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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 20.08.2009
Aktenzeichen: 2 AZR 165/08
Rechtsgebiete: BGB, ArbGG


Vorschriften:

BGB § 626 Abs. 1
ArbGG § 69 Abs. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

2 AZR 165/08

Verkündet am 20. August 2009

In Sachen

hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 28. Mai 2009 durch den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Eylert als Vorsitzenden, die Richter am Bundesarbeitsgericht Linsenmaier und Schmitz-Scholemann sowie die ehrenamtlichen Richter Dr. Sieg und Dr. Grimberg für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Thüringer Landesarbeitsgerichts vom 19. September 2007 - 4 Sa 261/06 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung und einen von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Prozessbeschäftigung.

Die Klägerin war seit 1994 als Sachbearbeiterin für Straßenaufsicht und Kommunalwirtschaft im Tiefbau- und Umweltamt der beklagten Stadt beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehörte ua. die Bearbeitung von Anträgen auf Erteilung von Sondernutzungserlaubnissen und Gestattungen nach dem Thüringer Straßengesetz. Im Jahr 2005 hatte die Klägerin über vier Anträge einer Baufirma T entschieden und Gestattungsverträge abgeschlossen. Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin die dabei anfallenden Entgelte zu Lasten der Beklagten falsch berechnet hat.

Am 17. Oktober 2005 wurde der Amtsleiter über die entsprechenden Vorfälle informiert. Sie waren bei einer Überprüfung der von der Klägerin in den vergangenen sechs Monaten bearbeiteten Vorgänge ermittelt worden. Nach Beteiligung des Personalrats kündigte die Beklagte mit Schreiben vom 28. Oktober 2005 das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin.

Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie bestreitet ein pflichtwidriges Verhalten. Außerdem habe die Beklagte die Zweiwochenfrist für die fristlose Kündigung nicht eingehalten. Der Personalrat sei nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche, vorsorglich ordentliche zum nächst möglichen Termin ausgesprochene Kündigung vom 28. Oktober 2005, zugegangen am 31. Oktober 2005, nicht aufgelöst wird.

2. - Für den Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. - die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertragsgemäßen Bedingungen als Sachbearbeiterin Straßenaufsicht mit einem monatlichen Bruttoentgelt iHv. 2.288,88 Euro weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die Klägerin habe Berechnungen zu Lasten der Beklagten durchgeführt. Einer Abmahnung habe es angesichts der Schwere ihres Fehlverhaltens nicht bedurft. Die Zweiwochenfrist sei eingehalten und der Personalrat ordnungsgemäß beteiligt worden.

Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Klägerin Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist begründet.

A. Das Landesarbeitsgericht hat unter Bezugnahme auf den Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils, der zu den Kündigungsvorwürfen allein den streitigen Parteivortrag darstellte, von einer Wiedergabe des unstreitigen Sachverhalts weitgehend abgesehen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt: Die Klägerin habe sich in vier Fällen über die Vorgaben der Beklagten zur Berechnung von Gestattungsentgelten hinweggesetzt. Sie habe der antragstellenden Baufirma damit Gebühren in fünfstelliger Höhe erspart, die der Beklagten zugleich als Einnahmen entgangen seien. Es handele sich um gravierende Vertragsverstöße im Vertrauensbereich, die an sich geeignet seien, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Soweit die Klägerin geltend mache, schon bei einem früheren Bauvorhaben sei eine Aufteilung in kleinere Bauabschnitte erfolgt, treffe dies insoweit nicht zu, als dies seinerzeit ausdrücklich mit Absprache ihrer Vorgesetzten geschehen sei. Zu einer eigenmächtigen Berechnung eines geringen Entgelts sei die Klägerin nicht berechtigt gewesen. Der Klägerin sei auch bewusst gewesen, dass sie gegen die Gebührenvorgaben der Beklagten verstoßen habe. Sie habe dies ausdrücklich in ihrem Schreiben vom 24. Oktober 2005 eingeräumt. Die Beklagte sei nicht verpflichtet gewesen, zuvor eine Abmahnung auszusprechen. Der Personalrat sei ordnungsgemäß angehört und die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten worden.

B. Das Urteil des Landesarbeitsgerichts unterliegt der Aufhebung. Ob die Klage begründet ist, kann noch nicht beurteilt werden. Die Sache war deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 562 Abs. 1, § 563 Abs. 1 ZPO).

