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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 29.01.2009
Aktenzeichen: 9 UF 105/08
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, FGG


Vorschriften:

ZPO §§ 517 ff.
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621 e
BGB § 1666
BGB § 1666 Abs. 1
BGB § 1666 a
BGB § 1674
BGB § 1674 Abs. 1
BGB § 1674 Abs. 2
BGB § 1697
BGB § 1773
BGB § 1779 Abs. 3
FGG § 50 a
FGG § 50 a Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Zehdenick vom 8.7.2008 - Az: 3 F 180/07 - abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Es wird festgestellt, dass die elterliche Sorge der Kindesmutter für L. M., geboren am ....5.2007, seit dem 4.7.2007 ruht.

Für L. M. wird Vormundschaft angeordnet. Zum Vormund wird einstweilen bis zur abschließenden Entscheidung durch das Vormundschaftsgericht bestellt: das Jugendamt des Landkreises ....

Der Beschwerdewert wird auf 3000 € festgesetzt.

Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Die am ....6.1978 geborene Kindesmutter ist für L. allein sorgeberechtigt. Sie hat nach dem Besuch einer Förderschule eine Lehrausbildung als Hauswirtschaftshelferin erfolgreich abgeschlossen, ging danach jedoch keiner beruflichen Tätigkeit nach und lebte von Sozialleistungen. Sie bewohnte zuletzt eine eigene Wohnung in demselben Haus, in dem auch ihre Mutter mit deren Lebensgefährten lebt.

Am 4.7.2007 wurde die Kindesmutter wegen des Verdachts sexueller Handlungen an Minderjährigen in Untersuchungshaft genommen. Ihre am ....5.2007 geborene Tochter nahm das Jugendamt in Obhut. Mit einstweiliger Anordnung vom 9.7.2007 bestätigte das Amtsgericht Zehdenick die Inobhutnahme vorläufig und stellte ebenfalls vorläufig fest, dass die elterliche Sorge der Kindesmutter, längstens für die Dauer von sechs Monaten seit dem 4.7.2007, ruhe. L. wurde im allseitigen Einvernehmen in einer Pflegefamilie untergebracht.

Die Kindesmutter wurde durch Urteil des Landgerichts Neuruppin vom 19.12.2007, rechtskräftig seit dem 28.12.2007, wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in 26 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt (Az: 12 Kls 379 Js 16232/06 (13/07)).

Dem lag eine Beziehung zwischen der Kindesmutter und dem am ....6.1992 geborenen P. Z. zugrunde, die auch sexueller Natur war. P. Z. hat am 15.1.2008 mit Zustimmung seiner allein sorgeberechtigten Mutter die Vaterschaft für L. M. anerkannt. Das Jugendamt als Amtsvormund für das Kind hat dem zugestimmt.

Im Rahmen des Strafverfahrens wurde ein psychologisches Gutachten eingeholt, wonach der Kindesmutter eine Persönlichkeitsstörung mit emotional instabilen, unreifen und histrionischen Zügen, eine Intelligenzminderung bei einem IQ von 59, Alkohol- und Medikamentenmissbrauch sowie eine Störung der Sexualpräferenz zugeschrieben und ihr Entwicklungsstand als der einer pubertierenden Jugendlichen bezeichnet wurde.

Das Amtsgericht hat zunächst durch Beschluss vom 15.1.2008 vorläufig angeordnet, dass die mit Beschluss vom 9.7.2007 getroffenen Anordnungen weiter wirksam bleiben.

Das Jugendamt hat sodann aufgrund der Begründung des Strafurteils unter dem 20.3.2008 beantragt, der Kindesmutter das Sorgerecht für L. insgesamt zu entziehen und angeregt, ihre Erziehungsfähigkeit zu überprüfen. Das Amtsgericht hat dazu im Anhörungstermin vom 8.7.2008 - ohne Beteiligung des Kindesvaters am Verfahren - zunächst ausgeführt, ein Klärungsbedarf hinsichtlich der Erziehungsfähigkeit der Kindesmutter bestehe derzeit nicht, da sie faktisch an der Betreuung und Versorgung des Kindes durch ihre Inhaftierung gehindert sei. Sodann hat es mit Beschluss vom 8.7.2008 der Kindesmutter die Personensorge entzogen und zur Begründung auf die Gründe der Entscheidung vom 9.7.2007 Bezug genommen.

