Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 05.11.2009
Aktenzeichen: 9 UF 94/09
Rechtsgebiete: BGB, ZPO


Vorschriften:

BGB § 1626 a Abs. 1 Nr. 1
BGB § 1626 a Abs. 2
BGB § 1672 Abs. 1
ZPO §§ 517 ff.
ZPO § 621 Abs. 1 Nr. 1
ZPO § 621e
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die Beschwerde der Kindesmutter wird der Beschluss des Amtsgerichts Lübben vom 17. Juli 2009 - Az. 30 F 154/09 - mit Wirkung vom 5. November 2009 aufgehoben mit der Folge, dass die elterliche Sorge für S... K... nunmehr wieder der Kindesmutter allein zusteht.

Von der Kostenerhebung für das erstinstanzliche Verfahren ist abzusehen.

Das Beschwerdeverfahren ist gerichtskostenfrei. Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren wird auf 3.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe:

I.

Die Beteiligten zu 1. und 2. sind die Eltern der am .... Juni 1995 geborenen S... K.... Die Kindeseltern waren nicht miteinander verheiratet, leben seit 1998 voneinander getrennt und haben auch keine gemeinsame Sorgeerklärung nach § 1626 a Abs. 1 Nr. 1 BGB abgegeben, sodass die Kindesmutter allein Inhaberin des elterlichen Sorgerechts war (§ 1629 a Abs. 2 BGB). Nach einem mehrjährigen Aufenthalt im Haushalt der Großeltern väterlicherseits hatte S... seit 2002/2003 ihren Lebensmittelpunkt im mütterlichen Haushalt. Dort lebt auch ihr heute rund 7-jähriger (Halb-)Bruder Patrick.

Während eines Krankenhausaufenthalts vom 7. bis 20. Mai 2009 hat sich S... - wohl in erster Linie überfordert durch die Diagnose einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung bei gleichzeitiger Abwesenheit der Kindesmutter - entschlossen, nicht mehr bei der Mutter leben, sondern in den väterlichen Haushalt ziehen zu wollen. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus hat S... ihren ständigen Aufenthalt beim Vater genommen. Auch die Kindesmutter hat sich diesem Wunsch der Tochter nicht verschließen wollen, allerdings den Kindesvater mit Schreiben vom 19. Mai 2009 (Bl. 3 d.A.) zugleich unmissverständlich aufgefordert, sich unter Anrufung des Gerichts um das alleinige Sorgerecht um S... zu bemühen. Dieser Aufforderung folgend hat der Kindesvater am 20. Mai 2009 auf Übertragung des alleinigen elterlichen Sorgerechts für S... angetragen.

Das Amtsgericht hat nach Einholung einer Stellungnahme des Jugendamtes, Anhörung von S... am 22. Juni 2009 und ausführlicher Erörterung mit den übrigen Verfahrensbeteiligten im Anhörungstermin am 2. Juli 2009 mit Beschluss vom 17. Juli 2009 das alleinige elterliche Sorgerecht für S... K... mit Zustimmung der Kindesmutter auf den Kindesvater übertragen.

Gegen diese Entscheidung hat die Kindesmutter am 22. Juli 2009 befristete Beschwerde eingelegt. Sie verweist unter Vorlage zweier Schreiben der Tochter darauf, dass diese zwischenzeitlich wieder in den mütterlichen Haushalt zurückkehren wolle. Aufgrund dieser Sachlage wolle sie - die Kindesmutter - an ihrer Zustimmung zur Übertragung der elterlichen Sorge auf den Kindesvater nicht festgehalten werden.

Der Kindesvater hat betont, dass er sich nicht aus eigenem Antrieb um das Sorgerecht für seine Tochter bemüht habe, sondern von Mutter und Tochter dazu veranlasst worden sei. Er habe sich - überraschend mit dem Wechselwunsch seiner Tochter konfrontiert - seit Mai 2009 mit erheblichem Aufwand bemüht, die kurzfristige Aufnahme von S... im eigenen Haushalt zu realisieren und das Familienleben - er und seine Lebensgefährtin erwarteten selbst ein (erstes) gemeinsames Kind - für seine Tochter so angenehm wie möglich zu gestalten und ihr in ihrer besonderen Situation zu helfen. Er sei auch weiterhin in erster Linie am Wohl der Tochter interessiert, akzeptiere deren Rückkehrwunsch in den mütterlichen Haushalt und wolle sich einer alle Beteiligten zufrieden stellenden Lösung nicht verschließen.

S... lebt nach einem weiteren Krankhausaufenthalt seit dem 23. Juli 2009 wieder im Haushalt der Mutter.

II.

Die gemäß §§ 621e, 621 Abs. 1 Nr. 1, 517 ff. ZPO zulässige befristete Beschwerde der Kindesmutter führt insoweit zum Erfolg, als der Kindesmutter aufgrund veränderter Sachlage wieder das alleinige elterliche Sorgerecht einzuräumen war und deshalb der angefochtene Beschluss keinen Bestand mehr haben konnte.

