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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Urteil verkündet am 08.02.2007
Aktenzeichen: 9 UF 157/06
Rechtsgebiete: ZPO, BGB, GKG


Vorschriften:

ZPO § 285
ZPO § 372 a
ZPO § 372 a Abs. 2 Satz 1
ZPO §§ 383 ff.
ZPO §§ 386 f.
ZPO § 387 Abs. 1
ZPO § 387 Abs. 3
ZPO § 390
ZPO § 511
ZPO § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 1
BGB § 1600 o Abs. 2 Satz 1
GKG § 48 Abs. 3 Satz 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

1. Auf die Berufung des Beklagten wird das am 20. Juli 2006 verkündete Urteil des Amtsgerichts Cottbus - Aktz. 97 F 143/05 - aufgehoben und das Verfahren zur erneuten Durchführung der Verhandlung und Entscheidung an das Amtsgericht Cottbus, das auch über die Zulässigkeit der Weigerungsgründe des Beklagten im Zwischenverfahren zu entscheiden hat, zurückverwiesen.

2. Das Amtsgericht Cottbus hat auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden.

3. Der Berufungswert beträgt 2.196 EUR.

Gründe:

I. Die Parteien streiten um die Vaterschaft des Beklagten für den Kläger sowie die Zahlung des Regelbetrages.

Der Kläger ist am ... 2005 geboren worden. Die dem Rechtsstreit beigetretene Mutter des Klägers und der Beklagte hatten vormals eine Beziehung, die etwa im Februar 2004 endete. Auch nach der Trennung trafen sie sich, wobei es auch zu sexuellen Kontakten zwischen ihnen kam.

Die Mutter des Klägers hatte ihre letzte Regelblutung am 12. Mai 2004. Vor dem Einsetzen der Regelblutung hatte sie sowohl mit dem Kläger als auch einmalig mit dem Zeugen R... D... geschlechtlich verkehrt. Insoweit hat sie sich dahingehend eingelassen, sie gehe angesichts ihrer diesem Verkehr nachfolgenden Regelblutungen nicht davon aus, dass der Zeuge D... der Vater sein könne.

Das Amtsgericht hat unter dem 27. Oktober 2005 die Einholung eines Abstammungsgutachtens beschlossen und in die Begutachtung den Kläger, die Mutter des Klägers und den Beklagten einbezogen. Der im Rahmen der Begutachtung begehrten Entnahme von Blut sowie einer Speichelprobe hat sich der Beklagte zunächst verweigert. Das Amtsgericht hat den Beklagten daraufhin mehrfach auf Mitwirkungspflichten hinsichtlich der Begutachtung sowie darauf hingewiesen, dass er möglicherweise aufgrund der Beweisvereitelung als Vater des Klägers angesehen werden könne. Der Beklagte hat sodann der Abgabe der Speichelprobe mit der Maßgabe, er bestehe auf einer Vernichtung der daraus sich ergebenden Daten, zugestimmt. Der Blutentnahme hat er sich weiterhin widersetzt und auf das Bestehen einer Nadelphobie berufen.

Mit Beschluss vom 18. Mai 2006 hat das Amtsgericht die Vorführung des Beklagten zum 23. Juni 2006 zur Entnahme einer Blut-/Speichelprobe angeordnet. In der Begründung hat das Amtsgericht darauf hingewiesen, die Ausführungen des Beklagten in seinem Schreiben vom 26. April 2006 würden keine hinreichende Entschuldigung für seine Verweigerungshaltung darstellen. Dies nahm der Beklagte zum Anlass, der Richterin am Amtsgericht mit einer Klage wegen gefährlicher Körperverletzung in mittelbarer Täterschaft zu drohen. Die Entnahme der Proben hat er am 23. Juni 2006 erneut verweigert.

