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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 08.06.1999
Aktenzeichen: 1 AZR 831/98
Rechtsgebiete: BetrVG, GG
Vorschriften:
BetrVG § 111 | |
BetrVG § 112 | |
BetrVG § 113 Abs. 3 | |
BetrVG § 50 | |
GG Art. 3 Abs. 1 |
1. Betrifft eine Betriebsänderung Kleinbetriebe im Sinne des § 111 Satz 1 BetrVG, die einem größeren Unternehmen angehören, besteht ein Mitbestimmungsrecht gem. §§ 111 ff. BetrVG jedenfalls dann, wenn sich die wirtschaftliche Maßnahme betriebsübergreifend auf mehrere Betriebe des Unternehmens erstreckt und in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fällt. Nach dem Schutzzweck der Vorschrift ist in einem solchen Fall für die Berechnung des Schwellenwertes auf die Zahl der Arbeitnehmer des Unternehmens abzustellen.
2. Plant ein mit der Vermittlung von Versicherungsverträgen und Bankprodukten befaßtes Unternehmen mit insgesamt mehr als 20 Arbeitnehmern, alle bisher in eigenständigen Kleinbetrieben organisierten Außendienstmitarbeiter zu entlassen und die von ihnen wahrgenommenen Aufgaben auf freie Handelsvertreter zu übertragen, liegt hierin eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung, die in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fällt.
Aktenzeichen: 1 AZR 831/98 Bundesarbeitsgericht 1. Senat Urteil vom 08. Juni 1999 - 1 AZR 831/98 -
I. Arbeitsgericht Aachen - 4 Ca 1599/97 - Urteil vom 06. Januar 1998
II. Landesarbeitsgericht Köln - 6 Sa 395/98 - Urteil vom 02. Juli 1998
---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Ja Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------
Entscheidungsstichworte: Interessenausgleich in Kleinbetrieben
Gesetz: BetrVG §§ 111, 112, 113 Abs. 3, § 50; GG Art. 3 Abs. 1
1 AZR 831/98 6 Sa 395/98 Köln
Im Namen des Volkes! Urteil
Verkündet am 8. Juni 1999
Klapp, als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
In Sachen
pp.
hat der Erste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 8. Juni 1999 durch den Präsidenten Professor Dr. Dieterich, die Richter Dr. Rost und Dr. Wißmann sowie die ehrenamtlichen Richter Schneider und Dr. Gentz für Recht erkannt:
Tenor:
Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 2. Juli 1998 - 6 Sa 395/98 - wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Parteien streiten in der Revisionsinstanz nur noch über einen Antrag des Klägers auf Nachteilsausgleich.
Die Beklagte, eine hundertprozentige Tochter der B , befaßt sich mit der Vermittlung von Versicherungs- und Bausparverträgen sowie von Bankprodukten. Diese Vermittlung wurde bis 1997 durch angestellte Finanzberater im Außendienst durchgeführt. Im Frühjahr 1997 waren ca. 60 Finanzberater beschäftigt, darunter der Kläger. Die Verwaltungszentrale der Beklagten ist in Frankfurt angesiedelt. Die Außendienstmitarbeiter waren bundesweit in den ihnen zugewiesenen Bereichen tätig.
Nach Gründung der Beklagten im Jahre 1987 wählten alle Mitarbeiter einschließlich der Außendienstmitarbeiter einen Betriebsrat, der seinen Sitz bei der Zentrale in Frankfurt hatte. Die Beklagte gliederte 1990/91 den Betrieb um und bildete fünf sog. Vertriebsbereiche, in denen die dort tätigen Außendienstmitarbeiter unter einem Vertriebsdirektor zusammengefaßt wurden (Vertriebsbereiche Mitte, Ost, West, Süd, Nord). In allen Vertriebsbereichen waren weniger als 21 Arbeitnehmer beschäftigt. Diese wählten jeweils für ihre Bereiche Betriebsräte, die zusammen mit dem dreiköpfigen Betriebsrat der Hauptverwaltung in Frankfurt einen Gesamtbetriebsrat bildeten.
Ende 1996 wurde der Vertriebsbereich Mitte, dem auch der im Bezirk Aachen tätige Kläger angehörte, aufgelöst. Der Kläger, der als Betriebsrat dieses Vertriebsbereichs gewählt worden war, wurde dem Vertriebsbereich West zugeteilt, in dem zu diesem Zeitpunkt gleichfalls ein Betriebsrat bestand. Im April 1997 beschloß die Beklagte, sämtliche Außendienstmitarbeiter zu entlassen und den Vertrieb ab 1. Juli 1997 ausschließlich durch freie Handelsvertreter vornehmen zu lassen. Verhandlungen mit den Betriebsräten oder dem Gesamtbetriebsrat über Interessenausgleich oder Sozialplan wurden nicht geführt. Mit Schreiben vom 12. Mai 1997 forderte die Beklagte den für den Vertriebsbereich West gewählten Betriebsrat auf, zu der beabsichtigten Kündigung des Klägers Stellung zu nehmen. Der Betriebsrat erhob Bedenken. Mit Schreiben vom 21. Mai 1997 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers zum 31. Dezember 1997 und stellte ihn zugleich für die Zeit ab 1. Juli 1997 von der Arbeit frei.
Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat Sozialwidrigkeit der Kündigung geltend gemacht, die fehlerhafte Anhörung des Betriebsrates gerügt und sich auf den besonderen Kündigungsschutz nach § 15 KSchG berufen.
