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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 03.12.1998
Aktenzeichen: 2 AZR 234/98
Rechtsgebiete: KSchG, BetrVG
Vorschriften:
KSchG § 1 Abs. 1 | |
BetrVG § 102 Abs. 1 |
Gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG sind dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung auch dann mitzuteilen, wenn das Arbeitsverhältnis nicht dem allgemeinen Kündigungsschutz unterliegt. Hat allerdings der Arbeitgeber keine auf Tatsachen gestützte und demgemäß durch die Mitteilung dieser Tatsachen konkretisierbaren Kündigungsgründe, so genügt es, wenn er dem Betriebsrat seine subjektiven Wertungen mitteilt, die ihn zur Kündigung veranlassen (Fortführung der ständigen Rechtsprechung des Senats, vgl. BAGE 77, 13 = AP Nr. 64 zu § 102 BetrVG 1972 und zuletzt Urteil vom 12. November 1998 - 2 AZR 687/97 - n.v.).
Aktenzeichen: 2 AZR 234/98 Bundesarbeitsgericht 2. Senat Urteil vom 03. Dezember 1998 - 2 AZR 234/98 -
I. Arbeitsgericht Berlin - 1 Ca 3451/97 - Urteil vom 31. Juli 1997
II. Landesarbeitsgericht Berlin - 16 Sa 136/97 - Urteil vom 22. Januar 1998
---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------
Entscheidungsstichworte: Betriebsratsanhörung zur Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses
Gesetz: KSchG § 1 Abs. 1; BetrVG § 102 Abs. 1
2 AZR 234/98 16 Sa 136/97 Berlin
Im Namen des Volkes! Urteil
Verkündet am 3. Dezember 1998
Anderl, als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle
In Sachen
pp.
hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts gemäß § 128 Abs. 2 ZPO in der Sitzung am 3. Dezember 1998 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Etzel, die Richter Bitter und Dr. Fischermeier sowie die ehrenamtlichen Richter Lenz und Dr. Bensinger für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 22. Januar 1998 - 16 Sa 136/97 - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Von Rechts wegen!
Tatbestand:
Die Klägerin war bei der Beklagten seit 1. August 1996 als Verkäuferin zu einer monatlichen Bruttovergütung von 1.800,-- DM und mit einer vereinbarten Probezeit von drei Monaten beschäftigt.
Mit Schreiben vom 9. Januar 1996 (gemeint ist ersichtlich 1997) informierte die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat über die beabsichtigte Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Als Kündigungsgrund gab die Beklagte an: "Nach unserer allgemeinen, subjektiven Einschätzung genügt Frau Albrecht unseren Anforderungen nicht." Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 17. Januar 1997.
Gleichwohl kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 21. Januar 1997, der Klägerin zugegangen am 22. Januar 1997, zum 28. Februar 1997.
Mit ihrer am 28. Januar 1997 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage hat sich die Klägerin gegen diese Kündigung gewandt. Sie hat die Ansicht vertreten, der Betriebsrat sei über den Kündigungsgrund unzureichend informiert worden. Es müsse davon ausgegangen werden, daß eine Einschätzung, ein Arbeitnehmer genüge den Anforderungen nicht, auf tatsächlichen Erkenntnissen beruhe. Diese hätten dem Betriebsrat mitgeteilt werden müssen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung vom 21. Januar 1997 beendet worden ist, sondern über den Kündigungszeitpunkt hinaus ungekündigt fortbesteht,
2. für den Fall der Stattgabe des Antrages zu 1. die Beklagte zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluß des Kündigungsrechtsstreites zu den bisherigen Bedingungen weiterzubeschäftigen.
Die Beklagte hat zu ihrem Klageabweisungsbegehren vorgetragen, sie sei zu der subjektiven Einschätzung gelangt, daß die Klägerin ihren, der Beklagten, Anforderungen nicht genüge. Weitere Kündigungsgründe bestünden nicht, weshalb sie den Betriebsrat zutreffend und ausreichend unterrichtet habe. Ihrem Kündigungsentschluß lägen keine konkreten Fehlleistungen der Klägerin zugrunde, sondern lediglich eine allgemeine Einschätzung der Persönlichkeit und des Arbeitsverhaltens der Klägerin durch den zuständigen Filialleiter. Wenn ein Filialleiter innerhalb der ersten sechs Monate der Personalabteilung mitteile, daß er mit einer neu eingestellten Verkäuferin nicht langfristig zusammenarbeiten wolle, entspreche sie, die Beklagte, grundsätzlich diesem Wunsch.
