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Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 01.03.2001
Aktenzeichen: 9 WF 177/00
Rechtsgebiete: ZPO, BGB


Vorschriften:

ZPO § 620 c S. 1
ZPO § 620 g
ZPO § 97 Abs. 1 od. Abs. 2
BGB § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 WF 177/00 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 01.03.2001

Verkündet am 01.03.2001

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die sofortige Beschwerde der Antragsgegnerin vom 8. September 2000 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Oranienburg vom 24. August 2000 auf der Grundlage der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2001 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Seidel, die Richterin am Oberlandesgericht Surkau und den Richter am Amtsgericht Götsche

beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluss wird abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Im Wege der einstweiligen Anordnung wird der Antragsgegnerin das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Tochter D S, geboren am, übertragen.

Eine Kostenentscheidung unterbleibt.

Der Beschwerdewert beträgt 1.500,00 DM.

Gründe:

Die gemäß § 620c S. 1 ZPO zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Beschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Sie fuhrt zur Abänderung der angefochtenen Entscheidung dahingehend, dass der Antragsgegnerin das alleinige Aufenthaltsbestimmungsrecht für die gemeinsame Tochter vorläufig zu übertragen ist.

Gemäß § 1671 Abs. 1, Abs. 2 Ziff. 2 BGB ist bei Eltern, die nicht nur vorübergehend voneinander getrennt leben, die elterliche Sorge einem Elternteil allein zu übertragen, wenn bei widerstreitenden Anträgen zum Sorgerecht zu erwarten ist, dass die Aufhebung der gemeinsamen Sorge und die Übertragung auf einen Elternteil dem Wohl des Kindes am Besten entspricht. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nach der gesetzlichen Konzeption kein Regel-Ausnahme-Verhältnis in dem Sinne besteht, dass eine Priorität zu Gunsten der gemeinsamen elterlichen Sorge besteht und die Alleinsorge eines Elternteils nur in Ausnahmefällen als "ultima ratio" in Betracht kommen sollte (BGH NJW 2000, 203 f. m. w. N.). Danach ist zu prüfen, inwieweit beide Eltern uneingeschränkt zur Pflege und Erziehung des Kindes geeignet sind, ob ein gemeinsamer Wille zur Kooperation besteht und ob keine sonstigen Gründe vorliegen, die es im Interesse des Kindeswohls gebieten, das Sorgerecht nur einem Elternteil zu übertragen (BVerfG FamRZ 1982, 1179). Das Kindeswohl hat sich dabei an den Grundsätzen der Kontinuität, der Förderung, der Bindungen des Kindes an seine Eltern und an seine Geschwister sowie am geäußerten Willen des Kindes zu orientieren (BGH FamRZ 1990, 392, 393).

Die dargestellten Grundsätze gelten uneingeschränkt auch, soweit es nur um Teilbereiche der elterlichen Sorge geht. In besonderem Maße trifft dies auf das - im vorliegenden Fall streitige - Aufenthaltsbestimmungsrecht zu, da es sich bei dieser Entscheidung über den künftigen Lebensmittelpunkt des Kindes um eine Angelegenheit von erheblicher Tragweite für das Kind handelt. Auch soweit die Eltern lediglich die vorläufige Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrecht begehren, ist die Entscheidung an den dargestellten Grundsätzen - im Rahmen einer summarischen Prüfung - zu messen.

Die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge hinsichtlich des Aufenthaltsbestimmungsrecht hat zu erfolgen, da es an der Kooperationsbereitschaft der Eltern hinsichtlich der Frage des Lebensmittelpunktes des Kindes fehlt; es kann auch nicht festgestellt werden, dass zukünftig die Aussicht auf eine (erneute) Einigung der Eltern hinsichtlich der Aufenthaltsbestimmung besteht. Hinzu kommt der praktische Umstand, dass die Eltern in größerer räumlicher Entfernung voneinander getrennt leben. Zwar spricht eine größere räumliche Entfernung nicht unmittelbar gegen die Ausübung gemeinsamer elterlicher Sorge; die Entfernung zwischen den Wohnorten ist jedoch bei der Beurteilung des Kindeswohls als weiterer Umstand mit zu berücksichtigen.

