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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 06.07.2000
Aktenzeichen: 2 AZR 543/99
Rechtsgebiete: BGB, KSchG


Vorschriften:

BGB § 123
KSchG § 1 Abs. 2
Leitsätze:

1. Bei der Neueinstellung in den öffentlichen Dienst darf der öffentliche Arbeitgeber den Bewerber dann nach vor 1970 abgeschlossenen Tätigkeiten für das Ministerium für Staatssicherheit der ehemaligen DDR (MfS) fragen, wenn diese Tätigkeiten besonders schwer wiegen.

2. Die wahrheitswidrige Beantwortung dieser Frage kann unter Umständen die Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung gemäß §§ 123, 142 BGB rechtfertigen (im Anschluß an Senatsurteil 28. Mai 1998 - 2 AZR 549/97 - AP BGB § 123 Nr. 46 = EzA BGB §123 Nr. 49).

3. Eine arglistige Täuschung kann auch darin liegen, daß der Arbeitnehmer, der mit einer berechtigten Frage des öffentlichen Arbeitgebers nach einer Tätigkeit für das MfS rechnet, unaufgefordert bei seiner Bewerbung versichert (im Fall: "an Eides Statt"), er sei nicht für das MfS tätig gewesen.

Aktenzeichen: 2 AZR 543/99 Bundesarbeitsgericht 2. Senat Urteil vom 6. Juli 2000 - 2 AZR 543/99 -

I. Arbeitsgericht Urteil vom 9. Juni 1998 Dresden - 11 Ca 12418/97 -

II. Sächsisches Urteil vom 21. April 1999 Landesarbeitsgericht - 10 Sa 840/98 -


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

2 AZR 543/99 10 Sa 840/98

Verkündet am 6. Juli 2000

Schneider, der Geschäftsstelle

In Sachen

Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsklägerin,

pp.

Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter,

hat der Zweite Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 6. Juli 2000 durch den Richter am Bundesarbeitsgericht Bröhl als Vorsitzenden, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier und Bepler, die ehrenamtlichen Richter Thelen und Dr. Sieg für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Sächsischen Landesarbeitsgerichts vom 21. April 1999 - 10 Sa 840/98 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen !

Tatbestand

Der am 20. Juli 1941 geborene Kläger (verheiratet, zwei erwachsene Kinder) ist seit 1. Februar 1992 bei der Beklagten als angestellter Arbeitsvorbereiter in deren Rechenzentrum zuletzt in der VergGr. III BAT-O beschäftigt. Vor der Einstellung hatte der Kläger unaufgefordert zusammen mit seinem Bewerbungsschreiben der Beklagten eine "eidesstattliche Erklärung" des Inhalts übersandt, er sei weder offizieller noch inoffizieller Mitarbeiter des MfS/AfNS gewesen und es hätten auch keinerlei Kontakte zu diesen Stellen bestanden. Bei dem Einstellungsgespräch am 13. November 1991 unterzeichnete der Kläger darüber hinaus zwei Erklärungen, mit denen er bestätigte, weder jemals offiziell oder inoffiziell, hauptamtlich oder sonstwie für das MfS/AfNS der ehemaligen DDR gearbeitet zu haben, noch zu diesen Institutionen sonstige Kontakte, etwa Kontakte, die zu seiner Anwerbung hätten führen sollen, gehabt zu haben.