I. Eine schwere, insbesondere schuldhafte Vertragspflichtverletzung kann eine außerordentliche Kündigung eines Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund an sich nach § 626 Abs. 1 BGB rechtfertigen. Dabei kann ein wichtiger Grund an sich nicht nur in einer erheblichen Verletzung der vertraglichen Hauptleistungspflichten liegen. Auch die erhebliche Verletzung von vertraglichen Nebenpflichten kann ein wichtiger Grund an sich zur außerordentlichen Kündigung sein (Senat 19. April 2007 - 2 AZR 78/06 - AP BGB § 611 Direktionsrecht Nr. 77; 2. März 2006 - 2 AZR 53/05 - AP BGB § 626 Krankheit Nr. 14 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 16; BAG 15. Januar 1986 - 7 AZR 128/83 - AP BGB § 626 Nr. 93 = EzA BGB § 626 nF Nr. 100; vgl. auch: Senat 16. August 1991 - 2 AZR 604/90 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 27 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 41).

II. Die bisherigen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts tragen nicht die rechtliche Schlussfolgerung, ein wichtiger Grund liege vor. Das Landesarbeitsgericht hat es als "gravierende Vertragsverstöße" und wichtigen Grund angesehen, dass sich die Klägerin "in vier Fällen über die Vorgaben der Beklagten zur Berechnung von Gestattungsentgelten hinweggesetzt ... und der antragstellenden Baufirma damit Gebühren in fünfstelliger Höhe erspart (hat), die der Beklagten zugleich als Einnahmen entgangen sind".

1. Diese Würdigung des Landesarbeitsgerichts kann in rechtlicher Hinsicht schon deshalb keinen Bestand haben, weil sich aus ihr nicht ergibt, gegen welche vertraglichen Pflichten die Klägerin verstoßen haben soll. Ein Pflichtenverstoß kann nur dann festgestellt werden, wenn die entsprechende Pflicht materiell bestimmt wird. Daran fehlt es bereits. Das Landesarbeitsgericht hat schon den Inhalt der nach seiner Auffassung gravierend verletzten Anweisungen nicht angeführt. Seine pauschale und vieldeutige Formulierung, die Klägerin habe sich über "Vorgaben hinweggesetzt" kann die Feststellung eines konkreten Pflichtenverstoßes umso weniger ersetzen, als schon das Arbeitsgericht die bestehenden Dienstanweisungen als "wenig nachvollziehbar" angesehen hat.

2. Aus dem Berufungsurteil ist auch nicht ersichtlich, in welchen tatsächlichen Gegebenheiten es die - offenbar mehreren - "Vertragsverstöße" sieht. Die "vier Fälle" sind im unstreitigen Tatbestand des Berufungsurteils nicht näher bezeichnet. Vermutlich geht das Landesarbeitsgericht davon aus, die Klägerin habe vertraglich die Pflicht gehabt, Gestattungsentgelte entsprechend den Tabellen der Beklagten zu berechnen und dagegen mehrfach verstoßen. Zwischen den Parteien war allerdings bereits streitig, welche Vorgaben genau bestanden und inwieweit die Vorgaben der Beklagten zur Berechnung der Gestattungsentgelte für die Klägerin bindend waren. Dies zum einen deshalb, weil die Klägerin geltend gemacht hatte, die Vorgaben seien wucherisch. Zum andern hatte die Klägerin eingewandt, die Beklagte selbst habe über Jahre hinweg die Vorgaben nicht angewandt, die Nichtanwendung geduldet oder die teilweise Nichtanwendung in gewissen Fällen - in denen nämlich eine besondere Nähe zwischen der Beklagten und der Baufirma bestanden habe - zum Verhandlungsgegenstand zwischen der Baufirma und der Vorgesetzten der Klägerin machen lassen. Auch das Arbeitsgericht hatte die bei der Beklagten befolgte Praxis als derart undurchsichtig angesehen, dass es die Beklagte auf einen erheblichen Nachschulungsbedarf hinwies. Außerdem hatte die Klägerin vorgetragen, die Beklagte habe die Beträge, die die Klägerin nach Auffassung der Beklagten habe festsetzen müssen, auch im Nachhinein noch als überhöht angesehen, die entsprechenden Vorgaben geändert und die Beträge nicht in voller Höhe eingefordert. Aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ergibt sich damit nicht, in welcher "fünfstelligen" Höhe die Klägerin nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts der Baufirma Gebühren erspart haben soll. Im Gegenteil hat es sich das Landesarbeitsgericht erspart, die Klägerin von ihren schweren Pflichtenverstößen dadurch zu überzeugen, dass es ihr im Urteil mitgeteilt hätte, wie denn nach seiner Auffassung die Berechnung richtig vorgenommen werden müsste und welchen Betrag genau die Klägerin der Beklagten unrechtmäßig entzogen haben soll. Das Landesarbeitsgericht hat vielmehr im Gegenteil noch nicht einmal mitgeteilt, welche der verschiedenen Berechnungsmöglichkeiten nach seiner Auffassung die richtige gewesen sein soll, erst recht nicht, inwiefern sie sich eindeutig aus der Gebührentabelle hätte ergeben sollen.

