Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 22.01.2009
Aktenzeichen: 6 AZR 5/08
Rechtsgebiete: BAT


Vorschriften:

BAT § 70
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

6 AZR 5/08

Verkündet am 22. Januar 2009

In Sachen

hat der Sechste Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der Beratung vom 22. Januar 2009 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Fischermeier, den Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Linck und die Richterin am Bundesarbeitsgericht Spelge sowie die ehrenamtlichen Richter Buschmann und Oye für Recht erkannt:

Tenor:

1. Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 8. November 2007 - 3 Sa 272/07 - wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten der Revision zu tragen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten darum, ob der Anspruch der Klägerin auf die Gewährung kinderbezogener Entgeltbestandteile im Ortszuschlag verfallen ist.

Die Klägerin ist seit 1999 bei der beklagten Stadt beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis fand bis zum 30. September 2005 der Bundes-Angestelltentarifvertrag (BAT) Anwendung. Die Beklagte zahlte der Klägerin den kinderbezogenen Teil des Ortszuschlags nach § 29 Abschnitt B Abs. 4 BAT bis zum 30. April 2003 für ihre Tochter Ka, geboren am 7. August 1982, und bis zum 31. März 2003 für ihren Sohn Kr, geboren am 7. März 1985. Die Tochter Ka hat im Oktober 2001 ein Studium aufgenommen. Der Sohn Kr stand im März 2003, dem Monat, in dem er das 18. Lebensjahr vollendete, in einem Berufsausbildungsverhältnis.

Am 11. März 2003 beanstandete der zuständige Sachbearbeiter anlässlich der Erörterung von zu diesem Zeitpunkt vorliegenden schriftlichen Anträgen der Klägerin auf Weitergewährung des Kindergeldes und des kinderbezogenen Entgeltbestandteils im Ortszuschlag diese Anträge als unvollständig. Die Klägerin nahm daraufhin die Anträge im Original wieder an sich, um die verlangten ergänzenden Eintragungen vorzunehmen und die notwendigen Belege und Einkommensnachweise zu beschaffen. Mit E-Mail vom 28. April 2003 erinnerte der Sachbearbeiter die Klägerin an die Abgabe der notwendigen Erklärung zur Weiterzahlung von Kindergeld und kindergeldbezogenen Leistungen. Die Klägerin erwiderte daraufhin mit E-Mail vom selben Tag:

"Guten Tag ...,

bei unserem letzten Gespräch am haben Sie mir mitgeteilt, dass das Kindergeld und der kinderbezogene Ortszuschlag nur dann gewährt werden kann, wenn die von Ihnen geforderten Unterlagen vollständig (incl. Anschrift der Kinder etc.) ausgefüllt vorgelegt werden. ...

Nach den mir mittlerweile vorliegenden Informationen ... besteht die Möglichkeit, auch am Jahresende für den zurückliegenden Zeitraum eine entsprechende Nachzahlung bzw. Gewährung zu erhalten, wenn überschaubar ist, ob die Einkünfte nach Abzug aller Werbungskosten eine Weitergewährung des Kindergeldes rechtfertigen.

..."

Nachdem die Klägerin im Oktober 2005 ihren Einkommensteuerbescheid für den Veranlagungszeitraum 2003 erhalten hatte, wandte sie sich mit E-Mail vom 18. Oktober 2005 an die Beklagte. Diese Mail hat auszugsweise folgenden Wortlaut:

"Sehr geehrter ...,

da für das Jahr 2003 für Ka und Kr nur anteilig Kindergeld gezahlt wurde und aufgrund der eigenen Einkünfte meiner Kinder erst eine entsprechende Anerkennung der Werbungskosten (Anlage Kinder) in meinem Steuerbescheid durch das Finanzamt erfolgen sollte, habe ich derzeit den Anspruch nicht weiter verfolgt und Ihnen dies auch mitgeteilt.

..."

Mit Schreiben vom 8. November 2005 wandte sich die Klägerin abermals an die Beklagte. Dieses lautet auszugsweise:

"Sehr geehrter ...,

Anfang des Jahres 2003 erhielt ich ... die Erklärung/Antrag zur Weiterzahlung von Kindergeld und Familien-/Ortszuschlag. ...

