamt 72.486,25 € in Anspruch genommen. Von den angefochtenen Zahlungen erfolgte eine in Höhe von 11.944,25 € am 15.8.2002. Zwei weitere Zahlungen von 10.542,02 € und 50.000 € wurden von der Schuldnerin am 16.8.2002 erbracht. Die Schuldnerin stellte am 4.9.2002 Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens. Mit Beschluss vom 6.1.2003 hat das Amtsgericht Frankfurt/Oder als Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren über das Vermögen der S... Bau GmbH eröffnet und den Kläger zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 72.486,25 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit 11.1.2005 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie bestreitet, dass die Schuldnerin zum Zeitpunkt der streitbefangenen Zahlungen zahlungsunfähig gewesen sei und verweist auf Stundungen von Löhnen und Gehältern bis zum 30.8.2002 sowie von Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung bis zum 31.8.2002.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 234 - 236 d.A.).

Das Landgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass die Beklagte das Vorliegen einer wirksamen Stundungsvereinbarung nicht schlüssig dargelegt habe. Aus dem Vortrag der Beklagten ergebe sich, dass eine entsprechende Stundungsvereinbarung zwischen der Schuldnerin und ihren Mitarbeitern auf der Grundlage falscher Angaben des Geschäftsführers der Schuldnerin zustande gekommen sei (Bl. 237 - 239 d.A.).

Das Urteil des Landgerichts ist der Beklagten am 21.6.2005 zugestellt worden. Die Beklagte hat gegen das Urteil am 27.6.2005 Berufung eingelegt, die sie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.9.2005 an diesem Tage begründet hat.

Mit der Berufung verfolgt die Beklagte das Ziel der Klageabweisung weiter. Die Beklagte beanstandet vor allem, dass das Landgericht seinem Urteil die unzutreffende Annahme zugrunde gelegt habe, der Geschäftsführer der Schuldnerin habe die Stundungsvereinbarung mit den Mitarbeitern der Schuldnerin durch unwahre Angaben herbeigeführt. Auch habe es außer Acht gelassen, dass eine entsprechende Vereinbarung gleichwohl jedenfalls nicht nichtig gewesen wäre.

Die Beklagte trägt ferner ergänzend zu der Stundungsvereinbarung mit diversen Krankenkassen vor und bezieht sich ansonsten auf ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Die Beklagte beantragt,

die Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 17.6.2005 abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung hat keinen Erfolg.

Die Klage ist begründet.

Der Kläger hat einen Rückgewähranspruch gemäß §§ 129 Abs. 1, 130 Abs. 1 Nr. 1, 143 Abs. 1 InsO.

Die Anfechtung der in Streit stehenden Zahlungen der Schuldnerin durch den Kläger dringt unter dem rechtlichen Gesichtspunkt der §§ 129 Abs. 1, 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO durch.

Nach § 130 Abs. 1 Nr. 1 InsO ist eine Rechtshandlung, die einem Insolvenzgläubiger eine Sicherung oder Befriedigung gewährt oder ermöglicht hat, anfechtbar, wenn sie in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens vorgenommen worden ist, der Schuldner zur Zeit der Handlung zahlungsunfähig war und der Gläubiger zu dieser Zeit die Zahlungsunfähigkeit kannte.

Die angefochtenen Zahlungen der Schuldnerin an die Beklagte sind Rechtshandlungen im Sinne der §§ 129 Abs. 1, 130 Abs. 1 InsO. Im Rahmen der Anfechtungstatbestände des Insolvenzrechts ist Rechtshandlung jedes Handeln, das eine rechtliche Wirkung auslöst. Entscheidend ist, dass die Handlung das Vermögen des Schuldners zum Nachteil der Insolvenzgläubiger verändern kann (BGH ZIP 2004, 918). Rechtshandlungen sind deshalb auch Zahlungen bzw. Überweisungen von Geldbeträgen an den Anfechtungsgegner.

Hier ist davon auszugehen, dass es sich bei den angefochtenen Zahlungen um kongruente Leistungen der Schuldnerin handelte. Der Kläger nimmt mit der Anspruchsbegründung ausdrücklich auf die Anfechtungsbestimmung des § 130 Abs. 1 InsO Bezug, ohne zu den Umständen der angefochtenen Zahlungen weiter vorzutragen. Deshalb ist zu unterstellen, dass die Zahlungen der Schuldnerin der Beklagten zustanden, mithin eine kongruente Deckung waren.