Für die Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechtes auf die Antragsgegnerin spricht bereits der Grundsatz der Kontinuität, wonach es auf die Frage ankommt, welcher Elternteil in der Vergangenheit die größeren Erziehungsanteile inne gehabt hat. Der Kontinuitätsgrundsatz beruht auf der Erfahrung, dass die Fortdauer familiärer und sozialer Bindungen wichtig für eine stabile und gesunde psychosoziale Entwicklung des heranwachsenden Menschen ist. Deshalb empfiehlt sich eine Sorgerechtsübertragung auf denjenigen Elternteil, der die Einheitlichkeit, Gleichmäßigkeit und Stabilität des Erziehungsverhältnisses und seiner äußeren Umstände gewährleisten kann (OLG Düsseldorf FamRZ 1995, 1511,1513; Oelkers in: Handbuch des Fachanwalts Familienrecht, 3. Aufl. 2001, S. 296 f.); ein häufiger Wechsel der Bezugs- und Betreuungsperson insbesondere bei jüngeren Kindern im Vorschulalter gilt als schädlich (BVerfG NJW 1983, 101, 102; Oelkers S.253). Gerade bei im Wesentlichen gleicher Erziehungseignung beider Elternteile kommt dem Kontinuitätsgrundsatz ausschlaggebende Bedeutung zu (OLG Nürnberg FamRZ 1996, 563, 564; Oelkers a.a.O.).

Nach dem unstreitigen Sachvortrag beider Parteien hat die Antragsgegnerin in der Vergangenheit die größeren Erziehungsanteile gehabt. Sie hat sich in vollem Umfange der Versorgung und Erziehung der Tochter in deren ersten Lebensjahren gewidmet. Dieser Zustand wurde auch nach der Trennung der Eheleute bis in den Mai des Jahres 2000 hinein beibehalten. Erst im Anschluss an die in der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2000 vor dem Amtsgericht getroffenen Vereinbarung der wechselseitigen Aufenthalte der Tochter jeweils bei Mutter und Vater und sodann durch den dauerhaften Aufenthalt der Tochter seit August 2000 beim Vater ist diese Kontinuität unterbrochen worden. Schon in zeitlicher Hinsicht spricht danach der Grundsatz der Kontinuität für die Antragsgegnerin, die in den ersten etwa 6,5 Jahren die überwiegenden Erziehungsanteile geleistet hat. Aber auch in persönlicher Hinsicht kommen der Antragsgegnerin damit die größeren Anteile bei der Entwicklung des Kindes zu. Gerade nach Abschluss des Kleinkindalters, wenn Kinder etwa 4 bis 5 Jahre alt sind, kommt der Kontinuität eine verstärkte Bedeutung zu (OLG Nürnberg, FamRZ 1996, 563, 564). Auch nach dem Abschluss des Kleinkindalters hat sich im Wesentlichen die Antragsgegnerin um die Tochter gekümmert, diese betreut und versorgt. Dies spricht dafür, die in der Vergangenheit gegebene Betreuungssituation auch zukünftig fortzusetzen.

Andererseits kann der Grundsatz der Kontinuität nicht losgelöst davon gesehen werden, daß dem Kind auch im Grundsatz die vertraute Umgebung erhalten bleiben soll. Neben den Erziehungsanteilen eines Elternteils kommt gerade auch der Erhaltung der vertrauten Umgebung eine große Bedeutung zu. Hierauf hat die Gutachterin - auch - abgestellt und ausgeführt, gerade der Erhalt der bestehenden Verbindungen in H sei für die Tochter von Bedeutung. In diesem Rahmen ist auch zu berücksichtigen, bestehende Bindungen zu anderen Verwandten - insbesondere zu Großeltern (OLG Frankfurt FamRZ 1990, 550) - beizubehalten, wie dies hier seitens der Mutter des Antragstellers der Fall ist, die - unstreitig -auch in der Vergangenheit sich teilweise um das Kind gekümmert hat.

