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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 25.01.2006
Aktenzeichen: 4 AZR 432/04
Rechtsgebiete: TVG, Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter


Vorschriften:

TVG § 1 Auslegung
Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues (BMTV) vom 17. Dezember 1997 in der Fassung vom 20. Juni 2001(Bundesmontagetarifvertrag - BMTV) § 6.3
Bundestarifvertrag für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues (BMTV) vom 17. Dezember 1997 in der Fassung vom 20. Juni 2001(Bundesmontagetarifvertrag - BMTV) § 4
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

4 AZR 432/04

Verkündet am 25. Januar 2006

In Sachen

hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 14. Dezember 2005 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Bepler, die Richter am Bundesarbeitsgericht Bott und Dr. Wolter sowie die ehrenamtliche Richterin Pfeil und den ehrenamtlichen Richter Rupprecht für Recht erkannt:

Tenor:

1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 9. Juni 2004 - 18 Sa 1411/03 - aufgehoben.

2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über Ansprüche des Klägers auf tarifliches Wochenendfahrgeld bei Fernmontagen.

Der Kläger steht seit dem 10. September 1990 als Monteur/Schlosser in den Diensten der Beklagten, einem Montageunternehmen. Dem Arbeitsverhältnis liegt der schriftliche Montagezeitarbeitervertrag vom 6. September 1990 zugrunde, der ua. folgende Bestimmungen enthält:

"2) Für alle Arbeits- und Lohnbedingungen gelten die Bestimmungen des Manteltarifvertrages und des Lohntarifvertrages der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalen und des Bundesmontagetarifvertrages in ihrer jeweils gültigen Fassung, soweit dieser Vertrag keine andere Regelung trifft.

...

17) Vereinbarungen außerhalb dieses Vertrages bestehen zwischen den Parteien nicht. Änderungen und Ergänzungen dieses Vertrages sind nur rechtswirksam, wenn sie schriftlich bestätigt werden."

In der Zeit vom 27. November 2002 bis zum 18. Mai 2003 war der in S (Bayern) wohnhafte Kläger auf einer Baustelle der Beklagten bei der Fa. Z in B, A, eingesetzt. Nach der Behauptung des Klägers beträgt die kürzeste Entfernung zwischen dem Ausgangspunkt - das ist streitlos hier der Betriebssitz der Beklagten - in C und der Baustelle in B 81,3 km, nach der Darstellung der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 18. Mai 2004 hingegen lediglich 79,7 km. Die Entfernung zwischen der Baustelle und S beträgt 554,8 km.

Der Kläger, der zuvor während der Dauer des Arbeitsverhältnisses nie Wochenendfahrgeld nach § 6.3 des Bundestarifvertrages für die besonderen Arbeitsbedingungen der Montagearbeiter in der Eisen-, Metall- und Elektroindustrie einschließlich des Fahrleitungs-, Freileitungs-, Ortsnetz- und Kabelbaues (BMTV) vom 17. Dezember 1997 in der Fassung vom 20. Juni 2001 von der Beklagten erhalten hat, nimmt diese auf Zahlung des tariflichen Wochenendfahrgeldes für insgesamt 17 Wochenendheimfahrten in der Zeit zwischen dem 27. November 2002 und dem 18. Mai 2003 in Anspruch.

Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagte sei zur Zahlung des tariflichen Wochenendfahrgeldes nach § 6.3 des kraft arbeitsvertraglicher Vereinbarung auf das Arbeitsverhältnis der Parteien anwendbaren BMTV verpflichtet. Allein der Umstand, dass die Beklagte derartige Gelder in der Vergangenheit nicht gezahlt habe, lasse seinen Anspruch nicht für die Zukunft entfallen. Dies gelte umso mehr, als er über seine Rechte aus dem Tarifvertrag nicht umfassend informiert worden sei. Erst seitdem er in Nordrhein-Westfalen eingesetzt werde, sei er von der dortigen Gewerkschaft vollständig über seine tariflichen Rechte informiert worden. Der tarifliche Anspruch auf das Wochenendfahrgeld setze die Durchführung der Wochenendheimfahrten nicht voraus. Er habe jedoch Wochenendheimfahrten an den 17 von ihm im Einzelnen aufgeführten Wochenenden tatsächlich durchgeführt. Das Wochenendfahrgeld für diese 17 Fahrten belaufe sich auf 4.338,53 Euro (554,8 km multipliziert mit 0,46 Euro, Zwischenergebnis multipliziert mit 17).

