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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Beschluss verkündet am 21.03.2002
Aktenzeichen: 6 AZR 108/01 (A)
Rechtsgebiete: EGV, EG, Richtlinie 76/207/EWG, BAT-O, Änderungstarifvertrag zum BAT-O, GG, BGB, MuSchG, AGB-DDR


Vorschriften:

EGV Art. 119
EG Art. 234
Richtlinie 76/207/EWG Art. 2 Abs. 3
Richtlinie 76/207/EWG Art. 3 Abs. 1
Richtlinie 76/207/EWG Art. 5 Abs. 1
BAT-O § 23 a
Änderungstarifvertrag Nr. 2 zum BAT-O § 2 Nr. 1
GG Art. 3
BGB § 612 Abs. 3
MuSchG § 6
AGB-DDR § 244
Dem Europäischen Gerichtshof wird gemäß Art. 234 EG folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verbieten es Art. 119 EGV (jetzt: Art. 141 EG) und die Richtlinie 76/207/EWG, in einer tariflichen Regelung, nach der Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses nicht auf die Bewährungszeit angerechnet werden, auch die Zeit von der Anrechnung auszunehmen, in der das Arbeitsverhältnis deshalb geruht hat, weil die Arbeitnehmerin nach Ablauf der anrechnungsfähigen achtwöchigen Schutzfrist gemäß § 6 MuSchG bis zum Ende der 20. Woche nach der Entbindung Wochenurlaub nach § 244 Abs. 1 AGB-DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I S 185) in Anspruch genommen hat?


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! BESCHLUSS

Verkündet am 21. März 2002

In Sachen

hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 21. März 2002 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dr. Peifer, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Gräfl, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Brühler, die ehrenamtlichen Richter Schmidt und Helmlinger beschlossen:

Tenor:

Dem Europäischen Gerichtshof wird gemäß Art. 234 EG folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Verbieten es Art. 119 EGV (jetzt Art. 141 EG) und die Richtlinie 76/207/EWG, in einer tariflichen Regelung, nach der Zeiten des Ruhens des Arbeitsverhältnisses nicht auf die Bewährungszeit angerechnet werden, auch die Zeit von der Anrechnung auszunehmen, in der das Arbeitsverhältnis deshalb geruht hat, weil die Arbeitnehmerin nach Ablauf der anrechnungsfähigen achtwöchigen Schutzfrist gemäß § 6 MuSchG bis zum Ende der 20. Woche nach der Entbindung Wochenurlaub nach § 244 Abs. 1 AGB-DDR vom 16. Juni 1977 (GBl. I S. 185) in Anspruch genommen hat.

Gründe:

I. Die Parteien streiten darüber, ob die Zeit eines Wochenurlaubs nach § 244 Abs. 1 Satz 1 des Arbeitsgesetzbuchs der Deutschen Demokratischen Republik (AGB-DDR) vom 16. Juni 1977 (GBl. I S 185) auf die Bewährungszeit gemäß § 23 a des Tarifvertrags zur Anpassung des Tarifrechts - Manteltarifliche Vorschriften - (BAT-O) vom 10. Dezember 1990 anzurechnen ist.

Die Klägerin ist seit Juni 1982 an der Hochschule für Film und Fernsehen "Konrad Wolf" in Potsdam als Produktionsleiterin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der BAT-O Anwendung. Dieser lautet, soweit hier von Interesse, wie folgt:

"§ 23 a

Bewährungsaufstieg im Bereich des Bundes und im Bereich der Tarifgemeinschaft deutscher Länder.

Der Angestellte, der ein in der Anlage 1a mit dem Hinweiszeichen * gekennzeichnetes Tätigkeitsmerkmal erfüllt, ist nach Erfüllung der vorgeschriebenen Bewährungszeit höhergruppiert.

Für die Erfüllung der Bewährungszeit gilt folgendes:

1. Das Erfordernis der Bewährung ist erfüllt, wenn der Angestellte während der vorgeschriebenen Bewährungszeit sich den in der ihm übertragenen Tätigkeit auftretenden Anforderungen gewachsen gezeigt hat. Maßgebend ist hierbei die Tätigkeit, die der Vergütungsgruppe entspricht, in der der Angestellte eingruppiert ist.