Hilfsweise hat er für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung einen Anspruch auf Nachteilsausgleich geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte habe mit der Umstellung des Vertriebs von angestellten Außendienstmitarbeitern auf freie Handelsvertreter eine mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung durchgeführt, wegen derer sie hätte einen Interessenausgleich versuchen müssen. Dem stehe nicht entgegen, daß in den einzelnen Vertriebsbereichen jeweils weniger als 21 Mitarbeiter beschäftigt gewesen seien. Die Aufteilung in Vertriebsbereiche sei nur formell und willkürlich erfolgt. Sie habe letztlich dazu gedient, eventuelle Sozialplanansprüche zu verhindern. Die Außendienstmitarbeiter seien personell und sozial voll von der Verwaltungszentrale in Frankfurt geführt worden und mit dieser zusammen als einheitlicher Betrieb anzusehen, der mit mehr als 20 Arbeitnehmern der Mitbestimmung nach §§ 111 f. BetrVG unterfalle.
Selbst wenn man auf die Vertriebsbereiche als selbständige Einheiten abstellen wollte, seien die §§ 111 f. BetrVG anzuwenden. § 111 BetrVG müsse verfassungskonform ausgelegt werden. Ausgenommen seien nur Betriebe solcher Unternehmen, die insgesamt nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigten. Bilde ein Unternehmen - wie hier die Beklagte - mit deutlich mehr als 20 Arbeitnehmern mehrere Kleinbetriebe, sei der gesetzgeberische Zweck für die Ausnahme von der Mitbestimmung - nämlich kleinere Unternehmer nicht übermäßig zu belasten - nicht mehr gegeben. Eine Privilegierung solcher Kleinbetriebe verstoße gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG.
Der Kläger hat beantragt
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 21. Mai 1997 nicht aufgelöst worden ist,
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn zu den bisherigen Bedingungen eines Finanzberaters über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus weiterzubeschäftigen,
hilfsweise für den Fall der Wirksamkeit der Kündigung die Beklagte zu verurteilen, an ihn eine angemessene Abfindung für den Verlust des Arbeitsplatzes zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat die Kündigung für wirksam erachtet. Der Arbeitsplatz des Klägers sei aufgrund ihrer unternehmerischen Entscheidung entfallen. Ein Interessenausgleich sei nicht erforderlich gewesen, da die Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten Betriebe voraussetze, die mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigten. Eine unternehmensweite Betrachtung sei nach dem Gesetz gerade nicht vorgesehen. Eine entsprechende Auslegung scheitere schon am eindeutigen Gesetzeswortlaut. Die Bildung ihrer Vertriebsbereiche sei auch nicht willkürlich erfolgt. Die Außendienstmitarbeiter hätten jeweils für ihren Bereich die Betriebsratswahlen durchgeführt, ohne von ihr, der Beklagten, hierzu gezwungen worden zu sein. Ein Anspruch auf Nachteilsausgleich entfalle daher schon dem Grunde nach.
Das Arbeitsgericht hat die Klage insgesamt abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat auf die Berufung des Klägers dem hilfsweise gestellten Antrag auf Nachteilsausgleich stattgegeben und die Beklagte zur Zahlung einer Abfindung von 40.000,00 DM verurteilt; hinsichtlich des Hauptantrages (Kündigungsschutz) hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
Mit der zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Der Kläger bittet um Zurückweisung der Revision.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten hatte keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat der allein noch anhängigen Klage auf Zahlung eines Nachteilsausgleichs gem. § 113 Abs. 3 BetrVG im Ergebnis zu Recht stattgegeben.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die in § 111 Satz 1 BetrVG geregelte Beschränkung der Mitbestimmung bei Betriebsänderungen in Kleinbetrieben bis zu 20 Arbeitnehmern würde bei wörtlicher Anwendung gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßen, wenn dies auch für Kleinbetriebe gälte, die in ein größeres Unternehmen mit mehreren Betrieben eingebunden seien und wenn Betriebsänderungen durchgeführt würden, die ausnahmsweise in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fielen. § 111 BetrVG sei deshalb verfassungskonform dahin auszulegen, daß jedenfalls dann, wenn in größeren Unternehmen der Gesamtbetriebsrat für eine Betriebsänderung zuständig sei, auf die Gesamtzahl der in seine Zuständigkeit fallenden Arbeitnehmer abzustellen sei. Nur so lasse sich eine sachwidrige Ungleichbehandlung vermeiden. Ein solcher Fall liege hier aber vor, weshalb die Beklagte verpflichtet gewesen sei, mit dem Gesamtbetriebsrat über einen Interessenausgleich zu verhandeln.
Dem ist im Ergebnis und im wesentlichen auch in der Begründung zu folgen.
II. Die Kleinbetriebsklausel des § 111 BetrVG bedarf der ergänzenden Auslegung, um Wertungswidersprüche zu vermeiden. Ein Mitbestimmungsrecht besteht bei Betriebsänderungen auch dann, wenn diese mehrere Betriebe betreffen und in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fallen. Nach dem Schutzzweck der Kleinbetriebsklausel ist zumindest in einem solchen Fall auch für die Berechnung des Schwellenwertes nach § 111 BetrVG betriebsübergreifend auf das Unternehmen abzustellen.
