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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 06.08.2008
Aktenzeichen: 9 AR 6/08
Rechtsgebiete: FGG, ZPO, GVG, BGB


Vorschriften:

FGG § 5
FGG § 5 Abs. 1 Satz 1
FGG § 36 Abs. 1 Satz 1
FGG § 43 Abs. 1
FGG § 46 Abs. 2
FGG § 64 Abs. 3 Satz 2
ZPO § 36 Abs. 1 Nr. 6
ZPO § 36 Abs. 2
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621 a Abs. 1
GVG § 119 Abs. 1 Nr. 1 a
BGB § 11 Satz 1
BGB § 11 Satz 2
BGB § 1791 c
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor: Die Entscheidung über den Kompetenzkonflikt wird abgelehnt.

Gründe:

1.

Mit Schreiben vom 9. Mai 2008 hat das Jugendamt des Bezirksamtes S. als gesetzlicher Vormund der minderjährigen Kindesmutter J. T., geboren am ... Dezember 1992, bei dem Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg den Entzug des elterlichen Sorgerechts für die am 3. Dezember 2007 (nichtehelich) geborene C. T. beantragt. In der Antragsschrift ist ausgeführt, dass "die Kindesgroßmutter mit J. und C. (...) ins Bundesland Brandenburg verzogen" seien. Nach Anhörung der Verfahrensbeteiligten hat das Amtsgericht - Familiengericht - Tempelhof-Kreuzberg mit Beschluss vom 14. Juli 2008 das Verfahren an das Amtsgericht Luckenwalde abgegeben und zur Begründung ausgeführt, dass C.. T. bereits bei Verfahrenseinleitung ihren Lebensmittelpunkt in Bezirk des Amtsgerichts Luckenwalde gehabt habe. Mit Beschluss vom 24. Juli 2008 hat das Amtsgericht - Familiengericht - Luckenwalde die Übernahme des Verfahrens abgelehnt und die Sache zur Entscheidung über die örtliche Zuständigkeit gemäß § 46 Abs. 2 FGG dem Brandenburgischen Oberlandesgericht vorgelegt.

2. Das Brandenburgische Oberlandesgericht ist zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit der beteiligten Gerichte nicht berufen.

a) Zunächst ist abweichend von der Auffassung des Amtsgerichts Luckenwalde eine Entscheidung des erkennenden Senates nach § 46 Abs. 2 FGG nicht veranlasst.

Die Vorschrift des § 46 Abs. 2 FGG kommt nur in den Fällen in Betracht, in denen ein Gericht seine Zuständigkeit bejaht, das Verfahren jedoch aus Zweckmäßigkeitserwägungen an ein anderes, die Übernahme ablehnendes Gericht abgeben möchte (vgl. Keidel/ Kuntze/Winkler-Engelhardt, FGG, 15. Aufl., § 46 Rdnr. 38). Daran fehlt es hier. Im Streitfall hält sich ausweislich der Gründe der jeweiligen Beschlüsse keines der an dem Kompetenzkonflikt beteiligten Gerichte für örtlich zuständig. Es liegt daher vielmehr ein Fall des § 5 Abs. 1 Satz 1 FGG vor, nämlich ein Streit zwischen Gerichten über die zur Zeit der Einleitung des Verfahrens gesetzlich begründete örtliche Zuständigkeit, die das beteiligte Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg wegen des bei Verfahrenseinleitung bestehenden Wohnsitzes des Kindes im Bezirk des Amtsgerichts Luckenwalde dort als gegeben ansieht und das Amtsgericht Luckenwalde wegen der beim Bezirksamt B. bestehenden Vormundschaft jedenfalls in Berlin angesiedelt wissen will.

b) Das Brandenburgische Oberlandesgericht ist allerdings auch nicht nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung des negativen Zuständigkeitsstreits zwischen den in verschiedenen Bundesländern gelegenen Amtsgerichten berufen. Auch die dort genannten Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor.

(1) Es handelt sich vorliegend um eine selbständige Familiensache (Sorgerechtsverfahren) gemäß § 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO, für die sich das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 621 a Abs. 1 ZPO nicht nach § 5 FGG, sondern nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO richtet.

Intern ist der Familiensenat des Oberlandesgerichts für den bestehenden Kompetenzkonflikt zweier Familiengerichte zuständig. Zu den von den Familiengerichten entschiedenen Sachen im Sinne des § 119 Abs. 1 Nr. 1 a GVG zählen auch solche die Hauptsacheentscheidung vorbereitenden Nebenentscheidungen der Amtsgerichte. Eine solche Nebenentscheidung stellt auch der Streit zweier Familiengerichte um die örtliche Zuständigkeit in Verbindung mit den nach § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO erforderlichen Erklärungen über die eigene Unzuständigkeit dar (vgl. auch OLG Düsseldorf, FamRZ 1977, 725; Zöller-Gummer, ZPO, 26. Aufl., § 119 GVG Rdnr. 8).

(2) Voraussetzung für eine derartige Gerichtsbestimmung ist aber in jedem Falle, dass sich die in Betracht kommenden Gerichte wirksam und "rechtskräftig" für unzuständig erklärt haben. Daran fehlt es im Streitfall, weil jedenfalls der Beschluss des Amtsgerichts - Familiengericht - Luckenwalde vom 24. Juli 2008 keine wirksame Zuständigkeitsleugnung darstellt.

