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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 24.10.2008
Aktenzeichen: 9 WF 300/08
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 124 Nr. 1
ZPO § 124 Nr. 2
ZPO § 124 Nr. 2 1. Alt.
ZPO § 124 Nr. 3
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 3
ZPO §§ 569 ff
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 11. September 2008 - Az. 21 F 33/08 - aufgehoben.

Die Sache wird zur erneuten Prüfung und Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag des Antragstellers vom 18. August 2008 an das Amtsgericht zurückverwiesen.

Gründe:

1. Dem Antragsteller war ursprünglich mit Beschluss des Amtsgerichts Bad Liebenwerda vom 8. Mai 2008 antragsgemäß für das von ihm eingeleitete Scheidungsverfahren ratenfreie Prozesskostenhilfe bewilligt worden. Diese Bewilligung wurde - gestützt auf § 124 Nr. 2, 1. Alt. ZPO - mit Beschluss vom 4. August 2008 insgesamt aufgehoben.

In der Folge begehrte der Antragsteller - unter gleichzeitiger Rücknahme seines früheren Prozesskostenhilfeantrages - mit Antrag vom 18. August 2008 erneut die Gewährung von Prozesskostenhilfe. Das Amtsgericht hat diesen Antrag mit Beschluss vom 11. September 2008 mit der Begründung zurückgewiesen, nach der Aufhebung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach § 124 Nr. 2 ZPO komme eine erneute Bewilligung nicht in Betracht, weil dies dem Sanktionscharakter des Aufhebungstatbestandes zuwiderliefe.

Dagegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Antragstellers, der mit näherer Darlegung meint, dem Tatbestand des § 124 Nr. 2 ZPO komme schon kein Sanktionscharakter zu; jedenfalls sei eine erneute Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch den Aufhebungsbeschluss nicht ausgeschlossen. Das Amtsgericht sah keinen Anlass, zur Abänderung seiner Entscheidung und hat die Sache mit Beschluss vom 9. Oktober 2008 dem Beschwerdegericht vorgelegt.

2. Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist form- und fristgerecht im Sinne der §§ 127 Abs. 2 Satz 3, 569 ff ZPO eingelegt worden und daher insgesamt zulässig. Das Rechtsmittel hat auch in der Sache - vorläufig - Erfolg insoweit, als die angefochtene Entscheidung aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung und Entscheidung im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren an das Amtsgericht zurück zu verweisen war.

Es begegnet allerdings durchgreifenden Bedenken, wenn der Antragsteller meint, es habe mit Blick auf seine Antragsrücknahme schon gar keine rechtskräftige Feststellung eines den Aufhebungstatbestand des § 124 Nr. 2, 1. Alt. ZPO ausfüllenden Fehlverhaltens des Antragstellers gegeben. Durch die spätere Rücknahmeerklärung vom 18. August 2008 wird dem früheren und nicht angefochtenen Aufhebungsbeschluss nicht die Grundlage entzogen. Es liegt auf der Hand; dass die Folgen einer dem Antragsteller nachteiligen gerichtlichen Entscheidung nicht dadurch beseitigt werden können, dass sodann eine Antragsrücknahme erklärt wird.

Das hier in Rede stehende neuerliche Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren kann im Grundsatz auch nicht zur Überprüfung der Richtigkeit des gerade nicht angefochtenen Aufhebungsbeschlusses dienen, so dass sich die Frage, ob im Zeitpunkt der Entscheidung vom 4. August 2008 die Voraussetzungen für eine Aufhebung überhaupt vorgelegen haben, hier nicht mehr stellt.

Dem Antragsteller ist auch nicht ohne weiteres in seiner Ansicht beizupflichten, dem Aufhebungstatbestand des § 124 Nr. 2 ZPO komme anerkanntermaßen kein Sanktionscharakter zu. Tatsächlich ist in Rechtsprechung und Literatur bis heute umstritten, ob bei Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen von § 124 Nr.2 ZPO die Prozesskostenhilfe ohne Weiteres schlechthin aufgehoben werden darf, weil den Bestimmungen Strafcharakter für schuldhaft falsche Angaben zukommt, oder ob eine Aufhebung nur insoweit erfolgen darf, wie bei zutreffenden Angaben von Anfang an keine Prozesskostenhilfe oder Prozesskostenhilfe nur gegen Ratenzahlung bewilligt worden wäre (vgl. zum Streitstand statt aller: Zöller-Philippi, ZPO, 26. Aufl., § 124 Rdnr. 5 und 5a mit zahlreichen weiteren Nachweisen).

