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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 03.11.1999
Aktenzeichen: 7 AZR 898/98
Rechtsgebiete: BGB, TVM vom 23. November 1977 i.d.F. vom 18. Juni 1991, Normalvertrag Solo i.d.F. vom 12. Juli 1993


Vorschriften:

BGB § 315
Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht (TVM) vom 23. November 1977 i.d.F. vom 18. Juni 1991 § 2 Abs.3 und Abs. 6
Protokollnotiz Nr.1 zu § 2 MTV
Normalvertrag Solo i.d.F. vom 12. Juli 1993 § 6
Leitsätze:

Eine Nichtverlängerungsmitteilung nach § 2 Abs. 3 TVM zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses eines langjährig beschäftigten künstlerischen Bühnenmitglieds zu geänderten Arbeitsbedingungen muß billigem Ermessen (§ 315 BGB) entsprechen.

Aktenzeichen: 7 AZR 898/98 Bundesarbeitsgericht 7. Senat Urteil vom 3. November 1999 - 7 AZR 898/98 -

I. Arbeitsgericht Köln - 1 Ca 8806/97 - Urteil vom 5. Februar 1998

II. Landesarbeitsgericht Köln - 4 Sa 662/98 - Urteil vom 25. September 1998


BUNDESARBEITSGERICHT

7 AZR 898/98 4 Sa 662/98

Köln

Im Namen des Volkes! URTEIL

Verkündet am 3. November 1999

Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle

In Sachen

Beklagter, Berufungskläger und Revisionskläger,

pp.

Kläger, Berufungsbeklagter und Revisionsbeklagter,

hat der Siebte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 3. November 1999 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dörner, den Richter am Bundesarbeitsgericht Prof. Dr. Steckhan und die Richterin am Bundesarbeitsgericht Schmidt sowie den ehrenamtlichen Richter Wilke und die ehrenamtliche Richterin Meyer für Recht erkannt:

Tenor:

Die Revision des Beklagten gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 25. September 1998 - 4 Sa 662/98 - wird auf Kosten des Beklagten zurückgewiesen.

Von Rechts wegen !

Tatbestand

Die Parteien streiten im Aufhebungsverfahren über die Wirksamkeit einer Nichtverlängerungsmitteilung, die das aufhebungsklagende Land (Land) gegen den Aufhebungsbeklagten (Beklagten) zur Änderung der Arbeitsbedingungen ausgesprochen hat.

Der Beklagte war seit 1978 als Tänzer bei dem Land beschäftigt. Zuletzt hatten die Parteien im Arbeitsvertrag vom 5. Juli 1994 für die Spielzeit 1995/1996 eine Tätigkeit als Solotänzer mit einem Monatsgehalt von 5.500,-- DM brutto vereinbart. Nach der vertraglichen Vereinbarung war der Beklagte auch verpflichtet als Beleuchtungsstatist mitzuwirken. Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien finden aufgrund Tarifbindung und vertraglicher Vereinbarung u. a. der Normalvertrag (NV) Solo sowie der Tarifvertrag über die Mitteilungspflicht (TVM) Anwendung.

Am 11. Juni 1996 hörte der Intendant den Beklagten zu einer beabsichtigten Vertragsänderung an. Dem Beklagten wurde dargelegt, daß seine tänzerischen Leistungen für eine unveränderte Fortsetzung des Vertrags als Solotänzer unzureichend seien. Im Anschluß daran sprach das Land dem Beklagten mit Schreiben vom 17. Juni 1996 eine Nichtverlängerungsmitteilung aus. Danach sollte der Beklagte weiter für das Kunstfach Solotänzer mit einem Gehalt von 5.108,40 DM brutto tätig sein, ohne Anspruch auf eine Besetzung in einer Premiere oder einer Wiederaufnahme. Außerdem sollte der Beklagte Gruppentänzertätigkeiten sowie Rollen und Partien in kleinerem Umfang übernehmen und zu folgenden Leistungen verpflichtet sein: Pantomimische oder ähnliche Leistungen, Proben und Vorstellungscover, Mitwirkung beim Refraingesang, Übernahme von Sprechpartien und Mitwirkung bei Statisterie und Komparserie.

Dieses Angebot nahm der Beklagte unter Vorbehalt gerichtlicher Überprüfung an. Mit seiner am 3. Juli 1996 beim Bühnenschiedsgericht eingegangen Klage hat er die Unwirksamkeit einer Nichtverlängerungsmitteilung geltend gemacht.