Mit weiterem Beweisbeschluss vom 26. Juni 2006 hat das Amtsgericht die Vernehmung der Mutter des Beklagten als Zeugin über ihre Geschlechtspartner während der Zeit vom 17. April bis 14. August 2004 angeordnet. Im zugleich anberaumten Verhandlungstermin vom 20. Juli 2006 ist der zu diesem Termin ordnungsgemäß geladene Beklagte nicht erschienen. Das Amtsgericht hat daraufhin die Mutter des Klägers als Zeugin vernommen; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 20. Juli 2006 verwiesen.

Mit dem am 20. Juli 2006 verkündeten Urteil hat das Amtsgericht die Vaterschaft des Beklagten zum Kläger festgestellt sowie den Beklagten zur Zahlung von Unterhalt in Höhe des Regelbetrages verurteilt; wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen. Nachfolgend hat das Amtsgericht in einem Berichtigungsbeschluss die Verurteilung zur Zahlung des Regelbetrages um die Anrechnung des Kindergeldes wegen offenbarer Unrichtigkeit ergänzt; wegen der Einzelheiten wird auf den Beschluss des Amtsgerichts vom 4. August 2006 Bezug genommen.

Gegen diese Verurteilung richtet sich die Berufung des Beklagten. Er vertritt die Auffassung, das Amtsgericht habe verfahrensfehlerhaft die Durchführung eines Zwischenstreitverfahrens gemäß §§ 372 a, 383 ff. ZPO über die Rechtmäßigkeit seiner Weigerungsgründe unterlassen. Darüber hinaus sei verfahrensfehlerhaft die Einbeziehung des Zeugen D... unterblieben.

Der Beklagte beantragt,

das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen,

hilfsweise,

das angefochtene Urteil aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Amtsgericht zurückzuverweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er vertritt die Auffassung, auf Grund des unter dem 18. Mai 2006 erlassenen Beschlusses habe das Amtsgericht das Zwischenverfahren ordnungsgemäß durchgeführt.

II. Die Berufung des Beklagten hat insoweit Erfolg, als das amtsgerichtliche Urteil an wesentlichen Verfahrensfehlern leidet und hierdurch eine umfangreiche Beweisaufnahme unterblieben ist, § 538 Abs. 2 Satz 1 Ziffer 1 ZPO. Aufgrund des hilfsweise gestellten Antrages des Beklagten hat daher die Aufhebung des Urteils und die Zurückverweisung des Verfahrens an das Amtsgericht zu erfolgen. Von einer eigenen Entscheidung sieht der Senat angesichts der Notwendigkeit, ein Zwischenverfahren und eine Beweisaufnahme durchzuführen, ab.

1. Das Rechtsmittel des Beklagten ist als Berufung statthaft und zulässig. Dies gilt auch, soweit der Beklagte die fehlerhafte Durchführung eines Zwischenverfahrens gem. §§ 386 f. ZPO gerügt hat. Verfahrensfehler der erstinstanzlichen Entscheidung können mit der Berufung geltend gemacht werden. Dies gilt selbst dann, wenn das Amtsgericht hier erst im Endurteil über die Rechtmäßigkeit der Zeugnisverweigerung befunden hätte und dies verfahrensfehlerhaft wäre (RGZ 106, 57 f.). Hinsichtlich dieses Entscheidungsteils ist dann nicht allein die sofortige Beschwerde entsprechend § 387 Abs. 3 ZPO das statthafte Rechtsmittel (so aber die wohl herrschende Meinung unter insoweit unzutreffender Bezugnahme auf RGZ 106, 57 f., vgl. Musielak/Huber, ZPO, 5. Aufl. 2007, § 387, Rn. 4; Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl. 2007, § 387, Rn. 6). Nach Auffassung des Senates kann unter Berücksichtigung des Prinzips der Meistbegünstigung (allgemein dazu Musielak/Ball, aaO., vor § 511, Rn. 31) es dem Beschwerten nicht verwehrt sein, dass er dasjenige Rechtsmittel, das der gewählten Form der Entscheidung entspricht, für seine Anfechtung wählt. Dies ist hier die Berufung, die für das getroffene Endurteil gemäß § 511 ZPO das statthafte Rechtsmittel ist. Auf diese Berufung hat der Beklagte sich im Übrigen bei seiner Anfechtung im Wesentlichen gestützt. Soweit er dagegen bereits mit Schreiben vom 5. August 2006 persönlich Einspruch gegen das angefochtene Urteil eingelegt hat, mag daher dahinstehen, ob dieses Rechtsmittel nicht gleichwohl die Voraussetzungen einer sofortigen Beschwerde erfüllt.