Gleichwohl führt der Erhalt der vertrauten Umgebung nicht dazu, das Aufenthaltsbestimmungsrecht dem Vater zu belassen. Die Anwendung des Kontinuitätsgrundsatzes darf - gleich aus welchem Aspekt - nicht dazu führen, dass eine gleichmäßige, jedoch dem Kindes wohl weniger zuträglichen Entwicklung unter Vernachlässigung anderer Aspekte des Kindeswohls fortgeführt wird (OLG München, FamRZ 1991, 1343, 1345). So kann die Fortsetzung der bisherigen Betreuungssituation für das Kind sich als so wichtig darstellen, dass den betreuenden Elternteil das Aufenthaltsbestimmungsrecht oder Sorgerecht zugesprochen wird, obgleich er einen radikalen Umgebungswechsel vornimmt (OLG Nürnberg, FamRZ 1996, 563, 564). Die gewachsenen Bindungen der Tochter an die Mutter, die auch bei der persönlichen Anhörung der Tochter durch den Senat zum Ausdruck gekommen sind, erscheinen hier so wesentlich, dass die Fortsetzung der bisherigen Betreuungssituation gegenüber der Fortsetzung der gewohnten Umgebung Vorrang genießt.

Darüber hinaus spricht auch der sogenannte Förderungsgrundsatz, bei dem die Frage im Mittelpunkt steht, welcher Elternteil in der Zukunft besser in der Lage sein wird, das Kind zu fördern, zugunsten der Antragsgegnerin. Zwar sind beide Eltern in gleichem Maße erziehungsgeeignet; diesen nachvollziehbaren Ausführungen der Sachverständigen in ihrem (mündlich und schriftlich erstatteten) Gutachten schließt sich der Senat auch unter Berücksichtigung des eigenen in der mündlichen Verhandlung vom 8. Februar 2001 gewonnenen persönlichen Eindruckes von den Eltern an. Gleichwohl kann nicht verkannt werden, dass eine persönliche Betreuung durch die Antragsgegnerin derzeit besser als durch den Antragsteller gewährleistet werden kann.

Es entspricht einer gesicherten psychologischen Erfahrung, dass die persönliche Betreuung durch einen Elternteil dem Kindeswohl regelmäßig eher entspricht als eine fremde Betreuung durch Großeltern oder den neuen Lebenspartner des Elternteils (BVerfG FamRZ 1981, 124, 126). Nach seinen eigenen Erklärungen innerhalb der persönlichen Anhörung vor dem Senat kann der Antragsgegner eine Betreuung oder Versorgung des Kindes ohne Zuhilfenahme Dritter nicht in vollem Umfange gewährleisten; so bezeichnet er seinen Anteil bei dem Verbringen/Abholen des Kindes von bzw. zur Schule/Hort hin auf etwa 70 %. Im Übrigen hat auch die Tochter selbst bei ihrer persönlichen Anhörung klargestellt, dass die Betreuung durch den Vater nicht kontinuierlich, sondern einerseits von seinen - teilweise schwankenden - Arbeitszeiten und andererseits von seinem persönlichen Lebensstil abhängt. So kam in der Anhörung des Kindes deutlich zum Ausdruck, dass auch an den Wochenenden das Kind vielfach seine Freizeit mit anderen Personen (den bereits zuvor genannten, aber auch mit Freunden) verbringt, wobei die Tochter erkennbar eine stärkere Einbeziehung des Vaters in die Betreuungssituation begehrte. Hinzu kommt, dass freitags nach der Schule in vollem Umfange die Versorgung der Tochter durch seine Großmutter - die Mutter des Antragstellers - erfolgt und im Übrigen ein erheblicher Versorgungsanteil auf seine neue Lebensgefährtin entfällt. Dabei kann nicht verkannt werden, dass auch der neuen Lebensgefährtin gemäß den Ausführungen der Gutachterin eine besondere Bedeutung in dem Leben des Kindes zukommt, da sich hier eine stabile Beziehung entwickelt hat. Gleichwohl ist - wie zuvor dargestellt - die persönliche Betreuung durch den leiblichen Elternteil in den Vordergrund zu stellen.

Dagegen ist die Mutter schon jetzt von ihrer persönlichen Situation her in der Lage, eine Betreuung des Kindes im Wesentlichen ohne Zuhilfenahme Dritter gewährleisten zu können. Ihre Arbeitszeiten stellen sich so dar, dass sie selbst das Kind zur Schule - die sich zudem in unmittelbarer Nähe ihrer Wohnung befindet - verbringen und vom Hort abholen kann. Auch in sonstiger Hinsicht wäre die vollständige Versorgung durch sie möglich. Hinzu kommt, dass die Antragsgegnerin bei ihrer persönlichen Anhörung vor dem Senat auch ihre Bereitschaft erklärt hat, für den Fall des Wohnens der Tochter bei ihr eine Halbtagsbeschäftigung anzunehmen, um sich ggfls. in noch stärkerem Umfange um die Tochter kümmern zu können.