Das Bühnenschiedsgericht hat die Klage abgewiesen. Mit Schiedsspruch vom 13. Mai 1997 hat das Bühnenoberschiedsgericht der Schiedsklage stattgegeben. Dagegen wendet sich das klagende Land im Wege der Aufhebungsklage. Es hat gemeint, die Nichtverlängerungsmitteilung sei wirksam. Die Tarifnorm des § 2 Abs. 3 TVM diene der materiellen Sicherung des Künstlers und nicht der Aufrechterhaltung seiner künstlerischen Entfaltungsmöglichkeiten. Die Vertragsänderung entspreche dem tänzerischen Leistungsvermögen des Beklagten.

Das klagende Land hat beantragt,

den Schiedsspruch des Bühnenoberschiedsgerichts Frankfurt am Main - BOScHG 14/96 - vom 13. Mai 1997 aufzuheben und die Schiedsklage abzuweisen.

Der Beklagte hat beantragt, die Aufhebungsklage abzuweisen.

Er hat gemeint, § 6 NV Solo bestimme bei einer Nichtverlängerungsmitteilung das Ausmaß zulässiger Vertragsänderungen. Die Vertragsänderung sei unbillig, weil er ohne Premieren oder angemessene Wiederaufnahme nicht mehr in der Lage sei, seine künstlerischen Fähigkeiten herauszustellen.

Das Arbeitsgericht hat der Aufhebungsklage stattgegeben und die Klage abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht zurückgewiesen. Dagegen wendet sich der Beklagte mit seiner Revision, mit der er die Wiederherstellung der Entscheidung des Bühnenoberschiedsgerichts begehrt. Das klagende Land beantragt die Zurückweisung der Revision.

Entscheidungsgründe

Die Revision des Beklagten ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben der Aufhebungsklage des Landes zu Recht stattgegeben. Die Nichtverlängerungsmitteilung vom 17. Juni 1996 ist wirksam.

1. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 TVM endet das Arbeitsverhältnis mit dem im Arbeitsvertrag genannten Zeitpunkt. Es verlängert sich zu den Bedingungen dieses Zeitvertrags um ein weiteres Jahr (Spielzeit), wenn keine der Vertragsparteien schriftlich eine Nichtverlängerungsmitteilung erklärt. Die darin geregelte Befristung des Arbeitsverhältnisses im Bereich künstlerischer Bühnenmitglieder, die als Solisten individuelle künstlerische Leistungen erbringen, ist grundsätzlich wirksam (BAG Urteil vom 26. August 1998 - 7 AZR 263/97 - AP Nr. 53 zu § 611 BGB Bühnenengagemenstvertrag, m.w.N.).

2. Mit der Nichtverlängerungsmitteilung haben die Tarifparteien abweichend von sonstigen rechtsgeschäftlichen Grundsätzen bestimmt, unter welchen Voraussetzungen vom Vorliegen der zum Abschluß von Anschlußverträgen notwendigen Willenserklärungen auszugehen ist. Danach kommt dem Schweigen einer Partei eine rechtsgestaltende Bedeutung zu. Die damit verbundene Fiktion muß durch die Abgabe einer Willenserklärung entkräftet werden (BAG Urteil vom 23. Oktober 1991 - 7 AZR 56/91 - BAGE 69, 1 = AP Nr. 45 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag, zu II 4 der Gründe).

3. Besteht das Arbeitsverhältnis der Parteien am Ende einer Spielzeit ohne Unterbrechung seit mehr als 15 Jahren (Spielzeiten) schränkt § 2 Abs. 3 TVM das Recht des Arbeitgebers ein, durch Abgabe einer Willenserklärung die weitere Fortführung des Arbeitsverhältnisses zu hindern. An den vereinbarten Vertragsinhalt ist er jedoch nicht gebunden. Vielmehr ist er befugt, durch Erklärung einer Nichtverlängerungsmitteilung die bisher für das Vertragsverhältnis geltenden Arbeitsbedingungen zu ändern und auf dieser Grundlage das Vertragsverhältnis fortzusetzen. Danach dient § 2 Abs. 3 TVM zwar dem Bestandsschutz, sichert jedoch nicht die unveränderte Beibehaltung der bisherigen Arbeitsbedingungen (BAG Urteil vom 24. September 1986 - 7 AZR 663/84 - BAGE 53, 108 = AP Nr. 28 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag, zu II 1 b der Gründe). Deshalb bewahrt die Tarifnorm das Bühnenmitglied auch nicht vor einer Beschränkung seiner künstlerischen Entfaltungsmöglichkeiten, die mit einer solchen Vertragsänderung verbunden sind. Wie die Tarifsystematik zeigt, soll zwar die materielle Existenz des Arbeitnehmers geschützt werden, jedoch nicht sein Recht auf künstlerische Selbstverwirklichung. Das folgt zum einen daraus, daß § 2 Abs. 3 TVM ausdrücklich auch den Einsatz des Künstlers auch außerhalb des im Arbeitsvertrag angegebenen Theaters billigt und § 2 Abs. 6 TVM ein abgestuftes System zur Sicherung der materiellen Existenz des Künstlers regelt, dem er das Bedürfnis nach künstlerischer Selbstverwirklichung unterordnet.