2. Die Berufung ist auch begründet, soweit die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung aufgrund von Verfahrensfehlern zu erfolgen hat.

a. Wesentlich ist bereits, dass das Amtsgericht kein Zwischenverfahren gemäß §§ 372 a Abs. 2 Satz 1, 386 ff. ZPO entsprechend durchgeführt hat.

Die Untersuchungen zur Abstammung sind im § 372 a ZPO gesondert geregelt. Aus dem Wortlaut des Gesetzes folgt, dass grundsätzlich auch die Entnahme von Blutproben durch den in die Untersuchung Eingebundenen zu dulden ist. Verweigert der im Rahmen des § 372 a ZPO Eingebundene die Entnahme der Blutprobe, so ist zu unterscheiden, ob er hierfür Gründe vorbringt oder nicht. Nennt er keine Gründe, so kann das Gericht nach § 390 ZPO fortfahren (BGH NJW 1990, 2937). Nennt er dagegen eine Begründung für seine Verweigerung, so sind Zwangsmaßnahmen zu unterlassen, es tritt ein so genannter Zwischenstreit gemäß den §§ 386 f. ZPO ein (Brandenburgisches OLG, NJWE-FER 2001, 130). Über die Rechtmäßigkeit der Weigerung muss das Prozessgericht dann nach Anhörung der Parteien entscheiden, § 387 Abs. 1 ZPO. Ob diese Entscheidung durch Zwischenurteil zu treffen ist, § 387 Abs. 3 ZPO, oder ob für den Fall des § 372 a ZPO auch ein (Zwischen-)Beschluss in Frage kommt, mag hier dahinstehen, da das Amtsgericht ein solches Zwischenverfahren jedenfalls nicht durchgeführt hat.

Der Beschluss des Amtsgerichts vom 18. Mai 2006 stellt keine ein Zwischenverfahren beendende Entscheidung dar. Eine solche Entscheidung setzt voraus, dass das Amtsgericht über die vorgebrachten Weigerungsgründe eine rechtsmittelfähige Entscheidung im Zwischenverfahren treffen wollte. Ein Wille des Amtsgerichts zur Durchführung eines Zwischenverfahrens bzw. zur Entscheidung darüber ist aber nicht feststellbar. Gegen einen solchen Willen spricht bereits das Fehlen einer Kennzeichnung des Beschlusses vom 18. Mai 2006 als eine den Zwischenstreit abschließenden Zwischenentscheidung. Auch verhalten sich die - allem Anschein nach den Tenor der Entscheidung bildenden - ersten beiden Sätze der Entscheidung allein über die Bestimmung eines neuen Termins zur Probenentnahme sowie die entsprechende Vorführung des Beklagten, nicht aber über die Rechtmäßigkeit der vorgebrachten Weigerungsgründe. Nichts anderes folgt aus den nachfolgenden Ausführungen des Beschlusses, die erkennbar der Begründung der Entscheidung über die Anordnung der Vorführung des Beklagten dienen. Unabhängig davon hätte das Amtsgericht sich eingehend mit den im Einzelnen vorgebrachten Gründen (insbesondere die behauptete Nadelphobie und die Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes) auseinandersetzen müssen. Nur so wäre für den Beklagten erkennbar gewesen, ob und weshalb das Amtsgerichts abschließend seine Weigerung für unberechtigt hält, ob er diese Entscheidung akzeptiert oder ob er dagegen ein Rechtsmittel einlegt.