2. ...

3. ...

4. Die Bewährungszeit muß ununterbrochen zurückgelegt sein. Unterbrechungen von jeweils bis zu sechs Monaten sind unschädlich; unabhängig hiervon sind ferner unschädlich Unterbrechungen wegen

a) Ableistung des Grundwehrdienstes oder des Zivildienstes,

b) Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 37 Abs. 1,

c) der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz,

d) Erziehungsurlaubs nach dem Bundeserziehungsgeldgesetz und sonstiger Beurlaubung zur Kinderbetreuung bis zu insgesamt fünf Jahren,

e) einer vom Wehrdienst befreienden Tätigkeit als Entwicklungshelfer bis zu zwei Jahren.

Die Zeiten der Unterbrechung, mit Ausnahme

a) eines Urlaubs nach den §§ 47 bis 49 und nach dem Schwerbehindertengesetz,

b) eines Sonderurlaubs nach § 50 Abs. 1 in der bis zum 31. August 1995 geltenden Fassung,

c) einer Arbeitsbefreiung nach § 52,

d) einer Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 37 Abs. 1 bis zu 26 Wochen, in den Fällen des § 37 Abs. 4 Unterabs. 3 bis zu 28 Wochen,

e) der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz,

werden auf die Bewährungszeit jedoch nicht angerechnet.

..."

Der Änderungstarifvertrag Nr. 1 zum BAT-O vom 8. Mai 1991 bestimmt in § 2:

"Übernahme der Vergütungsordnung des BAT

Die Anlage 1 a - für die Bereiche des Bundes und der Tarifgemeinschaft deutscher Länder mit Ausnahme der Zulagenregelungen in Teil II Abschn. N und der entsprechenden Regelungen in Teil III Abschn. L Unterabschn. VII - und die Anlage 1 b zum Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) sind mit folgenden Maßgaben anzuwenden:

1. Sofern in Tätigkeitsmerkmalen Bewährungszeiten, Tätigkeitszeiten, Zeiten einer Berufsausübung usw. gefordert werden, werden diejenigen vor dem 1. Juli 1991 zurückgelegten und nach § 19 Abs. 1 und 2 BAT-O und den Übergangsvorschriften hierzu als Beschäftigungszeit anerkannten Zeiten berücksichtigt, die zu berücksichtigen gewesen wären, wenn Abschnitt VI und die Vergütungsordnung des BAT-O bereits vor dem 1. Juli 1991 gegolten hätten. Satz 1 gilt entsprechend für die Berücksichtigung von vor dem 1. Juli 1991 zurückgelegten Zeiten, die aufgrund von Übergangsvorschriften in Tarifverträgen zur Änderung der Anlage 1 a oder der Anlage 1 b zum BAT, die nach dem 30. Juni 1991 abgeschlossen worden sind oder abgeschlossen werden, ganz oder teilweise auf die in Tätigkeitsmerkmalen geforderten Bewährungszeiten, Tätigkeitszeiten, Zeiten einer Berufsausübung usw. anzurechnen sind oder angerechnet werden können.

Soweit Tätigkeitsmerkmale die Anrechnung außerhalb des Geltungsbereichs des BAT-O zurückgelegter Zeiten zulassen, werden solche Zeiten berücksichtigt, wenn sie nach Unterabsatz 1 zu berücksichtigen wären, wenn sie im Geltungsbereich des BAT-O zurückgelegt worden wären.

..."

Die Klägerin nahm im Anschluß an die Geburt ihres zweiten Kindes am 27. Januar 1987 bis zum 16. Juni 1987 Wochenurlaub nach § 244 AGB-DDR in Anspruch. Diese Vorschrift lautete:

"(1) Frauen erhalten Schwangerschaftsurlaub für die Dauer von 6 Wochen vor der Entbindung und Wochenurlaub für die Dauer von 20 Wochen nach der Entbindung. ...

...

