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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 19.06.2002
Aktenzeichen: 9 WF 41/02
Rechtsgebiete: BGB, ZPO, EStG


Vorschriften:

BGB § 1603 Abs. 2 Satz 2
BGB § 1603 Abs. 3 Satz 2
BGB § 1606 Abs. 3 Satz 2
BGB § 1612 b
BGB § 1612 b Abs. 1
BGB § 1612 b Abs. 2
BGB § 1612 b Abs. 3
ZPO § 114
ZPO § 127 Abs. 4
ZPO § 127 Abs. 2 Satz 3
ZPO § 568 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
ZPO § 569 Abs. 1 Satz 1
EStG § 64 Abs. 3 Satz 1
EStG § 74
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

9 WF 41/02 Brandenburgisches Oberlandesgericht

In der Familiensache

hat der 1. Senat für Familiensachen des Brandenburgischen Oberlandesgerichts auf die als sofortige Beschwerde auszulegende Beschwerde der Klägerin vom 11.3.2002 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 6.3.2002 durch

den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Seidel, die Richterin am Oberlandesgericht Surkau und # den Richter am Landgericht Raeck

am 19. Juni 2002

beschlossen:

Tenor:

Die sofortige Beschwerde wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe:

I.

Die am 6.11.1979 geborene, volljährige Antragstellerin ist seit Oktober 1999 Studentin, der Beklagte ist ihr Vater. Auf Grund des Beschlusses des Amtsgerichts Cottbus vom 29.5.1995, Az.: 47 H 308/95, schuldet der Beklagte der Antragstellerin einen monatlichen Unterhalt in Höhe von 460 DM. Die Mutter der Klägerin ist erwerbsunfähig und bezieht keine Einkünfte. Die Klägerin erhält monatliche BAföG-Zahlungen in Höhe von 371 DM.

Das staatliche Kindergeld bezieht die Mutter.

Die Klägerin trägt vor, im Haus Dorfstraße in W..., dessen Miteigentümerin ihre Mutter ist und in welchem sie bereits zuvor gelebt hatte, nunmehr einen eigenen Hausstand in einer Einliegerwohnung zu haben.

Die Klägerin meint, ausgehend von einem monatlichen Unterhaltsbedarf von 1.020 DM bis Juni 2001 und von 1.085 DM ab 1.7.2001 sowie unter Berücksichtigung der ihrerseits bezogenen BAföG-Zahlungen stehe ihr gegen ihren Vater ein Unterhaltsanspruch in Höhe von 514 DM bzw. 579 DM zu, da lediglich das hälftige Kindergeld auf ihren Anspruch anzurechnen sei.

Die Klägerin hat für den Fall der Bewilligung von Prozesskostenhilfe den Klageantrag angekündigt,

den Beklagten unter Abänderung des Beschlusses des Amtsgerichts Cottbus vom 29.5.1995 zum Az.: 47 H 308/95 zu verurteilen, an die Klägerin einen monatlichen im Voraus fälligen Unterhalt in Höhe von 514 DM für den Zeitraum 1.10.2000 bis 30.6.2001 und in Höhe von 579 DM ab dem 1.7.2001 zu zahlen.

Der Beklagte bestreitet, dass die Antragstellerin einen eigenen Hausstand führe, da ihm dies bislang nicht mitgeteilt worden und ihre Anschrift mit der bisherigen identisch sei.

Der Beklagte vertritt die Auffassung, die Klägerin müsse sich das gesamte Kindergeld auf ihren Anspruch anrechnen lassen.

Das Amtsgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe mit der Begründung zurückgewiesen, die Klägerin müsse sich das gesamte von ihrer Mutter bezogene Kindergeld anrechnen lassen, da die - grundsätzlich barunterhaltspflichtige - Mutter zumindest verpflichtet sei, das Kindergeld der Klägerin im vollen Umfang zur Verfügung zu stellen.

Hiergegen richtet sich die "Beschwerde" der Klägerin mit der Begründung, seit dem 1.7.1998 erfolge die Anrechnung des Kindergeldes auch bei volljährigen Kindern nach § 1612 b BGB. Der Bedarf des volljährigen Kindes sei nicht mehr um das Kindergeld, sondern nur um etwa anzurechnendes Einkommen des Kindes zu kürzen. Auch der Haftungsanteil des Elternteiles, der das Kindergeld nicht beziehe, sei um die Hälfte des auf das Kind entfallenden Kindergeldes zu kürzen, der Haftungsanteil des anderen Elternteils sei um das hälftige Kindergeld zu erhöhen.

