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Beginn der Entscheidung

Gericht: Brandenburgisches Oberlandesgericht
Beschluss verkündet am 29.07.2008
Aktenzeichen: Verg W 10/08
Rechtsgebiete: GWB, VOB/A, VwGO


Vorschriften:

GWB § 116
GWB § 117
GWB § 118 Abs. 1 Satz 3
GWB § 128 Abs. 3
GWB § 128 Abs. 4
VOB/A § 24
VOB/A § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b)
VOB/A § 25 Nr. 5
VwGO § 162 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Brandenburgisches Oberlandesgericht Beschluss

Verg W 10/08 Brandenburgisches Oberlandesgericht

Anlage zum Protokoll vom 29.07.2008

Verkündet am 29.07.2008

In dem Vergabenachprüfungsverfahren

hat der Vergabesenat des Brandenburgischen Oberlandesgerichts durch

die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schwonke als Vorsitzende, den Richter am Oberlandesgericht Werth und den Richter am Landgericht Schumacher

auf die mündliche Verhandlung vom 8. Juli 2008

beschlossen:

Tenor:

Auf die sofortige Beschwerde der Beigeladenen wird unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels der Beschluss der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 28.5.2008 - VK 10/08 - aufgehoben.

Der Auftraggeberin wird aufgegeben, die Wertung zur Ermittlung des wirtschaftlichsten Angebotes unter Einbeziehung der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 2 der Antragstellerin und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenates zu wiederholen. Im Übrigen wird der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückgewiesen.

Die Verfahrensgebühr wird unter Berücksichtigung der persönlichen Gebührenfreiheit der Auftraggeberin auf 1.875,00 EUR festgesetzt. Sie ist von der Antragstellerin und der Beigeladenen jeweils zur Hälfte zu tragen. Die Auftraggeberin ist von der Zahlung der Gebühren befreit.

Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin im Verfahren vor der Vergabekammer tragen die Auftraggeberin und die Beigeladene je zu einem Viertel, im Übrigen trägt sie die Antragstellerin selbst.

Die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen im Verfahren vor der Vergabekammer trägt die Antragstellerin zur Hälfte, im Übrigen trägt sie die Beigeladene selbst.

Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch die Antragstellerin und durch die Beigeladene wird für notwendig erklärt.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens, des Verfahrens der Verlängerung der aufschiebenden Wirkung gemäß § 118 Abs. 1 Satz 3 GWB und die im Beschwerdeverfahren entstandenen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin trägt die Beigeladene.

Gründe:

I.

Die Auftraggeberin schrieb im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften vom 7. März 2007 das Bauvorhaben B ...n Ortsumgehung D..., Baulos 5, im Offenen Verfahren europaweit aus. Der geschätzte Gesamtauftragswert der Baumaßnahme liegt bei rund 18,2 Mio. EUR; davon entfallen nach Ziffer II.2.1) der Bekanntmachung 3,176 Mio. EUR (netto) auf das streitgegenständliche Los. Das Los umfasst die Herstellung von zwei Brückenbauwerken.

Als Zuschlagskriterien bestimmte die Auftraggeberin in der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes den Preis (90 %) sowie den Technischen Wert (10 %).

Nebenangebote waren gemäß Ziffer 11.1/11.2 der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes mit Ausnahme von Nebenangeboten mit Pauschalierungen für Leistungen im Erdbau zugelassen. Hinsichtlich der Mindestanforderungen für Nebenangebote verwies die Auftraggeberin in Ziffer 11.3 auf die im Vordruck StB-Mindestanforderungen genannten Regelwerke sowie auf Abschnitt 1.5 der Baubeschreibung. In Ziffer 7. der Mindestanforderungen für Nebenangebote (Ingenieurbauten) benannte die Auftraggeberin u. a. die "Richtzeichnungen für Brücken und andere Ingenieurbauwerke (RiZ-ING)", die vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen herausgegeben werden. Die Richtzeichnung Fluegelwand mit Kappe (Flue 1) enthält als Bild 1 den Regelfall sowie eine Variante als Bild 2.