Nach dem Einzelbericht des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik (Gauck-Behörde) vom 15. September 1997 war der Kläger im Anschluß an eine am 14. September 1960 begründete Kontaktphase vom 28. April 1961 bis 13. März 1969 als inoffizieller Mitarbeiter des MfS registriert. Der Kläger gab hierzu eine Verpflichtungserklärung vom 28. April 1961 ab und wählte den Decknamen "D S ". Dem Einzelbericht zufolge fertigte der Kläger 75 handschriftliche Berichte, von denen 74 Berichte mit dem Decknamen des Klägers unterzeichnet waren. Die vom Kläger während seines Pädagogikstudiums und seiner späteren Tätigkeit als Lehrer erstellten Berichte betrafen unter anderem die Einschätzung von Studenten, Zimmer- und Pausengesprächen, Durchführung von Vorlesungen, Hören von Westsendern, Situation und Mißstände an der Schule, Rentnerreisen, Arbeit mit den Eltern und die Beobachtung einer aus Sicht des MfS verdächtigen Person während einer Reise von A nach Berlin und zurück. Der Kläger erhielt vom MfS Prämien in Höhe von insgesamt 150,00 M. Nach seiner Versetzung im Jahr 1966 nach M endete die Berichtstätigkeit. Nach der Abschlußeinschätzung der Kreisdienststelle A des MfS leistete der Kläger eine gute inoffizielle Arbeit, durch die von ihm gegebenen Hinweise war es möglich, der Abteilung Volksbildung Hinweise über das Auftreten von Lehrern zu geben und er trug wesentlich dazu bei, daß eine Veränderung an der Schule, besonders in der Leitungstätigkeit vorgenommen werden konnte.

Mit Schreiben vom 12. Dezember 1997 focht die Beklagte daraufhin, nachdem zuvor mit dem Kläger ein Gespräch geführt worden war, das Arbeitsverhältnis wegen arglistiger Täuschung an. Mit Schreiben vom 25. März 1998, dem Kläger zugegangen am 27. März 1998, kündigte die Beklagte vorsorglich das Arbeitsverhältnis darüber hinaus ordentlich zum 30. Juni 1998. Der am 19. Februar 1998 über die Kündigungsabsicht unterrichtete Personalrat erhob keine Einwendungen.

Der Kläger hält die Anfechtung für unwirksam und die Kündigung für sozialwidrig. Es treffe zwar zu, daß er vor seiner Einstellung unwahre Angaben gemacht habe. Darin liege jedoch keine arglistige Täuschung. Jedenfalls sei die Täuschung nicht widerrechtlich. Mit der Vorlage der eidesstattlichen Erklärung bei seiner Bewerbung habe er lediglich erreichen wollen, in den Kreis derjenigen aufgenommen zu werden, die zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen worden seien. Er habe sich insoweit in einer Zwangslage befunden, da anderweitige Beschäftigungsmöglichkeiten für ihn nicht bestanden hätten. Wenn die Beklagte ihm bei dem Einstellungsgespräch die beiden Fragebogen vorgelegt habe, so zeige dies, daß sie seiner eidesstattlichen Erklärung keine besondere Bedeutung beigemessen habe. Damit sei sie durch die eidesstattliche Erklärung nicht zum Vertragsabschluß veranlaßt worden. Die Fragen der Beklagten nach seiner MfS-Tätigkeit seien schon deshalb unzulässig gewesen, weil sie sich auf vor 1970 abgeschlossene Vorgänge bezogen hätten. Als besonders schwerwiegend könne seine MfS-Tätigkeit nicht angesehen werden. Dies zeigten schon die näheren Umstände seiner Anwerbung. Bei einem Arbeitseinsatz während seines Studiums habe seine Seminargruppe wegen des aus ihrer Sicht zu niedrigen Lohns und der zu hohen Arbeitsnorm die Arbeit niedergelegt. Drei der beteiligten Studenten seien in einem Strafverfahren verurteilt und vom Studium ausgeschlossen worden, er habe sich unter dem Eindruck des Strafverfahrens entschlossen, eine sogenannte Verpflichtungserklärung zu unterzeichnen. Im Januar 1972 habe darüber hinaus ein weiterer Versuch des MfS stattgefunden, ihn für eine Zusammenarbeit zu gewinnen; dies habe er abgelehnt. Der Kläger hat die ordnungsgemäße Beteiligung des Personalrats bestritten.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien über den 12. Dezember 1997 hinaus fortbesteht,

festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 25. März 1998, zugegangen am 27. März 1998, aufgelöst worden ist und

