Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 13.12.2005
Aktenzeichen: 3 AZR 217/05
Rechtsgebiete: BetrAVG, BGB, GG, ZPO


Vorschriften:

BetrAVG § 16
BetrAVG § 30c Abs. 2
BGB § 315
GG Art. 9 Abs. 3
ZPO § 138 Abs. 4
ZPO § 286
1. Zur Beurteilung der "wirtschaftlichen Lage" iSv. § 16 Abs. 1 BetrAVG kann auf die Grundsätze zurückgegriffen werden, die der Senat zu Eingriffen in die "erdiente Dynamik" aufgestellt hat. Liegen infolge der wirtschaflichen Lage Gründe vor, die solche Eingriffe rechtfertigen, so kann der Arbeitgeber auch die Anpassung laufender Betriebsrenten ablehnen.

2. Gewerkschaften dürfen die ihnen zur Verfügung stehenden Mittel nur zu den satzungsgemäßen koalitionspolitischen Zwecken verwenden. Bei der Festlegung und Erfüllung ihrer Aufgaben sind sie durch das Grundrecht der Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) geschützt. Eine Überprüfung und Bewertung solcher Entscheidungen steht den Gerichten für Arbeitssachen jedenfalls dann nicht zu, wenn es nur um die Aufrechterhaltung der bisherigen Aktivitäten geht.


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

3 AZR 217/05

Verkündet am 13. Dezember 2005

In Sachen

hat der Dritte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 13. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Reinecke, die Richter am Bundesarbeitsgericht Breinlinger und Dr. Zwanziger sowie den ehrenamtlichen Richter Stemmer und die ehrenamtliche Richterin Knüttel für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 8. Dezember 2004 - 15 Sa 508/04 - aufgehoben.

2. Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Der Kläger verlangt eine höhere Anpassung der Betriebsrente zum 1. Juli 2000.

Der 1925 geborene Kläger trat am 1. Oktober 1952 als hauptamtlicher Gewerkschaftssekretär in die Dienste der Gewerkschaft ÖTV. Zuletzt war er in der Funktion des Hauptkassierers Mitglied des Hauptvorstandes der ÖTV. Er schied zum 31. März 1988 aus dem aktiven Gewerkschaftsdienst aus und erhält seit April 1988 von der Unterstützungskasse des Deutschen Gewerkschaftsbundes eine betriebliche Altersversorgung. Diese betrug anfänglich 4.351,86 DM im Monat und wurde bis 1993 jährlich jeweils zum 1. Juli auf der Grundlage des Kaufkraftverlustes eines Vier-Personen-Haushalts mit mittlerem Arbeitnehmereinkommen angepasst. Danach erfolgten zunächst keine weiteren Anpassungen. Mit Schreiben vom 13. März 2000 teilte die ÖTV vorerst mit, dass eine Anpassung auch im Jahr 2000 nicht stattfinden werde. Mit weiterem Schreiben vom 31. Oktober 2000 unterrichtete sie aber dann den Kläger darüber, dass seine Betriebsrente rückwirkend zum 1. Juli 2000 um 2 % erhöht werde. Die ÖTV ist zum Jahresende 2000 in der Beklagten aufgegangen. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten der Anpassung zum 1. Juli 2000 als ungenügend widersprochen und schließlich Ende 2002 die vorliegende Klage erhoben.

Er hat die Auffassung vertreten, unter Berücksichtigung des Preissteigerungsindexes von 1988 bis 2000 in Höhe von 32,39 % hätte seine Betriebsrente bis zum 1. Juli 2000 um 1.409,57 DM erhöht werden müssen. Tatsächlich betrage in diesem Zeitraum die Anpassung nur 604,00 DM. Somit ergebe sich ein monatlicher Fehlbetrag von 805,57 DM oder 411,88 Euro. Diesem Anpassungsbedarf könne die Beklagte - ebenso wie ihre Rechtsvorgängerin - nicht fehlende wirtschaftliche Leistungsfähigkeit entgegenhalten. Die Angaben zum Mitgliederrückgang und zur Beitragsentwicklung hat der Kläger mit Nichtwissen bestritten. Er hat die Auffassung vertreten, die Anpassung könne nur verweigert werden, wenn eine Auszehrung der wirtschaftlichen Substanz drohe. Davon könne aber im Hinblick auf die Entwicklung des Treuhandreinvermögens und der Kompensation eventueller Beitragsrückgänge durch Zinseinnahmen aus dem Streikfonds nicht die Rede sein. Auch seien eine Reihe weiterer Ausgaben, zB Personalkosten, reduziert worden. Schließlich werde aus dem Ablehnungsschreiben der ÖTV vom März 2000 deutlich, dass die Rechtsvorgängerin der Beklagten zum 1. Juli 2000 keine Anpassungsprüfung nach § 16 BetrAVG vorgenommen habe.

