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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 28.10.1999
Aktenzeichen: 6 AZR 301/98
Rechtsgebiete: TKT, TVG


Vorschriften:

Manteltarifvertrag der Techniker-Krankenkasse (TKT) idF des Änderungstarifvertrags Nr. 1/91 zum TKT, gültig ab dem 1. Februar 1991 § 30
Ergänzungstarifvertrag 02/95 zum TKT Abschn. II (1) - (7),(9)
Umsetzungsrichtlinien zum Ergänzungstarifvertrag 02/95 Ziff. 3
Protokollnotiz zum Ergänzungstarifvertrag 02/95 Ziff. 1 - 4
TVG § 4 Abs. 3
Leitsätze:

1. Nach Abschn. II des Ergänzungstarifvertrags 02/95 zum TKT (ETV 02/95) kann abweichend von der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden ab dem 1. April 1995 die Arbeitszeit in einem Rahmen zwischen 35,5 und 39,5 Stunden in der Woche in Stundenintervallen (35,5/36,5/37,5/38,5/39,5) vereinbart werden. Die Wahl der individuellen Arbeitszeit steht ausschließlich dem Beschäftigten zu. Der Arbeitgeber kann nur aus "betrieblichen Notwendigkeiten" die getroffene Wahl ablehnen. Auf wirtschaftliche Gesichtspunkte kann er sich nicht berufen.

2. Die Wahl der individuellen Arbeitszeit kann auch von einem unkündbaren Angestellten getroffen werden, der nach § 30 Abs. 2 TKT beantragt, bis zum Eintritt des Versorgungsfalls beurlaubt zu werden.

3. Von der 12-Monats-Frist zwischen Beginn der gewählten Arbeitszeit und dem Eintritt der Beurlaubung (Ziff. 2 der Protokollnotiz zum ETV 02/95) kann zugunsten des Arbeitnehmers einzelvertraglich abgewichen werden.

Aktenzeichen: 6 AZR 301/98 Bundesarbeitsgericht 6. Senat Urteil vom 28. Oktober 1999 - 6 AZR 301/98 -

I. Arbeitsgericht Hamburg - 17 Ca 47/96 - Urteil vom 5. November 1996

II. Landesarbeitsgericht Hamburg - 8 Sa 28/97 - Urteil vom 23. Juli 1997


6 AZR 301/98 8 Sa 28/97

BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

Verkündet am 28. Oktober 1999

Schneider, der Geschäftsstelle

In Sachen

Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsklägerin,

pp.

Kläger, Berufungskläger und Revisionsbeklagter,

hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 28. Oktober 1999 durch den Vizepräsidenten des Bundesarbeitsgerichts Dr. Peifer, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Armbrüster und die Richterin am Bundesarbeitsgericht Gräfl sowie die ehrenamtlichen Richter Reimann und Gebert für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamburg vom 23. Juli 1997 - 8 Sa 28/97 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen !

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch Ausübung eines tariflichen Bestimmungsrechts seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit und damit auch sein Bruttomonatsgehalt und sein künftiges Gesamtruhegeld wirksam erhöht hatte.

Der am 18. April 1936 geborene Kläger war seit 1973 bei der Beklagten beschäftigt, zuletzt als Systemanalytiker. Nachdem der Kläger erfolglos einen Antrag auf die gesetzliche Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gestellt hatte, beantragte er am 2. November 1994 bei der Beklagten seine Beurlaubung nach § 30 Abs. 2 des Manteltarifvertrags der Techniker-Krankenkasse (TKT) idF des Änderungstarifvertrages Nr. 1/91 zum TKT, gültig ab dem 1. Februar 1991. § 30 TKT lautet:

"Beurlaubung aus betrieblichen oder persönlichen Gründen bis zum Eintritt des Versorgungsfalles

(1) Stellt die Kasse fest, daß ein unkündbarer Angestellter, der das 58. Lebensjahr (das 57. Lebensjahr, wenn der Angestellte schwerbehindert mit einem GdB von mindestens 50 % ist) vollendet hat, dauernd außerstande ist, die ihm obliegenden Aufgaben in vollem Umfange zu erfüllen, und können ihm andere seiner Vergütungsgruppe entsprechende Tätigkeiten nicht übertragen werden, so kann die Kasse den Angestellten nach Anhörung unter Mitwirkung der Personalvertretung und bei Einhaltung einer Auslauffrist von sechs Monaten bis zum Eintritt des Versorgungsfalles beurlauben.

