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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 25.08.2006
Aktenzeichen: 7 U 11/06
Rechtsgebiete: InsO, BGB, AO


Vorschriften:

InsO § 130 Abs. 1
InsO § 130 Abs. 2
InsO § 133 Abs. 1
InsO § 143 Abs. 1
BGB § 271 Abs. 2
BGB § 387
AO § 164
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Im Namen des Volkes Urteil

7 U 11/06 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 25.8.2006

Verkündet am 25.8.2006

in dem Rechtsstreit

hat der 7. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch den Richter am Oberlandesgericht Hein als Einzelrichter auf die mündliche Verhandlung am 4.8.2006 für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung des Klägers gegen das am 14.12.2005 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des Landgerichts Frankfurt/Oder wird zurückgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe:

I.

Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Autohaus W... GmbH. In dieser Eigenschaft hat er den Beklagten im Wege der Insolvenzanfechtung auf Rückgewähr mehrerer Steuerzahlungen der Schuldnerin, die diese in den Monaten März, April und Mai 2003 leistete, in Anspruch genommen. Die Klage ist auf Zahlung einer Summe von 33.103,54 € gerichtet gewesen. Im Verlaufe des erstinstanzlichen Verfahrens zahlte der Beklagte einen Teil der angefochtenen Steuerzahlungen der Schuldnerin zurück. Die Parteien haben daraufhin den Rechtsstreit in Höhe von 20.725,78 € nebst anteiliger Zinsen übereinstimmend für erledigt erklärt. Die Parteien haben danach lediglich noch über die Rückerstattung eines Restbetrages auf die Lohnsteuer für Dezember 2002 in Höhe von 3.863,76 € sowie die Zahlung eines Umsatzsteuerguthabens in Höhe von 8.614 € gestritten. Letzteres hat das Finanzamt des Beklagten gegen die auf der Anmeldung der Schuldnerin basierende Umsatzsteuersondervorauszahlung für 2003, die am 12.2.2003 fällig war, verrechnet.

Der Kläger hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an den Kläger 12.377,76 € nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 3.12.2004 zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils verwiesen (Bl. 212 - 215 d.A.).

Mit dem am 14.12.2005 verkündeten Urteil hat das Landgericht die Klage in dem nunmehr noch geltend gemachten Umfang abgewiesen.

Wegen der Zahlung von 3.863,76 € rückständiger Lohnsteuer für Dezember 2002 am 10.3.2003 stehe dem Kläger kein Anfechtungsrecht und daher kein Erstattungsanspruch nach § 143 Abs. 1 InsO zu. Die Zahlung sei nicht anfechtbar. Zwar habe der Kläger die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin ab dem 2.3.2003 hinreichend dargetan. Die hiergegen erhobenen Einwendungen des Beklagten seien unerheblich. Es fehle jedoch an der subjektiven Anfechtungsvoraussetzung einer Kenntnis des Beklagten von der Zahlungsunfähigkeit oder Umständen, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit schließen ließen. Die von dem Kläger zur Darlegung der Kenntnis entsprechender Umstände herangezogenen Indizien, das Mahnschreiben des Finanzamtes E... vom 17.2.2003, der Rückstand mit Kraftfahrzeugsteuer in Höhe von 102 €, die am 11.2.2003 fällig war, sowie die Mahnung des Finanzamtes E... vom 5.3.2003 betreffend Steuerforderungen in Höhe von 20.615,14 €, trügen den Schluss auf eine Kenntnis des Beklagten von Umständen im Sinne des § 130 Abs. 2 InsO nicht. Eine Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO scheitere bereits daran, dass eine Gläubigerbenachteiligungsabsicht der Schuldnerin nicht hinreichend dargelegt worden sei.

Der Kläger könne auch nicht die Auskehr des Umsatzsteuerguthabens aus dem Jahre 2001 in Höhe von 8.614 € verlangen, da die Aufrechnung des Beklagten gemäß Mitteilung vom 20.3.2003 keine anfechtbare Rechtshandlung darstelle. Der Beklagte habe den Anspruch auf die Umsatzsteuersondervorauszahlung am 12.2.2003 erlangt. Zu diesem Zeitpunkt sei der Erstattungsanspruch der Schuldnerin wegen der zu viel entrichteten Umsatzsteuer für 2001 bereits erfüllbar gewesen, sodass eine Aufrechnungslage vorlag.