für den Fall des Obsiegens die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen als Arbeitsvorbereiter bis zur Rechtskraft der Entscheidung vorläufig weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags geltend gemacht, schon die Anfechtung sei wirksam und habe das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang beendet. Die arglistige Täuschung des Klägers über seine MfS-Tätigkeit wiege besonders schwer, weil der Kläger unaufgefordert eine "eidesstattliche Erklärung" abgegeben habe. Im Fall wahrheitsgemäßer Angaben wäre es zu seiner Einstellung nicht gekommen. Sie habe stets Wert darauf gelegt, keine ehemaligen Mitarbeiter des MfS einzustellen, und zwar unabhängig von einer tatsächlichen Eignung für den öffentlichen Dienst. Anläßlich des Bewerbungsgespräches seien dem Kläger die standardisierten Vordrucke über eine Tätigkeit für das MfS vorlegt worden, weil diese üblicherweise verwendet würden und auch weitere Fragen über eine politische Zugehörigkeit enthielten. Der Kläger sei verpflichtet gewesen, über seine MfS-Tätigkeit Auskunft zu geben, obwohl diese vor 1970 beendet gewesen sei. Es handele sich insoweit um besonders schwerwiegende Vorgänge. Der Kläger habe ausweislich der von ihm gefertigten Berichte über regimekritische Äußerungen seiner Kollegen und Kommilitonen berichtet und diese damit dem MfS ausgeliefert. Auch die ordentliche Kündigung stütze sich auf die Vortäuschung falscher Tatsachen durch den Kläger bei seiner Einstellung. Der Personalrat sei vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden.

Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Die Berufung der Beklagten blieb erfolglos. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Es läßt sich noch nicht abschließend beurteilen, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Anfechtung oder die Kündigung beendet worden und demgemäß die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet ist.

A. Das Landesarbeitsgericht hat - kurz zusammengefaßt - angenommen, der Kläger habe die Beklagte zwar arglistig getäuscht, indem er ohne entsprechende Frage der Beklagten in der eidesstattlichen Erklärung unwahre Angaben über seine MfS-Tätigkeit gemacht habe. Durch diese ungefragte Erklärung des Klägers sei die Beklagte jedoch nicht zum Abschluß des Arbeitsvertrages veranlaßt worden, denn ihrem Aufklärungsinteresse sei offensichtlich mit der Erklärung vom 26. September 1991 noch nicht genüge getan gewesen. Die unwahren Erklärungen des Klägers am 13. November 1991 rechtfertigten die Anfechtung ebenfalls nicht, weil sie vor 1970 abgeschlossene Vorgänge beträfen. Auch wenn besonders schwerwiegende, weit zurückliegende Vorgänge bei der Eignungsprüfung ausnahmsweise zu berücksichtigen seien, folge hieraus noch nicht die ausnahmsweise Zulassung des Fragerechts. Damit erübrige sich die Prüfung, ob die Berichtstätigkeit des Klägers besonders schwer wiege. Das Arbeitsverhältnis habe auch nicht aufgrund der Kündigung geendet. Der Kläger habe keine zulässigerweise durch die Beklagte gestellte Frage wahrheitswidrig beantwortet. Sein letztlich untauglicher Versuch, das Einstellungsverfahren durch die eidesstattliche Erklärung zu seinen Gunsten zu beeinflussen, beeinträchtige das Vertrauensverhältnis nicht so nachhaltig, daß dies die Kündigung rechtfertigen könne.

B. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt zutreffend eine Verletzung des § 123 BGB, § 1 KSchG.

I. Die Wirksamkeit der Anfechtung des Arbeitsvertrages wegen arglistiger Täuschung läßt sich mit der vom Landesarbeitsgericht gegebenen Begründung nicht verneinen.

Gemäß § 123 Abs. 1 BGB kann derjenige eine von ihm abgegebene Erklärung anfechten, der durch arglistige Täuschung zu ihrer Abgabe bestimmt worden ist.