(4) Für die Dauer des Schwangerschafts- und Wochenurlaubs erhalten die Frauen Schwangerschafts- und Wochengeld in Höhe des Nettodurchschnittsverdienstes von der Sozialversicherung."

In der damaligen Bundesrepublik Deutschland bestand im Jahr 1987 nach § 6 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes zum Schutze der erwerbstätigen Mutter (MuSchG), ebenso wie heute, ein Beschäftigungsverbot von acht Wochen nach der Entbindung. In dieser Zeit erhielten erwerbstätige Mütter neben dem Mutterschaftsgeld nach der Reichsversicherungsordnung einen Zuschuß vom Arbeitgeber (§§ 13, 14 MuSchG). Im Anschluß an diese Schutzfrist konnte die Arbeitnehmerin Erziehungsurlaub bis zu dem Tag, an dem das Kind zehn Monate alt wurde, in Anspruch nehmen. Während dieser Zeit erhielt sie Erziehungsgeld, jedoch keine Leistungen des Arbeitgebers.

Die Klägerin erhielt bis zum 7. Mai 1998 Vergütung nach VergGr. II a BAT-O. Mit Wirkung vom 8. Mai 1998 wurde sie im Wege des Bewährungsaufstiegs gem. § 23 a BAT-O in die VergGr. I b Fallgr. 2 BAT-O höhergruppiert. Das beklagte Land rechnete die ersten acht Wochen des Wochenurlaubs auf die für den Bewährungsaufstieg erforderliche Bewährungszeit von 15 Jahren an, nicht jedoch die weiteren 12 Wochen. Bei Berücksichtigung des gesamten Wochenurlaubs hätte der Klägerin bereits ab dem 12. Februar 1998 Vergütung nach VergGr. I b BAT-O zugestanden. Mit der Klage verlangt die Klägerin die Vergütungsdifferenz in unstreitiger Höhe von 1.841,16 DM brutto für die Zeit vom 12. Februar 1998 bis zum 7. Mai 1998.

Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, sie sei bereits seit dem 12. Februar 1998 höhergruppiert, weil nach den tariflichen Bestimmungen der gesamte Wochenurlaub auf die Bewährungszeit nach § 23 a BAT-O anzurechnen sei. Die Auslegung der tariflichen Bestimmungen durch das beklagte Land führe zu einer unzulässigen Diskriminierung von Frauen.

Die Klägerin hat beantragt,

das beklagte Land zu verurteilen, an sie 1.841,16 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem sich hieraus ergebenden Nettobetrag seit dem 16. März 1999 zu zahlen.

Das beklagte Land hat Klageabweisung beantragt und die Ansicht vertreten, nach den tariflichen Bestimmungen seien lediglich die Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz auf die Bewährungszeit anzurechnen, nicht jedoch der darüber hinausgehende Wochenurlaub nach § 244 AGB-DDR.

Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land seinen Klageabweisungsantrag weiter. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Der erkennende Senat ruft gemäß Art. 234 EG den Europäischen Gerichtshof mit der Bitte um Vorabentscheidung an, weil sich der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch den Vorschriften des nationalen Rechts nicht entnehmen läßt und von der Auslegung des Art. 119 EGV (jetzt: Art. 141 EG) und der Richtlinie 76/207/EWG vom 9. Februar 1976 abhängt. Die aufgeworfene Rechtsfrage ist bislang vom Europäischen Gerichtshof nicht entschieden worden.

1. Nach den Bestimmungen des nationalen Rechts ist der Wochenurlaub nach § 244 AGB-DDR, soweit er über die Schutzfrist von acht Wochen nach der Entbindung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG hinausging, nicht auf die Bewährungszeit anzurechnen. Dies ergibt die Auslegung der tariflichen Regelung in § 23 a Nr. 4 BAT-O.

a) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Gesetzesauslegung geltenden Regeln. Dabei ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen. Ist dieser nicht eindeutig, ist der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien mit zu berücksichtigen, soweit er in den tariflichen Normen seinen Niederschlag gefunden hat. Abzustellen ist ferner auf den tariflichen Gesamtzusammenhang, weil dieser Anhaltspunkte für den wirklichen Willen der Tarifvertragsparteien liefern und nur so der Sinn und Zweck der Tarifnorm zutreffend ermittelt werden kann. Verbleiben danach noch Zweifel, können die Gerichte für Arbeitssachen ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch eine praktische Tarifübung heranziehen. Auch die Praktikabilität denkbarer Auslegungsergebnisse ist zu berücksichtigen. Im Zweifel gebührt derjenigen Tarifauslegung der Vorzug, die zu einer vernünftigen, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt. (vgl. etwa BAG 12. September 1984 - 4 AZR 336/82 - BAGE 46, 308; 21. Juli 1993 - 4 AZR 468/92 - BAGE 73, 364).

b) Bereits aus dem Wortlaut der Bestimmung in § 23 a Nr. 4 Satz 3 Buchst. e BAT-O ergibt sich zweifelsfrei, daß die über die Schutzfrist von acht Wochen nach der Entbindung gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG hinausgehende Zeit des Wochenurlaubs nicht auf die Bewährungszeit anzurechnen ist.

Nach § 23 a Nr. 4 Satz 3 BAT-O werden Zeiten, in denen die Bewährungszeit unterbrochen ist, nur in den in Buchstaben a) bis e) genannten Fällen auf die Bewährungszeit angerechnet. In Buchstabe e) sind ausdrücklich nur die Schutzfristen des Mutterschutzgesetzes genannt, nicht jedoch die Zeit des Wochenurlaubs nach dem AGB-DDR. Dieser eindeutige Tarifwortlaut, der nicht allgemein auf Schutzfristen abstellt, die im Zusammenhang mit der Schwangerschaft und Entbindung stehen, sondern speziell auf die Schutzfristen des Mutterschutzgesetzes, steht einer erweiternden Auslegung der Bestimmung dahingehend, daß auch der über diese Fristen hinausgehende Wochenurlaub auf die Bewährungszeit anzurechnen ist, entgegen.

c) Aus der Tarifsystematik und dem daraus zu ermittelnden Sinn und Zweck der tariflichen Regelung folgt nichts anderes. § 23 a Nr. 4 BAT-O bestimmt in Satz 1, daß die Bewährungszeit ununterbrochen zurückgelegt sein muß. Nach Satz 2 sind Unterbrechungen von bis zu sechs Monaten unschädlich, ebenso Unterbrechungen von mehr als sechs Monaten in den in den Buchstaben a) bis e) genannten Fällen. Nach Satz 3 sind die Zeiten der Unterbrechung nicht auf die Bewährungszeit anzurechnen. Damit haben die Tarifvertragsparteien ersichtlich dem Umstand Rechnung getragen, daß sich der Angestellte in der Zeit, in der er die Tätigkeit nicht ausübt, nicht bewähren kann. Von der Nichtanrechnung ausgenommen sind die in § 23 a Nr. 4 Satz 3 Buchst. a) bis e) genannten Zeiten. Dabei handelt es sich um Zeiten eines Urlaubs nach §§ 47 bis 49 und nach dem Schwerbehindertengesetz (Buchst. a), eines Sonderurlaubs nach § 50 Abs. 1 in der bis zum 31. August 1995 geltenden Fassung des BAT-O (Buchst. b), einer Arbeitsbefreiung gemäß § 52 (Buchst. c), einer Arbeitsunfähigkeit iSd. § 37 Abs. 1 und § 37 Abs. 4 von bis zu 26 bzw. 28 Wochen (Buchst. d) und der Schutzfristen nach dem Mutterschutzgesetz (Buchst. e). Zwar arbeitet der Angestellte auch in diesen Zeiten nicht. Den Arbeitgeber treffen jedoch Zahlungspflichten. Es handelt sich somit um Zeiten, in denen die beiderseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht vollständig suspendiert sind und das Arbeitsverhältnis nicht ruht. Daraus ergibt sich, daß die tarifliche Regelung hinsichtlich der Anrechnung von Unterbrechungen auf die Bewährungszeit danach unterscheidet, ob das Arbeitsverhältnis während der Unterbrechung ruht. Ist dies der Fall, wie zB beim Grundwehrdienst oder beim Erziehungsurlaub, wird die Zeit der Unterbrechung nicht auf die Bewährungszeit angerechnet (vgl. BAG 9. November 1994 - 10 AZR 3/94 - AP BAT § 23 a Nr. 33 = EzA BAT § 23 a Nr. 3). Zeiten, in denen der Angestellte seine Arbeitsleistung zwar nicht erbringt, das Arbeitsverhältnis jedoch nicht ruht, weil der Arbeitgeber zur Zahlung von Vergütung verpflichtet ist, werden hingegen auf die Bewährungszeit angerechnet. Mit dieser Unterscheidung haben die autonomen Tarifvertragsparteien verhindert, daß der Arbeitgeber für Zeiten, in denen er von der Zahlung des Arbeitsentgelts befreit ist, weil das Arbeitsverhältnis ruht, indirekt zusätzliche Leistungen dadurch erbringen muß, daß er die Ruhenszeit auf die Bewährungszeit anrechnet und deshalb zu keinem früheren Zeitpunkt eine höhere Vergütung zu zahlen hat.