1. Für die Frage, ob die Entlassung des Klägers Folge einer mitbestimmungspflichtigen Betriebsänderung war, ist allerdings davon auszugehen, daß der Kläger in einem Betrieb mit weniger als 21 wahlberechtigten Arbeitnehmern beschäftigt war.
a) Bis etwa 1990 waren zwar alle Arbeitnehmer der Beklagten in einem Betrieb zusammengefaßt und wählten auch gemeinsam einen Betriebsrat. Nach der 1990/1991 erfolgten Umorganisation sind aber für die (damals) fünf Vertriebsbereiche jeweils eigene Betriebsräte gewählt worden. Die beteiligten Arbeitnehmer und die Beklagte haben offensichtlich angenommen, daß die Voraussetzungen für eine Betriebsratswahl gegeben waren, die Vertriebsbereiche somit als selbständige Betriebe i.S.d. § 4 Satz 1 Nr. 1 oder Nr. 2 BetrVG anzusehen seien. Es kann dahingestellt bleiben, ob dies zutrifft. Selbst wenn der Betriebsbegriff verkannt worden sein sollte, waren die gewählten Betriebsräte doch wirksam im Amt, da die Wahlen nicht angefochten wurden. Die Verkennung des Betriebsbegriffs allein führt nach ständiger Senatsrechtsprechung regelmäßig nicht zur Nichtigkeit der Betriebsratswahl, sondern nur zu ihrer Anfechtbarkeit (vgl. Senatsbeschluß vom 27. Juni 1995 - 1 ABR 62/94 - AP Nr. 7 zu § 4 BetrVG 1972, zu B I der Gründe, m.w.N.; zuletzt Senatsurteil vom 19. Januar 1999 - 1 AZR 342/98 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).
Ein grober und offensichtlicher Verstoß, der zur Nichtigkeit der Wahlen führen könnte, ist nicht erkennbar. Die einzelnen Vertriebsbereiche waren organisatorisch zumindest insoweit abgrenzbar, als sie jeweils einem eigenen Vertriebsdirektor unterstellt waren. Der Umstand, daß die maßgeblichen personellen und sozialen Fragen weiterhin in der Verwaltungszentrale in Frankfurt bearbeitet wurden, steht nicht zwingend entgegen. Zumindest die räumlich weite Entfernung i.S.v. § 4 Satz 1 Nr. 1 BetrVG könnte die Annahme selbständiger Betriebsteile rechtfertigen.
b) Waren also die für die Vertriebsbereiche gewählten Betriebsräte wirksam im Amt, ist allerdings auch für die Mitbestimmungsrechte grundsätzlich von den Einheiten auszugehen, die diese repräsentieren. Wird ein Betriebsrat wirksam für eine als betriebsratsfähig angesehene Einheit gewählt, hat er alle entsprechenden Beteiligungsrechte, unabhängig davon, ob er tatsächlich für eine betriebsratsfähige Einheit gewählt worden ist (Senatsbeschluß vom 27. Juni 1995 - 1 ABR 62/94 - AP Nr. 7 zu § 4 BetrVG 1972; siehe für den umgekehrten Fall, daß für verschiedene Teile eine einheitliche Wahl durchgeführt wurde, Senatsurteil vom 19. Januar 1999 - 1 AZR 342/98 -, zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen). Diese Mitbestimmungsrechte können dann grundsätzlich nicht weiter reichen als die Mitbestimmungsrechte des Betriebsrates einer entsprechenden betriebsratsfähigen Einheit. Kommt es auf die Zahl der dem Betrieb angehörenden Arbeitnehmer an, ist an sich die Zahl der Arbeitnehmer maßgebend, die in der als betriebsratsfähig angesehenen Einheit beschäftigt sind.
2. Mitbestimmungspflichtig sind Betriebsänderungen nach dem Wortlaut von § 111 Satz 1 BetrVG nur in Betrieben mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern. Ausgenommen sind danach Kleinbetriebe, obwohl auch diese gemäß § 1 BetrVG betriebsratsfähig sind, wenn sie mindestens fünf - darunter drei wählbare - Arbeitnehmer erfassen.
a) Der Senat hat diese Einschränkung der Mitbestimmungsrechte in Kleinbetrieben als mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar angesehen (Senatsbeschluß vom 17. Oktober 1989 - 1 ABR 80/88 - BAGE 63, 162 = AP Nr. 29 zu § 111 BetrVG 1972). Der Entscheidung lag allerdings ein Fall zugrunde, in dem es sich um den einzigen Betrieb des Unternehmens handelte, das Unternehmen also insgesamt nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigte. Deshalb hat der Senat wesentlich darauf abgestellt, nach den Gesetzesmaterialien solle die Begrenzung auf kleine Unternehmen Rücksicht nehmen. Diese seien normalerweise weniger belastungsfähig und sollten deshalb einen größeren unternehmerischen Entscheidungsspielraum ohne finanzielle Folgelasten nutzen können. Außerdem habe die bei Inkrafttreten des Betriebsverfassungsgesetzes vorhandene Wettbewerbs- und Unternehmensstruktur erhalten werden sollen, weshalb Anreize für Neugründungen von Kleinunternehmen sinnvoll erschienen. Diese Anreizfunktion bestehe darin, daß Kleinunternehmen mit in der Regel weniger als 21 Arbeitnehmern nicht damit rechnen müßten, bei Betriebsänderungen einen Sozialplan aufstellen und bei Abweichungen von einem Interessenausgleich Abfindungen nach § 113 BetrVG zahlen zu sollen (siehe im einzelnen Senatsbeschluß vom 17. Oktober 1989, aaO).
Hieran ist für die vom Senat entschiedene Situation des Kleinunternehmens, das insgesamt nicht mehr als 20 Arbeitnehmer beschäftigt (sei es in einem, sei es in mehreren Betrieben), festzuhalten. Die Senatsentscheidung hat für diesen Fall auch durchweg Zustimmung erfahren (siehe nur Däubler in Däubler/Kittner/Klebe, BetrVG, 6. Aufl., § 111 Rz 29; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, BetrVG, 19. Aufl., § 111 Rz 29; Fabricius in GK-BetrVG, 6. Aufl., § 111 Rz 50; Richardi, BetrVG, 7. Aufl., § 111 Rz 22 - alle mit weiteren Nachweisen).
b) Im Streitfall liegen die Dinge jedoch anders. Im Frühjahr 1997 waren noch ca. 60 Finanzberater im Außendienst sowie 21 Arbeitnehmer in der Verwaltungszentrale in Frankfurt beschäftigt (nach dem Organigramm waren im Juli 1996 72 Arbeitnehmer in den Vertriebsbereichen - ausschließlich der Vertriebsdirektoren - und 21 Arbeitnehmer in der Zentrale tätig). Es handelte sich also keineswegs um ein Kleinunternehmen, auch wenn die verschiedenen Vertriebsbereiche den Schwellenwert des § 111 Satz 1 BetrVG nicht überschritten. Auf solche organisatorisch stark gegliederten Unternehmen lassen sich die Wertungen nicht übertragen, die die Sonderstellung von Kleinunternehmen rechtfertigen.