Die angefochtenen Zahlungen sind innerhalb der in dem Tatbestand des § 130 Abs. 1 Satz 1 InsO genannten Frist von drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgt. Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens wurde am 4.9.2002 gestellt. Die angefochtenen Zahlungen erfolgten am 15.8.2002 und am 16.8.2002.

Durch die Zahlungen der Schuldnerin ist auch - wie gemäß § 129 Abs. 1 InsO für alle insolvenzrechtlichen Anfechtungstatbestände zu fordern - eine objektive Benachteiligung der Insolvenzgläubiger eingetreten. Durch die Zahlungen ist das verbleibende Vermögen der Schuldnerin geschmälert worden, sodass eine unmittelbare Gläubigerbenachteiligung vorliegt.

Die Schuldnerin war zum Zeitpunkt der Zahlungen vom 15.8.2002 und 16.8.2002 zahlungsunfähig. Dies ergibt sich bereits aus dem Vortrag der Beklagten. Diese hat wiederholt, zuletzt mit der Berufungsbegründung, vorgetragen, der Geschäftsführer der Schuldnerin habe bei Anweisung der streitgegenständlichen Zahlungen die Liquiditätslage anhand des als Anlage B 4 überreichten Status "Forderungen/Verbindlichkeiten der S... Bau GmbH per 15.8.2002" geprüft. Dieser Status habe ein Kontoguthaben von 362.509,78 € ausgewiesen. Dem hätten Gesamtverbindlichkeiten in Höhe von 476.548 € gegenüber gestanden. Die Schuldnerin konnte somit zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen einen wesentlichen Teil ihrer fälligen Verbindlichkeiten nicht bezahlen. Der nicht erfüllbare Teil der Verbindlichkeiten der Schuldnerin überschritt 24 % und lag damit deutlich über der Schwelle von 10 %, unterhalb derer nach dem Standard höchstrichterlichen Rechtsprechung eine Liquiditätslücke im Regelfall als unwesentlich zu behandeln ist (BGH ZInsO 2005, 809 f., 809 ff.). Deshalb ist von einer Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin auszugehen.

Aus dem zu den Akten gereichten Status der Schuldnerin zum 15.8.2004 ergibt sich zwar auch, dass diese außer dem Kontoguthaben Forderungen gegen Dritte in Höhe von insgesamt 251.697,91 € gehabt haben soll. Bezüglich dieser Forderungen gegen Dritte ist jedoch nicht dargetan oder erkennbar, dass sie zur Liquidität der Schuldnerin beitragen könnten, weil eine kurzfristige Erfüllung zu erwarten stand. Da der als Anlage B 4 vorgelegte Status weder im schriftsätzlichen Vortrag noch in seiner Überschrift als Liquiditätsstatus bezeichnet wird, kann auch nicht vermutet werden, dass die dort ausgewiesenen Forderungen gegen Dritte solche waren, die zu einer kurzfristigen Erhöhung der Liquidität der Schuldnerin beitragen konnten. Folgerichtig nimmt die Beklagte weder in der Klageerwiderung noch in der Berufungsbegründung im Zusammenhang mit der Erörterung der Liquidität anhand des Status auf die dort ausgewiesenen Forderungen Bezug (Bl. 65, 303 d.A.).

Die Beklagte behauptet allerdings, die Verbindlichkeiten zum 15.8.2002 hätten entgegen der Ausweisung in dem als Anlage B 4 vorgelegten Status lediglich 258.722,48 € betragen, weil der Differenzbetrag zu den ausgewiesenen Verbindlichkeiten von 217.825,71 € Löhne und Sozialversicherungsbeiträge zum Gegenstand gehabt habe, die beide gestundet worden seien. Die Beklagte ist mit dieser Behauptung jedoch beweisfällig geblieben.

Es kann im Zusammenhang mit den Angaben der Beklagten zur Liquidität der Schuldnerin am 15.8.2002 dahinstehen, ob die am 15. Juli 2002 fälligen Löhne und Gehälter für Juni 2002 von den Mitarbeitern der Schuldnerin gestundet wurden. Diese sind unstreitig bis zum 5.8.2002 gezahlt worden, sodass sie nicht mehr Gegenstand der Verbindlichkeiten der Schuldnerin zum 15.8.2002 sein konnten. Es geht mithin hinsichtlich der Löhne und Gehälter um die für Juli 2002, die am 15.8.2002 fällig wurden. Diese Löhne und Gehälter sind nicht wirksam gestundet worden.