Diese Entscheidung ist verfahrensfehlerhaft, nämlich unter Verletzung des Gebotes des rechtlichen Gehörs ergangen: Das Amtsgericht hat unmittelbar nach Eingang der Akte am 22. Juli 2008 mit Beschluss vom 24. Juli 2008 die Übernahme des Verfahrens vom Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg abgelehnt, ohne zuvor die Beteiligten hierzu zu hören. Eine derartige Entscheidung ist keine hinreichende Grundlage für einen Kompetenzkonflikt (vgl. OLG Zweibrücken, Beschluss vom 22. Mai 2000, Az. 2 AR 30/00 - zitiert nach juris). Ob die zuvor vom Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg mit Beschluss vom 14. Juli 2008 ausgesprochene Abgabe des Verfahrens an das Amtsgericht Luckenwalde diesen Anforderungen genügt, erscheint deshalb zweifelhaft, weil aus den richterlichen Verfügungen vom 30. Juni 2008 (Bl. 13 d. A.) nicht sicher abgelesen werden kann, ob neben dem Jugendamt S. und dem Kindesvater (bzw. dessen gesetzliche Vertreter) auch die Kindesmutter bzw. deren Verfahrensbevollmächtigtem Gelegenheit zur Stellungnahme zu den dort bestehenden Bedenken gegen die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts gegeben worden ist. Hierauf kommt es aber wegen der jedenfalls festzustellenden Mängel im Verfahren vor dem Amtsgericht Luckenwalde für den Senat nicht an.

Darüber hinaus ist die Ablehnung der Übernahme durch das Amtsgericht - Familiengericht - Luckenwalde den Verfahrensbeteiligten nach Aktenlage nicht zur Kenntnis gebracht worden. Die Wirksamkeit gerichtlicher Verfügungen hängt aber von ihrer Bekanntmachung an alle ab, für die sie nach ihrem Inhalt bestimmt sind (§ 621 a Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 16 Abs. 1 FGG). Der Beschluss vom 24. Juli 2008 ist mangels Bekanntgabe deshalb ein akteninterner Vorgang geblieben, so dass es auch aus diesem Grund an einer - wirksamen - Unzuständigkeitserklärung im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO fehlt (vgl. BGH FamRZ 1998, 609; BayObLG, Beschluss vom 4. Mai 1999, Az. 1Z AR 40/99 - zitiert nach juris; Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 36 Rdnr. 25).

(3) Selbst wenn die beiden im Streitfall beteiligten Gerichte sich rechtskräftig für unzuständig im Sinne von § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO erklärt hätten, wäre nach § 36 Abs. 2 ZPO nicht das Brandenburgische Oberlandesgericht, sondern das Kammergericht zur Entscheidung über den Zuständigkeitsstreit berufen, zu dessen Bezirk das zuerst angerufene Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg gehört (vgl. Zöller-Vollkommer, a.a.O., § 36 Rdnr. 4).

c) Zur Vermeidung einer Fortsetzung des bestehenden Kompetenzkonfliktes weist der Senat darauf hin, dass die den Abgabebeschluss des Amtsgerichts Tempelhof-Kreuzberg vom 14. Juli 2008 tragenden Gründe nicht überzeugen können. Richtig ist zwar, dass sich die örtliche Zuständigkeit des Gerichts in diesem Sorgerechtsverfahren nach §§ 64 Abs. 3 Satz 2; 43 Abs. 1; 36 Abs. 1 Satz 1 FGG richtet. Nach § 36 Abs. 1 Satz 1 FGG in Verbindung mit § 11 Satz 1 BGB teilt das minderjährige Kind den Wohnsitz der Eltern, soweit diese sorgeberechtigt sind. Im konkreten Fall steht allerdings den jeweils 15 Jahre alten Eltern der nichtehelich geborenen C. T. das Sorgerecht gerade nicht zu. Es besteht vielmehr eine gesetzliche Vormundschaft des Jugendamtes S. nach § 1791 c BGB. In diesen Fällen teilt das Kind nach § 11 Satz 2 BGB den Wohnsitz des Vormundes (vgl. Palandt-Heinrichs/Ellenberger, BGB, 67. Aufl., § 11 Rdnr. 5). Zwar ist diese Regelung des sog. gesetzlichen Wohnsitzes nicht zwingend. Neben oder statt diesem gesetzlichen Wohnsitz kann ein gewillkürter Wohnsitz begründet werden (vgl. Palandt-Heinrichs/Ellerberger, a.a.O., § 11 Rdnr. 5, 1). Das - vorübergehende - Belassen von C. im Haushalt der Kindesmutter und Kindesgroßmutter genügt aber jedenfalls in dem hier vorliegenden Fall, in dem die Verlagerung deren Lebensmittelpunktes von Berlin in den Bezirk des Amtsgerichts Luckenwalde "ohne Rücksprache mit dem Jugendamt und der Vormünderin" erfolgt ist, nicht für eine Aufhebung des in Berlin (fort-)bestehenden gesetzlichen Wohnsitzes der C. T..

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