Das Urteil des Landgerichts ist dem Kläger am 22.12.2005 zugestellt worden. Er hat gegen das Urteil am 23.1.2006, einem Montag, Berufung eingelegt, die er nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 12.4.2006 an diesem Tage begründet hat.

Zur Begründung der Berufung macht der Kläger geltend, die vom Landgericht berücksichtigte Tilgung der Lohnsteuerforderung des Beklagten für September 2002 sei unerheblich, da es sich insofern nicht um eigene Leistungen der Schuldnerin gehandelt habe. Die Aufrechnung des Beklagten gemäß Mitteilung vom 20.3.2003 sei wirksam angefochten, weil der Erstattungsanspruch der Schuldnerin erst zu diesem Zeitpunkt fällig geworden sei.

Der Kläger beantragt,

das beklagte Land in Abänderung des Urteils des Landgerichts Frankfurt/Oder vom 14.12.2005 zu verurteilen, an den Kläger 12.377,76 € nebst Zinsen in Höher von 4 % über dem Basiszinssatz seit dem 3.12.2004 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

II.

Die zulässige Berufung bleibt ohne Erfolg.

Die Klage ist begründet.

Auf die zutreffenden Rechtsausführungen des Landgerichts in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils wird Bezug genommen. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung haben keinen Erfolg.

1.

Die Anfechtung der Zahlung des Restbetrages auf die von der Schuldnerin für Dezember 2002 zu zahlende Lohnsteuer von 3.863,76 € führt nicht zu einem Rückgewähranspruch des Klägers. Die angefochtene Zahlung erfüllt keinen der Anfechtungstatbestände der Insolvenzordnung.

Eine Anfechtung der Zahlung nach § 130 Abs. 1 InsO kommt nicht in Betracht. Mit dem Landgericht kann angenommen werden, dass der Kläger die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin vom 2.3.2003 hinreichend dargelegt hat und die Einwendungen des Beklagten hiergegen unerheblich sind. Dies kann jedoch letztlich dahinstehen, da das Landgericht zu Recht die subjektiven Anspruchsvoraussetzungen des vorgenannten Anfechtungsgrundes verneint hat. Der Kläger hat eine Kenntnis des Beklagten bzw. des für diesen handelnden Finanzamtes und seiner Mitarbeiter von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Zeitpunkt der streitbefangenen Zahlung nicht hinreichend dargelegt. Zwar kommt es nicht darauf an, ob der Beklagte durch das ihn vertretende Finanzamt Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin zum Zahlungszeitpunkt hatte. Gemäß § 130 Abs. 2 InsO steht der Kenntnis der Zahlungsunfähigkeit die Kenntnis von Umständen gleich, die zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit oder den Eröffnungsantrag schließen lassen. Die vom Kläger herangezogenen Umstände, von denen der Beklagte Kenntnis hatte, reichen jedoch nicht, um zwingend auf die Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin am 2.3.2006 zu schließen. Mit dem Mahnschreiben des Finanzamtes E... ist die Schuldnerin lediglich noch zur Zahlung von Lohnsteuer nebst Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer aus dem Dezember 2002 in Höhe von 3.863,76 € aufgefordert worden. Die restlichen dort aufgeführten Forderungen waren infolge der Aufrechnung des Beklagten vom 12.2.2003 mit einem Umsatzsteuerguthaben für Dezember 2002 in Höhe von 33.417,68 € erloschen. Der überwiegende Teil der Steuerrückstände, die Gegenstand der Mahnung des Finanzamtes E... vom 17.2.2003 waren, sind mithin am 12.2.2003 erloschen. Die angemahnten Steuerrückstände waren ausweislich der Mahnung am 15.1.2003, der in der Mahnung angeführte Umsatzsteuerrückstand für November 2002 sogar erst am 16.1.2003 fällig. Die Tilgung des überwiegenden Teils der angemahnten Steuerverbindlichkeiten erfolgte also innerhalb von vier Wochen nach Fälligkeit. Der Rechtsauffassung der Berufung, wonach diese weitgehende Tilgung offener Steuerrückstände unerheblich sei, weil die Aufrechnungslage nicht aufgrund einer eigenen Leistung der Schuldnerin, sondern durch ein Umsatzsteuerguthaben der Schuldnerin entstanden sei, kann nicht gefolgt werden. Das Umsatzsteuerguthaben der Schuldnerin gehörte zu ihrem Vermögen und erhöhte ihre Liquidität. Wäre das Umsatzsteuerguthaben der Schuldnerin für Dezember 2002 vom Finanzamt an die Schuldnerin ausgezahlt worden und hätte diese nachfolgend hiermit ihren Umsatzsteuerrückstand für November 2002, der im Wesentlichen Gegenstand der Aufrechnung des Beklagten war, beglichen, dürfte kein Zweifel daran bestehen, dass es sich insofern um eine eigene Leistung der Schuldnerin handelte.