Zuletzt hat der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 12.356,40 Euro brutto nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz aus 411,88 Euro brutto seit dem 1. Juli 2000 sowie seit dem 1. eines jeden Monats für den darauffolgenden Zeitraum bis zum 31. Dezember 2002 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn ab dem 1. Januar 2003 eine monatliche betriebliche Altersrente in Höhe von 2.945,77 Euro brutto zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Nach der Neufassung des § 16 BetrAVG zum 1. Januar 1999 sei nur noch der Prüfungszeitraum seit dem 1. Juli 1997 von Bedeutung. Die Verwendung ihrer Einkünfte im Einzelnen könne von den Gerichten nicht überprüft werden, da sie insoweit durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt sei. Vor allem aber hat die Beklagte dem Anpassungsbegehren des Klägers ihre schlechte wirtschaftliche Lage und die der ÖTV vor der Verschmelzung entgegengehalten. Von 1997 bis 2000 sei der Mitgliederbestand von 1,643 Mio. auf 1,476 Mio. zurückgegangen und das Beitragsaufkommen um 31 Mio. auf 461 Mio. gesunken. Infolge dessen sei seit 1997 das jährliche Defizit kontinuierlich von über 3 Mio. bis 2000 über 21 Mio. gewachsen. Ein versicherungsmathematisches Gutachten aus dem Jahr 1995 prognostiziere bis 2014 einen Anstieg der Versorgungsverpflichtungen auf 486,5 Mio., wovon 400 Mio. ungedeckt seien. Diese Angaben hat die Beklagte durch Vorlage zweier versicherungsmathematischer Gutachten aus den Jahren 1995 und 1998, Unterlagen aus Anlass der Verschmelzung zu ver.di, der letzten Jahresrechnungen der ÖTV und schließlich eigener Unterlagen zur Wirtschaftslage in den Jahren 2003/2004 erläutert.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Die Berufung der Beklagten war erfolgreich. Mit der zugelassenen Revision strebt der Kläger die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils an.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Zurückverweisung. Es kann noch nicht abschließend entschieden werden, ob dem Kläger der geltend gemachte Anspruch auf eine höhere Anpassung seiner Betriebsrente zum 1. Juli 2000 zusteht.

I. Schuldnerin eines etwaigen Anspruchs auf höhere Anpassung ist die Beklagte.

1. Zwar schließen Unterstützungskassen grundsätzlich einen Rechtsanspruch auf die in Aussicht gestellten Versorgungsleistungen aus (vgl. § 1b Abs. 4 BetrAVG).

Gleichwohl nimmt der Senat in ständiger vom Bundesverfassungsgericht nicht beanstandeter Rechtsprechung an, dass aus einer Versorgungszusage unter Einschaltung einer Unterstützungskasse ein Rechtsanspruch erwächst, dieser aber ganz oder teilweise aus sachlichem Grund widerruflich ist (17. Mai 1973 - 3 AZR 381/72 - BAGE 25, 194, 199 ff.; BVerfG 19. Oktober 1983 - 2 BvR 298/81 - BVerfGE 65, 196, zu C II 1 a der Gründe). Ein Anspruch des Klägers scheitert daher nicht bereits daran, dass seine betriebliche Altersversorgung von einer Unterstützungskasse durchgeführt wird.