Aufgrund der seitens des SG Personalangelegenheiten zusätzlich zu den bisher erforderlichen Unterlagen angeforderten Bescheinigungen (Arbeitgebererklärung von Kr ab 01.01. (!) 2003) und aufgrund der noch nicht feststehenden Werbungskosten, wurde auf eine Abgabe der Anträge für beide Kinder vorläufig verzichtet. Hierzu wurde das in der Anlage beigefügte Schreiben vom 28.04.03 verfasst.

Darin wurde darauf abgestellt, dass von mir der Antrag auf Gewährung von Kindergeld und den Kinderbezogenen Ortszuschlag gestellt wird, wenn bekannt ist, dass die Einkünfte nach Abzug aller Werbungskosten eine Weitergewährung von Kindergeld rechtfertigen.

Aufgrund der beantragten Anerkennung von Werbungskosten oberhalb des Pauschalbetrages wurde daher mein Einkommensteuerbescheid 2003, der am 10.10.2005 erlassen wurde, abgewartet.

...

Die Anträge auf Gewährung des Kindergeldes liegen diesem Schreiben bei.

..."

Die Beklagte lehnte mit Schreiben vom 11. November 2005 unter Berufung auf die tarifliche Ausschlussfrist die Zahlung des kinderbezogenen Entgeltbestandteils für die Zeit seit April bzw. Mai 2003 ab. Am 18. Januar 2006 beantragte die Klägerin für ihren Sohn Kr den kinderbezogenen Entgeltbestandteil für das Jahr 2004 und wohl auch für Januar 2005. Die Klägerin begehrt mit ihrer der Beklagten am 23. November 2006 zugestellten Klage den kinderbezogenen Entgeltbestandteil im Ortszuschlag für ihre Tochter Ka für Mai 2003 bis einschließlich Dezember 2003 und für ihren Sohn Kr für April 2003 bis einschließlich Januar 2005 in rechnerisch und dem Grund nach unstreitiger Höhe. Sie hat - soweit für die Revision noch von Bedeutung - die Auffassung vertreten, sie habe die Ausschlussfrist gewahrt. Für die Geltendmachung komme es nicht darauf an, ob das Formular korrekt ausgefüllt worden sei.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, rückwirkend den kinderbezogenen Ortszuschlag in Höhe von monatlich 88,78 Euro brutto für den Zeitraum Mai 2003 bis Dezember 2003 zuzüglich fünf Prozent Zinsen ab Rechtshängigkeit der Klage für die Tochter der Klägerin Ka, geboren am 7. August 1982, zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, rückwirkend den kinderbezogenen Ortszuschlag in Höhe von monatlich 88,78 Euro brutto für den Zeitraum April 2003 bis Dezember 2003, in Höhe von monatlich 89,67 Euro brutto für Januar 2004 bis Dezember 2004 und in Höhe von monatlich 90,57 Euro brutto für Januar 2005 zuzüglich fünf Prozent Zinsen seit Rechtshängigkeit der Klage für den Sohn der Klägerin Kr, geboren am 7. März 1985, zu zahlen.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Klageabweisungsantrags vorgetragen, die Klägerin habe die tarifliche Ausschlussfrist versäumt.

Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Zahlungsanspruch weiter.

Entscheidungsgründe:

Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben im Ergebnis zu Recht die Klage abgewiesen. Der Anspruch der Klägerin auf die kinderbezogenen Entgeltbestandteile im Ortszuschlag nach § 29 Abschnitt B Abs. 4 BAT iVm. § 32 Abs. 4 EStG für den streitbefangenen Zeitraum ist verfallen.

I. Im streitbefangenen Zeitraum April 2003 bis Januar 2005 war noch § 70 BAT auf das Arbeitsverhältnis anzuwenden. Danach verfielen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, wenn sie nicht innerhalb von sechs Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend gemacht wurden. Der kinderbezogene Entgeltbestandteil war als Teil des Ortszuschlags ein Anspruch aus dem Arbeitsverhältnis im Sinne von § 70 BAT (Senat 18. November 2004 - 6 AZR 512/03 - zu 4 der Gründe, EzBAT BAT § 29 Nr. 39).