Abweichend von der Ansicht des Amtsgerichts sieht der Senat allerdings im Ergebnis keinen grundsätzlichen Widerspruch darin, wenn nach Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung nach § 124 Nr. 2, 1. Alt. ZPO aufgrund eines neuen Antrages Prozesskostenhilfe bewilligt würde. Nach der genannten Vorschrift soll - und dies gilt auch für die sonst in § 124 Nr. 1 - 3 ZPO aufgeführten Fälle - sichergestellt werden, dass einer Partei, der mangels Vorliegens der gesetzlichen Voraussetzungen zu Unrecht Prozesskostenhilfe bewilligt worden ist, die ihr zugesprochene Vergünstigung wieder entzogen werden kann. Weitergehende Sanktionen lassen sich der Regelung nicht entnehmen, und sie widersprächen auch dem Gebot einer weitgehenden Angleichung der Situation von Bemittelten und Unbemittelten bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes, das sich aus Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz i. V. m. dem Rechtsstaatsprinzip ergibt (BVerfG NJW 1997, 2745; NJW 1991, 413 m. w. N.). Dieser Intention des Gesetzgebers folgend, geht der erkennende Senat auch für die Frage der Aufhebung einer Prozesskostenhilfebewilligung davon aus, dass diese im Falle des § 124 Nr. 2, 1. Alt. ZPO nur gerechtfertigt ist, wenn und soweit der Partei bei richtigen und vollständigen Angaben Prozesskostenhilfe nicht oder nur zu ungünstigeren Bedingungen, etwa gegen Ratenzahlung oder gegen einen Beitrag aus Vermögen, gewährt worden wäre (vgl. OLG Brandenburg MDR 2006, 170; OLG Brandenburg Rpfleger 2001, 503; OLG Düsseldorf JurBüro 1991, 980; OLG Bamberg FamRZ 1987, 1170; OLG Frankfurt KostRpsr ZPO, § 124 Nr. 76; Zöller-Philippi, a.a.O., § 124 Rdnr. 5a; Thomas/Putzo-Reichold, ZPO, 29. Aufl., § 124 Rdnr. 3; MünchKomm-Wax, 3. Aufl., § 124 Rdnr. 3; BLAH, ZPO, 66. Aufl., § 124 Rdnr. 37; Kalthoener/Büttner/Wrobel-Sachs, Prozesskostenhilfe und Beratungshilfe, 4. Aufl., Rdnr. 840 f., der allerdings bei schwerem Verschulden auch eine vollständige Aufhebung für möglich hält).

Wenn aber der Gesetzeszweck des § 124 Rdnr. 2, 1. Alt. ZPO bei verfassungskonformer Auslegung lediglich gebietet, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auf dasjenige zurückzuführen, was dem Antragsteller unter Heranziehung der richtigen und/oder vollständigen Angaben zu gewähren gewesen wäre, so steht die im konkreten Fall getroffene Entscheidung zur uneingeschränkten Aufhebung der Prozesskostenhilfebewilligung einer erneuten Gewährung auf der Basis jetzt richtiger und vollständiger Angaben nicht entgegen. Die Verweigerung der Prozesskostenhilfe würde in diesem Fall ohne ausreichenden sachlichen Grund die bedürftige Partei gegenüber einer vormals nicht bedürftigen Partei unangemessen benachteiligen und ihr die Rechtsverfolgung oder -verteidigung unangemessen erschweren. Die Tatsache, dass infolge der erneuten Bewilligung (ab Antragstellung) möglicherweise Gebührentatbestände abgedeckt werden, die bereits früher entstanden waren, führt zu keiner anderen Beurteilung (vgl. BGH Rpfleger 2006, 23).

Die Sache war daher zur sachlichen Prüfung des Prozesskostenhilfeantrages des Antragstellers vom 18. August 2008 an das Amtsgericht zurück zu verweisen.

Ende der Entscheidung

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