Wenn auch der häufig vorkommende Fall, dass der Elternteil, der das Kindergeld für das volljährige Kind beziehe, nicht barunterhaltspflichtig sei, weil sein anrechenbares Einkommen den angemessenen Selbstbehalt unterschreite, nicht ausdrücklich geregelt sei, sei auch auf diesen Fall § 1612 b Abs. 1 BGB anzuwenden, wonach das Kindergeld nur zur Hälfte auf den Unterhaltsanspruch anzurechnen sei.

Dieses Ergebnis sei auch sachgerecht, da auch im vorliegenden Fall die Kindesmutter das Kindergeld keinesfalls ausschließlich für sich verwende, sondern den ihr zugute kommenden Kindergeldanteil mit von der Antragstellerin zu erbringenden Mietzinszahlung verrechne.

II.

Die als sofortige Beschwerde auszulegende "Beschwerde" der Klägerin vom 11.3.2002 gegen den Beschluss des Amtsgerichts Cottbus vom 6.3.2002 ist zulässig, insbesondere innerhalb der Notfrist von einem Monat gemäß §§ 569 Abs. 1 Satz 1, 127 Abs. 2 Satz 3 ZPO eingelegt und begründet worden. Auch der erforderliche Streitwert der Hauptsache von über 600 € (vgl. Thomas/Putzo-Reichold, 24. Aufl., § 127 Rn. 3) ist erreicht.

Zur Entscheidung über die Beschwerde war gemäß § 568 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 ZPO der Senat in der vom Gerichtsverfassungsgesetz vorgeschriebenen Besetzung berufen, nachdem das Verfahren vom Einzelrichter auf den Senat mit Beschluss vom 19.6.2002 übertragen worden war.

Die sofortige Beschwerde ist unbegründet, der Klägerin ist keine Prozesskostenhilfe zu bewilligen. Nach derzeitiger Sach- und Rechtslage besteht nicht die insofern erforderliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass die Rechtsverteidigung bzw. -verfolgung zum Erfolg führen kann (vgl. dazu Zöller/Philippi, ZPO, 22. Aufl., Rn. 19 zu § 114 m. w. N.).

Die Abänderungsklage der Klägerin ist unbegründet, da ihr kein - über die im Beschluss vom 29.5.1995 titulierte Forderung hinausgehender - Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten zusteht.

Wie das Amtsgericht zutreffend ausgeführt hat, muss sich die Klägerin das an ihre Mutter ausgezahlte staatliche Kindergeld voll auf ihren Unterhaltsanspruch gegen den Beklagten anrechnen lassen.

Der Senat folgt dabei im Ergebnis der obergerichtlichen Rechtsprechung, wonach § 1612 b Abs. 1 BGB einer vollen Anrechnung des Kindergeldes dann nicht entgegensteht, wenn ein - an sich barunterhaltspflichtiger - Elternteil mangels Leistungsfähigkeit keinen Unterhalt leistet, aber dennoch das volle Kindergeld bezieht (vgl. OLG Düsseldorf, FamRZ 1999, 1452; OLG Schleswig, FamRZ 2000, 1245; OLG Braunschweig, FamRZ 2000, 1246).

Dies ergibt sich vorliegend aus einer Anwendung von § 1612 b Abs. 3 BGB, wonach dann, wenn nur der barunterhaltspflichtige Elternteil Anspruch auf das staatliche Kindergeld hat, es aber nicht an ihn ausgezahlt wird, dieses in voller Höhe auf den Unterhaltsanspruch anzurechnen ist.

Nach ihrem eigenen Vortrag hat die Klägerin seit 1.2.2000 einen eigenen Hausstand in einer ihrerseits von ihrer Mutter und deren Ehemann angemieteten Einliegerwohnung. Darüber hinaus ist die Mutter der Klägerin nach ihrem Vortrag mangels Leistungsfähigkeit nicht barunterhaltsverpflichtet, sondern allein der Beklagte als Vater. Damit stünde dem Beklagten als allein leistungsfähigen und auch allein Unterhaltsrente zahlenden Elternteil gemäß § 64 Abs. 3 Satz 1 EStG das Kindergeld zu, welches er jedoch - offensichtlich aus bisheriger Unkenntnis von der Begründung eines eigenen Hausstandes durch die Klägerin - unstreitig nicht ausgezahlt bekommt. Andere Gründe, aus denen sich eine Berechtigung der Mutter der Klägerin dafür, selbst das staatliche Kindergeld zu beziehen, ergäbe, sind weder vorgetragen noch sonst aus den Umständen ersichtlich. Danach ist § 1612 b Abs. 3 BGB einschlägig und führt zur vollen Anrechnung des Kindergeldes.