(2) Erklärt ein unkündbarer Angestellter mit Gesamtversorgungsansprüchen nach Anlage 6 a TKT, der das 58. Lebensjahr (als Schwerbehinderter mit einem GdB von mindestens 50 % das 57. Lebensjahr) vollendet hat, daß er dauernd außerstande sei, die ihm obliegenden Aufgaben in vollem Umfang zu erfüllen und können ihm andere seiner Vergütungsgruppe entsprechende Aufgaben nicht übertragen werden, kann ihn die Kasse auf seinen Antrag, wenn ihm außerdem Rente wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit abgelehnt worden ist, bis zum Eintritt des Versorgungsfalles beurlauben.

(3) Die Beurlaubung endet mit dem Bezug von Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung, die zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu beantragen ist.

(4) Der beurlaubte Angestellte erhält bis zum Eintritt des Versorgungsfalles ein Gesamtruhegeld nach Anlage 6 a TKT."

Der Kläger beantragte bei der Beklagten am 30. März 1995 außerdem, seine wöchentliche Arbeitszeit von bisher 37,5 Stunden auf 39,5 Stunden zu erhöhen. Dies geschah auf der Grundlage des Ergänzungstarifvertrags 02/95 zum TKT und anderen Tarifverträgen der Beklagten, der am 1. April 1995 in Kraft trat. In diesem heißt es:

"Präambel

Die für die Jahre 1996 und 1997 vorgesehene Einführung der Wahlfreiheit im Bereich der gesetzlichen Krankenkassen stellt für die Techniker Krankenkasse eine besondere Herausforderung dar. Die Einführung des Arbeitszeitkorridors trägt dieser Herausforderung Rechnung. Mit der Einführung des Arbeitszeitkorridors darf eine Leistungsverdichtung nicht verbunden sein. Die Arbeitszeitregelungen sollen sowohl den betrieblichen Bedürfnissen Rechnung tragen als auch den Beschäftigten die Möglichkeit geben, ihre Arbeitszeit den persönlichen Bedürfnissen anzupassen.

...

II. Arbeitszeitregelungen ...

(1) Abweichend von § 7 Abs. 1 Satz 1 TKT kann als tarifliche Arbeitszeit (...) eine individuelle Arbeitszeit in einem Rahmen zwischen 35,5 und 39,5 Stunden in der Woche in Stundenintervallen (35,5/36,5/37,5/38,5/39,5 Std) vereinbart werden.

(2) Es können ausschließlich die Beschäftigten eine individuelle Arbeitszeit wählen. Das Wahlrecht wird durch einen Antrag ausgeübt.

(3) Die Ankündigungsfrist für eine Änderung der Arbeitszeit beträgt zwei Kalendermonate.

(4) Die Vereinbarung der individuellen Arbeitszeit im Sinne von Abschnitt II (1) wird jeweils für 12 Monate geschlossen.

Kann die gewählte Arbeitszeit nicht für 12 Monate vereinbart werden, wegen Auslaufen des Tarifvertrages oder Beendigung des Arbeitsverhältnisses, so kann die Vereinbarung für einen kürzeren Zeitraum geschlossen werden.

Eine vorzeitige Beendigung der Vereinbarung ist bei gegenseitigem Einverständnis möglich.

(5) Wird von dem Wahlrecht nicht Gebrauch gemacht, beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 37,5 Stunden.

(6) Der Arbeitgeber kann aus betrieblichen Notwendigkeiten die Wahl einer individuellen Arbeitszeit ablehnen. Die Ablehnung ist schriftlich zu begründen.

Im Falle einer Ablehnung kann innerhalb von 14 Tagen nach Zugang der schriftlichen Begründung die tarifliche Schiedsstelle angerufen werden.

(7) ...

Kann die Schiedsstelle keine Einigung erzielen, so beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 37,5 Stunden.

Der Rechtsweg bleibt offen. Nach Klageerhebung kann die Schiedsstelle nicht mehr angerufen werden.

...

(9) Wird eine individuelle Vereinbarung im Sinne von Abschnitt II (1) getroffen, wird diese individuelle Arbeitszeit Bestandteil des Arbeitsvertrages.

..."