1. Im Gegensatz zu der Annahme des Berufungsgerichts ist davon auszugehen, daß die wahrheitswidrige Beantwortung der beiden Fragebögen durch den Kläger als rechtswidrige arglistige Täuschung anzusehen sein kann. Die Revision rügt insoweit zu Recht eine Verkennung der Rechtsprechung zum Fragerecht des öffentlichen Arbeitgebers nach MfS-Tätigkeiten vor 1970 durch das Landesarbeitsgericht.

a) Der Kläger räumt selbst ein, daß er die Fragen der Beklagten nach einer MfS-Tätigkeit in den beiden ihm vorgelegten Fragebögen wahrheitswidrig beantwortet hat. Die Fragen nach einer MfS-Tätigkeit waren auch zulässig und deshalb vom Kläger wahrheitsgemäß zu beantworten, wenn diese Tätigkeit besonders schwerwiegend war und deshalb nach wie vor Bedeutung für den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses hatte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Urteil 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94, 195/95 und 2189/95 -, BVerfGE 96, 171), der sich der Senat angeschlossen hat (Urteile 4. Dezember 1997 - 2 AZR 750/96 - AP KSchG 1969 § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 37 = EzA KSchG § 1 Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 53 und 28. Mai 1998 - 2 AZR 549/97 - AP BGB § 123 Nr. 46 = EzA BGB § 123 Nr. 49), hat der öffentliche Arbeitgeber bei Ausübung des ihm zustehenden Fragerechts nach früheren MfS-Tätigkeiten des Bewerbers den Zeitfaktor zu berücksichtigen, da sich persönliche Haltungen im Laufe der Zeit ändern können und längere beanstandungsfreie Zeiten auf innere Distanz und Abkehr von früheren Einstellungen hinweisen können. Tätigkeiten für das MfS, die vor dem Jahre 1970 abgeschlossen sind, haben danach aber nur im Regelfall eine äußerst geringe Bedeutung für den Fortbestand übernommener Arbeitsverhältnisse bzw. die Neueinstellung von Arbeitnehmern in den öffentlichen Dienst, so daß die betroffenen Arbeitnehmer auf eine zeitlich unbeschränkte Frage nach MfS-Tätigkeiten die vor dem Jahre 1970 abgeschlossenen Tätigkeiten verschweigen durften. Es kommt nach dieser Rechtsprechung auf den Grad der Verstrickung an. Weiter zurückliegende Tätigkeiten sind dann nach wie vor für den Bestand des Arbeitsverhältnisses und die nach Art. 33 Abs. 2 GG erforderliche Eignungsprüfung bei einer Neueinstellung in den öffentlichen Dienst von Bedeutung, wenn sie besonders schwer wiegen oder wenn spätere Verstrickungen für sich allein genommen noch keine eindeutige Entscheidung zulassen. Daraus folgt im Gegensatz zu der Annahme des Berufungsgerichts, daß dem Arbeitgeber hinsichtlich solcher vor 1970 abgeschlossenen Tätigkeiten, die besonders schwer wiegen, auch ein Fragerecht zusteht (vgl. Senatsurteil 4. Dezember 1997 - 2 AZR 750/96 - aaO). Verneint der Arbeitnehmer in einem ihm von dem öffentlichen Arbeitgeber vorgelegten Fragebogen wahrheitswidrig eine derart schwerwiegende MfS-Tätigkeit vor 1970, handelt er rechtswidrig.

b) Da das Berufungsgericht bewußt offen gelassen hat, ob die MfS-Tätigkeit des Klägers in diesem Sinne besonders schwer wiegt, fehlen hinreichende Tatsachenfeststellungen zum Grad der Verstrickung des Klägers, die der Senat nicht selbst treffen kann.

