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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 23.02.2000
Aktenzeichen: 7 AZR 126/99
Rechtsgebiete: TVK, KSchG, BGB


Vorschriften:

TVK § 42 Abs. 1
TVK § 45 Abs. 1
TVK § 45 Abs. 4
TVK § 45 Abs. 5
KSchG § 1
BGB § 626
Leitsätze:

Die in § 45 Abs. 1 TVK geregelte auflösende Bedingung, nach der das Arbeitsverhältnis eines Orchestermusikers aufgrund der Gewährung einer zeitlich begrenzten Rente wegen Erwerbsunfähigkeit endet, ist mit höherrangigem Recht vereinbar, weil der Arbeitgeber gem. § 45 Abs. 5 TVK den Musiker nach Ablauf der Zeitrente wieder einzustellen hat, soweit für dessen Instrument ein freier Arbeitsplatz im Orchester vorhanden ist.

Aktenzeichen: 7 AZR 126/99 Bundesarbeitsgericht 7. Senat Urteil vom 23. Februar 2000 - 7 AZR 126/99 -

I. Arbeitsgericht Lübeck - 4 Ca 675 b/98 - Urteil vom 24. Juni 1998

II. Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein - 2 Sa 491/98 - Urteil vom 23. Dezember 1998


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! Urteil

7 AZR 126/99 2 Sa 491/98

Verkündet am 23. Februar 2000

Freitag, der Geschäftsstelle

In Sachen

Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionskläger,

pp.

Beklagte, Berufungsklägerin und Revisionsbeklagte,

hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23. Februar 2000 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dörner, die Richterin am Bundesarbeitsgericht Schmidt, den Richter am Bundesarbeitsgericht Linsenmaier, die ehrenamtlichen Richter Prof. Dr. Knapp und Herbst für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Schleswig-Holstein vom 23. Dezember 1998 - 2 Sa 491/98 - wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis wegen Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente auf Zeit beendet worden ist.

Der 1946 geborene Kläger ist seit dem 1. August 1975 als 1. Solo-Fagottist im Philharmonischen Orchester der Beklagten beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung der Tarifvertrag für die Musiker in Kulturorchestern vom 1. Juli 1971 (TVK) Anwendung. Nach § 42 Abs. 1 TVK kann dem Kläger seit Vollendung des 40. Lebensjahres und nach 15-jähriger Orchesterzugehörigkeit nur noch aus wichtigem Grund gekündigt werden. Im TVK ist weiterhin bestimmt:

§ 45

Beendigung des Arbeitsverhältnisses infolge Berufs- und Erwerbsunfähigkeit

(1) Wird durch den Bescheid eines Rentenversicherungsträgers festgestellt, daß der Musiker berufsunfähig oder erwerbsunfähig ist, endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Monats, in dem der Bescheid zugestellt wird, sofern der Musiker eine außerhalb der gesetzlichen Rentenversicherung bestehende Versorgung durch den Arbeitgeber oder durch eine Versorgungseinrichtung erhält, zu der der Arbeitgeber Mittel beigesteuert hat. Der Musiker hat den Arbeitgeber von der Zustellung des Rentenbescheides unverzüglich zu unterrichten. Beginnt die Rente wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit erst nach der Zustellung des Rentenbescheides, endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des dem Rentenbeginn vorangehenden Tages.

...

...

(4) Liegt bei dem Musiker, der Schwerbehinderter im Sinne des Schwerbehindertengesetzes ist, in dem Zeitpunkt, in dem nach den Absätzen 1 bis 3 das Arbeitsverhältnis wegen Berufsunfähigkeit oder wegen Erwerbsunfähigkeit auf Zeit endet, die nach § 22 des Schwerbehindertengesetzes erforderliche Zustimmung der Hauptfürsorgestelle noch nicht vor, endet das Arbeitsverhältnis mit Ablauf des Tages der Zustellung des Zustimmungsbescheides der Hauptfürsorgestelle.