Die - unter anderem - zur Stundung der Löhne und Gehälter für den Juli 2002 vernommene Zeugin R...hat zwar möglicherweise eine Stundung dieser Löhne und Gehälter durch den Betriebsrat der Schuldnerin am 12.8.2002 bekundet. Die Zeugin, die Vorsitzende des Betriebsrats der Schuldnerin war, hat ausgesagt, es habe am 12.8.2002 eine Betriebsratssitzung gegeben. Dem Betriebsrat sei vom Geschäftsführer der Schuldnerin geschildert worden, dass die Löhne und Gehälter auch für den Monat Juli 2002 nicht pünktlich gezahlt werden könnten. Das sei im Betriebsrat erörtert worden. Der Betriebsrat habe sich entschieden, nicht sofort eine neue Betriebsversammlung einzuberufen, da eine solche erst im Vormonat stattgefunden habe. Im Ergebnis hätten sie dem Vorschlag der Geschäftsführung zugestimmt, die Löhne und Gehälter für den Monat Juli 2002 bis zum 30.8.2002 auszuzahlen.

Die von der Zeugin bekundete Zustimmung der verspäteten Auszahlung der Löhne und Gehälter für Juli 2002 mag als Stundung zu verstehen sein. Die Stundung ist gegebenenfalls jedoch unwirksam, weil es an einer Bevollmächtigung des Betriebsrates der Schuldnerin fehlte.

Der Betriebsrat ist kraft Gesetzes nicht zur Verfügung über die individuellen Vergütungsansprüche der von ihm vertretenen Arbeitnehmer berechtigt. An einer einschlägigen rechtsgeschäftlichen Ermächtigung durch die betroffenen Arbeitnehmer der Schuldnerin fehlt es jedoch.

Die Beklagte hat behauptet, der Betriebsrat der Schuldnerin sei zu einer eventuellen Stundung der Löhne und Gehälter für Juli 2002 bereits im Rahmen der Betriebsversammlung vom 16.7.2002 durch die dort anwesenden Arbeitnehmer ermächtigt worden. Dies ist von der auch zu dieser Frage vom Senat vernommenen Zeugin R... nicht bestätigt worden.

Aus der Aussage der Zeugin R...ergibt sich, dass im Rahmen der Betriebsversammlung vom 16.7.2002 auch die Frage erörtert wurde, was geschehen solle, falls die Gesellschaft auch Löhne und Gehälter für den nächsten Monat, nämlich den Juli 2002, nicht rechtzeitig zahlen könne. Sie habe daran zwar keine "so präzise Erinnerung mehr". Sie meine, dass das Problem nur erwähnt und gesagt wurde, dass in einem solchen Fall dann eine neue Entscheidung herbeigeführt werden müsse. Die Zeugin hat jedoch mit Nachdruck bekundet, dass für den Fall, dass auch Löhne und Gehälter für Juli 2002 nicht gezahlt werden könnten, jedenfalls auf der Betriebsversammlung am 16.7.2002 noch keine Vorkehrungen getroffen worden seien. Dies hat sie mittelbar durch ihre Angaben zu der Betriebsratssitzung vom 12.8.2002 bestätigt. Danach war Gegenstand dieser Betriebsratssitzung erneut die Mitteilung des Geschäftsführers der Schuldnerin, dass die Löhne und Gehälter nun auch für den Monat Juli 2002 nicht pünktlich gezahlt werden könnten. Dies sei im Betriebsrat erörtert worden. Man habe sich entschieden, nicht eine neue Betriebsversammlung einzuberufen, da eine solche gerade erst im Vormonat stattgefunden habe.

Die Erörterung der Einberufung einer erneuten Betriebsversammlung durch den Betriebsrat lässt jedoch nicht erkennen, dass sich dieser bereits zu einer Entscheidung über das erneute Stundungsansinnen des Geschäftsführers der Schuldnerin von deren Arbeitnehmern bevollmächtigt sah. Die Zeugin hat vielmehr angegeben, sie habe sich in ihrer Position als Vorsitzende des Betriebsrats zu der Übereinkunft mit der Geschäftsführung vom 12.8.2002 berechtigt gesehen, zumal der gesamte Betriebsrat dafür gewesen sei.

