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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 29.10.2001
Aktenzeichen: 5 AZB 44/00
Rechtsgebiete: ArbGG, GG, GVG
Vorschriften:
ArbGG § 2 Abs. 1 Nr. 2 | |
GG Art. 9 Abs. 3 | |
GVG § 17 a Abs. 4 |
BUNDESARBEITSGERICHT BESCHLUSS
In Sachen
hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts am 29. Oktober 2001 beschlossen:
Tenor:
1. Die weitere sofortige Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluß des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg - Kammern Mannheim - vom 27. September 2000 - 12 Ta 7/00 - wird zurückgewiesen.
2. Die Antragsteller haben die Kosten der weiteren sofortigen Beschwerde zu tragen.
3. Der Wert des Beschwerdegegenstandes wird auf 16.666,67 DM festgesetzt.
Gründe:
I. Die Antragsteller verlangen die Unterlassung einer Behauptung.
Die Antragstellerin zu 1) (Arbeitgeberin) ist ein Einzelhandelsunternehmen, der Antragsteller zu 2) ist ihr Geschäftsführer. Der Antragsgegner ist der geschäftsführende Sekretär der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen, Bezirksverwaltung Heidelberg/Mannheim; diese ist durch Mitglieder im Betrieb der Arbeitgeberin vertreten.
Im Rahmen von Vorbereitungen für die Wahl eines Betriebsrats kam es zu einer Auseinandersetzung zwischen der Gewerkschaft und der Arbeitgeberin. Die Arbeitgeberin hatte drei Beschäftigten gekündigt, die von der Gewerkschaft als Wahlbewerber aufgestellt werden sollten. Nachdem in einer örtlichen Tageszeitung eine ganzseitige, gegen die Gewerkschaft gerichtete Anzeige der Arbeitgeberin erschienen war, hielt die Gewerkschaft am 4. Mai 2000 eine Pressekonferenz ab. In deren Verlauf äus-serte sich der Antragsgegner als Vertreter der Gewerkschaft kritisch über die Antragsteller. Diese haben ihm vorgeworfen, er habe erklärt, die Beschäftigten der Arbeitgeberin würden um die korrekte Auszahlung der tariflich ausgehandelten Gehälter und um Weihnachts- und Urlaubsgeld betrogen. Mit einem am 18. Mai 2000 beim Arbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz haben die Antragsteller beantragt, dem Antragsgegner eine solche Äußerung zu untersagen.
Im vorliegenden Beschwerdeverfahren streiten die Beteiligten über die Zulässigkeit des beschrittenen Rechtswegs. Das Arbeitsgericht hat die Gerichte für Arbeitssachen für nicht zuständig gehalten und das Verfahren an das Landgericht Mannheim verwiesen. Dagegen hat der Antragsgegner sofortige Beschwerde erhoben. Das Landesarbeitsgericht hat den Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen als eröffnet angesehen. Mit der für die Antragsteller zugelassenen weiteren sofortigen Beschwerde erstreben diese die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Sie halten, entgegen ihrer eigenen Wahl des Rechtswegs, die ordentlichen Gerichte für zuständig.
II. Die auch im Verfahren auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung nach § 17 a Abs. 4 Satz 4 GVG zulässige weitere sofortige Beschwerde (BAG 24. Mai 2000 - 5 AZB 66/99 - AP GVG § 17 a Nr. 45 = EzA GVG § 17 a Nr. 11) hat keinen Erfolg. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend entschieden. Für das Verfahren ist der Rechtsweg zu den Gerichten für Arbeitssachen gegeben.
Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG sind die Gerichte für Arbeitssachen zuständig für bürgerliche Rechtsstreitigkeiten zwischen tariffähigen Parteien oder zwischen diesen und Dritten aus unerlaubten Handlungen, soweit es sich ua. um Fragen der Vereinigungsfreiheit einschließlich des hiermit im Zusammenhang stehenden Betätigungsrechts der Vereinigungen handelt. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind erfüllt.
1. Das Verfahren betrifft eine Rechtsstreitigkeit zwischen tariffähigen Parteien. Die Arbeitgeberin ist tariffähig, der Antragsteller zu 2) ist ihr Geschäftsführer. Auch der Einzelarbeitgeber kann nach § 2 Abs. 1 TVG Tarifvertragspartei sein. Der Antragsgegner ist der Vertreter der zuständigen Bezirksverwaltung einer Gewerkschaft. Er gab seine Erklärung auf der Pressekonferenz in dieser Funktion ab. Es macht für die Zulässigkeit des Rechtswegs keinen Unterschied, ob der Arbeitgeber die Gewerkschaft selbst oder ihren Bevollmächtigten in Anspruch nimmt. Die Gewerkschaft macht gerade durch die für sie handelnden Funktionäre ihre Rechte als Koalition geltend.