Aber auch die Bindungstoleranzen der Parteien lassen den Förderungsgrundsatz zugunsten der Mutter bedeutsam erscheinen. Unter Bindungstoleranz versteht man die Fähigkeit der Eltern, bei einem Streit um das Sorgerecht den spannungsfreien Kontakt zum anderen Elternteil zuzulassen (Oelkers, a.a.O., S. 301).

Allerdings ist nicht zu verkennen, dass auch auf Seiten der Antragsgegnerin Bedenken an deren Bindungstoleranz bestehen. So ist es nach der Trennung der Elternteile zu Schwierigkeiten in dem Umgang des Vaters mit dem bei der Mutter lebenden Kind gekommen. Zwar ist zwischen den Parteien im Einzelnen streitig, worauf diese Schwierigkeiten beruhten; jedoch muss sich die Antragsgegnerin hierzu den Vorwurf gefallen lassen, dass auch aus ihren eigenen schriftsätzlichen und persönlichen Erklärungen nichts dafür entnommen werden kann, welche eigenen Anstrengungen sie unternommen hat, um einen geregelten Umgang des Kindes mit dem Vater in dieser Zeit zu gewährleisten und zu fördern. Gerade die Motivation des Kindes zur Inanspruchnahme des Umganges stellt aber einen wesentlichen Teil der für die Bindungstoleranz zugrunde zu legenden elterlichen Fähigkeiten dar.

Andererseits hat etwa ab Ende 1999 der Umgang im Wesentlichen ohne Probleme stattgefunden; bei seiner persönlichen Anhörung vor dem Senat hat der Antragsteller dies bestätigt. Zudem hat die Antragsgegnerin vor dem Senat glaubhaft erklärt, dem Kind keinerlei Einschränkungen in der Wahrnehmung des Umgangs aufzuerlegen und das Kind hierzu auch in geeigneter Form motivieren zu wollen. Dies lässt zukünftig erwarten, dass bei einem Verbleib des Kindes bei der Mutter ein spannungsfreier Kontakt zum Vater bestehen bleiben bzw. aufgebaut werden kann.

Diese Erwartung besteht derzeit auf Seiten des Antragstellers zumindest nicht uneingeschränkt. So ist es seit der angefochtenen Entscheidung des Amtsgerichtes lediglich Ende September 2000, zweimal im November 2000 und ab dem 23. bis zum 27. Dezember 2000 zu Umgangswochenenden bzw. Umgängen der Mutter mit dem Kind gekommen; zuletzt am 4. Februar 2001 hat für fünf Stunden in E ein solcher Umgang stattgefunden. Schon der Umfang dieser Umgangstermine lässt Bedenken daran aufkommen, dass der Vater einen regelmäßigen Umgang gewährleisten kann. Auf die Nachfrage des Senates, welche eigenen Anstrengungen er unternommen habe, den Umgang zu gewährleisten und das Kind hierfür zu motivieren, hat der Vater zudem mit Unverständnis reagiert; aus seiner Sicht stellt es sich vielmehr so dar, daß die Mutter ihrerseits die Kontakte wahrzunehmen oder auf seine eigenen Vorschläge einzugehen habe. Ferner hat er keine Bereitschaft dazu erklärt, für den Fall der Wahrnehmung von Umgangsrechtswochenenden - sei es durch ihn, sei es durch die Antragsgegnerin - nach E zu fahren, da dies für ihn eine zu hohe Belastung angesichts der Strassenverkehrsverhältnisse bedeute, zumal er die Wochenenden zur persönlichen Erholung benötige; lediglich einmal im Monat käme dies für ihn in Betracht. Eine Fahrt nach E mit der Bahn kam für ihn dagegen nicht in Betracht. Dies deutet sowohl auf eine mangelnde Bereitschaft zur Förderung des Umganges des Kindes mit der Mutter in dessen wohlverstandenem Interesse, sondern eher daraufhin, daß der Antragsteller die Bedürfnisse und Interessen der Tochter nicht in ein ausgewogenes Verhältniss zu seinen eigenen Interessen und Bedürfnissen stellt.