In den Umsetzungsrichtlinien zum Ergänzungstarifvertrag 02/95 (fortan: Umsetzungsrichtlinien) heißt es:

"...

3. Erstmalige Wahl der individuellen Arbeitszeit zum 1.4.1995

Abweichend von Abschnitt II (3) des Ergänzungsvertrages können die Beschäftigten ohne Einhaltung der Ankündigungsfrist eine individuelle Arbeitszeit zum 1.4.1995 wählen, sofern die Vereinbarung bis zum 31.03.1995 getroffen wird.

Widerspricht der Arbeitgeber der Wahl, kann die individuelle Arbeitszeit erst nach Entscheidung der Schiedsstelle in Kraft treten.

..."

Mit Schreiben vom 25. April 1995 teilte die Beklagte dem Kläger mit, dem Antrag auf Beurlaubung sei für die Zeit ab 1. August 1995 entsprochen worden. Die Arbeitszeiterhöhung stehe im Widerspruch zu dem Antrag auf Beurlaubung. Dieser beruhe auf der Erklärung des Klägers, er sei dauernd außerstande, seine Aufgaben in vollem Umfang zu erfüllen. Mit dem Antrag auf Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit erkläre der Kläger demgegenüber, daß er seine Aufgaben über das normale Maß hinaus bewältigen könne.

Die vom Kläger angerufene Schiedsstelle erzielte am 30. August 1995 keine Einigung.

Am 31. August 1995 vereinbarte die Beklagte mit der Deutschen Angestellten Gewerkschaft (DAG) die "Protokollnotiz zum Ergänzungstarifvertrag 02/95" (fortan: Protokollnotiz):

"1. Diese Protokollnotiz gilt für die Fälle, in welchen nach Antragstellung gem. § 30 TKT eine veränderte Arbeitszeit gem. Ziffer II des Ergänzungstarifvertrages 02/95 gewählt wird.

2. Zwischen Beginn der gewählten Arbeitszeit und Eintritt der Beurlaubung nach § 30 TKT müssen mindestens zwölf Monate liegen.

3. Bei der Wiederwahl der Arbeitszeit nach 1995 kann die bereits gewählte Arbeitszeit beibehalten werden, auch wenn die Voraussetzung der Ziffer 1 (Mindestlaufzeit für die gewählte Arbeitszeit von zwölf Monaten) nicht erfüllt werden kann.

4. Höchstvorsorglich halten die Tarifparteien fest, daß die Einschränkungen der Ziffer 1 nicht für die Fälle gelten, in welchen ein Rentenantrag (ohne Antragstellung auf Beurlaubung nach § 30 TKT) gestellt wird.

5. Diese Protokollnotiz tritt rückwirkend zum 1.4.1995 in Kraft."

Der Kläger beantragte am 4. Juli 1995 Erwerbsunfähigkeitsrente. Diese wurde ihm mit Bescheid vom 26. April 1996 unbefristet bewilligt. Der Kläger, der durch Einspruch bei der Beklagten bewirkt hatte, daß der Beginn der Beurlaubung auf den 1. Januar 1996 hinausgeschoben wurde, verlangt von der Beklagten für April bis Dezember 1995 die der Höhe nach unstreitige Differenz zwischen dem tatsächlich abgerechneten Monatsgehalt und dem Gehalt, das ihm für eine Wochenarbeitszeit von 39,5 Stunden zustünde.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, der Anspruch ergebe sich aus Abschn. II (4) ETV 02/95. Er habe sein tarifliches Wahlrecht form- und fristgerecht ausgeübt. Für die Heraufsetzung der wöchentlichen Arbeitszeit bedürfe es keiner Vereinbarung. Der Arbeitgeber könne nur aufgrund betrieblicher Notwendigkeiten ablehnen (Abschn. II (6) ETV 02/95). Die von der Beklagten angeführten gesundheitlichen Gründe seien keine betrieblichen Notwendigkeiten in diesem Sinne. Betriebliche Notwendigkeiten müßten ihre Ursache in der Verantwortungssphäre des Arbeitgebers haben. Finanzielle Belastungen des Arbeitgebers genügten nicht, auch dann nicht, wenn sie auf der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers beruhten.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 4.498,86 DM brutto nebst 4 % Zinsen seit dem 31. Januar 1996 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, der Klageanspruch sei nicht entstanden. Sie habe den Antrag auf Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit zu Recht abgelehnt. Nicht schon die Ausübung eines Wahlrechts durch den Kläger, sondern nur eine Vereinbarung der Parteien hätte zur Erhöhung der individuellen Wochenarbeitszeit des Klägers führen können. Beurlaubung und Erhöhung der individuellen wöchentlichen Arbeitszeit ließen sich nicht in Einklang bringen. Im übrigen fehle es an der tariflichen Voraussetzung des zwölfmonatigen Abstands zwischen dem Beginn der gewählten Arbeitszeit und dem Eintritt der Beurlaubung nach § 30 TKT.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und der Klage stattgegeben. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe

Die Revision hat keinen Erfolg. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht der Klage stattgegeben.

I. Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung in rechnerisch unstreitiger Höhe. Ab dem 1. April 1995 war eine wöchentliche Arbeitszeit von 39,5 Stunden Bestandteil des Arbeitsvertrags (Abschn. II (9) ETV 02/95). Nach dem ETV liegt die Wahl einer individuellen Arbeitszeit ausschließlich bei dem Beschäftigten. Der Arbeitgeber kann nur aus "betrieblichen Notwendigkeiten" die getroffene Wahl ablehnen. Eine betriebliche Notwendigkeit für die Ablehnung der individuellen Arbeitszeit des Klägers bestand nicht.

1. Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht angenommen, bei der Regelung über die Wahl der individuellen Arbeitszeit nach Abschn. II (2) ETV 02/95 handele es sich um eine tarifliche Bestimmungsklausel mit einer einseitigen Gestaltungsbefugnis zugunsten des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber kann nach Abschn. II (6) ETV 02/95 nur aus betrieblichen Notwendigkeiten die Wahl einer individuellen Arbeitszeit ablehnen. Diese Bestimmung wäre überflüssig, wenn der Arbeitgeber frei entscheiden könnte, ob er eine Vereinbarung über eine individuelle Arbeitszeit abschließen will oder nicht. Der im Tarifvertrag mehrfach gewählte Wortlaut "Vereinbarung" steht dazu nicht in Widerspruch. Er erklärt sich daraus, daß eine vom Arbeitnehmer gewählte und vom Arbeitgeber nicht aus betrieblichen Notwendigkeiten abgelehnte Arbeitszeit Inhalt der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen der Parteien wird (Abschn. II (9) ETV 02/95). Der ETV trifft keine weiteren Regelungen über die Annahme des Vertragsangebots durch den Arbeitgeber.

Dem steht nicht entgegen, daß die Schiedsstelle zu keiner Einigung gelangt ist. Nach Abschn. II (7) Satz 2 ETV 02/95 beträgt die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit 37,5 Stunden, wenn die Schiedsstelle keine Einigung erzielen kann. Daraus folgt nicht, daß es in jedem Fall bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 37,5 Stunden verbleibt. Denn im nächsten Satz ist ausdrücklich geregelt, daß der Rechtsweg offen bleibt. Abschn. II (7) Satz 3 ETV 02/95 ist nach seinem systematischen Standort und nach seinem Sinn und Zweck dahin zu verstehen, daß eine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit von 37,5 Stunden gelten soll, wenn der Arbeitnehmer den Rechtsweg nicht beschreitet. Für den Fall des Beschreitens des Rechtswegs kann dies nur bedeuten, daß das Arbeitsverhältnis bis zum rechtskräftigen Abschluß des Verfahrens - also vorläufig - mit 37,5 Stunden wöchentlich durchgeführt werden soll.

2. Nach den Bestimmungen in Abschn. II ETV 02/95 war der Kläger berechtigt, mit seinem Antrag vom 30. März 1995 ab dem 1. April 1995 die wöchentliche Arbeitszeit von 39,5 Stunden zu wählen, obwohl er schon im November 1994 den Antrag auf Beurlaubung nach § 30 Abs. 2 TKT gestellt hatte.

a) Aus Abschn. II (1) bis (3) ETV 02/95 ergibt sich keine Einschränkung des Kreises der antragsberechtigten Arbeitnehmer. Auch aus Abschn. II (4) Satz 1 und Satz 2 ETV 02/95 kann nicht ein Ausschluß solcher Arbeitnehmer abgeleitet werden, die - wie der Kläger - eine Beurlaubung beantragt haben.

