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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 16.06.1999
Aktenzeichen: 5 AZR 349/98
Rechtsgebiete: EFZG, Rahmentarifvertrag


Vorschriften:

EFZG § 4 Abs. 1 Nr. 1 i.d.F. vom 25. September 1996
Rahmentarifvertrag für die Arbeitnehmer der Firma TEREG Technische Reinigungsgesellschaft mbH vom 16. Februar 1995 § 9
Leitsatz:

Nach § 9 des Rahmentarifvertrages für die Arbeitnehmer der TEREG Technische Reinigungsgesellschaft mbH vom 16. Februar 1995 hat ein Arbeitnehmer bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit keinen Anspruch auf Fortzahlung seines Lohns in Höhe von 100 %

Aktenzeichen: 5 AZR 349/98 Bundesarbeitsgericht 5. Senat Urteil vom 16. Juni 1999 - 5 AZR 349/98 -

I. Arbeitsgericht Hamburg - 28 Ca 26/97 - Urteil vom 20. März 1997

II. Landesarbeitsgericht Hamburg - 3 Sa 36/97 - Urteil vom 14. November 1997


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: 80 % oder 100 %

Gesetz: EFZG § 4 Abs. 1 Nr. 1 i.d.F. vom 25. September 1996; Rahmen- tarifvertrag für die Arbeitnehmer der Firma TEREG Technische Reinigungsgesellschaft mbH vom 16. Februar 1995 § 9

5 AZR 349/98 3 Sa 36/97 Hamburg

Im Namen des Volkes! Urteil

Verkündet am 16. Juni 1999

Brüne, Reg.-Obersekretärin als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp.

hat der Fünfte Senat des Bundesarbeitsgerichts ohne mündliche Verhandlung am 16. Juni 1999 durch den Vorsitzenden Richter Griebeling, die Richter Dr. Müller-Glöge und Kreft sowie die ehrenamtlichen Richter Hansen und Mandrossa für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 14. November 1997 - 3 Sa 36/97 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall.

Die Klägerin ist bei der Beklagten beschäftigt. Vom 21. November bis zum 25. November 1996 war sie arbeitsunfähig krank. Die Beklagte leistete für diesen Zeitraum Entgeltfortzahlung in Höhe von 80 % ihrer regulären Vergütung. Die Klägerin verlangt Fortzahlung in voller - rechnerisch unstreitiger - Höhe.

Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Rahmentarifvertrag für die Arbeitnehmer der Beklagten vom 16. Februar 1995 (RTV) Anwendung. Er enthält in § 8 Regelungen über die "Freistellung von der Arbeit". In § 9 RTV heißt es unter der Überschrift "Krankenbezüge":

"Bei Krankheit oder Betriebsunfall gilt die gesetzliche Regelung".

Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, ihr stünden für die Zeit ihrer Arbeitsunfähigkeit 100 % ihrer Vergütung zu. § 9 RTV stelle eine statische Verweisung auf das bei Tarifabschluß geltende Gesetzesrecht zur Entgeltfortzahlung dar. Dieses habe die ungekürzte Entgeltfortzahlung vorgesehen.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 83,40 DM brutto nebst 4 % Zinsen auf den sich ergebenden Nettobetrag ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagt hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, § 9 RTV verweise auf die jeweils geltenden gesetzlichen Bestimmungen.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihren Klageantrag weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist nicht begründet. Zu Recht haben die Vorinstanzen die Klage abgewiesen.

Die Höhe der der Klägerin zustehenden Entgeltfortzahlung bestimmt sich nach § 4 Abs. 1 Satz 1 EFZG in seiner vom 1. Oktober 1996 bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Fassung. Aus § 9 RTV folgt nichts anderes. Die Klägerin hat Anspruch lediglich auf 80 % des ihr für die maßgebende regelmäßige Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts. In diesem Umfang hat die Beklagte Entgeltfortzahlung unstreitig geleistet. Die Klageforderung besteht nicht.

I. Durch das Entgeltfortzahlungsgesetz vom 26. Mai 1994 wurde die Vergütung im Krankheitsfall für Arbeiter und Angestellte auf eine einheitliche gesetzliche Grundlage gestellt. Dabei blieb der Grundsatz der Fortzahlung des jeweils vollen Entgelts unverändert. Durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25. September 1996 (BGBl. 1996 I, S. 1476, 1477) wurde die Höhe der Entgeltfortzahlung mit Wirkung vom 1. Oktober 1996 auf "80 vom Hundert des dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit zustehenden Arbeitsentgelts" herabgesetzt.

Bestehende tarifliche Regelungen sind durch das Gesetz vom 25. September 1996 nicht aufgehoben worden. Der Gesetzgeber wollte in bestehende Tarifverträge nicht eingreifen (BT-Drucks. 13/4612, S. 2; Buchner, NZA 1996, 1177, 1179/80).