2. Das Verfahren stellt einen bürgerlich-rechtlichen Streit aus einer unerlaubten Handlung dar. Der Begriff der unerlaubten Handlung ist weit auszulegen. Die Vorschrift des § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG will alle Rechtsstreitigkeiten über die Zulässigkeit und Rechtmäßigkeit einer Teilnahme der Koalitionen am Arbeitskampf und ihrer Betätigung im Arbeitsleben erfassen (BAG 18. August 1987 - 1 AZN 260/87 - AP ArbGG 1979 § 72 a Grundsatz Nr. 33 = EzA ArbGG 1979 § 72 a Nr. 49; GK-ArbGG/Wenzel ArbGG § 2 Rn. 94; Germelmann/Matthes/Prütting 3. Aufl. § 2 Rn. 34). Darunter fällt auch der Streit über Widerrufs- und Unterlassungsansprüche wegen ehrverletzender Behauptungen, unabhängig davon, ob die Voraussetzungen des § 823 BGB erfüllt sind oder nicht (BGH 28. März 2000 - VI ZB 31/99 - AP ArbGG 1979 § 2 Nr. 73).
3. Die beanstandete Äußerung des Antragsgegners steht im Zusammenhang mit der Vereinigungsfreiheit und dem sich aus ihr ergebenden Betätigungsrecht der Vereinigungen.
a) Der Gesetzgeber hat durch den mit der Gesetzesnovelle vom 21. Mai 1979 in § 2 Abs. 1 Nr. 2 ArbGG eingefügten Zusatz "einschließlich ... des Betätigungsrechts der Vereinigungen" deutlich gemacht, daß er auf dem für das Arbeitsleben bedeutsamen Gebiet der Vereinigungsfreiheit eine umfassende Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen begründen wollte (Germelmann/Matthes/Prütting aaO Rn. 43).
Allerdings betrifft nicht jedes bestimmungsgemäße Handeln einer Gewerkschaft den Bereich der Interessenwahrnehmung auf dem Gebiet des kollektiven Arbeitsrechts. Eine Betätigung als Koalition setzt den Zusammenhang mit der Vereinigungsfreiheit voraus. Eine Beteiligung am allgemeinen Rechtsverkehr genügt nicht (vgl. BGH 28. März 2000 aaO; OLG Düsseldorf 14. Mai 1986 - 15 U 188/85 - NJW-RR 1986, 1506; BT-Drucks. 8/1567 S 26).
b) Die Äußerung des Antragsgegners über die Nichtbeachtung der maßgeblichen Tarifverträge durch die Arbeitgeberin stellt eine koalitionsspezifische Betätigung dar.
aa) Stellungnahmen im Rahmen von Pressekonferenzen gehören zur Tätigkeit einer Gewerkschaft. Koalitionsspezifische Aktivitäten erschöpfen sich nicht im Abschluß von Tarifverträgen. Sie erstrecken sich auf alle Betätigungen, die der Wahrung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen dienen. Dazu zählen auch die Abgabe von Stellungnahmen oder die Teilnahme an Anhörungen (ErfK/Schlachter 2. Aufl. Art. 9 GG Rn. 26).
bb) Die Äußerung des Antragsgegners hat zu solchen gewerkschaftlichen Aufgaben einen unmittelbaren Bezug. Gewerkschaften haben auch auf die Einhaltung von Tarifverträgen zu achten. Maßnahmen, die den Geltungsanspruch und die Wirkung eines Tarifvertrags beeinträchtigen, schränken die Koalitionsfreiheit ein (BAG 20. April 1999 - 1 ABR 72/98 - BAGE 91, 210, 227). Gewerkschaftliche Äußerungen zur mangelnden Tariftreue eines Arbeitgebers dienen außerdem der Information der Mitglieder über weitergehende Tarifansprüche.
cc) Dem Koalitionsbezug steht nicht entgegen, daß die rechtlichen Möglichkeiten einer Gewerkschaft, die Unterlassung tarifwidrigen Verhaltens von Seiten eines einzelnen Mitglieds der anderen Tarifvertragspartei zu erreichen, beschränkt sind. Äußerungen über ein angebliches tarifwidriges Verhalten eines Arbeitgebers stehen gleichwohl im Zusammenhang mit den Aufgaben einer Gewerkschaft.
dd) Am Koalitionsbezug ändert sich nichts dadurch, daß der Vorwurf des "Betrügens" über den Vorwurf mangelnder Tariftreue hinausgeht und ein eigenständiges Unwerturteil enthält. Äußert sich eine Tarifpartei im Zusammenhang mit der Wahrnehmung koalitionsspezifischer Aufgaben über den Koalitionspartner oder eines seiner Mitglieder in ehrenrühriger Weise, ist neben der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG auch die Vereinigungsfreiheit nach Art. 9 Abs. 3 GG berührt. Die Frage, ob die Grenzen einer sachlichen Auseinandersetzung überschritten sind, hängt unmittelbar mit der Frage zusammen, wo die Grenzen einer koalitionsmäßigen Betätigung verlaufen. Dies zu entscheiden fällt in die Zuständigkeit der Gerichte für Arbeitssachen.
Ende der Entscheidung
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