II. Die Klägerin hat die streitbefangenen Ansprüche nicht innerhalb der Frist des § 70 BAT geltend gemacht.

1. Ob die am 11. März 2003 erörterten Anträge der Beklagten zugegangen sind und ob sie zu diesem Zeitpunkt von der Klägerin bereits unterschrieben und damit formgerecht waren (vgl. BAG 17. September 2003 - 4 AZR 540/02 - mwN, BAGE 107, 304, 312; 11. Oktober 2000 - 5 AZR 313/99 - BAGE 96, 28, 31 f.), kann dahinstehen. Am 11. März 2003 konnte bereits deshalb keine ordnungsgemäße Geltendmachung im tariflichen Sinn erfolgen, weil zu diesem Zeitpunkt die streitbefangenen Ansprüche auf den kinderbezogenen Entgeltbestandteil im Ortszuschlag noch nicht entstanden waren.

a) Aus Wortlaut und Zweck des § 70 BAT ergab sich, dass die rechtserzeugenden Anspruchsvoraussetzungen nach dem Vorbringen des Anspruchstellers bei der Geltendmachung bereits erfüllt sein mussten, um die tarifliche Ausschlussfrist zu wahren. Vor Entstehen eines Anspruches ist ungewiss, ob, wann und in welchem Umfang der Arbeitgeber überhaupt zur Zahlung verpflichtet sein wird. Ausschlussfristen sollen zur raschen Klärung von Ansprüchen beitragen. Dieser Zweck kann nicht erfüllt werden, wenn Ansprüche vor ihrer Entstehung geltend gemacht werden und damit letztlich nur als möglich angekündigt werden (vgl. Senat 11. Dezember 2003 - 6 AZR 539/02 - BAGE 109, 100, 108).

b) Der Anspruch auf den kinderbezogenen Entgeltbestandteil im Ortszuschlag nach § 29 Abschnitt B Abs. 3 und 4 BAT hing davon ab, ob materiellrechtlich ein Anspruch auf Kindergeld bestand (Senat 18. November 2004 - 6 AZR 512/03 - EzBAT BAT § 29 Nr. 39). Da der an den Kindergeldanspruch geknüpfte Teil des Ortszuschlags monatlich ausgezahlt wurde, entstand der Anspruch auf den kinderbezogenen Entgeltbestandteil erst, wenn das Entgelt für den betreffenden Monat verdient war.

Am 11. März 2003 war der Anspruch auf die streitbefangenen kinderbezogenen Entgeltbestandteile noch nicht entstanden, weil die Klägerin ihre Arbeitsleistung für April 2003 und die folgenden Monate noch nicht erbracht hatte. Zudem stand noch nicht fest, ob das Einkommen eines oder beider Kinder die Grenzbeträge des § 32 Abs. 4 EStG für das Jahr 2003 übersteigen und damit der Kindergeldanspruch der Klägerin entfallen würde.

c) Aus § 70 Satz 2 BAT folgte nichts anderes. Danach reichte für denselben Sachverhalt die einmalige Geltendmachung des Anspruches, um die Ausschlussfrist auch für später fällig werdende Leistungen unwirksam zu machen. Auch diese Bestimmung setzte aus den vorstehend genannten Gründen voraus, dass die "einmalige Geltendmachung" einen bereits entstandenen Anspruch betraf (vgl. Senat 11. Dezember 2003 - 6 AZR 539/02 - BAGE 109, 100, 109). Erst wenn dieser ordnungsgemäß geltend gemacht worden war, war aus Gründen der Vereinfachung eine nochmalige Geltendmachung auch für später fällig werdende Leistungen entbehrlich.

Die streitbefangenen Ansprüche ergaben sich nicht aus "demselben Sachverhalt" iSd. § 70 Satz 2 BAT. Dies war nur der Fall, wenn bei unveränderter rechtlicher und tatsächlicher Lage Ansprüche aus einem bestimmten Tatbestand herzuleiten waren (Senat 11. Dezember 2003 - 6 AZR 539/02 - BAGE 109, 100, 109). Daran fehlte es hier. Zwar erhielt die Klägerin für ihre Kinder bis Anfang 2003 den kinderbezogenen Entgeltbestandteil im Ortszuschlag. Im Monat März 2003 hatten sich jedoch hinsichtlich des Sohnes, der in diesem Monat sein 18. Lebensjahr vollendet hatte, die Anspruchsvoraussetzungen für den Bezug des Kindergeldes geändert. Nunmehr bestand für ihn nur noch ein Anspruch auf Kindergeld, wenn die Voraussetzungen des § 32 Abs. 4 EStG erfüllt waren. Bei der Tochter war aufgrund der Höhe des von ihr erzielten Einkommens ungewiss, ob die Einkommensgrenzen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG weiterhin unterschritten würden.