Dasselbe Ergebnis ergäbe sich aus einer analogen Anwendung von § 1612 b Abs. 2 BGB. Sind - wie vorliegend gegenüber der volljährigen Klägerin - an sich grundsätzlich beide Elternteile barunterhaltspflichtig, erhöht sich der Unterhaltsanspruch gegen den Kindergeld beziehenden Elternteil um die Hälfte des Kindergeldes. Damit erhöhte sich bei entsprechender Anwendung dieses Grundsatzes der Anspruch gegen die Mutter von O auf den hälftigen Kindergeldbetrag; auf den Anspruch gegenüber dem Beklagten ist ohnehin der hälftige Kindergeldbetrag anzurechnen, sodass im Ergebnis wiederum kein höherer Anspruch der Klägerin als der bereits titulierte gegen den Beklagten besteht.

Schließlich rühre auch eine einschränkende Auslegung von § 1612 b Abs. 1 BGB dahingehend, dass diese Vorschrift jedenfalls auf Unterhaltsforderungen von volljährigen Kindern, die nicht unter das Privileg des § 1603 Abs. 2 Satz 2 BGB fallen, grundsätzlich keine Anwendung findet (vgl. auch OLG Düsseldorf, OLGR 1999, 273; OLG Schleswig, FamRZ 2000, 1245), zum selben Ergebnis. Danach beruht § 1612 b Abs. 1 BGB auf dem Grundgedanken, dass - entsprechend § 1606 Abs. 3 Satz 2 BGB - der das Kind betreuende Elternteil mit der tatsächlichen Versorgung des Kindes einen Unterhaltsbeitrag leistet, der dem des Barunterhalt leistenden Elternteils gleichwertig ist (vgl. Palandt/Diederichsen, BGB, 61. Aufl., § 1612 b Rn. 3, m. w. N.). Da jedoch zumindest gegenüber solchen volljährigen Kindern, die nicht von der Privilegierung des § 1603 Abs. 3 Satz 2 BGB erfasst werden, keine Betreuungsleistungen mehr zu erbringen sind (vgl. BT-Drucks. 13/7338, S. 30), ist eine Halbteilung nur gerechtfertigt, sofern der das Kindergeld beziehende Elternteil anderweitig Unterhalt leistet und hierzu von Rechts wegen auch verpflichtet ist. Eine solche Verpflichtung der Mutter der Klägerin besteht nach ihrem Vortrag jedoch nicht.

Etwas anderes ergäbe sich auch dann nicht, wenn die Klägerin das staatliche Kindergeld selbst bezöge, wie dem vorprozessualen Anwaltsschreiben vom 24.3.2000 (Bl. 17 d. A.) zu entnehmen ist, wonach "unsere Mandantin außer dem gesetzlichen Kindergeld von 270 DM keine Einkünfte erzielt". Bezieht nämlich das Kind das staatliche Kindergeld ausnahmsweise selbst, z.B. gemäß § 74 EStG, ist es ebenfalls bedarfsdeckend einzusetzen (vgl. Handbuch des Fachanwalts Familienrecht/Gerhardt, 3. Aufl., Kap. 6 Rn. 157).

Damit sind auf den bis 1.7.2001 bestehenden Bedarf der Klägerin in Höhe von 1.020 DM sowie auf den ab 1.7.2001 bestehenden Bedarf von 1.085 DM bzw. (ab 1.1.2002) 555 € jedenfalls gemäß III. 2. 26 der Unterhaltsleitlinien des Brandenburgischen Oberlandesgerichts die BAföG-Leistungen in Höhe von 371 DM (189,69 €) sowie das volle Kindergeld in Höhe von 270 DM bzw. ab 1.1.2002 154 € in Abzug zu bringen, sodass schon nach dem eigenen Vortrag der Klägerin für keinen der zu beurteilenden Zeiträume ein höherer als der bereits titulierte Anspruch in Höhe von 460 DM (= 235,19 €) zu ihren Gunsten bestand bzw. besteht.

Da somit für den gesamten streitgegenständlichen Zeitraum eine Abänderungsklage zu Gunsten der Klägerin unbegründet ist, hat die Rechtsverfolgung keine Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO.

Demgemäß war die sofortige Beschwerde der Klägerin insgesamt mit der Kostenfolge des § 127 Abs. 4 ZPO zurückzuweisen.

Ende der Entscheidung

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