Im Hinblick auf dieses Unterscheidungsmerkmal ist es folgerichtig, daß die Tarifvertragsparteien den über die Schutzfristen des Mutterschutzgesetzes hinausgehenden Wochenurlaub nach § 244 AGB-DDR von der Anrechnung auf die Bewährungszeit ausgeschlossen haben. Denn während des Wochenurlaubs waren die beiderseitigen Hauptpflichten aus dem Arbeitsverhältnis suspendiert. Nach § 244 Abs. 4 AGB-DDR erhielt die Arbeitnehmerin während des Wochenurlaubs nicht das Arbeitsentgelt von ihrem Arbeitgeber, sondern Wochengeld von der Sozialversicherung. Das Arbeitsverhältnis ruhte daher.

d) Aus § 2 Nr. 1 des 1. Änderungstarifvertrags zum BAT-O ergibt sich nichts anderes. Nach dieser Bestimmung sind Zeiten, die vor dem 1. Juli 1991 in der ehemaligen DDR zurückgelegt wurden, bei der Berechnung der Bewährungszeit so zu berücksichtigen, als hätten Abschnitt VI des BAT-O, zu dem § 23 a BAT-O gehört, und die Vergütungsordnung schon vor dem 1. Juli 1991 gegolten. Wäre dies der Fall gewesen, hätte § 23 a BAT-O gegolten, der nur die Anrechnung der Schutzfristen nach § 6 Abs. 1 Satz 1 MuSchG auf die Bewährungszeit bestimmt, die hier auch erfolgt ist.

2. Die tarifliche Regelung verstößt nicht gegen höherrangiges nationales Recht. Sie ist insbesondere mit Art. 3 GG und § 612 Abs. 3 BGB vereinbar.

a) Nach Art. 3 Abs. 2 GG sind Männer und Frauen gleichberechtigt. Gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG darf niemand wegen seines Geschlechts benachteiligt werden. § 612 Abs. 3 Satz 1 BGB verbietet es, wegen des Geschlechts eines Arbeitnehmers für gleiche oder gleichwertige Arbeit eine geringere Vergütung zu vereinbaren als bei einem Arbeitnehmer des anderen Geschlechts.

b) Die Klägerin wird durch die tarifliche Regelung nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt. Zwar wurde Wochenurlaub nach § 244 AGB-DDR nur Frauen gewährt. Die Klägerin erleidet durch die Inanspruchnahme des Wochenurlaubs auch einen Nachteil, denn sie wird 12 Wochen später höhergruppiert als ein Mann, der naturgemäß keinen Wochenurlaub nehmen konnte. Diese Benachteiligung erfolgt jedoch nicht wegen des Geschlechts. Der Grund für die Ungleichbehandlung liegt vielmehr darin, daß das Arbeitsverhältnis der Klägerin während dieser 12 Wochen geruht hat und sie sich in dieser Zeit mangels Arbeitsleistung nicht bewähren konnte. Bei einem Mann, dessen Arbeitsverhältnis 12 Wochen lang geruht hat, zB weil er seinen Grundwehrdienst abgeleistet hat, wird diese Zeit nach § 23 a Nr. 4 BAT-O ebenfalls nicht als Bewährungszeit angerechnet. Der sachliche Grund für den Anrechnungsausschluß ist daher nicht das Geschlecht des Angestellten, sondern das Ruhen des Arbeitsverhältnisses und die fehlende Möglichkeit der Bewährung in dieser Zeit.