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 2.807,29 Euro netto zuzüglich 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 2. April 2003 zu zahlen;

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.531,24 Euro netto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 9. Juli 2003 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat den Standpunkt eingenommen, der Kläger habe keinen Anspruch auf das tarifliche Wochenendfahrgeld. Denn in ihrem Betrieb habe sich diesbezüglich eine negative betriebliche Übung herausgebildet, die den tariflichen Normen vorgehe. So habe der Kläger weder 1997 noch 1998 entsprechende Wochenendfahrgelder gefordert. Hierzu habe er sich nicht veranlasst gesehen, da er eine über den tariflichen Sätzen liegende Montageauslösung erhalten habe. Bereits seit vielen Jahren würden Wochenendheimfahrten bei einer Entfernung von rund 90 km vom Betriebssitz nicht gesondert vergütet. Hiermit seien bislang alle Arbeitnehmer einverstanden gewesen. Im Übrigen setze der Tarifanspruch die tatsächliche Durchführung der Wochenendheimfahrten voraus.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat nach uneidlicher Vernehmung der Zeugin L über die Behauptung des Klägers, die hier interessierenden Wochenendheimfahrten durchgeführt zu haben, die Klage abgewiesen. Mit der Revision erstrebt der Kläger - der Sache nach - die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

Die Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landesarbeitsgericht. Mit dessen Begründung darf die Klage nicht abgewiesen werden.

1. Der Kläger hat Anspruch auf das tarifliche Wochenendfahrgeld nach § 6.3 BMTV für die 17 Wochenendheimreisen in der Zeit vom 27. November 2002 bis zum 18. Mai 2003, wenn die Entfernung zwischen dem Betriebssitz der Beklagten und der Montagestelle bei der Fa. Z im streitigen Anspruchszeitraum iSv. § 4.1.2 BMTV 80 km überstieg.

a) Für das Arbeitsverhältnis gelten nach Ziff. 2 des Montagezeitarbeitervertrages der Parteien vom 6. September 1990 die Bestimmungen des BMTV in ihrer jeweils geltenden Fassung. Eine davon abweichende Regelung haben die Parteien in ihrem Vertrag nicht getroffen.

b) Der Anspruch auf das tarifliche Wochenendfahrgeld nach § 6.3 BMTV ist nicht durch eine negative betriebliche Übung beseitigt worden. Dies hat das Arbeitsgericht, gestützt auf die von ihm angeführte Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (5. Dezember 2001 - 10 AZR 197/01 - EzA TVG § 3 Bezugnahme auf Tarifvertrag Nr. 18; 4. Mai 1999 - 10 AZR 290/98 - BAGE 91, 283) zutreffend begründet. Das Landesarbeitsgericht hat sich dieser Begründung angeschlossen. Die Beklagte greift die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanzen nicht an.

c) In § 6.3.1 des BMTV ist bestimmt:

"6.3 Wochenendfahrgeld bei Fernmontagen in Entfernung bis 180 km

6.3.1 Bei Fernmontagen in Entfernung bis 180 km vom Ausgangspunkt hat der Montagestammarbeiter auf der gleichen und in der folgenden Woche weiterfortdauernden Montagestelle bei arbeitsfreien Tagen des Wochenendes und damit in Verbindung stehenden Feiertagen oder sonstigen arbeitsfreien Tagen Anspruch auf ein Wochenendfahrgeld. Die Wochenendheimreise findet außerhalb der Arbeitszeit statt. Weitergehende Ansprüche für die Wochenendheimreise bestehen nicht."