Bestandteil der Aufforderung zur Abgabe eines Angebotes waren des Weiteren die EG-Bewerbungsbedingungen für die Vergabe von Bauleistungen im Straßen- und Brückenbau, Ausgabe März 2006. Gemäß Ziffer 5.2 hatten Nebenangebote die geforderten Mindestanforderungen zu erfüllen, was mit Angebotsabgabe nachzuweisen war. Nach deren Ziffer 5.3 hatte der Bieter die in Nebenangeboten enthaltenen Leistungen eindeutig und erschöpfend zu beschreiben; Nebenangebote hatten alle Leistungen zu umfassen, die zur einwandfreien Ausführung der Bauleistung erforderlich sind. Nach Ziffer 5.4 waren Nebenangebote, soweit sie Teilleistungen des Leistungsverzeichnisses beeinflussen, nach Mengenansätzen und Einzelpreisen aufzugliedern. In Ziffer 5.5 bestimmte die Auftraggeberin, dass Sie Nebenangebote, die diesen Anforderungen nicht entsprechen, von der Wertung ausschließe.

Die Baubeschreibung als Bestandteil der Leistungsbeschreibung sah für die Brückenbauwerke als statisches System eine einfeldrige Spannbetonplatte vor. Die Flügel sollten aus den Flügelwänden sowie den "gemäß Flue 1 (Bild 1) auszuführenden Tragflügeln" gebildet werden. Abschnitt 1.5 der Baubeschreibung enthielt hinsichtlich der Mindestanforderungen für Nebenangebote die Angabe "Keine weiteren". Die den Bietern übersandten Bauwerkspläne BW 05 (Grundriss, Schnitte, Details, Ansichten) und BW 06 (Grundriss, Schnitte, RQ, Details) enthalten an entsprechender Stelle die Bezeichnung "Flue 1, Bild 1".

Im Submissionstermin am 19. April 2007 lagen der Auftraggeberin Haupt- und Nebenangebote von insgesamt acht Bietern vor.

Die Antragstellerin gab ein Hauptangebot sowie zwei Nebenangebote ab. Die Nebenangebote betreffen die Brückenbauwerke 05 und 06. Hier schlug die Antragstellerin eine Ausführung des Tragwerkes als Rahmen in Stahlbetonbauweise vor. Die Ausbildung der Flügelwände wurde nach RiZ-ING Flue 1, Bild 2 dargestellt. Diese Bauweise hat geänderte Betonmengen zur Folge. Unter Angabe der jeweiligen Positionen des Leistungsverzeichnisses stellte die Antragstellerin die Veränderungen gegenüber dem Amtsentwurf dar, indem sie die veränderten Mengen und Preise den Mengen und Preisen ihres Hauptangebotes gegenüberstellte (Bl. 33-40 VK 10/08). Die mit den Nebenangeboten verbundene Einsparung belief sich auf 37.251,43 EUR (netto) für das Nebenangebot 1 (Brückenbauwerk 05) sowie auf 18.437,82 EUR (netto) für das Nebenangebot 2 (Brückenbauwerk 06).

Die Auftraggeberin forderte die Antragstellerin mit Schreiben vom 27. Juni 2007 auf, die Mengenermittlungen zu den Nebenangeboten nachzureichen. Dieser Aufforderungen kam die Antragstellerin mit Schreiben vom 28. Juni 2007 nach.

Im Ergebnis der Angebotswertung beabsichtigte die Auftraggeberin, den Zuschlag auf das Hauptangebot der Antragstellerin zu erteilen. Nachdem die von der weiteren Wertung ausgeschlossene Beigeladene ein Nachprüfungsverfahren eingeleitet und gegen die Entscheidung der Vergabekammer Brandenburg sofortige Beschwerde eingelegt hatte, wurde die Auftraggeberin durch Beschluss des OLG Brandenburg - Verg W 22/07 - vom 29. Januar 2008 verpflichtet, erneut in die Wertung der Angebote unter Einbeziehung des ausgeschlossenen Angebotes der Beigeladenen einzutreten.

Im Ergebnis der erneuten Angebotswertung teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin mit Schreiben vom 3. April 2008 (Bl. 41-42 VK 10/08) mit, dass sie beabsichtige, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Die Antragstellerin habe nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben. Die Nebenangebote habe sie nicht berücksichtigen können, da die vorgegebenen Flügel (Flue 1, Bild 1) nicht verwendet worden seien. Bei Angebotsabgabe habe eine detaillierte Mengenermittlung gefehlt. Die Wertung des Hauptangebotes der Antragstellerin habe 868,05 Punkte im Wertungskriterium Preis ergeben (Zuschlagsbieter 900,00 Punkte) und im Wertungskriterium Technischer Wert 100,00 Punkte (Zuschlagsbieter 75,00 Punkte), mithin insgesamt 968,05 Punkte (Zuschlagsbieter 975,00 Punkte).

