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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 05.10.1999
Aktenzeichen: 4 AZR 578/98
Rechtsgebiete: TVG, Manteltarifvertrag


Vorschriften:

TVG § 4 Verdienstsicherung
TVG § 1 Tarifverträge: Metallindustrie
Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in der Metallindustrie des Nordwestlichen Niedersachsens - Verbandsgruppe Oldenburg - § 9
Leitsätze:

1. Zur Berechnung der tariflichen Verdienstsicherung nach § 9 des Manteltarifvertrages für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in der Metallindustrie des Nordwestlichen Niedersachsens - Verbandsgruppe Oldenburg - ist dem Gesamtbetrag der verdienstgesicherten Bezüge die Summe aller Verdienstbestandteile gegenüberzustellen, die auf der ersatzweise geleisteten, geringer bezahlten Tätigkeit beruhen. Der dann verbleibende Unterschiedsbetrag ist als Verdienstsicherung zu zahlen.

2. Eine für die Ersatztätigkeit der Arbeiter/-in regelmäßig zu zahlende zusätzliche Pausenvergütung mindert die Verdienstsicherung auch dann, wenn die Pausenvergütung bei der früheren Tätigkeit als Angestellte/-r nicht anfiel.

Aktenzeichen: 4 AZR 578/98 Bundesarbeitsgericht 4. Senat Urteil vom 5. Oktober 1999 - 4 AZR 578/98 -

I. Arbeitsgericht Oldenburg - 4 Ca 53/97 - Urteil vom 26. August 1997

II. Landesarbeitsgericht Niedersachsen - 13 Sa 1961/97 - Urteil vom 21. April 1998


Im Namen des Volkes! Urteil

4 AZR 578/98 13 Sa 1961/97 Niedersachsen

Verkündet am 5. Oktober 1999

Freitag, Regierungssekretärin z.A. als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp.

hat der Vierte Senat des Bundesarbeitsgerichts gemäß § 128 Abs. 2 ZPO in der Sitzung vom 5. Oktober 1999 durch den Vorsitzenden Richter Schliemann, die Richter Dr. Friedrich und Dr. Wolter sowie die ehrenamtlichen Richter Seifner und Ratayczak für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 21. April 1998 - 13 Sa 1961/97 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten darüber, ob eine auf einer Betriebsvereinbarung beruhende Pausenbezahlung auf die tarifliche Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer i.S.d. § 9 des Manteltarifvertrages zwischen dem Verband der Metallindustriellen des Nordwestlichen Niedersachsens e.V. - Verbandsgruppe Oldenburg und der DAG sowie der IG Metall anzurechnen ist.

Die am 28. August 1941 geborene Klägerin war als Angestellte bei der Beklagten tätig. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in der Metallindustrie des Nordwestlichen Niedersachsens - Verbandsgruppe Oldenburg - vom 18. Mai 1990 in der Fassung vom 14. März 1994 und 3. Februar 1997 (im folgenden: MTV) Anwendung.

§ 9 MTV enthält u.a. folgende Regelungen:

"§ 9

Verdienstsicherung für ältere Arbeitnehmer

...

2. Angestellte

...

2.3 Höhe der Verdienstsicherung

Maßgebend für die Höhe der Verdienstsicherung ist der monatliche Durchschnittsverdienst.

...

2.4 Berechnung des Durchschnittsverdienstes

Als Bezugszeitraum für die Berechnung des monatlichen Durchschnittsverdienstes gelten die letzten abgerechneten 12 Kalendermonate vor Eintritt der Anspruchsvoraussetzung. Der monatliche Durchschnittsverdienst wird auf der Grundlage der regelmäßigen tariflichen Arbeitszeit errechnet. Dabei bleiben jedoch Sonderzahlungen (Weihnachtsgeld, Jubiläumsgeld u. ä.), Trennungsgelder, Fahrtkosten, zusätzliche Urlaubsvergütung, Mehr-, Nacht-, Sonntags- und Feiertagszuschläge sowie die nicht ständigen Zulagen bzw. Zuschläge unberücksichtigt. Weiter bleiben Ausgleichsbeträge für aushilfsweise Tätigkeiten oder vorübergehende Stellvertretung außer Betracht.

..."

Die Klägerin wurde nach Vollendung ihres 54. Lebensjahres zum 1. Dezember 1995 einvernehmlich auf einen Arbeitsplatz in der Pförtnerei versetzt. Damit wurde sie gewerbliche Arbeitnehmerin.

Die Beklagte errechnete die Höhe der verdienstgesicherten Vergütung der Klägerin unter Zugrundelegung eines

Grundgehalts von 3.301,00 DM mit einer Leistungszulage von 314,00 DM und unter Berücksichtigung einer Tariflohnerhöhung

auf insgesamt 3.662,00 DM brutto.