Dem Wortlaut des § 111 BetrVG nach ist die Arbeitnehmerzahl des Betriebes allerdings auch dann maßgebend, wenn das Unternehmen aus mehreren Betrieben besteht. Stellt man allein hierauf ab, hat der Betriebsrat in Kleinbetrieben mit weniger als 21 Arbeitnehmern keine Beteiligungsrechte nach §§ 111 f. BetrVG, auch wenn dem Gesamtunternehmen mehr Arbeitnehmer angehören (so etwa LAG Düsseldorf Beschluß vom 22. November 1979 - 3 TaBV 30/79 - DB 1980, 213; ErfK/Eisemann, § 50 BetrVG Rz 3; Galperin/Löwisch, BetrVG, 6. Aufl., § 111 Rz 5; Löwisch, BetrVG, 4. Aufl., § 111 Rz 2; derselbe, Festschrift Gerhard Müller, S. 301, 307; Hess/Schlochauer/Glaubitz, BetrVG, 5. Aufl., § 111 Rz 12). Dies wird konsequenterweise selbst dann angenommen, wenn von einer wirtschaftlichen Maßnahme mehrere Betriebe eines Unternehmens betroffen sind, so daß die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats in Frage steht (vgl. etwa ErfK/Eisemann, aaO; Fitting/Kaiser/ Heither/Engels, aaO, § 50 Rz 11 - jedenfalls dann, wenn keiner der Betriebe mehr als 20 Arbeitnehmer erfaßt - weitergehend wohl in § 111 Rz 20).
Demgegenüber wird es allerdings zunehmend als Gleichheitsverstoß im Sinne von Art. 3 Abs. 1 GG angesehen, daß Kleinbetriebe auch in größeren Unternehmen von der Mitbestimmung gem. §§ 111 f. BetrVG ausgeschlossen sein sollen. Für die wirtschaftliche Belastung des Unternehmens mache es keinen Unterschied, ob die gesamte Belegschaft in einem Betrieb konzentriert oder auf mehrere Betriebe verteilt sei (Däubler in Däubler/Kittner/Klebe, aaO, § 111 Rz 28, 29). Richardi (aaO, § 111 Rz 18, siehe auch § 99 Rz 11) verweist darauf, die Sozialplanpflichtigkeit könne nicht davon abhängen, wie der Unternehmer seine Arbeitsorganisation gestalte; wenn zur Sicherung einer arbeitnehmernahen Mitbestimmung mehrere Betriebsvertretungen gebildet würden, rechtfertige das nicht die Herausnahme aus der Mitbestimmung; sachlicher Grund könne nur sein, daß es sich um ein Kleinunternehmen handele. Auch Matthes (Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht, § 351 Rz 6) hält die Herausnahme der Kleinbetriebe für sachlich nicht gerechtfertigt, die gesetzliche Regelung jedoch für eindeutig (im Ergebnis ähnlich Fabricius, GK-BetrVG, § 111 Rz 53; Mothes, AuR 1974, 325, 329 f.; Ohl, Der Sozialplan, 1977, S. 59 f.; LAG Bremen Urteil vom 31. Oktober 1986 - 4 Sa 75/86 - LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 5).
c) Die verfassungsrechtlichen Bedenken, die gegen eine generelle Ausklammerung der Kleinbetriebe größerer Unternehmen geäußert werden, sind beachtlich.
aa) Für die Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Normen gibt der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG keinen einheitlichen Prüfungsmaßstab vor. Je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen ergeben sich unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen. Die Anforderungen sind um so strenger, je mehr sich die personenbezogenen Merkmale den in Art. 3 Abs. 3 GG genannten Diskriminierungsverboten nähern. Bei einer an Sachverhalten orientierten Ungleichbehandlung kommt es entscheidend darauf an, inwieweit die Betroffenen in der Lage sind, durch ihr Verhalten die Verwirklichung der Differenzierungsmerkmale zu beeinflussen. Die unterschiedliche Bindung des Gesetzgebers wirkt sich entsprechend auf die ihm zustehende Einschätzungsprärogative und auf die entsprechende verfassungsrechtliche Kontrolldichte aus (BVerfGE 88, 87, 96 f.; BVerfG Beschluß vom 27. Januar 1998 - 1 BvL 15/87 - AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969, zu B II 1 der Gründe).
Danach ist hier ein strengerer Maßstab geboten. § 111 BetrVG benachteiligt Arbeitnehmer in Kleinbetrieben im Vergleich zu Arbeitnehmern in größeren Betrieben. Die Ungleichbehandlung orientiert sich an einem Differenzierungsmerkmal, auf das die betroffenen Arbeitnehmer nicht mit ihrem Verhalten Einfluß nehmen können; der Zuschnitt der Betriebsgröße hängt allein von der Entscheidung des Arbeitgebers ab. Außerdem hat die Regelung Auswirkungen auf die durch Art. 12 GG geschützte Freiheit der beruflichen Tätigkeit; sogar der Bestandsschutz der Arbeitsverhältnisses ist geringer.