2. a) Das Berufungsgericht geht jedoch zutreffend davon aus, daß der Kläger die Beklagte schon durch die mit seiner Bewerbung abgegebene eidesstattliche Erklärung vom 26. September 1991 getäuscht hat. Diese Erklärung war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts objektiv unwahr. Es ist unstreitig, daß der Kläger in der Zeit von 1961 bis 1966 auf der Grundlage der Verpflichtungserklärung vom 28. April 1961 unter dem Decknamen "D S " für das MfS mindestens 75 Berichte gefertigt hat.

b) Dem Berufungsgericht ist auch darin zu folgen, daß diese Täuschungshandlung rechtswidrig war, obwohl die Tätigkeit des Klägers für das MfS vor 1970 abgeschlossen war. Die genannte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG 8. Juli 1997 - 1 BvR 2111/94, 159/95 und 2189/95 - aaO; vgl. ferner BVerfG 21. Juli 1999 - 1 BvR 1584/98 - AP GG Art. 2 Nr. 44) und des Bundesarbeitsgerichts (Senatsurteil 28. Mai 1998 - 2 AZR 549/97 - aaO) trägt der besonderen Situation und den widerstreitenden Interessen der Parteien in Einstellungsgesprächen Rechnung. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers und der Grundsatz von Treu und Glauben rechtfertigen es, nur Fragen des Arbeitgebers im Einstellungsgespräch zuzulassen und dementsprechend eine wahrheitswidrige Beantwortung dieser Fragen durch den Arbeitnehmer als rechtswidrig anzusehen, die eine hinreichende Bedeutung für den Bestand bzw. Fortbestand des Arbeitsverhältnisses haben.

Diese Rechtsprechung ist, wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, nicht ohne weiteres auf eine wahrheitswidrige, noch dazu eidesstattliche Erklärung zu übertragen, die der Arbeitnehmer ungefragt im Einstellungsverfahren abgibt, um seine Chancen gegenüber anderen Bewerbern zu verbessern. Der Kläger hat hier das Einstellungsgespräch und eine Ausübung des Fragerechts durch die Beklagte bewußt nicht abgewartet, weil er nach seinem eigenen Vorbringen mit der freiwilligen Abgabe der eidesstattlichen Erklärung erreichen wollte, daß er überhaupt zu einem Einstellungsgespräch eingeladen wurde. Die besondere Zwangssituation, die die Rechtsprechung veranlaßt hat, das Fragerecht des öffentlichen Arbeitgebers bei Einstellungsverhandlungen im Hinblick auf das allgemeine Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers einzuschränken, bestand danach zum Zeitpunkt der Abgabe der eidesstattlichen Erklärung noch nicht in gleicher Weise wie bei einem Einstellungsgespräch. Der Kläger wollte sich vielmehr durch seine eidesstattliche Erklärung die Möglichkeit verschaffen, daß er schon bei der Auswahl der Bewerber, die zum Einstellungsgespräch geladen wurden, möglicherweise gegenüber anderen Bewerbern bevorzugt wurde, die bei einer von der Beklagten gestellten Frage nach einer früheren MfS-Tätigkeit in einer ähnlichen Zwangslage wie der Kläger gewesen wären. Außerdem zielte die ungefragt abgegebene Erklärung des Klägers darauf, daß die Beklagte ihn im Hinblick auf seine Vergangenheit für besonders zuverlässig hielt und er so seine Einstellungschancen verbesserte. Ein solches Verhalten ist regelmäßig als rechtswidrig anzusehen.

Es ist zwar zu erwägen, ob im Einzelfall es angesichts der Umstände (äußerst geringer Grad der Verstrickung des Betreffenden, sehr lange zurückliegende Tätigkeit für das MfS) geboten ist, auch bei ohne entsprechende Fragen des Arbeitgebers erfolgten falschen Angaben des Bewerbers über eine frühere MfS-Tätigkeit die Rechtswidrigkeit der Täuschungshandlung zu verneinen. Dies hat der Senat jedoch nicht abschließend zu entscheiden. Die Tätigkeit des Klägers für das MfS war jedenfalls so gravierend, daß der Kläger nicht berechtigt war, durch eine aktive Täuschungshandlung in Form einer unrichtigen "eidesstattlichen Erklärung" in den Einstellungsvorgang einzugreifen.