Darüber hinaus bestehen auch Bedenken daran, dass der Antragsteller einen Umgang zwischen der Antragsgegnerin und der Tochter spannungsfrei gewährleisten würde. Dies zeigt insbesondere der Vorfall vom 25. August 2000 beispielhaft. Obgleich bereits am Vorabend das Fieber der Tochter einsetzte und obgleich bereits etwa morgens gegen 6:30 Uhr der Vater vom Schlafen aufstand und daher spätestens ab dieser Zeit die Möglichkeit bestand, die Kindesmutter über das Fieber und die daraus folgende fehlende Transportfähigkeit der Tochter nach E zu informieren, hat der Antragsteller gleichwohl erst fünf Minuten vor dem vereinbarten Termin auf dem Bahnhof die Mutter per Handy angerufen und entsprechend informiert. Auf die Nachfrage des Senates, weshalb keine frühere Benachrichtigung der Antragsgegnerin - die dann möglicherweise anstelle der Lebensgefährtin des Antragstellers selbst das Kind zum Arzt hätte bringen können - erfolgte, hat der Antragsteller lediglich mit Unverständnis reagiert und hierzu keine weitere Erklärung für dieses gegenüber seiner Ehefrau wenig sensible Verhalten abgegeben. In gleicher Hinsicht deutet sich auch das Verhalten des Antragstellers bei der Einschulung der Tochter und den damit verbundenen Feierlichkeiten. Übereinstimmend haben die Eltern vor dem Senat erklärt, dass die Antragsgegnerin bewusst zur Feierlichkeit nicht eingeladen worden ist, insbesondere wegen der bestehenden persönlichen Spannung zu der neuen Lebensgefährtin des Antragstellers. Insoweit hätte es nahegelegen, die Feierlichkeiten lediglich im Beisein beider Elternteile - ggf. ohne die neue Lebensgefährtin - stattfinden zu lassen, da bei diesem Anlaß für das Kind Hauptbezugspersonen erkennbar beide Elternteile waren. Gleichwohl hat auch hierzu der Antragsteller erklärt, dazu keine Veranlassung gesehen zu haben, da auch seine neue Lebensgefährtin eine wesentliche Bezugsperson für ihn und seine Tochter sei.

Mag der Antragsteller bei den geschilderten Verhaltensweisen auch nicht bewusst eine Verdrängung der Antragsgegnerin in Kauf genommen haben, so spricht sein tatsächliches Verhalten und seine vor dem Senat zum Ausdruck gekommene Uneinsichtigkeit in sein auf das Verhältnis von Mutter und Tochter wenig Rücksicht nehmendes Verhalten dafür, keinen reibungslosen Umgang gewährleisten zu können.

Ferner sprechen auch die stärkeren Bindungen des Kindes an ihre Mutter für den Verbleib bei ihr. Soweit die Gutachterin ausgeführt hat, die Tochter besitze in etwa gleich starke gefühlsmäßige Bindungen an beide Elternteile, kann der Senat dem aufgrund des bei der persönlichen Anhörung des Kindes gewonnenen eigenen Eindruckes nicht folgen. Zwar hat das Kind ausdrücklich erklärt, beim Vater wohnen zu wollen. Auf die Nachfrage des Senates, wo das Kind denn würde leben wollen, wenn beide Elternteile im gleichen Ort wohnen würden, hat das Kind ohne jedes Zögern geäußert:

"Dann würde ich lieber bei der Mutter wohnen und den Vater regelmäßig besuchen". Dies lässt erkennen, dass das Kind wesentlich unter der örtlichen Trennung der Elternteile leidet, gleichwohl aber gefühlsmäßig stärkere Bindungen zu der Kindesmutter besitzt. Diese Beurteilung entspricht auch den gesicherten kinderpsychologischen Erkenntnissen darüber, dass in den ersten 18 Lebensmonaten eine für die spätere gesunde Entwicklung wesentliche Bedeutung zu den Personen aufgebaut wird, die die tatsächliche Betreuung des Kindes in dieser Zeit leisten; elementar erscheinen hier die Bindungen an die Antragsgegnerin, die in den anfänglichen Lebensjahren sich überwiegend um die Tochter gekümmert hat.