d) Die vorzitierten Tarifbestimmungen regeln den Anspruch des Montagestammarbeiters auf das Wochenendfahrgeld bei der sog. kleinen Fernmontage (vgl. § 6.2.2 BMTV). Dieser Anspruch setzt entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts die Durchführung der Wochenendheimfahrt durch den Montagestammarbeiter nicht voraus.

aa) Das Landesarbeitsgericht hat die von ihm für richtig gehaltene Auslegung in erster Linie mit dem Wortlaut des Tarifvertrages begründet, der vorrangig für die Tarifauslegung maßgebend ist (ständige Rechtsprechung des Senats, zB 26. November 2003 - 4 ABR 54/02 - BAGE 109, 12, 18 mwN). Es hat ausgeführt, § 6.3.1 Satz 2 BMTV ordne ausdrücklich an, dass die Wochenendheimreise außerhalb der Arbeitszeit stattfinde. Dieser Satz wäre unnötig, wenn der Anspruch unabhängig von der Durchführung der Heimfahrt entstehen würde. Diese Auslegung hat das Landesarbeitsgericht durch den tariflichen Gesamtzusammenhang, der nach der ständigen Rechtsprechung des Senats das zweitwichtigste Kriterium der Tarifauslegung ist (11. Mai 2005 - 4 AZR 303/04 - NZA 2005, 1313, auch zur Veröffentlichung in der Amtlichen Sammlung vorgesehen, zu I 1 c bb der Gründe; 16. Oktober 2002 - 4 AZR 429/01 - BAGE 103, 131, 135) als bestätigt angesehen. Für die Fernauslösung sei ausdrücklich in § 6.2.1 BMTV bestimmt, dass sie eine Pauschalerstattung der Mehraufwendungen am Montageort sei. Eine solche Regelung fehle in § 6.3 BMTV für das Wochenendfahrgeld.

bb) Diese Auslegung ist rechtsfehlerhaft.

(1) Schon die Wortlautauslegung des Landesarbeitsgerichts ist nicht zwingend.

Der Anspruch auf das tarifliche Wochenendfahrgeld bei der sog. kleinen Fernmontage (vgl. § 6.2.2 BMTV) setzt zum einen voraus, dass die Arbeit des Montagestammarbeiters auf der außerbetrieblichen Montagestelle im Entfernungsbereich der kleinen Fernmontage durch einen arbeitsfreien Wochenendtag oder zwei arbeitsfreie Wochenendtage - ggf. in Verbindung mit (arbeitsfreien) Feiertagen oder sonstigen arbeitsfreien Tagen - unterbrochen wird (§ 6.3.1 Satz 1 BMTV). Zum anderen ist Voraussetzung, dass nach dieser Arbeitsunterbrechung die Montagestelle "weiterfortdauert", dh. die Arbeit muss auf derselben Montagestelle fortgesetzt werden. Weitere Voraussetzungen für den Anspruch auf das Wochenendfahrgeld bei der kleinen Fernmontage stellt die Tarifregelung nicht auf (vgl. Erläuterung 19 Ziff. 1 und 2 der Erläuterungen von Gesamtmetall zum BMTV idF vom 17. Dezember 1997). Die nachfolgenden Bestimmungen haben allein zum Inhalt, dass § 6.3.1 BMTV eine abschließende Regelung des Anspruchs des Montagestammarbeiters bei einem arbeitsfreien Wochenende während der kleinen Fernmontage ist. Die Bestimmung des § 6.3.1 Satz 2 BMTV, nach der die Wochenendheimreise außerhalb der Arbeitszeit stattfindet, hat lediglich die Bedeutung der Klarstellung, dass die Fahrzeit nicht zu bezahlen ist (Ziff. 2 2. Abs. der Erläuterung 19 aaO). Entsprechendes gilt für § 6.3.1 Satz 3 BMTV - "Weitergehende Ansprüche für die Wochenendheimreise bestehen nicht" -, der insbesondere den Ausschluss des Auslösungsanspruchs klarstellt.