Die angefochtene Entscheidung beruht - zum damaligen Zeitpunkt sachlich zutreffend - auf § 1672 Abs. 1 BGB. Danach kann die nach § 1626 a Abs. 2 BGB allein sorgeberechtigte Mutter einer Übertragung der elterlichen Sorge oder von Teilen davon auf den Kindesvater allein zustimmen. Einem darauf gestützten Antrag des Kindesvaters ist stattzugeben, wenn die Übertragung dem Wohl des Kindes dient. Die Ausführungen des Amtsgerichts hierzu in der angefochtenen Entscheidung begegnen - bezogen auf den damaligen Erkenntnisstand - keinerlei Bedenken und werden insoweit von den Beteiligten auch nicht ernstlich in Zweifel gezogen.

Nachdem sich die Kindesmutter im Ergebnis des - am 23. Juli 2009 tatsächlich umgesetzten - Wunsches von S... nach Rückkehr in den mütterlichen Haushalt jetzt nicht mehr an ihrer seinerzeit erteilten Zustimmung festhalten lassen will, fehlt es - inzwischen - schon an dieser formalen Voraussetzung für die Übertragung des alleinigen elterlichen Sorgerechts auf den Kindesvater nach § 1672 Abs. 1 BGB. Tatsächlich ist die Kindesmutter an die einmal erteilte Zustimmung nicht gebunden; sie kann sie bis zur Entscheidung in der letzten Tatsacheninstanz frei widerrufen (vgl. Bauer in jurisPK-BGB, 4. Aufl., 2008, § 1672 Rdnr. 14; BGH NJW-FER 2000, 278) und dadurch die Voraussetzungen für das Wiederaufleben der ihr nach § 1626a Abs. 2 BGB zustehenden alleinigen elterlichen Sorge schaffen.

Ohne dass es in dieser hier vorliegenden Fallkonstellation darauf ankäme, kann der Senat im Übrigen feststellen, dass diese Entscheidung dem Wohl des Kindes dient, diesem jedenfalls nicht entgegensteht. Der Senat hat nach der persönlichen Anhörung von S... die sichere Überzeugung gewonnen, dass es sich bei dem Wechselwunsch im Mai 2009 um eine Kurzschlussreaktion gehandelt hat, die dadurch eine besondere Eigendynamik entwickelt hat, dass die Kindesmutter - in einer aus der Enttäuschung über die Abkehr ihrer Tochter zwar menschlich verständlichen, zugleich aber sicherlich überzogenen und wenig souveränen Reaktion - den Kindesvater zugleich ultimativ aufgefordert hat, die Übertragung der gesamten elterlichen Verantwortung gerichtlich durchzusetzen. S... hat - wie sie dem Senat glaubhaft vermittelt hat - dann während des Aufenthalts bei ihrem Vater sehr starkes Heimweh nach dem ihr über die Jahre eng vertrauten Familienleben im mütterlichen Haushalt entwickelt, das Zusammensein mit Mutter und (Halb-)Bruder vermisst, sich deshalb unglücklich gefühlt und den vorangegangenen Entschluss bereut. Sie hat deshalb den ernsthaften Wunsch geäußert, in den mütterlichen Haushalt zurückzukehren. Diesem Wunsch haben die Kindeseltern entsprochen. Der Senat erwartet nach dem persönlichen Eindruck von S... nicht, dass es in der näheren Zukunft einen erneuten Sinneswandel geben wird. Der ursprüngliche Wechselwunsch war vor dem Hintergrund der besonderen Ereignisse im Mai 2009 von Unsicherheit über ihre gesundheitliche Situation und Verlassensängsten getragen, menschlich verständlich, aber mit Blick auf die Konsequenzen noch wenig durchdacht. Inzwischen macht S... einen für ihr Alter sehr reifen Eindruck. Sie hat sich mit ihrer Erkrankung eingehend beschäftigt und ist daran offenbar deutlich gewachsen. Sie hat die besondere Bindung an die tschechische Großfamilie glaubhaft vermittelt und insbesondere auch deutlich gemacht, dass sie ein von der Kindesmutter immer noch ins Auge gefasster Umzug nach Z... nicht nur nicht schreckt, sondern sie diesen wegen der größeren Nähe zur Großfamilie mütterlicherseits sogar begrüßen würde.

Nach alledem war das alleinige elterliche Sorgerecht der Kindesmutter wieder herzustellen und der angefochtene Beschluss aufzuheben.

III.

Eine Kostenentscheidung nach § 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG ist nicht veranlasst.

Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf §§ 94 Abs. 3 Satz 2, 2. HS; 131 Abs. 1 Satz 2 KostO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 30 Abs. 2 KostO.

Die Zulassung der Rechtsbeschwerde nach §§ 621 e Abs. 2 Nr. 1 ZPO ist nicht veranlasst, da weder die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erfordert, § 543 Abs. 2 ZPO.

Ende der Entscheidung

Zurück