Nach Abschn. II (4) Satz 1 ETV 02/95 wird die Vereinbarung der individuellen Arbeitszeit jeweils für 12 Monate geschlossen. Ist im Zeitpunkt der Vereinbarung bekannt, daß der Arbeitnehmer einen Antrag auf Beurlaubung gestellt hat, ist zwar nicht ausgeschlossen, daß es für einen Teil des Zeitraums von 12 Monaten nicht mehr zur Erbringung von Arbeitsleistungen kommen wird. Dies führt aber nicht dazu, daß der Abschluß einer 12 Monate lang laufenden Vereinbarung ausgeschlossen wäre, denn die Vereinbarung einer höheren wöchentlichen Arbeitszeit setzt nicht die Prognose voraus, daß der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung durchgehend erbringen wird.

Die Tarifparteien haben in Abschn. II (4) Satz 2 ETV 02/95 zwei Fälle ausdrücklich geregelt, in denen ihrer Auffassung nach die gewählte Arbeitszeit nicht für 12 Monate geregelt werden "kann". Für diese beiden Fälle haben sie die Möglichkeit einer entsprechend kürzer laufenden Vereinbarung eingeräumt.

Es handelt sich zum einen um den Fall der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Ablauf von 12 Monaten. Dies ist ein Fall rechtlicher Unmöglichkeit, da für ein nicht mehr bestehendes Arbeitsverhältnis keine Arbeitszeit vereinbart werden kann. Dieser Fall liegt nicht vor. Von einer "Beendigung des Arbeitsverhältnisses" ist nicht schon bei Freistellung von der Beschäftigung auszugehen, auch nicht bei einer Beurlaubung nach § 30 TKT. Ohne besondere Anhaltspunkte kann nicht angenommen werden, daß die Tarifparteien den Begriff der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, der einen bestimmten rechtlichen Inhalt hat, eine andere Bedeutung als die allgemein übliche zugemessen haben (BAG 13. Mai 1981 - 4 AZR 1080/78 - BAGE 35, 251, 263, zu II 3 der Gründe; Kempen/Zachert TVG 3. Aufl. Grundlagen Rn. 311). Der Begriff "Arbeitsverhältnis" bezeichnet die arbeitsvertragliche Verbindung. Dieses rechtliche Band ist bei einer Beurlaubung nach § 30 Abs. 2 TKT nicht beseitigt. Die Beurlaubung führt lediglich zu einer Freistellung von der Verpflichtung zur Erbringung der Arbeitsleistung unter Zahlung eines Gesamtruhegeldes (§ 30 Abs. 2 TKT iVm. Anlage 6 a TKT).

Der andere in Abschn. II (4) ETV 02/95 ausdrücklich geregelte Fall ist der des Auslaufens des Tarifvertrags vor Ablauf von 12 Monaten. Da die Nachwirkung des ETV 02/95 in dessen Abschn. IV (3) ausgeschlossen ist, würde an sich, falls kein neuer Tarifvertrag über die flexible Arbeitszeit vereinbart würde, wieder die regelmäßige Wochenarbeitszeit nach dem TKT gelten. Die Tarifparteien sind offenbar davon ausgegangen, daß die individualrechtliche Bestimmung einer abweichenden Arbeitszeit dann gem. §§ 4 Abs. 3 TVG, 134 BGB unwirksam wäre (vgl. zum Meinungsstreit: Kempen/Zachert aaO § 4 Rn. 191 bis 198 mwN).

Aus diesen beiden ausdrücklichen Regelungen kann aber nicht geschlossen werden, daß im nicht geregelten Fall der Beurlaubung überhaupt kein Anspruch auf eine individuelle Arbeitszeitregelung besteht. Diese Annahme verbietet sich schon deshalb, weil die Interessenlage nicht vergleichbar ist. Beide Ausnahmeregelungen bezwecken nur, rechtliche Hindernisse der Vereinbarung zu überwinden. Ein rechtliches Hindernis für eine Erhöhung der Arbeitszeit besteht jedoch bei dessen Fortbestand nicht.