Die Benachteiligung hält zwar aus den bereits im Senatsbeschluß vom 17. Oktober 1989 (- 1 ABR 80/88 - BAGE 63, 162 = AP Nr. 29 zu § 111 BetrVG 1972) im einzelnen dargelegten Gründen einer Überprüfung am allgemeinen Gleichheitssatz stand, soweit es sich um den Betrieb eines Kleinunternehmens handelt. Der die Beschränkung der Mitbestimmung tragende Gesichtspunkt des Schutzes von typischerweise weniger belastungsfähigen Kleinunternehmen trifft jedoch nicht mehr zu, wenn Träger des Kleinbetriebes ein größeres Unternehmen ist, dessen Beschäftigtenzahl die typisierend festgelegte Grenze von 20 Arbeitnehmern übersteigt. Die wirtschaftliche Belastungsfähigkeit ist nicht von der organisatorischen Abgrenzung der Einheiten abhängig, innerhalb derer der Arbeitgeber bestimmte arbeitstechnische Zwecke verfolgt. Die Arbeitsorganisation des Unternehmens unterliegt der freien Entscheidung des Unternehmers und ist von diesem beliebig steuerbar.
Die Fragwürdigkeit einer betriebsbezogenen Grenze in Großunternehmen wird besonders deutlich, wenn dem Unternehmen sowohl Betriebe mit mehr als 20 Arbeitnehmern als auch Kleinbetriebe angehören. Bei strenger Differenzierung nach der jeweiligen Betriebsgröße würde das bei einer Stillegung sämtlicher Betriebe aufgrund einer einheitlichen Unternehmerentscheidung dazu führen, daß ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates nur hinsichtlich der größeren Betriebe bestünde. Die dort beschäftigten Arbeitnehmer würden also durch Interessenausgleich und Sozialplan geschützt, während die Arbeitnehmer der gleichfalls stillgelegten Kleinbetriebe diesen Schutz nicht hätten. Übertragen auf den Streitfall: Hätte die Beklagte sich entschieden, ihre unternehmerische Tätigkeit überhaupt einzustellen, wäre zwar für den Innendienst in Frankfurt ein Interessenausgleich und ein Sozialplan fällig gewesen, nicht hingegen für die Außendienstmitarbeiter in den Vertriebsbereichen, also den der Zahl nach größeren Anteil.
bb) Eine allein am Wortlaut des § 111 Satz 1 BetrVG orientierte generelle Herausnahme von Kleinbetrieben aus der wirtschaftlichen Mitbestimmung auch dann, wenn sie Bestandteile eines größeren Unternehmens sind, wäre daher im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich bedenklich. Insoweit gilt nichts anderes als für die Privilegierung von Kleinbetrieben gemäß § 23 KSchG. Dieser Regelung liegt gleichfalls der Gedanke zugrunde, daß in typisierender Weise Rücksicht genommen werden soll auf die reduzierte Leistungsfähigkeit kleiner Unternehmen. Diese Argumentation rechtfertigt auch im Rahmen des § 23 KSchG nicht die Herausnahme solcher Einheiten aus dem Anwendungsbereich des Gesetzes, die ihrerseits Teile größerer Unternehmen sind (BVerfG Beschluß vom 27. Januar 1998 - 1 BvL 15/87 - AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969, zu B II der Gründe = AR-Blattei ES 1020 Nr. 346 mit Anm. Dieterich = AuR 1998, 207 mit Anm. Buschmann; siehe auch Bepler, AuR 1997, 54, 58).
cc) Diese am Schutzzweck des § 111 BetrVG orientierten verfassungsrechtlichen Bedenken lassen sich nicht ohne weiteres auf andere Bestimmungen übertragen, die in gleicher Weise Kleinbetriebe aus der Mitbestimmung ausklammern. Dies gilt insbesondere für § 99 BetrVG, der ein Mitbestimmungsrecht bei personellen Einzelmaßnahmen ebenfalls auf Betriebe mit in der Regel mehr als 20 wahlberechtigten Arbeitnehmern beschränkt. Sieht man den Zweck des Mitbestimmungsrechts hier im Ausgleich kollidierender Individualinteressen innerhalb der Arbeitnehmerschaft, ist es durchaus nicht von vornherein sinnwidrig, allein auf die organisatorische Einheit abzustellen, unabhängig davon, ob diese Bestandteil eines größeren Unternehmens ist (so etwa Richardi, aaO, § 99 Rz 11 unter ausdrücklicher Gegenüberstellung zu § 111 BetrVG, wo auch nach Richardi eine Korrektur geboten ist, siehe § 111 Rz 18).
3. § 111 BetrVG kann jedoch verfassungskonform ergänzend so ausgelegt werden, daß Wertungswidersprüche vermieden werden. Dabei ist auch den verfassungsrechtlichen Bedenken gegen eine allein am Wortlaut orientierte Auslegung Rechnung zu tragen. Ein Mitbestimmungsrecht bei Betriebsänderungen besteht jedenfalls dann, wenn diese mehrere Kleinbetriebe betreffen und in die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats fallen. Nach dem Schutzzweck des § 111 BetrVG ist zumindest in einem solchen Fall für die Berechnung des Schwellenwertes betriebsübergreifend auf das Unternehmen abzustellen. Ob eine verfassungskonforme Auslegung möglich ist, die die Kleinbetriebsklausel noch weitergehend einschränkt, muß im vorliegenden Verfahren nicht entschieden werden.