Das Arbeitsgericht hat durch Versäumnisurteil nach dem Klageantrag erkannt und dieses Versäumnisurteil in seinem auf den Einspruch der Beklagten ergangenen Urteil aufrechterhalten.
Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht in Abänderung dieses Urteils das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des Versäumnisurteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die streitige Kündigung ist nicht gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam.
I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe den Betriebsrat ordnungsgemäß angehört. In den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses genieße der Arbeitgeber grundsätzliche Kündigungsfreiheit. Wenn er jedoch im Rahmen der Betriebsratsunterrichtung nach § 102 BetrVG gezwungen würde, dem Betriebsrat die Umstände mitzuteilen, die ihn zur Kündigung veranlaßten, würde der gesetzgeberische Zweck des § 1 Abs. 1 KSchG unterlaufen. Deshalb sprächen gute Gründe dafür, § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG einschränkend dahin auszulegen, daß die Kündigungsgründe nur insoweit mitzuteilen seien, als sie auch dem Arbeitnehmer (etwa beim tariflich vorgeschriebenen Begründungszwang) oder, bei einer gerichtlichen Auseinandersetzung, dem Gericht mitzuteilen seien.
Aber auch nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur "subjektiven Determinierung" der mitzuteilenden Kündigungsgründe sei vorliegend die Betriebsratsanhörung nicht zu beanstanden, weil sich die Beklagte auf eine reine Bewertung des Gesamtverhaltens der Klägerin beschränkt habe, ohne daß dieser konkrete Beanstandungen der Leistung oder Führung der Klägerin zugrunde gelegen hätten.
II. Dem folgt der Senat im Ergebnis, nicht allerdings uneingeschränkt hinsichtlich der Begründung.
1. Der Senat hält im Gegensatz zur Auffassung des Landesarbeitsgerichts daran fest, daß der Arbeitgeber auch außerhalb des Anwendungsbereichs des ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes dem Betriebsrat im Zuge der Anhörung die Gründe für die Kündigung mitzuteilen hat (vgl. BAGE 77, 13 = AP Nr. 64 zu § 102 BetrVG 1972; zuletzt Senatsurteil vom 12. November 1998 - 2 AZR 687/97 - n.v.). Der Wortlaut von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG ist insoweit eindeutig. Daß der Arbeitgeber bei einer ordentlichen Kündigung in den ersten sechs Monaten des Arbeitsverhältnisses grundsätzlich Kündigungsfreiheit genießt und auch im Prozeß nicht - jedenfalls nicht primär - gehalten ist, die Kündigung zu begründen, schließt eine kollektivrechtliche Pflicht zur Angabe der Kündigungsgründe gegenüber dem Betriebsrat nicht aus. § 102 BetrVG knüpft die Beteiligung des Betriebsrats nicht an das Bestehen allgemeinen Kündigungsschutzes nach dem Kündigungsschutzgesetz. Auch wenn ein individualrechtlicher Kündigungsschutz nicht oder noch nicht besteht, soll der Betriebsrat in die Lage versetzt werden, auf den Arbeitgeber einzuwirken, um ihn gegebenenfalls mit besseren Argumenten von seinem Kündigungsentschluß abzubringen. Dafür muß der Betriebsrat aber die Gründe kennen, die den Arbeitgeber zur Kündigung veranlassen, sei es auch nur den Umstand, daß der Arbeitgeber sich von seinem "Gefühl" leiten lassend von seiner Kündigungsfreiheit Gebrauch machen will.
2. Andererseits hat das Landesarbeitsgericht in seiner Zweitbegründung zutreffend erkannt, daß vorliegend die Annahme einer ausreichenden Anhörung des Betriebsrats nicht in Widerspruch zu der ständigen Senatsrechtsprechung steht, wonach die Mitteilungspflicht des Arbeitgebers bei der Betriebsratsanhörung gem. § 102 BetrVG subjektiv determiniert ist (vgl. speziell für die ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses BAGE 77, 13 = AP, aaO und zuletzt Senatsurteil vom 12. November 1998 - 2 AZR 687/97 -).