2. Nach § 16 Abs. 1 BetrAVG ist Normadressat der Pflicht zur Anpassungsprüfung und -entscheidung allein der Arbeitgeber, also die Beklagte als Rechtsnachfolgerin der ehemaligen Gewerkschaft ÖTV. Daher kann der Kläger seinen Anspruch selbst dann gegen die Beklagte richten, wenn nach den Unterstützungs-Richtlinien 1988 der DGB-Unterstützungskasse (UR 88) deren Vorstand getrennt nach Kassenmitgliedern und im Einvernehmen mit dem jeweiligen Kassenmitglied über die Anpassung entscheidet.

II. Der Anpassungsbedarf des Klägers beträgt 411,88 Euro, was der Höhe nach nicht im Streit steht.

1. Nach § 16 Abs. 1 BetrAVG hat der Arbeitgeber alle drei Jahre eine Anpassung der laufenden Leistungen der betrieblichen Altersversorgung zu prüfen und hierüber nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei sind insbesondere die Belange des Versorgungsempfängers und die wirtschaftliche Lage des Arbeitgebers zu berücksichtigen. Die Gerichte für Arbeitssachen haben in entsprechender Anwendung des § 315 Abs. 2 und 3 BGB zu überprüfen, ob der Arbeitgeber bei seiner Anpassungsentscheidung den ihm eingeräumten Ermessensspielraum überschritten hat (BAG 23. April 1985 - 3 AZR 156/83 - BAGE 48, 272, 276; 10. September 2002 - 3 AZR 593/01 - AP BetrAVG § 16 Nr. 52 = EzA BetrAVG § 16 Nr. 41, zu II der Gründe).

2. Der Anpassungsbedarf des Klägers ergibt sich aus dem gesamten Kaufkraftverlust, der vom Rentenbeginn am 1. April 1988 bis zum Anpassungsstichtag am 1. Juli 2000 eingetreten ist.

a) Zu den Belangen des Versorgungsempfängers gehört sein Interesse an der Erhaltung der Kaufkraft seiner Betriebsrente. Aus dem zwischenzeitlich eingetretenen Kaufkraftverlust, der anhand der Veränderungen des Verbraucherpreisindexes für Deutschland zu ermitteln ist, ergibt sich der Anpassungsbedarf. Das entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats zu der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung des § 16 BetrAVG (23. Januar 2001 - 3 AZR 287/00 - AP BetrAVG § 16 Nr. 46 = EzA BetrAVG § 16 Nr. 38, zu 1 der Gründe). Diese Rechtsprechung ist vom Gesetzgeber durch die seit dem 1. Januar 1999 geltende Fassung des § 16 Abs. 2 Nr. 1 BetrAVG bestätigt worden, nach der eine Anpassung jedenfalls dann billigem Ermessen entspricht, wenn sie nicht geringer ist als der Anstieg des Verbraucherpreisindexes für Deutschland.

b) Der Prüfungszeitraum erfasst die Zeit vom Rentenbeginn bis zum Anpassungsstichtag. Die zum 1. Januar 1999 in Kraft getretene Neufassung des § 16 BetrAVG hat auf den Prüfungszeitraum keine Auswirkungen. Das Betriebsrentengesetz will nach wie vor eine Auszehrung der Betriebsrenten vermeiden. Die "Belange der Versorgungsempfänger" bestehen in der Wiederherstellung des ursprünglich vorausgesetzten Verhältnisses von Leistung und Gegenleistung. Dementsprechend ist der volle Anpassungsbedarf zu ermitteln, der in der seit Rentenbeginn eingetretenen Teuerung besteht, soweit sie nicht durch vorhergehende Anpassungen ausgeglichen wurde (BAG 30. August 2005 - 3 AZR 395/04 - zur Veröffentlichung vorgesehen, Rn. 21 ff.).

III. Es kann nicht abschließend entschieden werden, ob es billigem Ermessen nach § 315 BGB entspricht, dass die Beklagte unter Hinweis auf ihre wirtschaftliche Lage eine weitergehende Anpassung zum 1. Juli 2000 abgelehnt hat.