c) Die wahrheitswidrigen Angaben des Klägers in der eidesstattlichen Erklärung vom 26. September 1991 waren auch entgegen der Annahme des Berufungsgerichts kausal für den Abschluß des Arbeitsvertrages. Die Revision rügt zutreffend, daß die Kausalität nicht allein unter Hinweis darauf verneint werden durfte, daß die Beklagte später im Einstellungsverfahren dem Kläger erneut zwei Fragebögen über eine frühere MfS-Tätigkeit vorgelegt hat. § 123 BGB schützt die "freie Selbstbestimmung auf rechtsgeschäftlichem Gebiete" (Motive zum Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Band 1, Seite 204). Für die Annahme der Kausalität genügt deshalb schon Mitursächlichkeit der Täuschung und es reicht aus, wenn der Getäuschte Umstände dargetan hat, die für seinen Entschluß von Bedeutung sein können und die Täuschung nach der Lebenserfahrung Einfluß auf die Entscheidung haben kann (Senatsurteile 28. Mai 1998 - 2 AZR 549/97 - aaO; 20. Mai 1999 - 2 AZR 320/98 - AP BGB § 123 Nr. 50 = EzA BGB § 123 Nr. 52). Der Kläger geht selbst davon aus, daß er die Beklagte durch Vorlage der eidesstattlichen Erklärung über einen Umstand getäuscht hat, der aus ihrer Sicht für die Einstellungsentscheidung von erheblicher Bedeutung war. Nach dem vom Landesarbeitsgericht festgestellten Sachverhalt ist auch, wie die Revision zutreffend rügt, jedenfalls von einer Mitursächlichkeit der Täuschung für die Einstellungsentscheidung der Beklagten auszugehen. Der Kläger hat nach seinem eigenen Vorbringen durch seine Täuschungshandlung schon die Vorauswahl der Bewerber zu seinen Gunsten zu beeinflussen versucht. Nach der Lebenserfahrung spricht alles dafür, daß der Bewerber, der zu einem aus der Sicht des Arbeitgebers erkennbar für wichtig gehaltenen Eignungsmerkmal mit seiner Bewerbung eine positive eidesstattliche Erklärung überreicht, seine Chancen erhöht, gegenüber anderen Bewerbern, die eine solche Erklärung nicht einreichen, bei der Einladung zu einem Einstellungsgespräch und bei der späteren Auswahlentscheidung bevorzugt zu werden. Abgesehen davon ist auch die Annahme des Berufungsgerichts ungerechtfertigt, durch die Vorlage der beiden Fragebögen sei die Kausalität der eidesstattlichen Versicherung für die Einstellungsentscheidung gewissermaßen unterbrochen worden und die eidesstattliche Erklärung habe deshalb nur einen untauglichen Versuch einer arglistigen Täuschung dargestellt. Hält der Arbeitgeber ein bestimmtes Merkmal der persönlichen Eignung des Bewerbers ("keine frühere MfS-Tätigkeit") für besonders wichtig, so ist nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, daß es durchaus Einfluß auf die Einstellungsentscheidung haben kann, wenn ein Bewerber nicht nur wie alle anderen in einem Fragebogen angibt, dieses Merkmal liege bei ihm vor, sondern vorab unaufgefordert schon eine entsprechende eidesstattliche Erklärung abgegeben hat.

d) Der Kläger handelte auch arglistig. Das ist der Fall, wenn der Täuschende die Unrichtigkeit seiner Angaben kennt und zumindest billigend in Kauf nimmt, der Erklärungsempfänger könnte durch die Täuschung beeinflußt werden (Senatsurteil 20. Mai 1999 aaO). Das Berufungsgericht hat eine arglistige Täuschungshandlung in diesem Sinne zutreffend festgestellt. Der Kläger wollte nach seinem eigenen Vorbringen durch die Vorlage der eidesstattlichen Erklärung das Bewerbungsverfahren bewußt zu seinen Gunsten beeinflussen.