Die Feststellungen des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe sich vorliegend auf eine reine Bewertung des Gesamtverhaltens der Klägerin beschränkt, für konkrete Beanstandungen der Leistung oder der Führung der Klägerin, die dem Betriebsrat hätten mitgeteilt werden können und müssen, gebe es keine Anhaltspunkte, läßt Rechtsfehler nicht erkennen und bindet den Senat gem. § 561 Abs. 2 ZPO. Einen durchgreifenden Revisionsangriff hat die Klägerin insoweit nicht erhoben.
Zwar kann für das Tatsachengericht bei einer Formulierung im Anhörungsschreiben, wie sie vorliegend die Beklagte verwendet hat, Anlaß bestehen, gemäß § 139 ZPO aufzuklären, ob objektive Anforderungen bestanden, denen der Arbeitnehmer nicht genügt hat, und inwieweit entsprechende Tatsachen, die der Arbeitgeber dem Betriebsrat hätte mitteilen müssen, den Kündigungsentschluß bestimmt haben (vgl. auch Senatsurteil vom 28. September 1978 - 2 AZR 2/77 - BAGE 31, 83 = AP Nr. 19 zu § 102 BetrVG 1972). In der Regel setzt dies allerdings voraus, daß der Arbeitnehmer solches überhaupt vorgetragen hat. Dies ist vorliegend nicht geschehen.
Soweit die Revision die genannte Feststellung des Landesarbeitsgerichts als unrichtig bezeichnet, begründet sie dies zunächst damit, die Beklagte habe das Wort "Anforderungen" gebraucht und bei "Anforderungen" handele es sich nicht um rein persönliche Eignungskriterien, sondern um Kriterien bezogen auf die Arbeitsleistung oder Führung der Klägerin. Insoweit hat jedoch das Landesarbeitsgericht zutreffend darauf hingewiesen, aus der genannten Formulierung ergebe sich nicht, daß tatsächlich objektive Maßstäbe bei der Beklagten vorhanden seien. Der Begriff "Anforderungen" kann auch rein subjektiv in dem Sinne verstanden werden, daß die Klägerin rein gefühlsmäßig, d.h. mangels Anlegung eines (wie auch immer gearteten) objektiven Maßstabs nicht näher konkretisierbar, den Erwartungen der Beklagten nicht entsprach. Die Revision hat nicht aufgezeigt, daß und wo die Klägerin in den Tatsacheninstanzen vorgetragen hätte, die Beklagte habe in Wahrheit ihre, der Klägerin, Leistung bzw. ihr Verhalten an objektiven Maßstäben (welchen?) gemessen, diese und den ermittelten Grad der Abweichung dem Betriebsrat aber nicht mitgeteilt. Es fehlt mithin an einer beachtlichen Rüge, das Landesarbeitsgericht habe eine gemäß § 139 ZPO gebotene Sachverhaltsaufklärung unterlassen.
Auch soweit die Revision aus dem Ablauf der vertraglichen Probezeit ableiten will, der Einschätzung der Beklagten müßten dem Betriebsrat nicht mitgeteilte Tatsachen zugrunde liegen, bewegt sie sich im Bereich bloßer Spekulation, zeigt aber keine Rechtsfehler in dem angefochtenen Urteil auf. Der Entschluß der Beklagten, es über die vertragliche Probezeit hinaus mit der Klägerin zu versuchen, kann ebenso auf einer rein gefühlsmäßigen, nicht weiter objektivierten Einschätzung beruhen, wie letztlich die Ansicht, die Klägerin genüge nicht den (subjektiven) Anforderungen der Beklagten für eine dauerhafte Zusammenarbeit.
3. Da sonstige Unwirksamkeitsgründe für die streitige Kündigung weder von der Revision geltend gemacht noch sonst ersichtlich sind, hat das Landesarbeitsgericht die Klage im Ergebnis zu Recht abgewiesen.
Ende der Entscheidung
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