Die nachfolgend vernommene Zeugin Sch... hat allerdings ausgesagt, sie meine, auf der Betriebsversammlung vom 16.7.2002 sei auch die Frage angesprochen worden, was denn passieren solle, falls die Gesellschaft auch die nächsten Löhne und Gehälter nicht rechtzeitig zahlen könne. Einige Arbeitnehmer hätten sich dazu geäußert. Sie habe die Erinnerung, dass diese sagten, der Betriebsrat solle sich dann damit befassen und entscheiden. Ein Grund hierfür sei gewesen, dass eine Reihe von Arbeitnehmern eine ziemlich weite Anreise zur Betriebsversammlung hatten und nicht gleich ein zweites mal herkommen wollten. Diese Aussage lässt zwar die Möglichkeit zu, dass die Arbeitnehmer auf der Betriebsversammlung vom 16.7.2002 mehr oder weniger geschlossen den Betriebsrat zu einer nachfolgenden Stundungsvereinbarung ermächtigt hätten. Sie ist jedoch zu wenig konkret, um von der Richtigkeit der diesbezüglichen Behauptung der Beklagten zu überzeugen. Es bleibt offen, ob die von der Zeugin wiedergegebenen Äußerungen lediglich die Stellungnahmen einiger Arbeitnehmer - etwa derjenigen, die eine weitere Anreise hatten - waren oder ob die anderen Arbeitnehmer sich diese Äußerungen geschlossen oder überwiegend zu eigen machten. Der Zeuge S... hat zu diesem Sachverhalt ausgesagt, nach seiner Erinnerung sei die Frage aufgeworfen worden, was denn passieren solle, falls auch die Löhne und Gehälter für den Monat Juli nicht pünktlich gezahlt werden könnten. Er habe daran allerdings keine präzise Erinnerung mehr. Er meine, man sei so verblieben, dass derartige Dinge dann mit dem Betriebsrat zu klären seien. Dazu habe es auch entsprechende Redebeiträge gegeben. Der Betriebsrat habe das Vertrauen der Arbeitnehmer gehabt.

Diese Aussage ist jedoch gleichfalls nicht hinreichend, um die Überzeugung zu gewinnen, die auf der Betriebsversammlung vom 16.7.2002 anwesenden Arbeitnehmer hätten den Betriebsrat zu einer erneuten Stundung der Juli-Löhne und Gehälter ermächtigt.

Die Richtigkeit der Behauptung der Beklagten, es habe eine Ermächtigung des Betriebsrates zum Abschluss einer weiteren Stundungsvereinbarung für die zum 15.8.2002 fällig werdenden Lohn- und Gehaltszahlungen gegeben, bedarf jedoch keiner Entscheidung. Deshalb ist auch eine Fortsetzung der Beweisaufnahme zu diesem Thema durch Vernehmung der von der Beklagten mit Schriftsatz vom 18.5.2006 hierzu benannten Zeugen nicht erforderlich.

Die Behauptung der Beklagten, die Arbeitnehmer der Schuldnerin hätten den Betriebsrat der Schuldnerin in der Betriebsversammlung vom 16.7.2002 zum Abschluss einer Stundungsvereinbarung bezüglich der Löhne und Gehälter für den Monat Juli 2002 bevollmächtigt, als wahr unterstellt, ist gleichwohl nicht von einer wirksamen Bevollmächtigung des Betriebsrates der Schuldnerin zu einer Stundungsvereinbarung auszugehen. Eine entsprechende Bevollmächtigung ist vielmehr unwirksam.

Die rechtsgeschäftliche Vollmacht nach § 167 BGB ist eine einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung (Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 167, Rn. 1). Als solche bedarf sie für ihre Wirksamkeit zwar keiner Annahme. Da es sich jedoch um eine empfangsbedürftige Willenserklärung handelt, ist ihre Wirksamkeit davon abhängig, dass ein anderer von ihr Kenntnis erlangt.

Hier haben die Mitglieder des Betriebsrates eine entsprechende Bevollmächtigung durch die Arbeitnehmer der Schuldnerin jedoch nicht wahrgenommen. Dies folgt aus der Aussage der Zeugin R..., die bekundete, für den Fall, dass auch die Löhne und Gehälter für Juli nicht gezahlt werden könnten, seien auf der Betriebsversammlung vom 16.7.2002 noch keine Vorkehrungen getroffen worden. Der Senat hat keinen Anlass, an der Richtigkeit der Aussage der Zeugin zu dieser Frage zu zweifeln. Die zitierte Aussage steht - wie vorstehend ausgeführt - im Zusammenhang mit weiteren Bekundungen der Zeugin. Die Zeugin war überdies bemüht, zu den Fragen des Beweisbeschlusses bzw. den Fragen des Senates und der Prozessbevollmächtigten der Parteien konzentriert und sorgfältig Stellung zu nehmen.