(2) Der tarifliche Gesamtzusammenhang bestätigt dieses Auslegungsergebnis.

Bei der Nahmontage, bei der dem Montagestammarbeiter die tägliche Rückkehr zum Ausgangspunkt zumutbar ist (§ 4.1.1 BMTV), sieht der BMTV Ansprüche des Montagestammarbeiters auf Nahauslösung und Fahrgeld oder Kilometergeld vor (vgl. im Einzelnen § 5 BMTV). Bei einer großen Fernmontage (§ 6.2.2 BMTV) erhält der Montagestammarbeiter neben der Fahrgelderstattung (§ 6.4 BMTV) die tarifliche Auslösung nicht nur für jeden Arbeitstag, sondern auch für arbeitsfreie Tage des Wochenendes nach näherer Maßgabe der Regelungen des § 6.2.4 BMTV. Demgegenüber ist bei der kleinen Fernmontage nach § 6.2.3 BMTV "die Auslösung nur für tatsächlich geleistete Arbeitstage einschließlich der durch solche Arbeitstage innerhalb einer Woche unmittelbar eingeschlossenen Wochenfeiertage zu zahlen". Führt der Montagestammarbeiter bei der kleinen Fernmontage die Wochenendheimreise nicht durch, sondern verbleibt am Montageort, entstehen ihm typischerweise Mehraufwendungen. Diese Mehraufwendungen hätte er, da er für die Tage des Wochenendes keine Auslösung erhält, nach der Auslegung von § 6.3.1 BMTV durch das Landesarbeitsgericht vollständig aus eigener Tasche zu bestreiten. Eine solche Belastung steht nicht im Einklang mit den entsprechenden Tarifregelungen des BMTV für die Nahmontage und die große Fernmontage. Die Mitberücksichtigung dieser Regelungen bei der Auslegung des § 6.3.1 BMTV zeigt, dass das Wochenendfahrgeld der kleinen Fernmontage ein Ausgleich für den Ausschluss des Auslösungsanspruchs für die arbeitsfreien Tage des Wochenendes ist. Der Montagestammarbeiter kann, wenn er die Wochenendheimreise nicht durchführt, das Wochenendfahrgeld für die ihm entstehenden Mehrkosten am Montageort verwenden. Im Regelfall, wenn nämlich der Montagestammarbeiter im Bereich der sog. kleinen Fernmontage wohnt, ist es zudem für den Arbeitgeber günstiger, dem Montagestammarbeiter auch bei dessen Verbleib am Montageort während des arbeitsfreien Wochenendes das Wochenendfahrgeld zu zahlen statt der tariflichen Auslösung, die der Tarifvertrag nach seinem Gesamtzusammenhang beim Ausschluss des Anspruchs auf das Wochenendfahrgeld in diesem Fall sachgerechterweise vorgesehen haben würde.

cc) Nach alledem kommt es für den Anspruch des Klägers auf das tarifliche Wochenendfahrgeld für die 17 arbeitsfreien Wochenenden in der Zeit vom 27. November 2002 bis zum 18. Mai 2003 nicht darauf an, ob der Kläger die Wochenendheimreisen nach S durchgeführt hat. Die Verfahrensrügen des Klägers betreffend die Beweisaufnahme des Landesarbeitsgerichts zu diesem Beweisthema sind daher unerheblich.

2. Gleichwohl kann der Klage vom Senat nicht stattgegeben werden. Denn das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, ob es sich bei der Baustelle der Beklagten bei der Fa. Z in B, A, um eine Fernmontage gehandelt hat, ob also die Entfernung zwischen dem Ausgangspunkt (§ 4.4 BMTV) - hier dem Betrieb der Beklagten - und der Montagestelle seinerzeit iSv. § 4.3 BMTV 80 km überschritten hat (§ 4.2 BMTV), wie der Kläger behauptet.

Ende der Entscheidung

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