a) Richtig ist allerdings, daß der Gesetzgeber des Betriebsverfassungsgesetzes an sich bewußt zwischen den Begriffen Betrieb und Unternehmen unterscheidet (s. nur § 106 BetrVG einerseits und § 111 BetrVG andererseits). Während das Unternehmen auf die Rechtsträgerschaft abstellt, wird unter Betrieb allgemein die organisatorische Einheit verstanden, innerhalb derer ein Arbeitgeber allein oder mit seinen Arbeitnehmern mit Hilfe von technischen und immateriellen Mitteln bestimmte ar-beitstechnische Zwecke fortgesetzt verfolgt, die sich nicht in der Befriedigung von Eigenbedarf erschöpfen (s. nur Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 1 Rz 55; Richardi, aaO, § 1 Rz 17 - mit ausführlichen Nachweisen). Der Begriff des Betriebes ist aber weder im Betriebsverfassungsgesetz noch in anderen Gesetzen ausdrücklich definiert. Bereits deshalb kann nicht ohne weiteres gesagt werden, der Wortlaut der gesetzlichen Regelung sei eindeutig und stehe jeder Auslegung entgegen (vgl. auch etwa Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 1 Rz 54 mit dem Hinweis, Betrieb bedeute nicht an allen Stellen des Betriebsverfassungsgesetzes dasselbe).
b) Indem § 111 BetrVG auf den Begriff des Betriebes abstellt, begrenzt er das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats als des auf der Betriebsebene zuständigen Organs. Soweit es um Sachverhalte geht, die allein einen Betrieb betreffen, führt der Schwellenwert zu dem Ergebnis, daß ein Beteiligungsrecht nur bei solchen Betriebsräten entfällt, die nicht mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer repräsentieren. Diese vom Gesetzgeber offensichtlich als Normalfall betrachtete Gleichsetzung von Betrieb, Vertretungsorgan und privilegierter arbeitsorganisatorischer Einheit trifft aber dann nicht zu, wenn Kompetenzträger nicht der Betriebsrat, sondern der Gesamtbetriebsrat ist. Dieser ist gemäß § 50 Abs. 1 BetrVG originär zuständig für die Behandlung von Angelegenheiten, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe des Unternehmens betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Wollte man in diesem Fall gleichfalls auf die jeweilige Größe der einzelnen betroffenen Betriebe abstellen, könnte dies zu einer Beschränkung von Mitbestimmungsrechten auch dann führen, wenn das zuständige betriebsverfassungsrechtliche Organ mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer repräsentiert. Anhaltspunkte dafür, daß der Gesetzgeber eine solche Differenzierung bewußt angestrebt hätte, sind nicht ersichtlich. Vielmehr ist anzunehmen, daß er mit dem Abstellen auf den "Betrieb" davon ausging, damit zugleich auch den zuständigen Träger erfaßt zu haben, dessen Mitbestimmungsrechte er beschränken wollte. Dies ist zwar in der Regel der Betriebsrat, kann aber ausnahmsweise auch der Gesamtbetriebsrat sein.
Zumindest für diesen Ausnahmefall ist deutlich, daß die gesetzliche Regelung eine Lücke enthält. Diese ist dahin auszufüllen, daß jedenfalls dann, wenn bei einer betriebsübergreifenden Regelung der Gesamtbetriebsrat für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts zuständig ist, auch die Berechnung des Schwellenwertes betriebsübergreifend entsprechend der repräsentierten Belegschaft vorzunehmen ist. Legt es der Schutzzweck des § 111 BetrVG ohnehin näher, generell statt auf die Betriebsebene auf die Unternehmensebene abzustellen, ist dies erst recht anzunehmen, wenn die zu beschränkenden Mitbestimmungsrechte gar nicht auf Betriebs-, sondern auf Unternehmensebene bezogen sind. Selbst wenn man dem Gesetzgeber die Absicht unterstellen wollte, unabhängig von der Größe des Unternehmens mehr unternehmerische Flexibilität hinsichtlich der Bildung und Auflösung einzelner kleiner arbeitsorganisatorischer Einheiten zu gewähren, könnte auch dies grundsätzlich nur die Ebene des Einzelbetriebes und die korrespondierende Kompetenz des Betriebsrats berühren. Hingegen wäre eine Einschränkung auf der Kompetenzebene des Gesamtbetriebsrats mit dem Regelungssystem der wirtschaftlichen Mitbestimmung nicht vereinbar.
c) Im Ergebnis ist also mit dem Landesarbeitsgericht davon auszugehen, daß für die Berechnung des Schwellenwertes nach § 111 BetrVG jedenfalls dann auf die Zahl der im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer abgestellt werden muß, wenn für die Ausübung des Mitbestimmungsrechts der Gesamtbetriebsrat zuständig ist. Dabei kommt es nicht darauf an, ob wenigstens in einem der vom Gesamtbetriebsrat repräsentierten Betriebe mehr als 20 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt sind (mit dieser Einschränkung für die Einbeziehung von Kleinbetrieben bei Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats etwa LAG Bremen Urteil vom 31. Oktober 1986 - 4 Sa 75/86 - LAGE § 111 BetrVG 1972 Nr. 5; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 50 Rz 11 - s. aber auch § 111 Rz 21; Fabricius, aaO, § 111 Rz 53; Ohl, aaO, S. 60).
III. Die Beklagte hat eine Betriebsänderung vorgenommen, indem sie alle Vertriebsbereiche stillgelegt und sämtliche Außendienstmitarbeiter entlassen hat. Für die Wahrung des Mitbestimmungsrechts war der Gesamtbetriebsrat zuständig. Deshalb ist für die Berechnung des Schwellenwertes auch nicht auf die einzelnen Vertriebsbereiche, sondern auf das gesamte Unternehmen abzustellen. Dort waren aber mehr als 20, nämlich insgesamt ca. 80 wahlberechtigte Arbeitnehmer beschäftigt.
1. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, daß die streitbefangene Maßnahme eine Betriebsänderung ist. Die Voraussetzungen des § 111 Satz 2 Nr. 1 BetrVG sind erfüllt, gleichgültig, ob man von einer betriebsbezogenen oder von einer unternehmenseinheitlichen Sicht ausgeht. Stellt man allein auf die Vertriebsbereiche ab, sind diese stillgelegt und sämtliche Außendienstmitarbeiter entlassen worden. Stellt man auf eine unternehmensbezogene Sicht ab, liegt jedenfalls der Tatbestand einer wesentlichen "Betriebseinschränkung" durch Personalabbau vor (vgl. nur Senatsbeschluß vom 11. November 1997 - 1 ABR 6/97 - AP Nr. 42 zu § 111 BetrVG 1972, zu II 3 der Gründe). Dabei sind die Entlassungen in den vier Vertriebsbereichen zusammenzurechnen, weil sie auf eine einheitliche unternehmerische Entscheidung zurückgehen, wonach der Vertrieb künftig nur noch durch freie Handelsvertreter erfolgen soll (vgl. auch Senatsurteil vom 19. Januar 1999 - 1 AZR 342/98 -, zur Veröffentlichung vorgesehen, zu III 2 c der Gründe).
Eine Betriebsänderung käme im übrigen auch unter dem Gesichtspunkt des § 111 Satz 2 Nr. 4 BetrVG in Betracht wegen einer grundlegenden Änderung der Betriebsorganisation und/oder des Betriebszweckes. Die Beklagte vermittelt zwar nach wie vor Versicherungsverträge und Bankprodukte, dies aber in ganz anderer Weise als bisher. Sie hat den eigenen Vertrieb aufgegeben und bietet damit eine veränderte Dienstleistung an (vgl. etwa Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 111 Rz 87).
2. Für die Wahrnehmung des entsprechenden Mitbestimmungsrechts war hier der Gesamtbetriebsrat zuständig.
Die unternehmerische Planung betraf mehrere Betriebe und erforderte eine einheitliche Regelung (s. zur Abgrenzung der Zuständigkeiten bei der Mitbestimmung in wirtschaftlichen Angelegenheiten Senatsurteil vom 24. Januar 1996 - 1 AZR 542/95 - BAGE 82, 79 = AP Nr. 16 zu § 50 BetrVG 1972, zu I 1 der Gründe). Die maßgebende unternehmerische Entscheidung war von der Arbeitgeberin unternehmenseinheitlich geplant. Sie betraf alle Vertriebsbereiche. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, mit dem Betriebsrat einen Interessenausgleich zu vereinbaren, soll dem Betriebsrat die Möglichkeit eröffnen, das Ob und das Wie der geplanten Betriebsänderung zu beeinflussen. Die Planung, den gesamten Außendienst stillzulegen, kann nicht für einzelne Betriebe unterschiedlich aussehen. Sie wirft betriebsübergreifende Fragen auf. Nur eine einheitliche Regelung könnte die (sei es auch nur zeitweise) Fortführung des bisherigen einheitlichen Vertriebssystems ermöglichen. Verhandlungen mit den einzelnen Betriebsräten könnten eine solche einheitliche Regelung nicht garantieren. Es bestünde vielmehr die Gefahr von Interessenkonflikten zwischen den einzelnen Belegschaften, deren Betriebsräte gegeneinander ausgespielt werden könnten - etwa hinsichtlich des Zeitpunktes der Umsetzung in einzelnen Bereichen zu Lasten anderer Bereiche. Die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats liegt hier um so näher, als letztlich neben den vier Vertriebsbereichen auch die Zentrale in Frankfurt betroffen ist. Der Abbau des gesamten Außendienstes muß notwendigerweise auch zu Änderungen in der Zentrale führen, da dort sämtliche bisher wahrgenommenen Aufgaben der Personalführung wegfallen.
3. Soweit sich die Beklagte erstmals in der Revisionsbegründung ausdrücklich darauf beruft, daß im Zeitpunkt der geplanten Betriebsänderung im Vertriebsbereich West kein Betriebsrat im Amt gewesen sei und eine Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats für diesen Betrieb deshalb nicht bestehe, hat sie damit keinen Erfolg. Es kann dahingestellt bleiben, ob es sich um einen in der Revisionsinstanz unzulässigen neuen Tatsachenvortrag handelt, weil dieser unschlüssig ist. Er läßt nicht hinreichend erkennen, daß ein Betriebsrat zum maßgeblichen Zeitpunkt tatsächlich fehlte. Der Kläger weist in der Revisionserwiderung zu Recht darauf hin, daß die Nichtigkeit einer durchgeführten Wahl allein nicht zwingend diese Folge hat. Wenn die betroffene Arbeitnehmerin von dem bis dahin ordnungsgemäß innegehabten Betriebsratsamt zurückgetreten sein sollte und deshalb eine Neuwahl durchgeführt wurde (§ 13 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG; s. zum Einmannbetriebsrat Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 13 Rz 37), blieb sie gem. § 22 BetrVG mit allen Befugnissen (Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 22 Rz 8) im Amt, bis der neue Betriebsrat gewählt wurde. Auch bei einer nichtigen Neuwahl bleibt diese Situation unverändert - längstens bis zum Ablauf der regulären Amtszeit (Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 22 Rz 12).