1. Bei der wirtschaftlichen Lage ist grundsätzlich auf den Anpassungsstichtag abzustellen. Beurteilungsgrundlage ist die wirtschaftliche Entwicklung des Arbeitgebers in der Zeit vor dem Anpassungsstichtag, soweit daraus Schlüsse für die weitere Entwicklung gezogen werden können. Die tatsächliche wirtschaftliche Entwicklung in der Zeit nach dem Anpassungsstichtag kann die frühere Prognose entweder bestätigen oder entkräften. Insoweit sind die wirtschaftlichen Daten bis zur letzten Tatsachenverhandlung zu berücksichtigen (BAG 17. April 1996 - 3 AZR 56/95 - BAGE 83, 1, 9 ff.; 17. Oktober 1995 - 3 AZR 881/94 - BAGE 81, 167, 171 f.). Somit ist die wirtschaftliche Entwicklung der Gewerkschaft ÖTV im Zeitraum zwischen 1997 und 2000 maßgeblich, wobei die nachfolgende Entwicklung zur Bestätigung oder Abschwächung der aus diesem Zeitraum gewonnenen Beurteilungsgrundlage führen kann.

2. Bei der Beurteilung der "wirtschaftlichen Lage" iSv. § 16 Abs. 1 BetrAVG können die Grundsätze herangezogen werden, die der Senat zu Eingriffen in Versorgungswerke entwickelt hat, die nicht künftige Zuwächse, sondern die bereits "erdiente Dynamik" betreffen. Diese sind dann gerechtfertigt, wenn sie von triftigen Gründen getragen werden (BAG 8. Dezember 1981 - 3 ABR 53/80 - BAGE 36, 327, zu III 1 b der Gründe; 17. April 1985 - 3 AZR 72/83 - BAGE 49, 57 ff., zu B II 3 c (3) der Gründe; 17. März 1987 - 3 AZR 64/84 - BAGE 54, 261; 22. Mai 1990 - 3 AZR 128/89 - BAGE 65, 157; 11. Mai 1999 - 3 AZR 21/98 - BAGE 91, 310).

a) Ein triftiger Grund, in die erdiente Dynamik einzugreifen, liegt vor, wenn ein unveränderter Fortbestand des Versorgungswerks zu einer Substanzgefährdung des Versorgungsschuldners führen würde. Davon ist auszugehen, wenn die Kosten des bisherigen Versorgungswerks nicht mehr aus den Unternehmenserträgen und etwaigen Wertzuwächsen des Unternehmensvermögens erwirtschaftet werden können, so dass eine die Entwicklung des Unternehmens beeinträchtigende Substanzauszehrung droht. Letztlich geht es um die Frage, ob dem Versorgungsschuldner im Interesse einer gesunden wirtschaftlichen Entwicklung seines Unternehmens eine Entlastung im Bereich der Versorgungsverbindlichkeiten verwehrt werden darf (BAG 18. April 1989 - 3 AZR 299/87 - BAGE 61, 273, 281).

b) Für eine Gewerkschaft als steuerbefreitem Berufsverband in der Rechtsform eines nicht eingetragenen Vereins, der nicht am Markt zur Gewinnerzielung tätig ist, gelten Besonderheiten. Im Wesentlichen stehen nur Beiträge der Mitglieder als Einkünfte zur Verfügung. Darüber hinaus genießt eine Gewerkschaft den verfassungsrechtlichen Schutz der Koalitionsfreiheit aus Art. 9 Abs. 3 GG, der es den Gerichten für Arbeitssachen grundsätzlich untersagt, die Verwendung der Einkünfte im Einzelnen zu überprüfen oder gar zu bewerten. Andererseits muss auch eine Gewerkschaft, wie jeder andere Arbeitgeber, die Verbindlichkeiten erfüllen, die sie gegenüber ihren Arbeitnehmern übernommen hat (BAG 11. Dezember 2001 - 3 AZR 512/00 - BAGE 100, 76, 93).

c) Die vom Senat für Eingriffe in die erdiente Dynamik eines Versorgungswerks entwickelten Regeln gelten "erst recht" für die Anpassung laufender Betriebsrenten. Ist die wirtschaftliche Lage einer Gewerkschaft so, dass sie Eingriffe in die erdiente Dynamik des bisherigen Versorgungswerks rechtfertigt, so liegt es erst recht im billigem Ermessen des Arbeitgebers, wegen eben dieser wirtschaftlichen Lage die Anpassung laufender Betriebsrenten abzulehnen.