Mit Schreiben vom 4. April 2008 (Bl. 43 d. A.) beanstandete die Antragstellerin diese Entscheidung. Eine Ausbildung der Flügel nach Flue 1, Bild 1 oder wie von ihr vorgesehen nach Flue 1, Bild 2, sei für die Bauwerke unerheblich und für Nebenangebote auch nicht ausgeschlossen worden. Aus statischer und konstruktiver Sicht seien beide Varianten zulässig und möglich, sie seien in der Richtzeichnung verankert und würden in Brandenburg angewandt. Eine optische/ästhetische Relevanz sei ebenfalls nicht gegeben. Die Nebenangebote habe sie vollständig abgegeben. Eine detaillierte Mengenermittlung sei nicht zwingender Inhalt der Nebenangebote gewesen. Diese habe die Antragstellerin im Übrigen auf entsprechende Aufforderung nachgereicht. Sie zweifle zudem an der Richtigkeit der Punkteverteilung zugunsten der Beigeladenen für den Technischen Wert des Angebotes.

Die Auftraggeberin wies mit am 10. April 2008 bei der Antragstellerin eingegangenem Schreiben deren Vorbringen zurück. Auch eine nochmalige Prüfung der Nebenangebote habe ergeben, dass diese von den veröffentlichten Ausschreibungsentwürfen abwichen. Gefordert habe man ausdrücklich eine Ausbildung der Flügelwände nach RiZ-ING Flue 1, Bild 1. Da diese Lösung eine den Anforderungen genügende Verdichtung der Hinterfüllstoffe problemlos ermögliche, werde sie im Land Brandenburg generell so gefordert. Durch die bei den Varianten auszubildende Flügelunterschneidung sei eine ordnungsgemäße Verdichtung der Hinterfüllstoffe unterhalb der Schrägen nur schwierig zu gewährleisten. Deshalb werde diese Lösung im Land Brandenburg abgelehnt. Die vorgeschlagene Variante habe zudem geänderte Betonmengen zur Folge. Daher seien beide Nebenangebote nicht mit den Ausschreibungsentwürfen vergleichbar.

Die Antragstellerin hat am 16. April 2008 bei der Vergabekammer des Landes Brandenburg einen Nachprüfungsantrag gestellt.

Die Antragstellerin hat gemeint, die Nebenangebote entsprächen insbesondere den als Mindestanforderung für Nebenangebote vorgesehenen technischen Regelwerken. Es existiere für das Land Brandenburg keine Vorschrift, in der abweichend von der vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen herausgegebenen Richtzeichnung die Flügelausbildung nur nach Bild 1, nicht aber nach Bild 2 ausgeführt werden dürfe. Im Jahre 2007 habe die Auftraggeberin durch den Landesbetrieb W... die Variante der Regelzeichnung beauftragt. Sie habe den Nebenangeboten auch sämtliche Unterlagen beigefügt, um der Auftraggeberin die Beurteilung der Gleichwertigkeit zu ermöglichen. Eine "detaillierte Massenermittlung" sei kein geforderter oder erforderlicher Bestandteil der Nebenangebote. Bei deren Wertung liege sie aufgrund des dann niedrigsten Preises vor dem Angebot der Beigeladenen.

Die Antragstellerin hat weiter vorgetragen, sie bezweifle die ordnungsgemäße Anwendung der Wertungskriterien im Falle des für den Zuschlag vorgesehenen Unternehmens. Die Auftraggeberin habe mehrere Wochen nach Zustellung des Beschlusses des Vergabesenates in der Sache Verg W 22/07 benötigt, um die Wertung zu wiederholen. Die Preiswertung beanspruche nur einige Minuten. Die Zeitverzögerung spreche dafür, dass es schwierig gewesen sei, den technischen Wert des Angebots der Beigeladenen zu prüfen. Die Bewertung des technischen Wertes des Angebotes der Beigeladenen sei überhöht und entspreche nicht einer regelgerechten Anwendung der vorgegebenen Wertungskriterien.

Die Antragstellerin hat beantragt,

1. es der Auftraggeberin zu untersagen, dem Angebot der Beigeladenen den Zuschlag zu erteilen;

2. die Auftraggeberin zu verpflichten, den Ausschluss der Nebenangebote Nr. 1 und 2 der Antragstellerin zurück zu nehmen, die beiden Nebenangebote bei der Angebotswertung zu berücksichtigen und das Vergabeverfahren unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer fortzuführen.

Die Auftraggeberin hat beantragt,

den Nachprüfungsantrag zurückzuweisen.