3. Auch die Frist zur Anfechtung nach § 124 BGB ist eingehalten.

4. Von seiner Rechtsauffassung her konsequent hat das Landesarbeitsgericht nicht geprüft, ob die Ausübung des Anfechtungsrechts durch die Beklagte vorliegend gegen Treu und Glauben verstieß, § 242 BGB. Diese regelmäßig der Tatsacheninstanz vorbehaltene Wertung kann der Senat nicht selbst vornehmen, da es insoweit an Tatsachenfeststellungen fehlt. Dies führt zur Aufhebung und Zurückverweisung, § 565 ZPO.

a) Auch das Recht zur Anfechtung steht unter dem Vorbehalt, daß seine Ausübung nicht gegen Treu und Glauben verstößt; die Anfechtung ist danach dann ausgeschlossen, wenn die Rechtslage des Getäuschten im Zeitpunkt der Anfechtung durch die arglistige Täuschung nicht mehr beeinträchtigt ist (Senatsurteile 11. November 1993 - 2 AZR 467/93 - BAGE 75, 77, 86; 28. Mai 1998 - 2 AZR 549/97 - AP BGB § 123 Nr. 46 = EzA BGB § 128 Nr. 49). Gerade auch auf Grund der Tatsachen, daß das Arbeitsverhältnis ein Dauerschuldverhältnis darstellt, kann sich ergeben, daß der Anfechtungsgrund soviel an Bedeutung verloren hat, daß er eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr rechtfertigen kann. Im Rahmen des § 123 Abs. 1 BGB ist danach zwar keine Interessenabwägung vorzunehmen, es ist aber zu prüfen, ob die Rechtslage des Getäuschten durch die im Rahmen der Einstellung verübte Täuschungshandlung noch beeinträchtigt ist. Dabei ist wesentlich auf die von dem betreffenden Arbeitnehmer vertraglich geschuldete Leistung und den mit der Fragestellung verfolgten Zweck abzustellen (Senatsurteil 28. Mai 1998 aaO).

b) Zu der vom Kläger vertraglich geschuldeten Leistung fehlen hinreichende Tatsachenfeststellungen durch das Berufungsgericht. Als Tätigkeitsbereich des Klägers ist lediglich der eines Arbeitsvorbereiters im Rechenzentrum angegeben. Um welche Tätigkeit es sich dabei genau handelt, ob die Gefahr besteht, daß der Kläger bei dieser Tätigkeit mit einer bei seiner Tätigkeit für das MfS früher bespitzelten Person zusammentreffen oder zumindest im Rechenzentrum Zugriff auf deren persönliche Daten haben könnte, ist nicht aufgeklärt.

c) Bei der Prüfung, ob aktuell noch eine Beeinträchtigung der Beklagten durch die Täuschungshandlung des Klägers vorliegt, kann vom Sinn und Zweck der Beurteilung der persönlichen Eignung des Klägers her nicht außer Betracht bleiben, als wie schwerwiegend die Tätigkeit des Klägers für das MfS einzuschätzen ist. Immerhin lag bei Ausübung des Anfechtungsrechts die Tätigkeit des Klägers für das MfS schon circa 30 Jahre zurück. Die Prüfung, ob eine derart schwerwiegende Tätigkeit des Klägers für das MfS vorlag, daß nach der Rechtsprechung auch eine weit zurückliegende Tätigkeit für das Arbeitsverhältnis von Bedeutung sein kann, hat das Berufungsgericht bewußt nicht vorgenommen. Dies wird nach der Zurückverweisung nachzuholen sein. Gegen den Kläger spricht hier die besonders intensive Tätigkeit für das MfS, die große Anzahl seiner Berichte, die auch nachteilige Einzelheiten über dritte Personen enthielten (politische Einschätzung von Studenten, Offenlegung von Mängeln in der Leitung seiner Schule, die möglicherweise personelle Veränderungen mitverursacht hat, bis hin zur Bespitzelung einer Person über einen ganzen Tag während einer aus Sicht des MfS verdächtigen Berlinreise), und die gewährten Prämien. Nicht bewertet hat das Landesarbeitsgericht ebenfalls das Entlastungsvorbringen des Klägers über einen vergeblichen Anwerbeversuch des MfS im Jahre 1972. Wäre darin eine deutliche Abkehr vom MfS zu sehen, so könnte dies möglicherweise dafür sprechen, daß das Arbeitsverhältnis durch die Täuschungshandlung doch nicht mehr allzu stark belastet ist; dabei ist jedoch zu berücksichtigen, daß der vom Kläger vorgelegte Aktenvermerk des MfS auch dahingehend ausgelegt werden könnte, was gegen den Kläger sprechen würde, daß dieser von einer erneuten Tätigkeit für das MfS nur Abstand genommen hat, weil die beruflichen Vorteile, die er sich durch seine inoffizielle Tätigkeit versprochen hatte, nicht in vollem Umfang eingetreten sind. Die Gefahr, daß der Kläger mit seinerzeit von ihm bespitzelten Personen in irgendeiner Weise während einer Tätigkeit bei der Beklagten zusammentrifft, könnte dadurch abgemildert sein, daß die Tätigkeit des Klägers für das MfS während seines Pädagogikstudiums und seiner Lehrertätigkeit stattgefunden hat, der Kläger aber schon seit langer Zeit in diesem Beruf nicht mehr tätig ist. Schließlich wird bei der Prüfung des Gewichts der MfS-Tätigkeit des Klägers sein substantiiertes und durch entsprechende Urkunden belegtes Vorbringen zu werten sein, die immerhin in jugendlichem Alter erfolgte Anwerbung durch das MfS sei im Zusammenhang mit einer Arbeitsniederlegung erfolgt, die in drei gleichgelagerten Fällen zur Bestrafung und Entfernung der Betreffenden von der Hochschule geführt habe.