b) Es bestanden keine betrieblichen Notwendigkeiten iSd. Abschn. II (6) ETV 02/95, aus denen die Beklagte die Wahl der wöchentlichen Arbeitszeit durch den Kläger ablehnen konnte. Betriebliche Notwendigkeiten iSd. Tarifbestimmung liegen vor, wenn sich die vom Arbeitnehmer gewünschte Arbeitszeit im Betriebsablauf nicht verwirklichen läßt. Das kann der Fall sein, wenn die vorhandene Arbeitsmenge nicht ausreicht, um den Arbeitnehmer mit der gewünschten höheren Arbeitszeit zu beschäftigen, oder wenn umgekehrt die zu erledigende Arbeit entweder ihrer Art oder ihrem Umfang nach nur bewältigt werden kann, wenn der Arbeitnehmer die tarifliche Arbeitszeit von wöchentlich 37,5 Stunden nicht unterschreitet. Bloße finanzielle Erwägungen der Beklagten genügen nicht. Hätten die Tarifvertragsparteien solche Gesichtspunkte als Einwendung anerkennen wollen, hätten sie nicht nur "betriebliche", sondern auch "wirtschaftliche" Notwendigkeiten in den Wortlaut des Tarifvertrags aufgenommen. Zwar kann eine wirtschaftliche Belastung sich im Einzelfall unmittelbar betrieblich auswirken. Dies setzt aber voraus, daß sie so gravierend ist, daß die Fortführung des Betriebes gefährdet ist. Die Beklagte hat nicht behauptet, daß die Wahl der wöchentlichen Arbeitszeit durch den Kläger zu einer so schwerwiegenden Belastung führen könnte.

Sinn und Zweck des ETV 02/95 fordern keine über den Wortlaut hinausgehende Auslegung zugunsten der Beklagten. Nach der insoweit aufschlußreichen Präambel des ETV 02/95 bezweckt die Einführung des Arbeitszeitkorridors allein die Umsetzung der für 1996 und 1997 vorgesehenen Wahlfreiheit. Die jetzt möglichen Arbeitszeitregelungen sollen sowohl den betrieblichen Bedürfnissen Rechnung tragen als auch den Beschäftigten die Möglichkeit geben, ihre Arbeitszeit ihren persönlichen Bedürfnissen anzupassen. Auch in der Präambel wird nicht auf allgemeine wirtschaftliche Bedürfnisse oder finanzielle Folgewirkungen abgehoben. Zueinander in Beziehung gesetzt werden auch dort allein die betrieblichen Bedürfnisse auf der einen Seite und die Zeitsouveränität der Arbeitnehmer auf der anderen Seite.

c) Die Wahl ist nicht unwirksam, weil der Kläger nicht die nach Abschn. II (3) ETV 02/95 vorgesehene Ankündigungsfrist von zwei Kalendermonaten eingehalten hat. Nach Ziff. 3 Satz 1 Umsetzungsrichtlinien zum ETV 02/95 konnten die Beschäftigten anläßlich der Einführung des Arbeitszeitkorridors ohne Einhaltung der Ankündigungsfrist eine individuelle Arbeitszeit zum 1. April 1995 wählen, sofern die Vereinbarung bis zum 31. März 1995 getroffen wurde. Diese Frist hat der Kläger eingehalten. Damit war mit Wirkung zum 1. April 1995 eine neue Arbeitszeit von 39,5 Stunden wöchentlich vereinbart.

Ziff. 3 Satz 2 Umsetzungsrichtlinien steht dem nicht entgegen. Nach dieser Bestimmung soll bei Widerspruch des Arbeitgebers die erstmalige Wahl der individuellen Arbeitszeit zum 1. April 1995 erst nach der Entscheidung der Schiedsstelle in Kraft treten können. Diese Bestimmung ist nicht dahin zu verstehen, daß die individuelle Arbeitszeit auch bei einem in der Sache unberechtigten Widerspruch des Arbeitgebers erst nach der Entscheidung der Schiedsstelle zu laufen beginnt. Eine solche Auslegung ergäbe keinen Sinn, wenn die Schiedsstelle dem Arbeitnehmer nicht Recht gibt, er aber im gerichtlichen Verfahren obsiegt. In Fällen, in denen der Arbeitnehmer ohne Anrufung der Schiedsstelle und im Ergebnis erfolgreich klagt, wäre die Regelung in dieser Auslegung unpraktikabel, da es keine Entscheidung der Schiedsstelle gäbe, an die angeknüpft werden könnte. Die Klausel stellt deshalb nur eine vorläufige Regelung bereit, und zwar für die Phase bis zur Entscheidung der Schiedsstelle. Eine dem Antrag des Arbeitnehmers stattgebende Entscheidung der Schiedsstelle regelt die neue Arbeitszeit ebenfalls rückwirkend. Anderenfalls ergäbe sich eine mit sachlichen Erwägungen nicht zu rechtfertigende Benachteiligung der Arbeitnehmer, die die Schiedsstelle in Anspruch nehmen, gegenüber denen, die direkt Klage erheben. Mit dem Bestreben der Tarifparteien, Konflikte möglichst im Rahmen der paritätisch besetzten Schiedsstelle zu lösen, wäre dies nicht zu vereinbaren.