Die Auftraggeberin hat vorgetragen, die Nebenangebote der Antragstellerin, die eine Ausführung ohne ausgebildete Flügelwände vorsähen, wichen erheblich von seinen Vorgaben ab und seien deshalb nicht als technisch gleichwertig anzusehen. Die Verdichtung im Bereich der unterschnittenen Flügel sei für die in Brandenburg vorhandenen Bodenklassen 3 und 4 (Sande und Kiese) nicht problemlos und zuverlässig möglich. Die Variante nach RiZ-ING Flue 1 Bild 2 komme nur bei Felsklassen 6 und 7 in Betracht. Darüber hinaus entsprächen die Nebenangebote nicht den Richtlinien für das Aufstellen von Bauwerksentwürfen - RAB - BRÜ (ARS 39/92), die gemäß den geforderten Mindestbedingungen für Nebenangebote zu berücksichtigen gewesen wären. Es fehlten Angaben zu Bauzeit und Bauzuständen, eine Darstellung der Ansicht des Bauwerkes und der Querschnitte. Durch die veränderte konstruktive Lösung wären die Bodenverhältnisse und die Abmessungen des Überbaus zu erläutern gewesen. Kritisch zu bewerten sei auch der Wechsel vom Spannbetonüberbau zu einem Stahlbetonrahmenüberbau.

Die Beigeladene hat beantragt,

den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen,

Die Beigeladene hat gemeint, die Auftraggeberin habe keine ausreichend konkreten inhaltlichen Mindestanforderungen für Nebenangebote aufgestellt. Der Auftraggeberin habe die Nebenangebote der Antragstellerin offenbar zu Recht nicht gewertet. Auch unter deren Einbeziehung sei das Angebot der Beigeladenen günstiger als das der Antragstellerin. Der Auftraggeberin habe die Wertung des technischen Wertes des Angebotes der Beigeladenen korrekt durchgeführt.

Der Vorsitzende der Vergabekammer hat mit Verfügung vom 19. Mai 2008 die Entscheidungsfrist bis zum 6. Juni 2008 verlängert.

Die Vergabekammer hat dem Nachprüfungsantrag mit Beschluss vom 28.5.2008 stattgegeben und die Auftraggeberin verpflichtet, die Wertung unter Einbeziehung der Nebenangebote der Antragstellerin und unter Beachtung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu wiederholen.

Zur Begründung hat sie ausgeführt, der Nachprüfungsantrag sei teilweise zulässig. Soweit es die Wertung des technischen Wertes des Angebotes der Beigeladenen angehe, habe die Antragstellerin einen Verstoß gegen Vergaberechtsvorschriften nicht substantiiert gerügt. Im Übrigen sei der Nachprüfungsantrag zulässig und begründet. Der Auftraggeberin habe die Nebenangebote der Antragstellerin zu Unrecht von der Wertung ausgeschlossen.

Gegen diesen Beschluss, ihr zugestellt am 2.6.2008, hat die Beigeladene durch bei Gericht am 13.6.2008 eingegangenen Schriftsatz sofortige Beschwerde eingelegt.

Die Beigeladene meint, die Auftraggeberin sei verpflichtet gewesen, das Nebenangebot der Antragstellerin auszuschließen. Die Auftraggeberin habe als verbindliche Mindestanforderung eine Ausbildung der Flügelwände nach RiZ-ING Flue 1 Bild 1 vorgegeben. Dem entspreche das Nebenangebot der Antragstellerin nicht. Im Übrigen bleibe das Nebenangebot qualitativ hinter dem Amtsentwurf zurück. Dies habe die Auftraggeberin im Rahmen des ihr zustehenden Ermessenspielraumes festgestellt. Die Vergabekammer könne nicht das eigene Ermessen an die Stelle des Ermessens der Auftraggeberin stellen. Nach den ihr, der Beigeladenen, zugänglichen Informationen sei davon auszugehen, dass die Leistungsbeschreibung der Nebenangebote nicht so gestaltet gewesen sei, dass eine Beurteilung der Gleichwertigkeit möglich gewesen sei.

Die Beigeladene beantragt,

die Entscheidung der Vergabekammer des Landes Brandenburg vom 28.5.2008 aufzuheben und den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin zurückzuweisen.

Die Antragstellerin und die Auftraggeberin beantragen,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Die Auftraggeberin und die Antragstellerin halten die Entscheidung der Vergabekammer für richtig.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sachverhalt und zum Vorbringen der Beteiligten wird auf die eingereichten Schriftsätze und auf die Vergabeakten Bezug genommen.