Die Kindesmutter ist gegenwärtig in der Sozialtherapeutischen Abteilung der JVA ... untergebracht, wo sie eine Therapie absolviert. Ihr sind begleitete Ausgänge zur Wahrnehmung des Umgangs mit L. gestattet. Das Jugendamt hat mit Bericht vom 7.1.2009 ausgeführt, dass einmal monatlich seit Oktober 2008 Umgänge der Kindesmutter mit L. in einer Einrichtung des Jugendamtes beaufsichtigt stattfinden.

Gegen die ihrem damaligen Verfahrensbevollmächtigten am 12.8.2008 zugestellte Entscheidung des Amtsgerichts Zehdenick vom 8.7.2008 hat die Kindesmutter mit am 21.8.2008 eingegangenem Schriftsatz Beschwerde eingelegt. Sie ist der Ansicht, aufgrund ihrer Inhaftierung sei lediglich das Ruhen der elterlichen Sorge auszusprechen. Dies gelte umso mehr, als zu ihrer Erziehungsfähigkeit bislang Feststellungen nicht getroffen worden seien.

Die Verfahrenspflegerin hat sich mit Schriftsatz vom 17.9.2008 der Rechtsauffassung der Kindesmutter angeschlossen.

II.

Die befristete Beschwerde der Kindesmutter ist gemäß §§ 621 e, 621 Abs. 1 Nr. 1, 517 ff. ZPO zulässig und begründet. Die Entziehung des Sorgerechts für L. ist derzeit nicht geboten; ausreichende Feststellungen, die eine derartige Entziehung rechtfertigen könnten, sind bislang nicht getroffen worden. Die Kindesmutter ist (lediglich) an der Ausübung des Sorgerechts gehindert.

Nach § 1666 Abs. 1 BGB kann dem Sorgeberechtigten die elterliche Sorge bzw. ein Teil derselben entzogen werden, wenn das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes gefährdet wird, sofern der Sorgeberechtigte nicht gewillt oder nicht in der Lage ist, die Gefahr für das Kind abzuwenden, d.h. die zur Gefahrenabwehr erforderlichen Maßnahmen zu treffen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ist strikt zu beachten; Maßnahmen, mit denen eine Trennung des Kindes von der elterlichen Familie verbunden ist, sind nur zulässig, wenn der Gefahr nicht auf andere Weise, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann, § 1666 a BGB.

Es ist derzeit nicht feststellbar, dass die Voraussetzungen der Entziehung des Sorgerechts vorliegen. Insbesondere ist das im Zuge des Strafverfahrens eingeholte Gutachten, das die Schuldfähigkeit der Kindesmutter zum Gegenstand hatte und das im Sorgerechts-Verfahren nicht einmal beigezogen worden ist, nicht geeignet, um ausreichende Feststellungen darüber zu treffen, dass das Wohl L. durch die Ausübung der Personensorge seitens der Kindesmutter gefährdet wird. Es mögen aufgrund der im Strafurteil wiedergegebenen Inhalte des Sachverständigen-Gutachtens sowie aufgrund der sich ansonsten aus dem Strafurteil ergebenden Tatsachen durchaus Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Kindesmutter mit der Pflege und Erziehung des Kindes überfordert sein könnte. Derzeit gehen hiervon jedoch keine Gefahren für das Kindeswohl aus, weil die Kindesmutter durch ihre Inhaftierung ohnehin an der Wahrnehmung ihrer elterlichen Sorge für das Kind tatsächlich gehindert ist und weil sie der Unterbringung des Kindes in einer Pflegefamilie zustimmt.