Eine wirksame Bevollmächtigung des Betriebsrates oder seiner Mitglieder durch die Arbeitnehmer der Schuldnerin zum Abschluss einer weiteren Stundungsvereinbarung ist mithin nicht festzustellen. Ebenso kann nicht angenommen werden, dass die Arbeitnehmer der Schuldnerin eine einschlägige Bevollmächtigung des Betriebsrates bzw. seiner Mitglieder durch Erklärung gegenüber dem Geschäftsführer der Schuldnerin nach § 170 BGB erteilt hätten. Dies liegt auch nicht nahe, da die Durchführung der Betriebsversammlung bei dem Betriebsrat, nicht bei der Geschäftsführung der Schuldnerin lag.

Die Beklagte hat ferner nicht die behauptete Stundung von Sozialversicherungsbeiträgen durch die zuständigen Krankenkassen bis zum 31.8.2002 beweisen können.

Die Zeugin Sch...hat zwar ausgesagt, sie habe kurz vor dem 15.8.2002 mit den Sachbearbeitern mehrerer Krankenkassen wegen der fälligen Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung gesprochen. Sie habe bei diesen Telefonaten geschildert, dass die Schuldnerin größere Zahlungseingänge erwartete, im Moment diese Arbeitgeberanteile allerdings nicht entrichtet werden könnten. Sie habe sinngemäß um Aufschub bis zum Monatsende gebeten. Die Antworten seien positiv gewesen. Ihr sei zugesagt worden, dass bis Monatsende August 2002 keine Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet würden.

Diese Bekundungen der Zeugin reichen nicht, um eine Stundung hinsichtlich der Verbindlichkeiten der Schuldnerin gegenüber den einzelnen Krankenkassen zu beweisen. Die Stundung bedeutet das Hinausschieben der Fälligkeit einer Forderung und ist, soweit sie nachträglich erfolgt, eine Vertragsänderung. Eine so weitgehende rechtsgeschäftliche Regelung ist von der Zeugin jedoch bereits in inhaltlicher Hinsicht nicht angegeben worden. Die Zeugin hat nach ihren Angaben "sinngemäß um Aufschub bis zum Monatsende gebeten". Bereits der Begriff des Aufschubs ist rechtstechnisch nicht bestimmt und lässt verschiedene Möglichkeiten der Auslegung zu. Noch unklarer wird das Ergebnis der Telefonate der Zeugin, wenn es heißt, ihre Bitte sei "positiv" beschieden worden. Soweit die Zeugin nachfolgend konkretisierte, ihr sei zugesagt worden, dass bis Monatsende August 2002 keine Vollstreckungsmaßnahmen eingeleitet würden, liegt allenfalls ein Stillhalteabkommen, nicht aber eine Stundung vor. Da im Ergebnis der Beweisaufnahme die von der Beklagten behauptete Stundung bezüglich der Löhne und Gehälter für Juli 2002 sowie der zum 15.8.2002 fälligen Sozialversicherungsbeiträge nicht festgestellt werden kann, ergibt sich die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum 15.8.2002 bereits aus den von der Beklagten vorgetragenen Daten zur Liquidität der Schuldnerin am 15.8.2002.

Die Nichtzahlung der am 15.8.2002 fälligen Löhne und Gehälter sowie Sozialversicherungsbeiträge durch die Schuldnerin stellt auch dann keine unschädliche Zahlungsstockung dar, wenn die Zahlungsunfähigkeit erst mit dem Fälligwerden dieser Verbindlichkeiten zum 15.8.2002 eingetreten sein sollte. Eine Zahlungsstockung kann bei Nichterfüllung erheblicher Geldschulden nur angenommen werden, wenn konkrete Aussichten auf baldige Beendigung des Zahlungsengpasses erkennbar sind (BGH ZInsO 2005, 807, 808; Kirchhof in Heidelb-Komm. zur InsO, 4. Aufl., § 17, Rn. 42). In diesem Zusammenhang ist für den Maßstab der Erheblichkeit der Geldschulden auf die Rechtsprechung zu § 17 InsO abzustellen. Wesentlich sind daher nicht bezahlte Geldschulden von mehr als 10 % der fälligen Verbindlichkeiten. Danach liegen hier erhebliche Zahlungsrückstände vor.

Konkrete Aussichten auf die baldige Beendigung des Zahlungsengpasses bei der Schuldnerin sind von der Beklagten nicht dargelegt worden.