II.

I. Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen ist gemäß den §§ 116, 117 GWB zulässig, weil sie fristgerecht eingelegt und begründet worden ist. Sie hat die Entscheidung der Vergabekammer angefochten, soweit sie durch sie beschwert ist.

Soweit die Vergabekammer den Nachprüfungsantrag teilweise als unzulässig angesehen hat, nämlich soweit die Antragstellerin die Wertung betreffend den technischen Wert des Angebots der Beigeladenen beanstandet hat, hat die Antragstellerin ihrerseits gegen die Entscheidung der Vergabekammer kein Rechtsmittel eingelegt und kann damit Rechte aus der Rüge der nicht vergaberechtskonformen Wertung des Angebots der Beigeladenen hinsichtlich des Zuschlagskriteriums "Technischer Wert" nicht mehr geltend machen. Die Entscheidung der Vergabekammer ist insoweit bestandskräftig.

II. Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen hat in der Hauptsache keinen Erfolg.

Dennoch hat der Vergabesenat aus Klarstellungsgründen die Entscheidung der Vergabekammer aufgehoben, weil die Auftraggeberin zu verpflichten war, die Wertung unter Einbeziehung der Nebenangebote Nr. 1 und Nr. 2 der Antragstellerin und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Vergabesenates zu wiederholen.

Im Übrigen war der Hauptsachetenor in der Entscheidung der Vergabekammer unvollständig und deshalb zu ergänzen. Soweit die Antragstellerin sich gegen die Wertung des Hauptangebotes der Beigeladenen gewendet hat, ist sie vor der Vergabekammer unterlegen. So hat die Vergabekammer die Rüge, das Hauptangebot der Beigeladenen sei hinsichtlich seines technischen Wertes unrichtig bewertet worden, nicht als durchgreifend angesehen. Dabei handelte es sich - neben der Rüge der ungerechtfertigten Nichtberücksichtigung der Nebenangebote der Antragstellerin - um einen eigenständigen Angriff gegen die Vergabeentscheidung der Auftraggeberin mit einem anderen Rechtsschutzziel. Dem hat die Vergabekammer nicht entsprochen. Aus diesem Grunde musste der Nachprüfungsantrag teilweise zurückgewiesen werden.

Soweit die Vergabekammer zugunsten der Antragstellerin entschieden hat, war ihr Nachprüfungsantrag zulässig, insbesondere hat die Antragstellerin die Ausschlussentscheidung der Auftraggeberin rechtzeitig gerügt.

Der Nachprüfungsantrag ist insoweit auch begründet. Zu Unrecht hat die Auftraggeberin die Nebenangebote der Antragstellerin von der Wertung ausgeschlossen.

1.) Der Nachprüfungsantrag war nicht schon deshalb zurückzuweisen, weil die Antragstellerin auch unter Berücksichtigung ihrer Nebenangebote keine Chance auf den Zuschlag hätte. Rechnerisch ist es möglich, dass die Nebenangebote den Vorzug vor dem Hauptangebot der Beigeladenen erhalten.

Zwar ist die Beigeladene mit ihrem Hauptangebot auch unter Berücksichtigung der Nebenangebote der Antragstellerin die preisgünstigste Bieterin. Das Hauptangebot der Beigeladenen schließt mit 3.755.726,12 €, dasjenige der Antragstellerin unter Berücksichtigung der beiden Nebenangeboten mit 3.756.058,14 €. Die Angebote liegen damit jedoch lediglich 332 € auseinander. Nach der von der Auftraggeberin vorgesehenen Punktwertung würde die Preiswertung zu einem Vorsprung von weniger als einem Punkt für die Beigeladene ausfallen.

Vorausgesetzt, die Auftraggeberin gelangt nach einer erneuten Wertung der Nebenangebote zur Annahme ihrer Gleichwertigkeit mit der ausgeschriebenen Leistung, hat neben der Preiswertung noch eine Wertung hinsichtlich des Kriteriums des technischen Wertes zu erfolgen. Bewertet die Auftraggeberin den technischen Wert der Nebenangebote der Antragstellerin höher als denjenigen des Hauptangebotes der Beigeladenen, ist ein Zuschlag auf das Angebot der Antragstellerin möglich.

2.) Die Auftraggeberin durfte die Nebenangebote der Antragstellerin berücksichtigen.

a.) Ein Ausschluss gemäß § 25 Nr. 5 VOB/A war nicht möglich, weil die Auftraggeberin Nebenangebote zugelassen hatte.

b.) Einer Wertung steht auch nicht der Umstand entgegen, dass die Auftraggeberin keine ausreichend konkreten inhaltlichen Mindestanforderungen für Nebenangebote aufgestellt hätte.