Nichts anderes folgt auch, soweit sich das Amtsgericht im Rahmen der Begründung des angefochtenen Urteils mit den durch den Beklagten vorgebrachten Gründen befasst hat (S. 6 f. des angefochtenen Urteils). Diese Ausführungen des Amtsgerichts verhalten sich allein dazu, ob sich der Beklagte auf Grund der Weigerung so behandeln lassen müsse, als sei ein Gutachten erstellt und er selbst als Vater festgestellt worden. Ein Wille des Amtsgerichts, die durch den Beklagten vorgebrachten Gründe als unrechtmäßig abschließend und rechtsmittelfähig zu bescheiden, kann darin nicht erkannt werden. Selbst wenn aber das Amtsgericht insoweit über die Zeugnisverweigerung abschließend befunden hätte, stellt sich dies als verfahrensfehlerhaft dar. Wie bereits zuvor ausgeführt, muss zunächst das Zwischenverfahren rechtskräftig abgeschlossen werden, bevor die Endentscheidung getroffen werden kann. Eine Entscheidung erst in den Gründen des Endurteils ist wegen § 285 ZPO unzulässig (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 64. Aufl. 2006, § 387, Rn. 5). Wird erst im Endurteil über die Rechtmäßigkeit der Zeugnisverweigerung befunden, stellt sich dies daher ebenfalls als verfahrensfehlerhaft dar (RGZ 106, 57 f.).

b. Unabhängig von der Unzulässigkeit der Nichtdurchführung des Zwischenverfahrens ist noch ein weiterer wesentlicher Verfahrensmangel darin zu sehen, dass das Amtsgericht die (weitere) Durchführung einer Beweisaufnahme zu Lasten des Beklagten unterlassen hat. Die Beweisvereitelungsregel, die das Amtsgericht seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat, war hier auf Grund des Vorhandenseins einer weiteren als potenzieller Vater in Betracht kommenden Person nicht anwendbar.

Verweigert ein potenzieller Vater die Blutentnahme und wäre seine Vaterschaft aufgrund der glaubhaften Aussagen der Mutter nach § 1600 o Abs. 2 Satz 1 BGB zu vermuten, so ist er als Vater zu behandeln (Rotax/Rotax, Praxis des Familienrechts, 3. Aufl. 2007 S. 397). Wegen des geltenden Amtsermittlungsgrundsatzes (§ 12 FGG) und den schwerwiegenden Konsequenzen der Vermutungswirkung ist von einer solchen Vermutung aber nur in eng begrenzten Ausnahmefällen Gebrauch zu machen. Insbesondere muss der Verweigerer zuvor auf die Folgen seiner Weigerung hingewiesen und ihm ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben werden.

Zwar hat das Amtsgericht den Beklagten zuvor ordnungsgemäß auf die Folgen seiner Weigerung hingewiesen und ihm insoweit auch ausreichend Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Jedoch ist zu berücksichtigen, dass diese Beweisvereitelungsregelung nur dann in Betracht kommt, wenn ausschließlich der Beklagte als potenzieller Vater in Betracht zu ziehen ist. Hier ist zu beachten, dass nach den Angaben der Kindesmutter diese während der gesetzlichen Empfängniszeit - dies ist die Zeit vom 17. April 2004 bis 14. August 2004 - auch mit dem Zeugen D... geschlechtlich verkehrt hat. Daher hätte das Amtsgericht zunächst diesen Zeugen als in Betracht zu ziehenden Vater ausschließen müssen, bevor es die Beweisverteilungsregel zu Lasten des Beklagten anwenden konnte. Dazu hätte nicht allein die zeugenschaftliche Vernehmung des Zeugen D... - die das Amtsgericht ebenfalls unterlassen hat - ausgereicht, vielmehr hätte dieser dann - soweit auch nach der Vernehmung sich ergab, dass dieser tatsächlich mit der Mutter des Beklagten während der gesetzlichen Empfängniszeit geschlechtlich verkehrt hatte - in die Begutachtung einbezogen werden müssen. Schon da dies nicht geschehen ist, stellt sich die amtsgerichtliche Entscheidung als verfahrensfehlerhaft dar.

III. Die Entscheidung zum Berufungswert folgt aus § 48 Abs. 3 Satz 3 GKG.

Ende der Entscheidung

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