(5) Nach Wiederherstellung der Berufsfähigkeit soll der Musiker, dem bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach Absatz 1 oder Absatz 2 nur noch aus wichtigem Grunde gekündigt werden konnte (§ 42 Abs. 1), auf Antrag in seinem früheren Orchester wieder als Musiker eingestellt werden, wenn dort ein für ihn geeigneter Arbeitsplatz frei ist. Satz 1 gilt entsprechend für kündbare Musiker, die eine befristete Rente bezogen haben.

Der Kläger ist als Schwerbehinderter anerkannt. Ihm wurde durch Bescheid vom 6. März 1996 eine Rente wegen Erwerbsunfähigkeit für die Zeit vom 1. April 1996 bis zum 31. März 1999 gewährt, die vor Ablauf des Bewilligungszeitraums bis zum 31. März 2002 verlängert worden ist. Auf Antrag der Beklagten hatte die Hauptfürsorgestelle mit dem am 30. August 1996 zugestellten Bescheid vom 27. August 1996 die Zustimmung zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses erteilt.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, das Arbeitsverhältnis sei infolge der Zeitrentengewährung nicht beendet worden. Die Vorschrift des § 45 Abs. 1 TVK umgehe zwingendes Kündigungsrecht und sei unwirksam.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, daß das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht mit Ablauf des 30. August 1996 beendet wurde, sondern lediglich bis zum 31. März 1999 ruht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht die erstinstanzliche Entscheidung abgeändert und die Klage abgewiesen. Dagegen richtet sich die Revision des Klägers mit der er sein bisheriges Klageziel verfolgt. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat im Ergebnis zutreffend erkannt, daß das Arbeitsverhältnis der Parteien nach § 45 Abs. 1 iVm. § 45 Abs. 4 TVK am 30. August 1996 beendet worden ist. Die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führende Tarifvorschrift genügt bei verfassungskonformer Auslegung den Anforderungen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle und ist deswegen auch mit höherrangigem Recht vereinbar.

1. § 45 Abs. 1 TVK regelt eine auflösende Bedingung, mit deren Eintritt das Arbeitsverhältnis endet. Dazu zählt nicht nur eine Dauerrentengewährung wegen Erwerbsunfähigkeit, sondern auch die Gewährung einer zeitlich begrenzten Erwerbsunfähigkeitsrente. Das folgt zwar nicht unmittelbar aus dem Wortlaut des § 45 Abs. 1 TVK, der nicht eindeutig regelt, daß das Arbeitsverhältnis auch bei einer zeitlich begrenzten Rentengewährung wegen Erwerbsunfähigkeit enden soll. Jedoch ergibt sich aus den weiteren Regelungen des § 45 TVK, daß die Tarifvertragsparteien die auflösende Bedingung nicht auf die Fälle eines endgültigen Ausscheidens des Arbeitnehmers aus dem Erwerbsleben beschränken wollten. So stellen die tariflichen Bestimmungen zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses eines Schwerbehinderten (§ 45 Abs. 4 TVK) im Falle einer Rentengewährung wegen Erwerbsunfähigkeit sowie zur Wiedereinstellung bei kündbaren Musikern (§ 45 Abs. 5 TVK) jeweils auf einen befristeten Rentenbezug wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit ab. Diese Regelungen setzen voraus, daß die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses führende auflösende Bedingung auch bei einer zeitlich begrenzten Rentenbewilligung eintreten soll.

2. Die Tarifnorm des § 45 Abs. 1 TVK ist wirksam. Sie regelt einen Sachgrund, der die Beendigung der davon betroffenen Arbeitsverhältnisse rechtfertigt, weil der Arbeitgeber bei Wiederherstellung der Berufsfähigkeit des Musikers verpflichtet ist, ihn auf einem freien Arbeitsplatz für sein Instrument im Orchester einzustellen.