Nach der Traunfellner-Entscheidung des EuGH vom 16.10.2003 (Rechtssache C-421/01) können Nebenangebote nur dann berücksichtigt werden, wenn der Auftraggeber gemäß Art. 19 der Baukoordinierungsrichtlinie EGRL 37/1993 Angaben zu Mindestanforderungen an Nebenangebote gemacht hat. Dabei reicht nicht die Angabe, dass mit dem Alternativvorschlag die Erbringung einer qualitativ gleichwertigen Leistung wie derjenigen sichergestellt ist, die Gegenstand der Ausschreibung ist. Selbst wenn der Auftraggeber Nebenangebote zugelassen hat, müssen Mindestanforderungen bekannt gemacht werden, damit eingereichte Nebenangebote überhaupt in die Wertung kommen können.

Das OLG Koblenz hat nach dem Inkrafttreten der Vergabekoordinierungsrichtlinie EGRL 18/2004, die in Art. 19 eine inhaltsgleiche Regelung wie in der Baukoordinierungsrichtlinie enthält, für das deutsche Recht eine Wertbarkeit von Nebenangeboten verneint, wenn nur rein formale Wertungsvoraussetzungen aufgestellt werden, es müssten auch leistungsbezogene, d. h. sachlich-technische Vorgaben gemacht werden. Dem hat sich der Senat in seiner Entscheidung vom 20.3.2007 in der Sache Verg W 12/06 grundsätzlich angeschlossen.

Die Vorgaben in den Verdingungsunterlagen enthalten hier zwar keine auf den konkreten Auftrag bezogenen sachlich-technischen Mindestanforderungen. Vielmehr hat die Auftraggeberin auf zwölf Seiten Bezug genommen auf eine Vielzahl von Vertragsbedingungen, technischen Vorschriften und Richtlinien. Diese stellen ersichtlich einen Qualitätsstandard dar, der für jeden vergleichbaren Auftrag gelten soll.

Jedenfalls im vorliegenden Fall kann die Bezugnahme auf diese Regelwerke als ausreichende Angabe von sachlich-technischen Mindestbedingungen für Brückenbauwerke, die Gegenstand der Nebenangebote der Antragstellerin sind, angesehen werden. Bei dem Bauvorhaben, dessen Vergabe Gegenstand des Nachprüfungsverfahren ist, handelt es sich um eine Bundesstraße. Der Bau von Fernstraßen fällt in die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung. Dieses Ministerium, dort die Abteilung Straßenbau, Straßenverkehr, hat das maßgebliche Regelwerk, die Richtzeichnungen für Ingenieurbauten in der Sammlung Brücken- und Ingenieurbau, herausgegeben und dort Richtzeichnungen für den Brückenbau aufgenommen. In der Leistungsbeschreibung bzw. in den Bauwerksplänen wird für Hauptangebote auf die RiZ-ING Flue 1, Bild 1 Bezug genommen. Bei einer derartigen Sachlage können Regelwerke als ausreichende Angabe sachlich-technischer Mindestanforderungen für Nebenangebote angesehen werden (so im Ergebnis auch OLG Celle, Beschluss vom 10.1.2008, 13 Verg 11/07, zitiert nach Juris, das die Frage der inhaltlichen Bestimmtheit der im Vordruck StB-Mindestanforderungen genannten Regelwerke bei Baumaßnahmen an einer Bundesautobahn nicht einmal problematisiert hat).

3.) Die Wertung der Nebenangebote der Antragstellerin ist fehlerhaft. Die Auftraggeberin hat die Nebenangebote der Antragstellerin zu Unrecht ausgeschlossen. Aus diesem Grunde wird sie die Wertung zu wiederholen haben.

a.) Ein Ausschluss der Nebenangebote der Antragstellerin nach § 25 Nr. 1 Abs. 1 lit. b) VOB/A, d.h. in der ersten Wertungsstufe, ist nicht gerechtfertigt. Dass bei beiden Nebenangeboten eine detaillierte Mengenermittlung gefehlt hat, kann die Auftraggeberin nicht zum Anlass für einen Ausschluss von der Wertung nehmen.