2. Die Klägerin hat die streitbefangenen Ansprüche erst im November 2005 bzw. Januar 2006 geltend gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war die Ausschlussfrist des § 70 BAT bereits verstrichen.

a) Die Ausschlussfrist begann in dem Moment zu laufen, in dem die Klägerin überblicken konnte, ob die Einkünfte eines oder beider Kinder die Einkommensgrenzen des § 32 Abs. 4 EStG übersteigen würden. Der Senat unterstellt zugunsten der Klägerin, dass diese, wie von ihr in den Mails vom 28. April 2003 und 18. Oktober 2005 mitgeteilt, vor Abschluss des Kalenderjahres 2003 nicht prognostizieren konnte, ob dies der Fall sein würde. Bei dieser Sachlage durfte sie den Ablauf des Jahres 2003 abwarten, um das Einkommen ihrer Kinder abschließend überblicken zu können. Ab Kenntnis der Höhe dieses Einkommens und der entstandenen Werbungskosten begann aber die Ausschlussfrist auch für die kinderbezogenen Entgeltbestandteile im Ortszuschlag für das Jahr 2003 zu laufen. Den Erlass des Einkommenssteuerbescheides für das Jahr 2003 oder gar die Bestandskraft dieses Bescheides durfte die Klägerin nicht abwarten. Da keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass in der Folgezeit Änderungen der Höhe des Einkommens und der Werbungskosten der Sohnes der Klägerin eingetreten sind, die der Klägerin eine Prognose unmöglich gemacht hätten, ob ein Kindergeldanspruch hinsichtlich ihres Sohns für das Jahr 2004 und für Januar 2005 bestand, ist die Ausschlussfrist für die kinderbezogenen Entgeltbestandteile im Ortszuschlag für das Jahr 2004 und für Januar 2005 jeweils mit Fälligkeit des monatlichen Entgeltanspruchs der Klägerin angelaufen.

b) Die Klägerin hat im Schreiben vom 8. November 2005 ausdrücklich darauf abgestellt, dass sie für die streitbefangenen Zeiträume auf die Abgabe der erforderlichen Anträge bisher "vorläufig" verzichtet habe. Sie hat diesem Schreiben erstmals schriftliche Anträge beigefügt, die die Anspruchsvoraussetzungen für das Jahr 2003 belegten. Im Januar 2006 hat sie für den restlichen im Streit stehenden Zeitraum die Zahlung des kinderbezogenen Entgeltbestandteils beantragt und die Anspruchsvoraussetzungen dargelegt. Zu diesen Zeitpunkten war die tarifliche Ausschlussfrist des § 70 BAT bereits verstrichen. Der Anspruch nach § 29 Abschnitt B Abs. 4 BAT für die Tochter Ka war mit Ablauf des 30. Juni 2004, der für den Sohn Kr mit Ablauf des 30. Juli 2005 vollständig verfallen.

3. Die Geltendmachung des Anspruches der Klägerin auf die Gewährung der kinderbezogenen Entgeltbestandteile für den streitbefangenen Zeitraum ist auch nicht ausnahmsweise unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben zuzulassen (vgl. BAG 27. März 1963 - 4 AZR 72/62 - BAGE 14, 140; Senat 13. Dezember 2007 - 6 AZR 222/07 - Rn. 31 f., AP BGB § 242 Unzulässige Rechtsausübung - Verwirkung Nr. 53 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 189). Das hat das Landesarbeitsgericht mit ausführlicher Begründung zutreffend ausgeführt. Hiergegen werden von der Revision keine Rügen erhoben.

III. Die Klägerin hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

Ende der Entscheidung

Zurück