Hinsichtlich der weiteren Umstände, die nach Ansicht des Klägers auf eine Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin bereits zum Zeitpunkt der angefochtenen Zahlung vom 10.3.2003 hinwiesen, das heißt des Rückstandes mit Kfz-Steuer in Höhe von 102 €, die am 11.2.2003 fällig war, sowie der Mahnung des Finanzamtes E... vom 5.3.2003 über Steuerrückstände in Höhe von 20.615,14 €, wird auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen des Landgerichts (Bl. 7 des Urteils, Bl. 217 d.A.), die von der Berufung auch nicht angegriffen werden, Bezug genommen. Gleiches gilt für die Ausführungen des Landgerichts zu einer Anfechtung nach § 133 Abs. 1 InsO.

2.

Auch hinsichtlich des vom Beklagten gemäß Mitteilung des Finanzamtes E... vom 20.3.2003 verrechneten Umsatzsteuerguthabens in Höhe von 8.614 € kann die Berufung keinen Erfolg haben. Insofern ist mit den Parteien und dem Landgericht davon auszugehen, dass die vom Finanzamt in der Mitteilung vom 20.3.2003 als Verrechnung bezeichnete Rechtshandlung eine Aufrechnung im Sinne des § 387 BGB war. Demnach ist die Erfüllung einer Verbindlichkeit durch Aufrechnung mit einem Gegenanspruch bei wechselseitigen Ansprüchen, die ihrem Gegenstand nach gleichartig sind, zulässig, sobald der Schuldner die ihm gebührende Leistung fordern und die ihm obliegende Leistung bewirken kann. Dies ist im Verhältnis von steuerrechtlichen Ansprüchen des Beklagten gegen die Schuldnerin und Ansprüchen der Schuldnerin gegen den Beklagten auf Auskehr eines Steuerguthabens der Fall. Wie das Landgericht unangefochten festgestellt hat, ist der Anspruch des Beklagten auf die Umsatzsteuersondervorauszahlung für 2003 gemäß Mahnung des Beklagten vom 5.3.2003 am 12.2.2003 fällig geworden. Der Anspruch der Schuldnerin gegen den Beklagten auf die Umsatzsteuererstattung für 2001 bestand zu diesem Zeitpunkt bereits. Er entstand bereits mit Eingang der Umsatzsteuererklärung der Schuldnerin vom 25.11.2002. Unschädlich ist insofern, dass der Erstattungsanspruch gemäß § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung durch den Beklagten stand. Ebenso kann dahinstehen, ob die Fälligkeit des Erstattungsanspruchs der Schuldnerin erst mit der Mitteilung der Zustimmung, hier durch das Finanzamt E... vom 20.3.2003, eintrat, sodass die Schuldnerin am 12.2.2003 noch keine Erfüllung dieses Anspruchs hätte verlangen können. Der Anspruch der Schuldnerin war jedenfalls erfüllbar. Gemäß § 271 Abs. 2 BGB wirkt ein Hinausschieben der Leistungszeit im Zweifel nur zugunsten des Schuldners. Er darf vor der Fälligkeit leisten (Palandt/Heinrichs, BGB, 65. Aufl., § 271, Rn. 11). Dies gilt auch im Rahmen der Aufrechnung. Die Fälligkeit ist lediglich hinsichtlich der zur Aufrechnung zu stellenden Gegenforderung zu fordern. Die Hauptforderung, gegen die der Schuldner aufrechnet, muss lediglich erfüllbar sein (Palandt/Grüneberg, BGB, 65. Aufl., § 387, Rn. 11, 12).

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Anlass zur Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO besteht nicht.

Ende der Entscheidung

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