4. Als tariflich geregeltes einseitiges Leistungsbestimmungsrecht des Arbeitgebers muß die Nichtverlängerungsmitteilung nach § 2 Abs. 3 TVM billigem Ermessen entsprechen (§ 315 BGB).

a) Dazu müssen die Gründe, die den Intendanten zur Abgabe der Nichtverlängerungsmitteilung veranlaßt haben, in Einklang mit der Änderung des Vertragsinhalts stehen. Wie das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt hat, sind diese Gründe aber nicht zu objektivieren. Denn die Tarifparteien haben den Bestandsschutz und den daran geknüpften Inhaltsschutz durch die Einhaltung der im TVM aufgestellten Verfahrensvorschriften gewährleistet. Diese sind vorliegend beachtet worden.

b) Die von dem Intendanten genannten Gründe tragen die vorgenommenen Änderungen des Vertragsinhalts. Wie zwischen den Parteien nicht streitig ist, kann der Kläger die Aufgaben eines Solotänzers nur noch eingeschränkt wahrnehmen. In diesem Umfange sind ihm die Aufgaben eines Gruppentanzmitglieds übertragen worden. Unabhängig davon wird er weiterhin entsprechend seinem Leistungsvermögen als Solotänzer eingesetzt. Auch die materielle Existenz des Klägers wird durch die Herabsetzung der Gage um 7 % gegenüber dem bisher vereinbarten Bruttoentgelt nicht außer im Verhältnis zu seinen Leistungen eingeschränkt. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts orientiert sich die Vergütung an der tariflichen Gage von Gruppentanzmitgliedern. Die damit verbundene Kürzung erreicht kein Ausmaß, das den Bestand des Arbeitsverhältnisses auch nur annähernd in Frage stellen könnte.

5. Die Nichtverlängerungsmitteilung ist auch nicht tarifwidrig.

a) Die Nichtverlängerungsmitteilung verstößt nicht gegen die Protokollnotiz Nr. 1 zu § 2 TVM. Die Protokollnotiz Nr. 1 zu § 2 TVM regelt zunächst, daß die Einhaltung von Formen und Fristen der Nichtverlängerungsmitteilung sowie die fristgerechte Durchführung des Anhörungsverfahrens Wirksamkeitsvoraussetzungen einer Nichtverlängerungsmitteilung sind und weitere Fälle der Unwirksamkeit durch den Tarifvertrag nicht begründet werden. Dazu enthält Satz 2 dieser Protokollnotiz die Klarstellung eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes, nach der eine Nichtverlängerungsmitteilung unwirksam ist, wenn sie eine unzulässige Rechtsausübung darstellt (vgl. Bezirksbühnenschiedsgericht Berlin Schiedsspruch vom 26. November 1992 - 7/92 - AP Nr. 46 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag, zu I 2 der Gründe). Das gilt auch für die Nichtverlängerungsmitteilung zur Änderung der Arbeitsbedingungen. Die Tarifnorm bezieht sich nach ihrem Wortlaut, der Tarifsystematik und ihrem Zweck auf alle in § 2 TVM tariflich geregelten Nichtverlängerungsmitteilungen.

Satz 2 dieser Protokollnotiz verweist danach auf den allgemeinen Grundsatz, nach dem die Ausübung eines Rechts nach Treu und Glauben nicht rechtsmißbräuchlich erfolgen darf. Eine solche Fallgestaltung liegt nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nicht vor und wird aus dem Vorbringen des Beklagten auch nicht ersichtlich. Zutreffend geht das Landesarbeitsgericht davon aus, daß die teilweise Zuweisung von Aufgaben, die typischerweise Gruppentanzmitglieder erledigen, nicht darauf schließen läßt, daß dem Kläger eine entwürdigende Tätigkeit zugemutet wird.

b) Entgegen der Auffassung des Beklagten bestimmt sich die Wirksamkeit einer Nichtverlängerungsmitteilung nach § 2 Abs. 3 TVM nicht nach § 6 NV Solo. Nach § 6 Abs. 1 Satz 1 2. Halbs. NV Solo hat der Arbeitgeber das Bühnenmitglied angemessen zu beschäftigen. Eine Beschäftigung ist angemessen, wenn sie sich im Rahmen der vertraglichen Vereinbarung hält und den jeweiligen Interessen der Vertragsparteien gerecht wird (§ 6 Abs. 1 Satz 2 NV Solo). Danach regelt die Tarifnorm den künftigen Einsatz des Bühnenmitglieds auf der Grundlage der vertraglichen Vereinbarung. Deren Inhalt ist unabhängig von der tatsächlichen oder beabsichtigten Verwendung festzustellen.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Ende der Entscheidung

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