Aber selbst dann, wenn man weitergehend davon ausginge, daß im Zeitpunkt der streitbefangenen Planung im Vertriebsbereich West tatsächlich kein Betriebsrat im Amt war, ließe das die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats auch für diesen Bereich noch unberührt. Die Beklagte beruft sich zu Unrecht auf das Senatsurteil vom 16. August 1983 (1 AZR 544/81 - BAGE 44, 86 = AP Nr. 5 zu § 50 BetrVG 1972). Danach erstreckt sich die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats nicht auf solche betriebsratsfähigen Betriebe des Unternehmens, in denen kein Betriebsrat gewählt worden ist. Dies wird im wesentlichen mit der fehlenden demokratischen Legitimation des Gesamtbetriebsrats für solche Einheiten begründet. Diese Rechtsprechung hat Zustimmung, aber auch erhebliche Kritik erfahren (s. zum Streitstand nur Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 50 Rz 12; Kreutz, GK-BetrVG, 6. Aufl., § 50 Rz 41; Richardi, BetrVG, § 50 Rz 34 - alle m.w.N.). Hierauf braucht im Streitfall nicht näher eingegangen zu werden. Im Vertriebsbereich West war nämlich unstreitig ein Betriebsrat wirksam gewählt worden. Daraus leitet sich die Legitimation des Gesamtbetriebsrats auch hinsichtlich dieses Vertriebsbereichs ab. Diese bestand fort, selbst wenn man davon ausgeht, daß es bei einer notwendig gewordenen Neuwahl zu einer nichtigen Wahl gekommen sei und deshalb vorübergehend kein Betriebsrat im Amt gewesen sein sollte (und auch der zurückgetretene Betriebsrat nicht die Geschäfte weiterführte).
Der Gesamtbetriebsrat hat keine Amtszeit, da er eine Dauereinrichtung ist und über die Wahlperiode der einzelnen Betriebsräte hinaus besteht (vgl. nur Fitting/ Kaiser/Heither/Engels, aaO, § 47 Rz 19; Galperin/Löwisch, aaO, § 47 Rz 15; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 47 Rz 64). Ein kurzfristiger Wegfall einzelner Betriebsräte etwa wegen einer nicht rechtzeitigen oder einer angefochtenen Wahl berührt den Bestand des Gesamtbetriebsrats nicht (Trittin in Däubler/Kittner/Klebe, aaO, § 47 Rz 9; Fitting/Kaiser/Heither/Engels, aaO; Hess/Schlochauer/Glaubitz, aaO, § 47 Rz 66). Die Situation ist nicht vergleichbar mit der eines Betriebes, in dem überhaupt kein Betriebsrat gewählt worden ist und auch nicht gewählt werden sollte. Die Arbeitnehmer des Vertriebsbereichs West wollten einen Betriebsrat wählen und damit auch von einem Gesamtbetriebsrat vertreten sein. Dies reicht für die fortbestehende Legitimation des Gesamtbetriebsrats aus. Im übrigen hat die Beklagte den Betriebsrat zur Kündigung des Klägers ausdrücklich angehört, ist also selbst von dessen Existenz ausgegangen.
IV. Die Beklagte hat die danach mitbestimmungspflichtige Betriebsänderung durchgeführt, ohne einen Interessenausgleich mit dem Gesamtbetriebsrat versucht zu haben. Sie ist daher gem. § 113 Abs. 3 in Verb. mit Abs. 1 BetrVG verpflichtet, den Arbeitnehmern, die infolge der Betriebsänderung entlassen worden sind, eine Abfindung in entsprechender Anwendung von § 10 KSchG zu zahlen. § 113 Abs. 3 BetrVG dient der Sanktion der unterlassenen Beteiligung des Betriebsrates. Ausreichend ist der objektive Verstoß des Arbeitgebers (Senatsurteil vom 24. Januar 1996 - 1 AZR 542/95 - BAGE 82, 79 = AP Nr. 16 zu § 50 BetrVG 1972, zu II 1 a der Gründe; Senatsurteil vom 10. Dezember 1996 - 1 AZR 290/96 - AP Nr. 32 zu § 113 BetrVG 1972, zu II der Gründe).
Die Beklagte beruft sich ohne Erfolg darauf, sie habe auf die gesetzliche Regelung vertrauen dürfen; mit einer Auslegung des Gesetzes gegen dessen Wortlaut habe sie nicht rechnen müssen; eine Sanktion sei daher nicht gerechtfertigt. Es kann dahingestellt bleiben, ob ein unvermeidbarer Rechtsirrtum wirklich dazu führen muß, daß eine Sanktion nach dem Schutzzweck des § 113 BetrVG nicht verhängt werden darf. Diese Frage könnte sich stellen, wenn eine gefestigte Rechtsprechung, auf die der Arbeitgeber vertrauen durfte, in unvorhersehbarer Weise geändert wird. Solche Umstände lagen aber hier nicht vor. Die Anwendbarkeit von § 111 BetrVG in Kleinbetrieben größerer Unternehmen wird schon seit längerem sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur diskutiert (siehe dazu nur die Ausführung unter II 2). Der Senat selbst hatte zwar die Ausklammerung der Kleinbetriebe als mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar angesehen, diese Entscheidung aber gerade mit den Besonderheiten von Kleinunternehmen begründet; die Entscheidungsgründe passen nicht auf größere Unternehmen mit mehreren Kleinbetrieben (Senatsbeschluß vom 17. Oktober 1989 - 1 ABR 80/88 - BAGE 63, 162 = AP Nr. 29 zu § 111 BetrVG 1972). Das Risiko einer verfassungskonformen Auslegung war also für die Beklagte erkennbar, zumal bei einer Maßnahme, die praktisch drei Viertel der Gesamtbelegschaft des Unternehmens betraf. Ein Vertrauensschutz, der es rechtfertigen könnte, ausnahmsweise von einer Sanktion gem. § 113 Abs. 3 BetrVG ganz abzusehen, ist daher nicht ersichtlich. Immerhin hat das Landesarbeitsgericht bei der Bemessung der Abfindungshöhe zugunsten der Beklagten berücksichtigt, daß die Anwendung der §§ 111 f. BetrVG im Streitfall problematisch erscheinen konnte und die Beklagte daher mit vertretbaren Gründen von einer anderen Auslegung habe ausgehen dürfen. Insoweit ist den Einwendungen der Beklagten durchaus Rechnung getragen worden.
Ende der Entscheidung
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