Seit dem 1. Dezember 1995 zahlt die Beklagte an die Klägerin:

Grundlohn 2.795,00 DM Leistungszulage 421,06 DM Verdienstsicherung (ausgewiesen als "Vertreterzulage") 231,54 DM Pausenvergütung 214,40 DM Gesamt 3.662,00 DM brutto.

Hinzu kommen 52,00 DM vermögenswirksame Leistungen, die der Klägerin unverändert weitergezahlt werden.

Die Parteien streiten darum, ob die Pausenvergütung in die Verdienstsicherung einzuberechnen - so die Beklagte - oder ob sie - so die Klägerin - zusätzlich zu gewähren ist. Die Pausenvergütung beruht auf der Betriebsvereinbarung vom 25. März 1988. Danach haben gewerbliche Arbeitnehmer sowie aufsichtführende Meister u.a. der Produktionsbetriebe Anspruch auf eine bezahlte Pause von 30 Minuten pro Schicht, die nicht als Arbeitszeit gilt. Die Pausenvergütung wird als ständige Zulage dafür gewährt, daß die Pause nicht zeitlich festgelegt ist und entsprechend dem Betriebsablauf zu nehmen ist. Die Pförtner dürfen während dieser Pause den Arbeitsplatz nicht verlassen. Deswegen zahlt die Beklagte über den Wortlaut der Betriebsvereinbarung hinaus unter dem Stichwort "Bereitschaftsdienst" noch einen Betrag in Höhe von 25 % eines Stundenlohnes. Das macht bei der Klägerin 3,01 DM brutto pro Schicht aus.

Die Klägerin verlangte mit Schreiben vom 28. November 1996 erfolglos die zusätzliche Auszahlung der Pausenvergütung ab Dezember 1995 in Höhe von 214,40 DM brutto monatlich. Mit ihrer beim Arbeitsgericht am 20. Dezember 1996 eingegangenen Klage verfolgt die Klägerin diesen Anspruch weiter. Sie ist der Auffassung, eine Verrechnung der Alterssicherung mit einer Zulage, die für besondere Erschwernisse erbracht werde, sei nicht zulässig. Dies führe dazu, daß ein altersgesicherter Arbeitnehmer gegenüber den anderen benachteiligt werde.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 2.572,80 DM brutto nebst 8 % Zinsen jeweils auf die Nettorückstände seit Dezember 1995 aus 214,40 DM monatlich zu zahlen;

2. an die Klägerin jeweils monatlich mit dem Bruttogehalt 214,40 DM ab Januar 1997 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie ist der Auffassung, die Verdienstsicherung wolle dem älteren Arbeitnehmer im Ergebnis kein höheres Einkommen gewähren. Die tarifliche Regelung enthalte keine Anhaltspunkte dafür, daß die übertarifliche Zulage "Pausenvergütung" unberücksichtigt zu bleiben habe.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Mit der zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch weiter. Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I. Die Revision ist unbegründet. Mit Recht haben die Vorinstanzen die Klage abgewiesen. Die Beklagte schuldet die Bezahlung der Pause nicht zusätzlich zu den verdienstgesicherten Bezügen der Klägerin für die frühere Tätigkeit als Angestellte.

1. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet der Manteltarifvertrag für gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte in der Metallindustrie des Nordwestlichen Niedersachsens - Verbandsgruppe Oldenburg - vom 18. Mai 1990 in der Fassung vom 14. März 1994 und 3. Februar 1997 (MTV) Anwendung.

2. Dem MTV kann entgegen der Auffassung der Klägerin nicht entnommen werden, daß die von der Beklagten aufgrund der Betriebsvereinbarung vom 25. März 1988 zusätzlich gewährte Pausenbezahlung auf den Gesamtbetrag der verdienstgesicherten Bezüge der Klägerin aus ihrer früheren Tätigkeit als Angestellte nicht anzurechnen ist. Das ergibt die Auslegung des MTV. Er gilt für Arbeiter wie für Angestellte. Die Bestimmungen über die tarifliche Verdienstsicherung (§ 9 MTV) enthalten Regelungen für beide Gruppen.

a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrages folgt nach ständiger Rechtsprechung den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, wobei der maßgebliche Sinn der Erklärung zu erforschen ist, ohne am Buchstaben zu haften. Beim nicht eindeutigen Tarifwortlaut ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist stets auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefert und nur so Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden können. Läßt dies zweifelsfreie Auslegungsergebnisse nicht zu, dann können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrages, ggf. auch die praktische Tarifübung ergänzend hinzuziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen; im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (Senatsurteil vom 14. April 1999 - 4 AZR 189/98 - zur Veröffentlichung vorgesehen, zu Ziff. 5 b dd (1) der Gründe).