a) Die tarifliche Vorschrift des § 45 Abs. 1 TVK trägt den besonderen künstlerischen Belangen eines Kulturorchesters Rechnung. Danach fehlt es bei einem auf Zeit erwerbsunfähigen Arbeitnehmer an einer dauerhaften Beschäftigungsmöglichkeit, weil dessen Stelle zur Wahrung der Homogenität des Orchesterklangs besetzt werden muß und dem Arbeitgeber die Überbrückung des Zeitraums, bis zu dem Gewißheit über die weitere Einsatzfähigkeit des Musikers besteht, aus künstlerischen Gründen nicht zugemutet werden kann.

b) Für die Qualität eines Orchesters kommt es darauf an, daß der Klangkörper eine Besetzung hat, die aus erfahrenen, aufeinander eingespielten Musikern besteht (vgl. BAG 5. März 1970 - 2 AZR 175/69 - AP BGB § 620 Befristeter Arbeitsvertrag Nr. 34; KR-Lipke 5. Aufl. § 620 BGB Rn. 196 mwN). Das kommt nicht nur in der Tarifregelung des § 3 Abs. 2 TVK zur einjährigen Probezeit zum Ausdruck, sondern auch darin, daß die Arbeitsverhältnisse der Orchestermusiker im Gegensatz zu den Arbeitsverhältnissen der anderen künstlerischen Bühnenmitglieder (vgl. die Befristungsbestimmungen in § 2 Abs. 1 c NV Solo, § 2 Abs. 1 Nr. 2 NV Tanz sowie § 2 Abs. 1 Nr. 3 NV Chor) als Dauerarbeitsverhältnisse begründet werden, weshalb auch Zeitverträge nach § 3 Abs. 1 TVK abweichend von sonstigen Voraussetzungen über die Befristung von Arbeitsverhältnissen nur unter den dort genannten Voraussetzungen zulässig sind.

c) Die Gewährung einer Zeitrente wegen Erwerbsunfähigkeit bedingt bei einem künstlerischen Mitglied eines Kulturorchesters eine Ungewißheit über seinen weiteren Einsatz, die zum Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit als Orchestermusiker führt.

aa) Diese Ungewißheit folgt aus der gesetzlichen Ausgestaltung des zugrundeliegenden Rententatbestands. Zwar wird die Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit auf Zeit ua. geleistet, wenn Aussicht darauf besteht, daß die Minderung der Erwerbsfähigkeit in absehbarer Zeit behoben sein kann (§ 102 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI). Das erfordert eine Prognose, nach der die Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit innerhalb des im Rentenbescheid festgelegten Zeitraums wahrscheinlich ist (Niesel in Kasseler Kommentar § 102 SGB VI Rn. 7). Dieser Zeitraum darf zunächst drei Jahre nicht überschreiten und kann sich danach um weitere drei Jahre verlängern. Hat sich die Erwerbsfähigkeit des Arbeitnehmers nach Ablauf von sechs Jahren ab Rentenbeginn aber in einer Weise gebessert, daß ihm zumindest eine Teilzeitbeschäftigung wieder möglich ist, ist die Rente auch nach Ablauf des Sechs-Jahres-Zeitraums erneut als Zeitrente aus arbeitsmarktbedingten Gründen (§ 102 Abs. 2 Nr. 2 SGB VI) zu gewähren. Damit besteht bei der erstmaligen Bewilligung einer Zeitrente wegen Erwerbsunfähigkeit auch bei einer zunächst positiven Prognose des Rentenversicherungsträgers zur voraussichtlichen Wiederherstellung der Erwerbsfähigkeit keine hinreichende Gewißheit darüber, daß der Musiker nach Ablauf des Bewilligungszeitraums für eine weitere Mitarbeit im Orchester zur Verfügung steht und eine Überbrückung voraussichtlich auch nur bis zu diesem Zeitpunkt erfolgen muß.