3. Die Beklagte hat zur wirtschaftlichen Lage der Gewerkschaft ÖTV im Prüfungszeitraum und zu ihrer eigenen wirtschaftlichen Entwicklung ab Januar 2001 substantiiert Tatsachen vorgetragen, die die Ablehnung einer weitergehenden als der zum 1. Juli 2000 vorgenommenen Anpassung rechtfertigen würden.

a) Für die im Rahmen von § 16 Abs. 1 BetrAVG anzustellende Prognose kommt es nicht auf die subjektiven Vorstellungen des Arbeitgebers an, sondern darauf, ob seine Entscheidung im Ergebnis billigem Ermessen entspricht. Daher ist es entgegen der Ansicht der Revision unerheblich, ob die Beklagte im Zeitpunkt des eine Anpassung zunächst ablehnenden Schreibens vom 13. März 2000 und genau am 1. Juli 2000 überhaupt eine Prognose angestellt hat. Im Übrigen enthält auch dieses Schreiben Hinweise auf die künftige Einnahmeentwicklung und den Zwang zu Maßnahmen hinsichtlich der Rentenanpassung. Entscheidend sind die tatsächlichen Gegebenheiten am 1. Juli 2000. Eine unterlassene oder nur oberflächliche Prognose des Arbeitgebers lässt die Entscheidung, die Betriebsrente nicht anzupassen, ebenso wenig fehlerhaft werden, wie eine gründliche Prognose eine solche Entscheidung unanfechtbar richtig werden lässt.

b) Die Beklagte hat behauptet, von 1997 bis 2000 habe die Gewerkschaft ÖTV einen Mitgliederrückgang von über 10 % auf 1,476 Mio. zu verzeichnen gehabt. Dem entsprechend seien die Beitragseinnahmen um 31 Mio. DM gesunken.

Die Zahl der aktiven Beschäftigten ist sowohl bei der Gewerkschaft ÖTV als auch bei der Beklagten zurückgegangen. Dies stellt auch der Kläger nicht in Abrede. Der Senat hat einer solchen Personalentwicklung bei einer Gewerkschaft ein starkes Indiz für erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten und damit für die Erforderlichkeit von Einsparungen entnommen (BAG 11. Dezember 2001 - 3 AZR 512/00 - BAGE 100, 76, 99; 11. Dezember 2001 - 3 AZR 128/01 - BAGE 100, 105, 119). Erscheinen aus solchen trifftigen Gründen Einsparungen plausibel, liegen Ausgabensteigerungen durch Anpassung der Betriebsrenten erst recht fern.

Weitere Indizien für erhebliche wirtschaftliche Schwierigkeiten ergeben sich aus dem versicherungsmathematischen Prognosegutachten der ATH Allgemeine Treuhandgesellschaft mbH vom 23. Juli 1998 und der Stellungnahme der ATH zur neuen Insolvenzordnung vom 26. August 1998. Aus dem Gutachten ergibt sich, dass das Zahlenverhältnis der Aufwendungen für die betriebliche Altersversorgung einerseits und der Summe der Gehälter der aktiven Arbeitnehmer andererseits 1998 14,9 : 100 betrug und 2020 bei Beibehaltung der bisherigen Versorgungsregelung - und Fortbestehen der Eigenständigkeit der ÖTV - 25,6 : 100 betragen würde. Nach der Stellungnahme der ATH vom 26. August 1998 beläuft sich das Vermögen der ÖTV auf der Basis der konsolidierten Bilanzen und der Unterdeckung bei der Unterstützungskasse "immer noch" - wie es dort heißt - auf rund 176 Mio. DM. Diese Angaben hat der Kläger nicht bestritten.