II. Die Klägerin erblickt die Grundlage für ihren Anspruch in § 9 RTV. Dort sei die gesetzliche Regelung zur Entgeltfortzahlung in derjenigen Fassung für anwendbar erklärt worden, in welcher sie im Zeitpunkt des Tarifabschlusses am 16. Februar 1995 gegolten habe. Das Landesarbeitsgericht ist dieser Ansicht zu Recht nicht gefolgt. Nach § 9 RTV "(gilt) bei Krankheit oder Betriebsunfall ... die gesetzliche Regelung". Diese Bestimmung stellt keine selbständige, d.h. von den jeweiligen Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes unabhängige tarifliche Regelung der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall dar. Es handelt sich entweder um einen bloßen Hinweis auf das geltende Gesetzesrecht, bei dem schon jeglicher Normsetzungswille der Tarifvertragsparteien fehlt, oder es handelt sich zwar um eine Tarifnorm, die jedoch als dynamische Verweisung auch für die Tarifunterworfenen nur die jeweils geltenden gesetzlichen Vorschriften für anwendbar erklärt. Als Tarifnorm im Sinne einer statischen Verweisung auf die am 16. Februar 1995 geltenden Vorschriften des Entgeltfortzahlungsgesetzes kann § 9 RTV dagegen nicht verstanden werden. Dies ergibt die Auslegung der Bestimmung. Es finden sich weder in der Regelung selbst noch an anderer Stelle des Tarifvertrags Anhaltspunkte dafür, daß mit dieser Bestimmung auf das Entgeltfortzahlungsgesetz ausschließlich in seiner am 16. Februar 1995 geltenden Fassung verwiesen worden wäre.

1. Der Wortlaut der tariflichen Regelung läßt keine durchgreifenden Zweifel daran, daß in ihr auf das Entgeltfortzahlungsgesetz in seiner jeweils geltenden Fassung verwiesen worden ist. Selbst wenn zugunsten der Klägerin angenommen wird, daß § 9 RTV überhaupt eine Tarifnorm und nicht nur einen bloßen Hinweis darstellt, gilt ihr zufolge bei Krankheit oder Betriebsunfall "die gesetzliche Regelung". Von einer zeitlichen Einschränkung ist dabei keine Rede. Ohne nähere Kennzeichnung ist "die gesetzliche Regelung" stets diejenige, die aktuell gilt. Des sprachlichen Zusatzes, es solle die "jeweilige" gesetzliche Regelung gelten, bedarf es dafür nicht. Im Zeitpunkt der Arbeitsunfähigkeit der Klägerin im November 1996 vermochte ein Tarifanwender den Text des § 9 RTV nicht anders zu verstehen, als daß die gesetzliche Regelung zur Entgeltfortzahlung, wie sie zu eben diesem Zeitpunkt galt, zur Anwendung gelangen sollte. Für ein anderes Verständnis gibt es keine sprachliche Begründung.

2. Ein der sprachlichen Bedeutung des § 9 RTV entgegenstehender Wille der Tarifvertragsparteien ist nicht zu erkennen. Zwar kann sich der Wille zur Schaffung einer eigenständigen Regelung auch bei Verweisungsvorschriften nicht nur aus dem Wortlaut, sondern auch aus dem tariflichen Gesamtzusammenhang ergeben. Dazu bedarf es jedoch besonders deutlicher Anhaltspunkte (BAG 16. Juni 1998 - 5 AZR 67/97 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Schuhindustrie Nr. 6). Daran fehlt es hier. Zwar sind in § 8 RTV mehrere Verhinderungsgründe vorgesehen, bei deren Eintritt "Anspruch auf Arbeitsbefreiung unter Fortzahlung der Vergütung" besteht. Aufgeführt ist darunter eine amtsärztlich oder kassenärztlich angeordnete Untersuchung oder Behandlung des arbeitsfähigen Arbeitnehmers. Mit diesem Verhinderungsfall ist tariflich die Weiterzahlung des vollen Entgelts verbunden. Daraus folgt aber nicht, daß die Tarifvertragsparteien die Höhe der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall ebenfalls eigenständig geregelt haben.

Zwischen den Bestimmungen des § 8 RTV und des § 9 RTV besteht auch kein nicht hinnehmbarer Wertungswiderspruch. Auch der Gesetzgeber hat die Höhe der Entgeltfortzahlung nur für den Krankheitsfall herabgesetzt. § 616 BGB - vormals § 616 Abs. 1 BGB - ist unverändert geblieben, so daß bei vorübergehender Dienstverhinderung das Entgelt in voller Höhe weiter zu zahlen ist, falls nicht abweichende Vereinbarungen getroffen wurden (vgl. § 619 BGB). Die Tarifvertragsparteien hätten schon vor der neuerlichen Änderung des § 4 Abs. 1 EFZG mit Wirkung vom 1. Januar 1999 die Möglichkeit gehabt, eine einheitliche Regelung für beide Fälle zu schaffen.

Weitere aus dem RTV selbst ableitbare Anhaltspunkte für eine eigenständige Regelung der Höhe der Entgeltfortzahlung sind nicht ersichtlich.

Ende der Entscheidung

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