3. Die Wahl der individuellen Arbeitszeit verstieß nicht gegen die vom Berufungsgericht geprüfte Protokollnotiz zum ETV, nach der zwischen Beginn der gewählten Arbeitszeit und dem Beginn der Beurlaubung mindestens 12 Monate liegen müssen. Diese Frist soll den Arbeitgeber davor schützen, daß der Arbeitnehmer kurz vor dem Wegfall der Pflicht zur Arbeitsleistung durch die Wahl einer individuellen Arbeitszeit die vom Umfang der Arbeitszeit abhängigen Arbeitgeberleistungen (Vergütung, Gesamtruhegeld) einseitig erhöht. Eine einvernehmliche Unterschreitung dieser Frist zugunsten des Arbeitnehmers durch eine nach der Wahl der individuellen Arbeitszeit bewilligte Beurlaubung ab einem Zeitpunkt, der - wie hier - weniger als 12 Monate nach Beginn der gewählten Arbeitszeit liegt, ist nach § 4 Abs. 3 TVG (Günstigkeitsprinzip) zulässig. Auf eine solche Vereinbarung hat die Beklagte sich eingelassen. Sie konnte zwar der Wahl der erhöhten Arbeitszeit durch den Kläger nicht entgegentreten. Sie hätte jedoch unter Hinweis auf die durch diese Wahl zum Ausdruck kommende Einschätzung des Klägers in Bezug auf seine eigene Rüstigkeit den Beurlaubungsantrag nicht - jedenfalls nicht zu dem gewünschten Zeitpunkt - zu entsprechen brauchen.

4. Die Beklagte kann dem Kläger nicht entgegenhalten, daß er seit dem 1. Januar 1996 nicht mehr gearbeitet hat. Zwar wird nach dem ETV die Vereinbarung der individuellen Arbeitszeit jeweils für 12 Monate geschlossen. Darauf, ob der Angestellte während dieser Zeit tatsächlich arbeitet, kommt es nach der Tarifregelung jedoch nicht an. Die Auslegung des ETV ergibt, daß die Vereinbarung der individuellen Arbeitszeit nur den Bestand des Arbeitsverhältnisses voraussetzt. Darin, daß der Kläger die individuelle Arbeitszeit wählte, obwohl er die Beurlaubung beantragt hatte, lag somit kein widersprüchliches Verhalten (§ 242 BGB).

Außerdem geht die Tarifregelung selbst davon aus, daß auch ein Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis in absehbarer Zeit endet, noch eine individuelle Arbeitszeit wählen kann. Dies ergibt sich aus Abschn. II (4) Satz 2 ETV 02/95. Das Landesarbeitsgericht hat auch zu Recht darauf hingewiesen, daß selbst die Protokollnotiz keinen prinzipiellen Widerspruch zwischen der Antragstellung nach § 30 TKT und einer Arbeitszeitwahl nach Abschn. II ETV 02/95 sieht, sondern nur regelt, daß beim Zusammentreffen von Beurlaubungsantrag und Arbeitszeitwahl die Beurlaubung frühestens 12 Monate nach dem Beginn der gewählten Arbeitszeit einsetzt. Schließlich hat das Landesarbeitsgericht auch zutreffend hervorgehoben, daß es die Tarifparteien nach Ziff. 4 der Protokollnotiz nicht für widersprüchlich gehalten haben, einen Rentenantrag und einen Antrag auf individuelle, also auch eine erhöhte, Arbeitszeit zu stellen, obwohl auch hier der Arbeitnehmer, der einen Antrag auf Erwerbsunfähigkeitsrente stellt, nach seiner eigenen Einschätzung nicht mehr leistungsfähig ist.

II. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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