Deshalb ist es auch nicht veranlasst, derzeit weitere Feststellungen zur Erziehungsfähigkeit oder zu sonstigen Umständen, die für § 1666 BGB von Bedeutung sind, zu treffen. Dies ergibt sich schon daraus, dass sich die maßgeblichen Umstände während der Dauer der Inhaftierung ändern könnten. Eine zu Beginn einer Strafhaft festgestellte Erziehungsunfähigkeit eines Elternteils müsste dann nach Beendigung der Strafhaft unter den dann vorliegenden Umständen ohnehin überprüft werden. Unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsprinzips steht daher die tatsächliche Verhinderung an der Ausübung der Personensorge einer Entziehung des Sorgerechts gemäß § 1666 BGB entgegen (vgl. OLG Dresden, FamRZ 2003, 1038). Dies gilt jedenfalls in Fällen wie dem Vorliegenden, in dem noch nicht feststeht, dass - etwa wegen Art und Schwere der Straftat - ohnehin im Anschluss an die Strafhaft das elterliche Sorgerecht gemäß § 1666 BGB zu entziehen sein wird (vgl.: OLG Hamm, FamRZ 1996, 1029).

Derzeit ist lediglich festzustellen, dass die elterliche Sorge der Kindesmutter gemäß § 1674 BGB ruht. Eine längerfristige Inhaftierung ist nach allgemeiner Ansicht, die auch von der Kindesmutter geteilt wird, eine tatsächliche Verhinderung an der Ausübung der elterlichen Sorge. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Strafhaft länger andauert (OLG Dresden, FamRZ 2003, 1038; OLG Naumburg, OLGR 2002, 93; BayObLG, NJW 1975, 1082; Senat, Beschluss vom 5.5.2008 zum Az: 9 WF 242/07).

Erst in Zusammenhang mit dem Haftende wird das Amtsgericht gemäß § 1674 Abs. 2 BGB von Amts wegen zu überprüfen haben, ob die Voraussetzungen für die Feststellung des Ruhens weiterhin Bestand haben und ob gegebenenfalls sodann sich ein Verfahren auf Entziehung der elterlichen Sorge gemäß § 1666 BGB anzuschließen hat. Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass in einem derartigen Verfahren auch der Kindesvater (trotz gegebenenfalls andauernder Minderjährigkeit) gemäß § 50 a FGG zu beteiligen ist.

Im vorliegenden Verfahren hat der Senat davon absehen können, den Kindesvater zu beteiligen, weil die Voraussetzungen für die Entziehung der Personensorge ohnehin nicht vorliegen und die Entscheidung gemäß § 1674 Abs. 1 BGB allein aufgrund der Inhaftierung der Kindesmutter zu treffen war. Von einer Anhörung des nicht sorgeberechtigten Kindesvaters konnten sich für dieses Verfahren keinerlei Anhaltspunkte für eine Aufklärung ergeben, § 50 a Abs. 2 FGG.

Gemäß § 1773 BGB ist dem betroffenen Kind auch bei einer Ruhensanordnung ein Vormund zu bestellen. Der Senat beschränkt sich gemäß § 1697 BGB auf die grundsätzliche Anordnung der Vormundschaft, überlässt die Auswahl des Vormunds jedoch dem Vormundschaftsgericht. Da bei der Auswahl gemäß § 1779 Abs. 3 BGB auch zu berücksichtigen ist, ob Verwandte des Kindes (etwa eine der Großmütter) als Vormund in Betracht kommen, ist der Senat aufgrund der derzeitigen Ermittlungen nicht in der Lage, die Auswahl selbst zu treffen.

Erkenntnisse über eine etwaige Bereitschaft bzw. Fähigkeit der Großmütter, als Vormund zu fungieren, liegen bei dem Senat nicht vor. Die notwendigen Feststellungen wird das Vormundschaftsgericht zu treffen haben. Zur Vermeidung eines Übergangszeitraums, in dem das Kind nicht ordnungsgemäß vertreten ist, hat der Senat deshalb lediglich vorläufig angeordnet, dass das Jugendamt des Landkreises ... bis zur endgültigen Entscheidung als Vormund eingesetzt wird.

Eine Kostenentscheidung gemäß § 13 a Abs. 1 FGG war nicht veranlasst. Gerichtskosten entstehen gemäß § 131 Abs. 1 Satz 2 KostO nicht. Die Festsetzung des Beschwerdewerts ergibt sich aus §§ 131 Abs. 2, 30 Abs. 2 KostO.

Gründe für die Zulassung der Rechtsbeschwerde (§§ 621 e Abs. 2; 543 Abs. 2 ZPO) liegen nicht vor.

Ende der Entscheidung

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