c) Die tarifliche Regelung verstößt auch nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz in Art. 3 Abs. 1 GG. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts sind Regelungen, die hinsichtlich der Begründung von Ansprüchen danach unterscheiden, ob das Arbeitsverhältnis ruht oder nicht, rechtlich zulässig (vgl. BAG 9. November 1994 - 10 AZR 3/94 - aaO; 15. Februar 1994 - 3 AZR 708/93 - BAGE 76, 1; 24. November 1993 - 10 AZR 704/92 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 158 = EzA BErzGG § 15 Nr. 5; 28. September 1994 - 10 AZR 697/93 - AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 165 = EzA BGB § 611 Gratifikation, Prämie Nr. 114). Da beim Bewährungsaufstieg der Ablauf der Bewährungszeit Anspruchsvoraussetzung für die Vergütung nach der höheren Vergütungsgruppe ist, ist es nicht sachwidrig, Zeiten, in denen das Arbeitsverhältnis ruht - anders als Zeiten, in denen der Arbeitnehmer zwar ebenfalls keine Arbeitsleistungen erbringt, der Arbeitgeber aber zur Vergütungszahlung verpflichtet ist - auch bei der Dauer der Bewährungszeit nicht zu berücksichtigen (BAG 9. November 1994 - 10 AZR 3/94 - aaO). Denn der Arbeitgeber ist nicht gehalten, für Zeiten, in denen er von der Zahlung des Arbeitsentgelts befreit ist, weil das Arbeitsverhältnis ruht, direkt oder indirekt zusätzliche Leistungen, im Falle des Bewährungsaufstiegs durch Anrechnung der Ruhenszeiten, zu erbringen (BAG 18. Juni 1997 - 4 AZR 647/95 - AP BAT § 23 b Nr. 3 = EzA EWG-Vertrag Art. 119 Nr. 49).

3. Der Senat schließt es jedoch nicht aus, daß die tarifliche Regelung mit Art. 119 EGV (jetzt: Art. 141 EG) und der Richtlinie 76/207/EWG unvereinbar ist.

Nach Art. 119 Abs. 1 EGV (jetzt: Art. 141 Abs. 1 EG) stellt jeder Mitgliedstaat die Anwendung der Grundsätze des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher Arbeit sicher. Unter Entgelt sind die üblichen Grund- oder Mindestlöhne und -gehälter sowie alle sonstigen Vergütungen zu verstehen, die der Arbeitgeber auf Grund des Dienstverhältnisses dem Arbeitnehmer unmittelbar oder mittelbar in bar oder in Sachleistungen bezahlt (Art. 119 Abs. 2 EGV; jetzt: Art. 141 Abs. 2 Satz 1 EG). Gleichheit des Arbeitsentgelts ohne Diskriminierung auf Grund des Geschlechts bedeutet, daß das Entgelt für eine gleiche nach Akkord bezahlte Arbeit auf Grund der gleichen Maßeinheit festgesetzt wird und daß für eine nach Zeit bezahlte Arbeit das Entgelt bei gleichem Arbeitsplatz gleich ist (Art. 119 Abs. 3 EGV; jetzt: Art. 141 Abs. 2 Satz 2 EG). Zum Entgelt in diesem Sinne zählen auch Entgelterhöhungen bei "quasi automatischem Bewährungsaufstieg" (EuGH 7. Februar 1991 - RS C - 184/89 - EuGHE I 1991, 315), um die es hier geht.