Unter diesen Umständen kommt es im vorliegenden Fall nur noch darauf an, ob die Behauptungen der Beklagten zur Entwicklung der Mitgliederzahlen und der Beitragseinnahmen zutreffen. Ist dies der Fall, war die Beklagte zu einer weiteren Anpassung nicht verpflichtet.

c) Die Beklagte ist nicht gehalten, im Einzelnen darzulegen, wie sich die bei höherer Rentenanpassung eintretende weitere Verringerung der für ihre tägliche Arbeit zur Verfügung stehenden Mittel auf ihre Aufgabenerfüllung ausgewirkt hätte. Wie ihre Rechtsvorgängerin, die Gewerkschaft ÖTV, darf die Beklagte die ihr zur Verfügung stehenden Mittel nur zu den satzungsmäßig vorgegebenen koalitionspolitischen Zwecken verwenden. Bei der Festlegung ihrer koalitionspolitischen Aufgaben ist sie ebenso durch das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 3 GG geschützt wie bei der Bestimmung, wie und in welcher Weise diese Aufgaben erfüllt werden. Eine Überprüfung und Bewertung dieser Entscheidung steht den Gerichten für Arbeitssachen jedenfalls dann nicht zu, wenn es nur um die Aufrechterhaltung der bisherigen Aktivitäten geht. Ebenso wenig wie ein Unternehmer von der Verfolgung wirtschaftlicher Ziele absehen, etwa seine Produktion einschränken muss, um Rentenanpassungen vorzunehmen oder Versorgungswerke unverändert fortführen zu können, hat die Beklagte die Pflicht, ihre koalitionspolitischen Aufgaben wegen künftig anwachsender Versorgungsverbindlichkeiten zu reduzieren oder die Intensität ihrer Aufgabenwahrnehmung einzuschränken. Einer Darlegung im Einzelnen, warum die ÖTV Einsparungen in einzelnen Bereichen nicht zur Anpassung der Betriebsrenten verwenden wollte oder konnte, bedarf es angesichts der grundsätzlichen Bindung aller Mittel an die koalitionspolitischen Ziele nicht (BAG 11. Dezember 2001 - 3 AZR 128/01 - BAGE 100, 105, 118). Daher musste das Landesarbeitsgericht nicht auf die Ansicht des Klägers eingehen, etwaige Beitragsmindereinkünfte seien durch die Verminderung anderer Ausgaben wie Personalkosten zu kompensieren.

d) Anhaltspunkte dafür, dass Zuwächse des Vermögens der Beklagten die vom Kläger begehrte weitergehende Anpassung seiner Betriebsrente ermöglichen würden, gibt es nicht. Die von der ATH ermittelten, in der Stellungnahme vom 26. August 1998 mitgeteilten Werte sprechen gegen eine solche Möglichkeit.

4. Das Landesarbeitsgericht hat daher Beweis zu erheben über die Behauptungen der Beklagten zur Entwicklung der Mitgliederzahlen und der Beitragseinnahmen. Das Landesarbeitsgericht hat diesen Vortrag in der angefochtenen Entscheidung zu Unrecht als unstreitig angesehen und daher eine Beweisaufnahme nicht durchgeführt. Den substantiierten Vortrag der Beklagten hat der Kläger aber zulässigerweise mit Nichtwissen bestritten. Er ist bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht bei seinem Bestreiten geblieben. Die Voraussetzungen des § 138 Abs. 4 ZPO liegen vor. Die Entwicklung der Mitgliederzahlen und der Beitragseinnahmen bei der Gewerkschaft ÖTV und der Beklagten sind nicht Gegenstand eigener Wahrnehmung des Klägers. Die Beweisaufnahme ist auch dann nicht entbehrlich, wenn das Landesarbeitsgericht zu der Auffassung gelangt, es spreche eine große Wahrscheinlichkeit dafür, dass sich die Behauptungen der Beklagten als wahr erweisen. Dies liefe auf eine vorweggenommene Beweisaufnahme hinaus.

Die Beklagte hat Zeugenbeweis angeboten. Ein Indizienbeweis ist jedoch nicht von vornherein ausgeschlossen, zumal dann nicht, wenn die Beklagte im Einzelnen darlegt, auf welche Weise sie die Entwicklung der Mitgliederzahlen und der Beitragseinnahmen ermittelt und kontrolliert.

Ende der Entscheidung

Zurück