b) Nach Wortlaut und Zweck der tariflichen Verdienstsicherung des MTV ist dem Gesamtbetrag der verdienstgesicherten Bezüge die Summe aller monatlich zu zahlenden bzw. auf denselben Zeitraum entfallenden Verdienstbestandteile gegenüberzustellen, die auf der ersatzweise geleisteten, geringer bezahlten Tätigkeit beruhen. Soweit der verdienstgesicherte Betrag nicht erreicht wird, ist der Unterschiedsbetrag als Verdienstsicherung zu zahlen. Mangels entgegenstehender tariflicher Regelungen verringert die Pausenvergütung aufgrund der Betriebsvereinbarung vom 25. März 1988 als Teil der Bezüge, die der Klägerin für ihre Tätigkeit an der Pforte zustehen, die Differenz zwischen den nach der Tätigkeit geschuldeten Bezügen und den verdienstgesicherten Bezügen und damit dem Betrag der Verdienstsicherung.

c) Die tarifgerechte Ermittlung des als Verdienstsicherung zu zahlenden Differenzbetrages setzt einen Vergleich zwischen dem bisher erzielten Einkommen und dem neuen Einkommen des Arbeitnehmers voraus. Es ist das bisherige regelmäßige Einkommen der Klägerin mit ihrem regelmäßigen neuen Einkommen zu vergleichen. Die Pausenvergütung ist dem tariflichen Grundlohn der Klägerin hinzuzurechnen, so daß sich der an Verdienstsicherung zu erbringende Differenzbetrag reduziert. Denn die Pausenvergütung auf der Grundlage der Betriebsvereinbarung vom 25. März 1988 stellt einen regelmäßig gezahlten Vergütungsbestandteil dar. Wäre die Klägerin bereits vorher als gewerbliche Arbeitnehmerin tätig gewesen und hätte sie die zusätzliche Pausenvergütung erhalten, wäre sie ebenfalls in die Berechnung einer Verdienstsicherung eingeflossen. Der Statuswechsel der Klägerin führt nicht dazu, daß die Pausenvergütung der Klägerin nicht zu berücksichtigen ist. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist es nicht Sinn tariflicher Verdienstsicherungsklauseln, den altersgesicherten Arbeitnehmer gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern besser zu stellen (Urteil vom 16. Mai 1995 - 3 AZR 627/94 - AP Nr. 8 zu § 4 TVG Verdienstsicherung; Urteil vom 15. Oktober 1997 - 3 AZR 443/96 - BAGE 87,10 = AP Nr. 10 zu § 4 TVG Verdienstsicherung). Die von der Klägerin behauptete Schlechterstellung liegt nicht vor. Sie erzielt aufgrund der Verdienstsicherung immer noch ein Mehr an Vergütung als die Kolleginnen und Kollegen, die dieselbe Arbeit in der Pförtnerei verrichten.

d) Die Auffassung der Klägerin, die Pausenvergütung werde für geleistete Mehrarbeit gezahlt und sei deshalb nicht anzurechnen, ist unzutreffend. Darauf hat bereits das Landesarbeitsgericht zutreffend hingewiesen. Eine Mehrarbeit liegt nicht vor. Die tariflichen Vorschriften gehen übereinstimmend von der tariflichen Regelarbeitszeit aus. Anders wären die Vergütungen kaum vergleichbar. Die regelmäßige tarifliche wöchentliche Arbeitszeit ist in § 3 Ziff. 1.1 für alle Arbeitnehmergruppen auf 35 Stunden festgelegt. Die Betriebsvereinbarung vom 25. März 1988 gewährt eine bezahlte Pause von 30 Minuten, die ausdrücklich nicht als Arbeitszeit gilt. Zwar dürfen die Arbeitnehmer/-innen im Bereich der Pförtnerei auch in der Pause ihren Arbeitsplatz nicht verlassen. Dafür erhalten diese Arbeitnehmer/-innen - auch die Klägerin - aber einen geringen zusätzlichen Ausgleich. Die Klägerin hat zu keinem Zeitpunkt behauptet, in der Pausenzeit derartig beansprucht zu sein und durcharbeiten zu müssen, daß diese Zeit als Arbeitszeit zu qualifizieren sei. Die Klägerin behauptet erstmalig in der Revisionsbegründung Mehrarbeit von einer halben Stunde pro Schicht. Darauf kommt es nicht an. Neuer Tatsachenvortrag ist gem. § 561 Abs. 1 Satz 1 ZPO unbeachtlich.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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