II. Soweit es nach Prüfung der Anfechtung auf die Kündigung überhaupt noch ankommen kann, beruht auch die Beurteilung der hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung auf den aufgezeigten Rechtsfehlern. Die Revision rügt insoweit zutreffend eine Verletzung des § 1 KSchG.

In der Abgabe der falschen eidesstattlichen Versicherung durch den Kläger sieht das Berufungsgericht zwar einen Pflichtverstoß des Klägers, es geht jedoch bei der Interessenabwägung zu Unrecht zu Gunsten des Klägers davon aus, es habe sich dabei im Ergebnis um einen untauglichen Versuch einer Beeinflussung des Bewerbungsverfahrens gehandelt. Es bleibt dabei, wie bereits dargelegt, unberücksichtigt, daß die Täuschungshandlung des Klägers auf eine Beeinflussung der Auswahl unter den Bewerbern zielte. Die Beklagte, deren erhebliches Interesse an der wahrheitsgemäßen Beantwortung von Fragen über eine frühere MfS-Tätigkeit das Berufungsgericht anerkennt, mußte darauf vertrauen können, daß ein Bewerber nicht mit derart unlauteren Mitteln wie der Kläger auf den Gang des Bewerbungsverfahrens Einfluß nahm.

Ebenso zu Unrecht hat das Berufungsgericht mit Rücksicht auf den seit der MfS-Tätigkeit des Klägers verstrichenen Zeitraum eine Prüfung des Grads der Verstrickung des Klägers völlig unterlassen. War, wozu das Landesarbeitsgericht keine Tatsachenfeststellungen getroffen hat, die MfS-Tätigkeit des Klägers als besonders schwerwiegend anzusehen, so mußte es sich im Rahmen der Interessenabwägung zu Lasten des Klägers auswirken, wenn dieser dreimal, einmal sogar in Form einer "eidesstattlichen Erklärung" der Beklagten gegenüber eine derartige Tätigkeit strikt verneint und sogar jeden Kontakt zum MfS wahrheitswidrig bestritten hat, der zumindest in der Form eines mißlungen Anwerbungsversuchs nach dem eigenen Vorbringen des Klägers noch bis 1972 bestanden hat. Je nach dem Grad der Verstrickung des Klägers und dem daraus resultierenden Gewicht seiner pflichtwidrigen Täuschungshandlung anläßlich seiner Einstellung kann der vom Landesarbeitsgericht grundsätzlich zutreffend berücksichtigte beanstandungsfreie Fortbestand des Arbeitsverhältnisses bis 25. März 1998 teilweise oder völlig entwertet worden sein.

Ende der Entscheidung

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