Die Beklagte hat in diesem Zusammenhang allerdings geltend gemacht, der Schuldnerin hätte ein Subunternehmerauftrag von ihrer - der Beklagten - Seite an einem Bauvorhaben der L... GmbH & Co. Beteiligungs-KG mit der Bezeichnung "Service-Wohnen Am Forum B..., Bauteile 1 bis 4" in Aussicht gestanden. Bei dem Vertragsschluss zwischen der Bauherrin und der Beklagten wäre sofort ein Vorschuss in Höhe von 450.000 € an die Schuldnerin gezahlt worden.

Die so aufgezeigte Aussicht auf Beendigung des Zahlungsengpasses ist nicht hinreichend konkret, um diesen lediglich als Zahlungsstockung erscheinen zu lassen. Ein konkretes Datum für die Auftragserteilung konnte die potentielle Bauherrin noch mit Schreiben vom 19.8.2002 an die Beklagte nicht nennen. Ebenso wird aus diesem Schreiben deutlich, dass die Auftragserteilung an einer Finanzierung des in Frage stehenden Bauvorhabens hing, die noch nicht sichergestellt war (Bl. 201 d.A.).

Die Beklagte kannte die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen. Zumindest kannte sie zu diesem Zeitpunkt die Umstände, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen ließen. Dies steht einer Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit nach § 130 Abs. 2 InsO gleich. Diese Kenntnis der Beklagten ergibt sich daraus, dass zum Zeitpunkt der Zahlungen der Geschäftsführer der Beklagen zugleich Geschäftsführer der Schuldnerin war. Der Geschäftsführer der Beklagten kannte daher die wirtschaftlichen Umstände der Schuldnerin, aus denen sich deren Zahlungsunfähigkeit zum Zahlungszeitpunkt ergab.

Die Beklagte hat eine Kenntnis von den maßgeblichen Umständen ausdrücklich vorgetragen. Sie hat dargelegt, ihr Geschäftsführer, der zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen auch Geschäftsführer der Schuldnerin war, habe die Schwierigkeiten mit der pünktlichen Zahlung sowohl der zum 15.7.2002 fälligen Löhne und Gehälter für Juni 2002 als auch der zum 15.8.2002 fälligen Löhne und Gehälter für Juli 2002 erkannt. Er habe hierüber zum einen die Betriebsversammlung und zum anderen den Betriebsrat der Schuldnerin informiert mit dem Ziel, eine Stundung der jeweiligen Lohn- und Gehaltszahlungen zu erreichen. Die Beklagte hat ferner dargelegt, ihr Geschäftsführer habe in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der Schuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen Kenntnis von dem als Anlage B 4 vorgelegten Status der Schuldnerin zum 15.8.2002 gehabt.

Hätte die Beklagte die Kenntnis ihres Geschäftsführers von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen bzw. von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin schließen ließen, nicht ausdrücklich dargelegt, so wäre diese Kenntnis jedenfalls gemäß §§ 130 Abs. 3, 138 Abs. 2 Nr. 1 InsO zu vermuten. Ihr Geschäftsführer war zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen als Geschäftsführer auch der Schuldnerin eine dieser nahe stehende Person. Diese gesetzliche Vermutung gilt zwar nach ihrem Wortlaut nur für die Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit. Sie findet jedoch auch für die Kenntnis von Umständen Anwendung, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen. Dies folgt bereits aus der Gleichstellung der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit mit der Kenntnis von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen lassen gemäß § 130 Abs. 2 InsO (so im Ergebnis auch Kreft in HeidelbKomm. zur InsO, 4. Aufl., § 130, Rn. 32 - 34, unter Bezugnahme auf die Entstehungsgeschichte der Bestimmung). Diese gesetzliche Vermutung ist zwar widerlegbar. Ihr entgegenstehender Sachverhalt ist von der Beklagten jedoch nicht vorgetragen worden.

Die Beklagte muss sich die von ihr eingeräumte und überdies vermutende Kenntnis ihres Geschäftsführers zumindest von Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlungen an die Beklagte schließen ließen, gemäß § 166 Abs. 1 BGB zurechnen lassen. Die Wissenszurechnung nach dieser Bestimmung gilt nicht nur für den rechtsgeschäftlich bestellten Vertreter, sondern auch für den organschaftlichen Vertreter einer juristischen Person (BGHZ 41, 280, 287; BGH NJW 2000, 1405).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Anlass zur Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO besteht nicht.



Ende der Entscheidung

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