Dem von der Tochter geäußerten Willen, beim Vater weiterhin leben zu wollen, war dagegen nicht zu folgen. Der Kindeswille ist für sich gesehen regelmäßig nicht entscheidend. Auch im konkret zu entscheidenden Fall kommt diesem Willen nach Auffassung des Senates - entgegen der von der Gutachterin geäußerten Auffassung - keine streitentscheidende Bedeutung zu. Zwar ist auch der Kindeswille als Grundlage der Entscheidung über das Sorgerecht zu berücksichtigen; insbesondere bei wachsendem Alter kommt diesem Willen in zunehmenden Maße Bedeutung zu. Andererseits hat der Senat erhebliche Zweifel daran, dass es sich bei dem von der Tochter geäußerten Willen tatsächlich um deren wirklichen und unbeeinflussten Willen handelt.

Dafür spricht zunächst der bereits geschilderte Umstand, dass die Tochter für den unterstellten Fall des Wohnens beider Elternteile im gleichen Ort spontan den Verbleib bei der Mutter geäußert hat. Weiter sieht der Senat aufgrund der Äußerungen der Tochter bei ihrer persönlichen Anhörung erhebliche Anzeichen dafür, dass eine - sei es bewusste, sei es unbewusste - Beeinflussung des Willens der Tochter durch den Antragsteller bzw. dessen Lebensgefährtin stattgefunden hat. So hat die Tochter geäußert, der Antragsteller und S (die neue Lebensgefährtin des Antragstellers) hätten ihr mehrfach gesagt, wenn sie bei der Mutter leben würde, könne sie die beiden nicht mehr so oft sehen; vielmehr müsste die Mutter sie dann zu ihnen bringen. Aus Sicht des Senates spricht dies dafür, dass hier Verlustängste durch den Vater und dessen Lebensgefährtin auf Seiten des Kindes aufgebaut wurden. Das Kind scheint zu verinnerlichen, ein Umgang mit beiden Elternteilen sei besser dann gewährleistet, wenn es beim Vater verbleibe; umgekehrt würde der Verbleib bei der Mutter jedenfalls eine Gefährdung in dem Kontakt zum Vater (und dessen Lebensgefährtin) beinhalten.

Dass eine Einflussnahme möglicherweise auch seitens der Mutter stattgefunden hat, konnte dagegen nicht festgestellt werden; im Gegenteil dazu hat das Kind geäußert, die Mutter habe ihr stets erklärt, auch wenn sie bei ihr leben würde, könne sie den Vater jederzeit besuchen.

Die geschilderten Kriterien führen in ihrer Gesamtbetrachtung dazu, der Kindesmutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht zuzusprechen. Bedenken hieran bestehen auch nicht deshalb, weil die Tochter einen gegenteiligen Willen geäußert hat und deshalb die Befürchtung besteht, dieser Wille könne nicht übergangen werden, ohne dass das Kind in seiner Existenz gefährdet würde. Insoweit schließt sich der Senat den überzeugenden Ausführungen der Sachverständigen an; das Kind besitzt bereits eine gereifte Persönlichkeit, eine Gefährdung der kindlichen Persönlichkeit ist weder zu erwarten, wenn das Kind bei dem Vater noch bei der Mutter lebt. Auch die Tochter selbst hat bei ihrer Anhörung keine Anzeichen dafür gezeigt, für den Fall des Verbleibs bei der Mutter Schädigungen ausgesetzt zu sein. So hat die Tochter lediglich Befürchtungen im Hinblick auf die Gewährleistung des Umganges mit dem Vater, nicht aber auf die sonstigen Lebensbedingungen bei der Mutter geäußert.

Gemäß § 620 g ZPO hat die Kostenentscheidung zu unterbleiben. Eine Kostenentscheidung wäre nur dann zu treffen, wenn ein Fall des § 97 (Abs. 1 oder Abs. 2) ZPO vorläge; da die Voraussetzungen hier nicht erfüllt sind, greift der allgemeine Grundsatz ein, dass in einem Beschluss, der einer Beschwerde stattgibt, über die Kosten der Beschwerdeinstanz nur dann zu entscheiden ist, wenn im angefochtenen Beschluss über die Kosten zu entscheiden war (Zöller/Philippi, a.a.O., § 620 g Rdnr. 8). Da nach § 620 g ZPO das Amtsgericht zu Recht in dem angefochtenen Beschluss nicht über die Kosten entschieden hat, war auch hinsichtlich der erfolgreichen Beschwerde nicht über die Kosten zu entscheiden.

Ende der Entscheidung

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