III. Das Berufungsgericht wird bei der neuen Entscheidung die fehlenden Feststellungen nachzuholen haben. Es wird ferner zu beachten haben, dass ein Berufungsurteil einen den Anforderungen des § 69 Abs. 3 ArbGG genügenden Tatbestand enthalten muss, widrigenfalls es ohne Weiteres der Aufhebung unterliegt.

1. Nach § 69 Abs. 2 ArbGG kann unter den dort genannten Voraussetzungen von der Darstellung des Tatbestands nur dann abgesehen werden, wenn das Berufungsurteil unzweifelhaft nicht der Revision unterliegt (§ 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO). § 69 Abs. 3 ArbGG verlangt für Urteile, gegen die die Revision statthaft ist, eine gedrängte Darstellung des Sach- und Streitstands auf der Grundlage der mündlichen Vorträge der Parteien. Das ist erforderlich, um eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht zu ermöglichen (vgl. BAG 15. August 2002 - 2 AZR 386/01 - AP ZPO 1977 § 543 Nr. 12 = EzA ZPO § 543 Nr. 12; BGH 13. August 2003 - XII ZR 303/02 - BGHZ 156, 97; Germelmann in Germelmann/Matthes/Prütting/Müller-Glöge 6. Aufl. § 69 Rn. 12). Einem Urteil ohne Tatbestand kann in der Regel nicht entnommen werden, welchen Streitstoff das Berufungsgericht seiner Entscheidung zugrunde gelegt hat, so dass dem Revisionsgericht eine abschließende Überprüfung verwehrt ist. Etwas anderes gilt ausnahmsweise dann, wenn der Zweck des Revisionsverfahrens, dem Revisionsgericht die Nachprüfung des Berufungsurteils und insbesondere dessen Rechtsanwendung auf den festgestellten Sachverhalt zu ermöglichen, im Einzelfall deswegen erreicht werden kann, weil der Sach- und Streitstand sich aus den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils in einem für die Beurteilung der aufgeworfenen Rechtsfrage ausreichenden Umfang ergibt (BAG 17. Juni 2003 - 2 AZR 123/02 - zu I 1 der Gründe, AP ZPO 1977 § 543 Nr. 13 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 4). Verhält sich das Berufungsurteil über die Frage, ob für eine außerordentliche Kündigung ein wichtiger Grund gegeben ist, so muss der unstreitige und streitige Tatsachenvortrag zu den Kündigungsgründen konkret mitgeteilt werden; allgemeine Wertungen wie, eine Partei habe gegen nicht näher dargestellte Pflichten auf nicht näher eingegrenzte gravierende Weise verstoßen und dadurch nicht näher oder nur größenordnungsmäßig beschriebene Schäden herbeigeführt, werden den Anforderungen nicht gerecht.

2. Der Tatbestand darf auch nicht derart unvollständig sein, dass diese Unvollständigkeit dem Revisionsgericht eine Überprüfung der Revisionsangriffe unmöglich macht. So liegt es, wenn das Berufungsurteil aufgrund von Lückenhaftigkeit, Widersprüchlichkeit oder Unverständlichkeit seine erschöpfende sachliche Nachprüfung nicht mehr erlaubt (BGH 10. Februar 2004 - VI ZR 94/03 - BGHZ 158, 60; Schwab/Weth/Schwab ArbGG 2. Aufl. § 69 Rn. 19). Auch in solchen Fällen liegt ein Mangel im Tatbestand vor (§ 313 Abs. 1 Nr. 5 ZPO), der auch ohne Rüge zur Aufhebung und Zurückverweisung führt (BGH 26. Juni 1963 - IV ZR 273/62 - BGHZ 40, 84).

Ende der Entscheidung

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