Gegenstand der ersten Wertungsstufe ist allein die formelle und rechnerische Prüfung der Angebote; sie endet mit dem Ausschluss derjenigen Angebote, die sich schon wegen offensichtlicher formeller Mängel nicht für einen Vergleich mit anderen Angeboten eignen. In dieser Prüfungs- und Wertungsstufe erfolgt noch keine inhaltliche Bewertung der Angebote, diese ist erst Gegenstand der dritten und vierten Wertungsstufe.

Auf der ersten Wertungsstufe ist bei einem Nebenangebot zu prüfen, ob es so gestaltet ist, dass es überhaupt prüffähig ist. Die angebotene Leistung muss eindeutig und erschöpfend beschrieben sein, so dass sich der Auftraggeber ein klares Bild über die im Rahmen des Nebenangebots vorgesehene Ausführung der Leistung machen kann. Es muss deutlich werden, welche in den Verdingungsunterlagen vorgesehene Leistungen ersetzt werden. Zu erstrecken hat sich die Prüfung auch darauf, ob infolge des Nebenangebots andere in den Verdingungsunter-lagen vorgesehene Leistungen geändert werden müssen oder zusätzliche, in den Verdingungsunterlagen nicht enthaltene Leistungen erforderlich werden. Deshalb war im vorliegenden Vergabeverfahren in den Verdingungsunterlagen vorgegeben, dass "Nebenangebote, soweit sie Teilleistungen des Leistungsverzeichnisses beeinflussen, nach Mengenansätzen und Einzelpreisen aufzugliedern" sind.

Diesen Anforderungen haben die Nebenangebote der Antragstellerin genügt. Teil der Nebenangebote der Antragstellerin sind Auflistungen der Leistungsverzeichnispositionen, die sich bei Beauftragung des Nebenangebots mengenmäßig und preislich verändern. Die Vorlage einer detaillierten Mengenermittlung hat die Auftraggeberin von den Bietern nicht gefordert. Soweit für die Gleichwertigkeitsprüfung erforderlich, kann die Auftraggeberin bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 24 VOB/A eine Aufklärung durchführen. Ein Ausschluss der Nebenangebote aus formalen Gründen war jedoch nicht zulässig.

b.) Fehlerhaft ist auch die Annahme der Auftraggeberin, die Abweichung der Nebenangebote vom Amtsentwurf rechtfertige es, sie nicht zu werten.

Aus der Abweichung vom Amtsvorschlag hat die Auftraggeberin offenbar den Schluss gezogen, die Nebenangebote der Antragstellerin erfüllten die vorgegebenen Mindestanforderungen nicht. Diese Auffassung ist unzutreffend. Der Umstand, dass die Nebenangebote sich an der RiZ-ING Flue 1 Bild 2 orientieren und das Regelwerk der RiZ-ING als Mindestanforderung vorgegeben war, kann das Angebot einer darin vorgesehenen Variante nicht mit der Begründung unberücksichtigt bleiben, die Mindestanforderungen seien nicht erfüllt.

Auf die insoweit zutreffenden Ausführungen der Vergabekammer hierzu wird Bezug genommen.

c.) Die Auftraggeberin wird deshalb die Wertung der Nebenangebote zu wiederholen haben, wobei die fehlende Mengenermittlung einen Ausschluss wegen Unvollständigkeit und die Abweichung vom Amtsentwurf einen Ausschluss wegen Nichterfüllung der Mindestanforderungen nicht rechtfertigt.

Dabei ist die Auftraggeberin insbesondere gehalten, eine Gleichwertigkeitsprüfung vorzunehmen. Die Vergabekammer durfte die Frage nicht offen lassen, ob eine Gleichwertigkeitsprüfung unterbleiben kann, wenn ein Nebenangebot den Mindestanforderungen entspricht. Der Auffassung, dass bei der Wertung von Nebenangeboten auf das Erfordernis der Gleichwertigkeit verzichtet werden könne, weil die Vorgabe von Mindestbedingungen die Vergleichbarkeit der Angebote sicherstelle, kann nicht gefolgt werden. Die Erfüllung von Mindestanforderungen sind schon begrifflich kein Äquivalent für die Gleichwertigkeit, sondern lediglich das Minimum dessen, was der Auftraggeber vorgibt, um überhaupt im Übrigen in die Gleichwertigkeitsprüfung einzutreten. Der bloße Umstand, dass das Nebenangebot den vorgegebenen Mindestbedingungen entspricht, führt deshalb nicht zur Annahme seiner Gleichwertigkeit mit dem Amtsvorschlag.

