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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 19.07.2004
Aktenzeichen: 9 UF 89/04
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 621 e
BGB § 1603 Abs. 2
BGB § 1628
BGB § 1628 Satz 1
BGB § 1666
BGB § 1666 a
BGB § 1687 Abs. 1 Satz 1
BGB § 1687 Abs. 1 Satz 3
BGB § 1697 a
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 UF 89/04 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ..., die Richterin am Oberlandesgericht ... und den Richter am Oberlandesgericht ...

am 19. Juli 2004

beschlossen:

Tenor:

1.

Die befristete Beschwerde des Antragsgegners vom 6. Mai 2004 wird zurückgewiesen.

2.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens werden dem Antragsgegner auferlegt.

3.

Der Beschwerdewert beträgt 3.000 €.

Gründe:

Die gem. § 621 e ZPO zulässige befristete Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg.

Soweit die beteiligten Eltern über die Anmeldung ihres gemeinsamen Sohnes P... S..., geboren am 27. Juli 2002, in einer Kindereinrichtung streiten, hat das Amtsgericht zutreffend die Entscheidungsbefugnis darüber der Antragstellerin allein übertragen. Der Vorschlag der Antragstellerin über die Anmeldung des betroffenen Kindes in einer Kindertagesstätte ist gegenüber dem Vorschlag des Antragsgegners, das betroffene Kind persönlich zu betreuen, vorzugswürdig. Auf die hierfür nachfolgend dargestellten Gründe hat der Senat bereits innerhalb des die vom Antragsgegner begehrte Prozesskostenhilfe versagenden Beschlusses vom 4. Juni 2004 hingewiesen, ohne dass der Antragsgegner sich hierzu nachfolgend eingelassen hat.

1.

Leben Eltern, denen die elterliche Sorge gemeinsam zusteht, nicht nur vorübergehend getrennt, so kann derjenige Elternteil, bei dem das Kind seinen tatsächlichen Aufenthalt hat, in Angelegenheiten des täglichen Lebens sorgerechtliche Entscheidungen allein treffen. Handelt es sich dagegen um Angelegenheiten, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, so ist das gegenseitige Einvernehmen der Eltern erforderlich (§ 1687 Abs. 1 Satz 1, Satz 2 BGB). Bei Streitigkeiten, die Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung betreffen, und in denen sich die Eltern nicht einigen können, ist auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung gemäß § 1628 Satz 1 BGB einem Elternteil allein zu übertragen.

2.

Die Frage der Unterbringung des gemeinsamen Kindes in einer Kindereinrichtung hat das Amtsgericht zutreffend als Angelegenheit von erheblicher Bedeutung angesehen, wenngleich es hierzu an jeglicher Begründung des angefochtenen Beschlusses fehlt. Nach der Legaldefinition des § 1687 Abs. 1 Satz 3 BGB sind Entscheidungen in Angelegenheiten des täglichen Lebens in der Regel solche, die häufig vorkommen und die keine schwer abzuändernden Auswirkungen auf die Entwicklung des Kindes haben; im Umkehrschluss dazu sind Angelegenheit von erheblicher Bedeutung alle die, die nicht diesen Anforderungen entsprechen. Eine klare begriffliche Abgrenzung ist jedoch nicht möglich, schon wegen der Vielschichtigkeit des kindlichen Lebens wird man in der Regel nur anhand der Berücksichtigung aller Umstände des jeweiligen Einzelfalles die Abgrenzung treffen können.

Im Allgemeinen sind danach Entscheidungen, die die kindliche Entwicklung auf Dauer bestimmen dürften, von erheblicher Bedeutung für das Kind. Derartige erhebliche Bedeutung haben in der Regel Entscheidungen darüber, in welchen Einrichtungen sich das Kind künftig aufhält, z. B. zu welcher Schule es geht, ob es ein Heim oder ein Internat besucht, welche Ausbildungsstelle es antritt (vgl. nur Palandt/Diederichsen, BGB, 62. Aufl., § 1687, Rn. 7). Gemessen hieran wird man im Allgemeinen auch die Entscheidungen darüber, ob, ab welchem Alter und für wie lange das Kind eine Kindereinrichtung besuchen soll, als wesentlich für die weitere kindliche Entwicklung ansehen müssen. Dies folgt schon im Allgemeinen aus dem Umstand, dass es sich dabei für das Kind um einen regelmäßig gravierenden Einschnitt in seinem zukünftigen Tagesablauf handeln wird. Die im Wesentlichen auf seine Familie, insbesondere die Elternteile ausgerichtete Sichtweise des jungen Kindes verändert sich zumindest teilweise, wird es in eine Kindereinrichtung verbracht. Auch die Entscheidung über das Verbringen des Kindes in eine Kindereinrichtung stellt daher eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 1687 Abs. 1 Satz 1 BGB dar.

3.