Nach Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG darf bei den Bedingungen des Zugangs zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts erfolgen. Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG bestimmt, daß Männern und Frauen dieselben Arbeitsbedingungen ohne Diskriminierung auf Grund des Geschlechts gewährt werden. Diese Richtlinie steht nach Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 76/207/EWG den Vorschriften zum Schutze der Frau, insbesondere bei Schwangerschaft und Mutterschaft, nicht entgegen.

Gegen diese gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen könnte die tarifliche Regelung verstoßen, weil die Klägerin wegen des Wochenurlaubs, den ausschließlich Frauen in Anspruch nehmen konnten, zwölf Wochen später höhergruppiert wird als ein Mann, der Wochenurlaub nicht in Anspruch nehmen konnte. Darin könnte eine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung auf Grund des Geschlechts im Sinne des Art. 3 Abs. 1 und des Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG liegen, außerdem könnte dies den Grundsatz des gleichen Entgelts für gleiche Arbeit verletzen.

Zwar hält der erkennende Senat die tarifliche Regelung mit den genannten Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts für vereinbar. Denn § 23 a Nr. 4 BAT-O unterscheidet bei der Anrechnung von Unterbrechungen der Tätigkeit auf die Bewährungszeit nicht nach dem Geschlecht, sondern danach, ob während der Unterbrechung das Arbeitsverhältnis geruht hat oder nicht. Deshalb sind von der Anrechnung auf die Bewährungszeit nicht nur die hier maßgeblichen Zeiten des Wochenurlaubs ausgenommen, sondern zB auch Zeiten des Grundwehrdienstes oder Zivildienstes, die ausschließlich Männer betreffen.

Für den erkennenden Senat besteht im vorliegenden Fall jedoch gem. Art. 234 Satz 1 EG eine Vorlagepflicht an den Europäischen Gerichtshof, weil seine Entscheidung selbst nicht mehr mit Rechtsmitteln des innerstaatlichen Rechts angefochten werden kann und die Auslegung von Gemeinschaftsrecht betrifft. Die Pflicht zur Vorlage entfällt nicht deshalb, weil die Auslegung des Gemeinschaftsrechts derart offenkundig ist, daß kein Raum für vernünftige Zweifel an der Entscheidung der gestellten Frage bleibt (sog. acte-clair-Theorie). Dies würde die Überzeugung des nationalen Gerichts voraussetzen, daß für die Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und für den Europäischen Gerichtshof der gleiche Grad an Gewißheit besteht. Dabei sind die besonderen Auslegungsschwierigkeiten des Gemeinschaftsrechts zu beachten, die in der autonomen Begriffsbildung und den verschiedenen - gleich verbindlichen - sprachlichen Fassungen bestehen (EuGH 6. Oktober 1982 - Rs 283/81 - EuGHE 1982, 3415, 3428; BAG 21. Mai 1992 - 2 AZR 449/91 - BAGE 70, 238; 23. Juni 1994 - 6 AZR 771/93 - BAGE 77, 117). Diese Voraussetzungen sind hier nicht gegeben. Zwar hat der Europäische Gerichtshof in der Entscheidung vom 30. April 1998 (- C 136/95 - EuGHE I 1998, 2027) erkannt, daß eine nationale Regelung, die einer Frau eine Möglichkeit zum beruflichen Aufstieg deshalb nimmt, weil sie dem Betrieb wegen eines Mutterschaftsurlaubs ferngeblieben ist, gegen Art. 2 Abs. 3 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG verstößt. Diese Entscheidung ist jedoch nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragbar. Denn die hier in Rede stehende tarifliche Regelung in § 23 a Nr. 4 BAT-O knüpft nicht an das Geschlecht an, sondern unterscheidet danach, ob das Arbeitsverhältnis während der Unterbrechung der Tätigkeit geruht hat oder nicht. Unter diesen Umständen kann der Senat nicht mit Gewißheit annehmen, daß andere Gerichte der Gemeinschaft und der Europäische Gerichtshof keine Zweifel bei der Auslegung des Gemeinschaftsrechts zu der aufgeworfenen Rechtsfrage haben. Das Verfahren war deshalb auszusetzen und die entscheidungserhebliche Rechtsfrage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorzulegen.



Ende der Entscheidung

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