Eine Gleichwertigkeitsprüfung hat vorliegend noch nicht stattgefunden. Denn in der - im Wege der Akteneinsicht den Beteiligten nicht zugänglich gemachten - Tabelle, in der die Gleichwertigkeit oder die fehlende Gleichwertigkeit kenntlich zu machen ist, fehlt bei den Nebenangeboten der Antragstellerin ein Eintrag.

Bei der danach noch vorzunehmenden Gleichwertigkeitsprüfung wird die Auftraggeberin die hierfür entwickelten allgemein anerkannten Grundsätze zu berücksichtigen haben. Ein Nebenangebot muss in qualitativer wie quantitativer Hinsicht gegenüber dem Hauptangebot bzw. dem Amtsvorschlag gleichwertig sein. Da im Nebenangebot etwas anderes angeboten wird als ausgeschrieben, muss der öffentliche Auftraggeber prüfen, ob die alternativ angebotene Leistung den Vertragszweck unter allen technischen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten ebenso erfüllt und dementsprechend für seinen Bedarf ebenso geeignet ist. Bei der Beurteilung der Gleichwertigkeit steht dem öffentlichen Auftraggeber ein weiter Beurteilungs- und Ermessensspielraum zu. Über den Wertungsvorgang muss die für die Wertung zuständige Stelle der Auftraggeberin einen Vermerk fertigen, bei dem den vorstehenden Grundsätzen Rechnung getragen wird.

Die Gleichwertigkeitsprüfung und die Erstellung eines Vergabevermerks wird auch nicht dadurch entbehrlich, dass im Nachprüfungsverfahren verschiedene Aspekte, die in die Gleichwertigkeitsprüfung einfließen, vorgetragen worden sind. Dieser Vortrag, bei dem nicht ersichtlich ist, ob er auf Erwägungen der für die Wertung zuständigen Stelle der Auftraggeberin hin erfolgt ist, stellt keinen für eine Gleichwertigkeitsprüfung ausreichenden Abwägungsvorgang dar. Wenn die Nachprüfungsinstanzen diesen Vortrag berücksichtigen und ihn unter Gleichwertigkeitsgesichtspunkten beurteilen würden, würde dies dazu führen, dass sie in unzulässiger Weise ihr eigenes Ermessen an die Stelle des Ermessens des Auftraggebers setzen. Die Auftraggeberin hat hier ihr Ermessen bisher noch nicht ausgeübt.

Die Auftraggeberin mag erwägen, ob sie das vorliegende zweite Nachprüfungsverfahren und die darin erhobene Rüge der Beigeladenen hinsichtlich des Ausschlusses ihres Nebenangebotes zum Anlass nimmt, nicht nur die Wertung der Nebenangebote der Antragstellerin, sondern auch diejenige betreffend das Nebenangebot der Beigeladenen zu wiederholen.

III. Die sofortige Beschwerde der Beigeladenen führt zu einer teilweisen Änderung der Kostenentscheidung der Vergabekammer, § 128 Abs. 3 und 4 GWB.

Die Vergabekammer hat bei ihrer Kostenentscheidung zu Unrecht nicht berücksichtigt, dass die Antragstellerin mit einer ihrer beiden Rügen keinen Erfolg hatte. Dieses Teilunterliegen führt dazu, dass die Antragstellerin mit einem Teil der Kosten des Vergabekammerverfahrens belastet werden muss. Sie erhält nicht alle, sondern nur die Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten von der Auftraggeberin und der Beigeladene erstattet. Umgekehrt hat auch die Beigeladene in entsprechender Anwendung von § 162 Abs. 3 VwGO aus Gründen der Billigkeit einen Anspruch auf Erstattung der Hälfte ihrer außergerichtlichen Kosten gegen die Antragstellerin (siehe hierzu grundlegend Senat, Beschluss vom 16.5.2008, Verg W 10/06). Die Antragstellerin hat sich mit dem Nachprüfungsantrag ausdrücklich, bewusst und gewollt in einen Interessengegensatz zum Beigeladenen gestellt, soweit sie die Wertung des Hauptangebotes der Beigeladenen beanstandet hat. Überdies hat sich die Beigeladene aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat, indem sie Anträge nebst Begründungen hierfür gestellt.

Die Kostenentscheidung für das Beschwerdeverfahren folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Kosten waren der Beigeladenen in vollem Umfang aufzuerlegen, weil sie im Beschwerdeverfahren in der Hauptsache vollständig unterliegt. Eine Kostenentscheidung zugunsten der sich selbst vertretenden Auftraggeberin unterbleibt, weil nicht ersichtlich ist, dass ihr außergerichtliche Kosten entstanden sind.

Ende der Entscheidung

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