Da sich die Eltern über diese wesentliche Angelegenheit nicht einigen können, ist eine Entscheidung gemäß § 1628 Satz 1 BGB auf Grund des Antrages der Antragstellerin notwendig.

Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kommt es nicht darauf an, ob die Voraussetzungen des § 1666 BGB für eine Übertragung der Entscheidungsbefugnis vorliegen; vielmehr ist gerade das Gegenteil der Fall. § 1628 BGB ist restriktiv auszulegen und auf situative Entscheidungen zu beschränken (OLG Zweibrücken, FamRZ 2001, 186), um nicht die für die Entziehung von Teilen der elterlichen Sorge nach §§ 1666, 1666 a BGB bestehenden tatbestandlichen Hürden - die im Verhältnis zu § 1628 BGB notwendigerweise höhere Anforderungen stellen - zu unterlaufen. Die Entscheidung nach § 1628 BGB hat sich an dem Wohl des Kindes zu orientieren, § 1697 a BGB, ohne dass es der Feststellung der Gefährdung des kindlichen Wohls notwendigerweise bedarf. Das Gericht hat deshalb zwischen den von den Kindeseltern vorgeschlagenen Entscheidungen über die regelungsbedürftige Angelegenheit abzuwägen, dabei die Interessen des Kindes im Einzelnen zu beachten und so festzustellen, welchem Entscheidungsvorschlag zu folgen ist.

Ein jede Fallgestaltung betreffender allgemein gültiger Erfahrungssatz darüber, ob es für die kindliche Entwicklung besser ist, wenn das Kind soweit als möglich durch die Eltern bzw. einen Elternteil ganztägig betreut wird, oder ob das Kind zumindest teilweise in eine Kindereinrichtung zur auswärtigen Betreuung verbracht wird, existiert - soweit bekannt - nicht. Gleichwohl kann nicht verkannt werden, dass gerade der Besuch einer Kindereinrichtung eine der gängigsten Möglichkeiten zur Förderung von Sozialkontakten darstellt und vielfach eine optimale Vorbereitung auf die gerade mit der Teilnahme an der allgemeinen Schulausbildung verbundenen verstärkten Kontakten insbesondere zu Kindern unterschiedlichster Altersgruppen darstellt.

Von wesentlicher Bedeutung ist im konkreten Fall, dass ärztlicherseits der Besuch der Kindergruppe zur Förderung der weiteren kindlichen Entwicklung angeraten wird (vgl. die ärztlichen Stellungnahmen Bl. 5 und 12 d. A.). Schon dies spricht dafür, dem Kind durch die Unterbringung in einer Kindergruppe tatsächlich bessere Förderungsmöglichkeiten bei dem Erlernen von Sozialverhalten zu verschaffen.

Weiter sind die tatsächlichen Betreuungsmöglichkeiten der Elternteile zu berücksichtigen. Die Antragstellerin beabsichtigt, eine Arbeitstätigkeit aufzunehmen, und begehrt schon aus diesem Grunde die Unterbringung des Kindes für die Zeit ihrer Erwerbstätigkeit. Soweit der Antragsgegner sich für die Zeit der Erwerbstätigkeit der Antragstellerin als Aufsichtsperson anbietet, erscheint dies bei Berücksichtigung seiner mangelnden Erwerbstätigkeit zwar zunächst ebenfalls als ein gangbarer Weg. Jedoch ist der Antragsgegner darauf hinzuweisen, dass er bislang - soweit erkennbar - seiner gesteigerten Erwerbsobliegenheit, die ihn als Barunterhaltsverpflichteten aus § 1603 Abs. 2 BGB trifft, nicht nachgekommen ist. Jedenfalls hat er sich vergleichbar der arbeitstäglichen Zeit eines Erwerbstätigen um Arbeit zu bemühen. Von ihm als gesteigert Erwerbspflichtigen kann deshalb verlangt werden, dass er den für eine vollschichtige Erwerbstätigkeit notwendigen Zeitaufwand für die Suche nach Arbeit einsetzt (OLG Jena, OLG-Report 2004, 164, 165; ständige Rechtsprechung des Senats, Brandenburgisches OLG, NJWE-FER 2001, 70 ff. - jeweils zum Unterhaltsrecht -). Würde sich der Antragsgegner also auf die teilweise Betreuung des Kindes zurückziehen, so verletzt er damit zugleich seine der Sicherung des kindlichen Bedarfes dienende Barunterhaltsverpflichtung. Letztendlich bietet auf Grund dieser Verpflichtung der Antragsgegner die gleichen Voraussetzungen für eine Betreuung des Kindes wie die eine Erwerbstätigkeit anstrebende Antragstellerin.

4.

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 13 a Abs. 1 S. 2 FGG, 30 Abs. 2 und Abs. 3, 131 Abs. 2 KostO.

Ende der Entscheidung

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