bb) Die damit verbundene Ungewißheit haben die Tarifparteien mit dem Wegfall jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit für den betroffenen Musiker gleichgesetzt, weil dessen Stelle aufgrund der besonderen künstlerischen Belange eines Orchesters besetzt werden muß. Das beruht auf einer von den individuellen Verhältnissen des einzelnen Orchesters losgelösten generalisierenden Annahme, die sich jedenfalls dann innerhalb der den Tarifparteien zustehenden Gestaltungsfreiheit hält, wenn auch das Bestandsschutzinteresse des Musikers berücksichtigt wird. Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats stellt die Tatsache einer Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit für sich genommen keinen, eine auflösende Bedingung rechtfertigenden Sachgrund dar. Vielmehr rechtfertigt erst die Einbindung des Bestandsschutzinteresses des Arbeitnehmers den Auflösungstatbestand ohne Kündigung (BAG 11. März 1998 - 7 AZR 101/97 - AP BAT § 59 Nr. 8 zu 2 c der Gründe).

Dem Bestandsschutzinteresse und dem damit verbundenen Interesse des Arbeitnehmers an einer wirtschaftlichen Absicherung haben die Tarifparteien des TVK in Einklang mit dem geregelten Sachgrund nicht mit der Anordnung eines ruhenden Arbeitsverhältnisses, sondern mit der Zuerkennung eines Wiedereinstellungsanspruchs Rechnung getragen. Nach § 45 Abs. 5 TVK soll ein unkündbarer Arbeitnehmer nach Wiederherstellung der Berufsfähigkeit oder ein kündbarer Arbeitnehmer, dessen Arbeitsverhältnis wegen des Bezugs einer Zeitrente geendet hat, auf Antrag in seinem früheren Orchester wieder als Musiker eingestellt werden, wenn dort ein für ihn geeigneter Arbeitsplatz frei ist. Dieser als Sollvorschrift ausgestaltete Wiedereinstellungsanspruch wird der durch die arbeitsgerichtliche Befristungskontrolle zu gewährleistende Schutzpflicht der Grundrechte (vgl. BAG 11. März 1998 - 7 AZR 700/96 - AP TVG § 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 12 mwN) nur gerecht, wenn der Arbeitgeber sowohl bei einem unkündbaren als auch einem kündbaren Arbeitnehmer nach Ablauf der Zeitrente zur Wiedereinstellung verpflichtet ist, soweit in dem früheren Orchester des Musikers ein Arbeitsplatz für das von ihm gespielte Instrument frei ist. Denn nur auf diese Weise kann dem durch das staatliche Kündigungsrecht gewährleisteten Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers an der wirtschaftlichen Absicherung nach Wegfall des Rentenbezugs überhaupt noch angemessen entsprochen werden. Die besonderen künstlerischen Belange des Arbeitgebers an der Homogenität des Orchesterklangs werden dadurch nicht beeinträchtigt, da jeder neu zu engagierenden Musiker an den individuellen Orchesterklang herangeführt werden müßte.

3. Die Tarifbestimmung ist mit der vorgenannten Auslegung mit höherrangigem Recht vereinbar. Sie verstößt nicht gegen die grundrechtliche Gewährleistung des Art. 12 Abs. 1 GG. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats sind die aufgrund Tarifbindung der Parteien geltenden Tarifbestimmungen über die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses mit Art. 12 Abs. 1 GG vereinbar, wenn sie - wie vorliegend - den Anforderungen der arbeitsgerichtlichen Befristungskontrolle genügen (zuletzt BAG 25. August 1999 - 7 AZR 75/98 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

4. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Rechtswirksamkeit der tariflich geregelten auflösenden Bedingung des Zeitrentenbezugs nicht am Maßstab des § 1 KSchG bzw. § 626 BGB zu prüfen. Nach der Rechtsprechung des Senats hat die arbeitsvertragliche Befristungskontrolle keine Parallele im Kündigungsschutzprozeß. Sie dient nicht der Überprüfung der Rechtswirksamkeit einer Gestaltungserklärung des Arbeitgebers. Vielmehr prüfen die Gerichte für Arbeitssachen, ob die Parteien eine rechtlich statthafte Vertragsgestaltung objektiv funktionswidrig zu Lasten des Arbeitnehmers verwendet haben (vgl. BAG 25. August 1999 - 7 AZR 75/98 - zur Veröffentlichung vorgesehen).

5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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