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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 25.01.2001
Aktenzeichen: 8 AZR 525/00
Rechtsgebiete: ZPO


Vorschriften:

ZPO § 233
ZPO § 85 Abs. 2
Leitsätze:

Es stellt grundsätzlich kein Verschulden des Anwalts dar, wenn er sich bei der Berufungseinlegung oder Berufungsbegründung durch Telefax auf die von der Deutschen Telekom über Tonband angegebene (falsche) Faxnummer des Landesarbeitsgerichts verläßt.

Aktenzeichen: 8 AZR 525/00 Bundesarbeitsgericht 8. Senat Urteil vom 25. Januar 2001 - 8 AZR 525/00 -

I. Arbeitsgericht Bremen - 7 Ca 7477/97 - Urteil vom 22. September 1999

II. Landesarbeitsgericht Bremen - 3 Sa 284/99 - Urteil vom 28. April 2000


BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

8 AZR 525/00 3 Sa 284/99

Verkündet am 25. Januar 2001

Metze, Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

Kläger, Berufungskläger und Revisionskläger,

pp.

1.

2.

3.

Beklagte, Berufungsbeklagte und Revisionsbeklagte,

hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 25. Januar 2001 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Etzel, die Richter am Bundesarbeitsgericht Dr. Wittek und Prof. Dr. Mikosch, die ehrenamtlichen Richter Schallmeyer und Dr. Vesper für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Bremen vom 28. April 2000 - 3 Sa 284/99 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand

Der Kläger verlangt von den Beklagten die Zahlung eines Schmerzensgeldes wegen Verletzung seines Persönlichkeitsrechts durch "Mobbing".

Der Kläger war bis zum 30. April 1997 als Leiter der Fernsehmeßtechnik Radio Bremen beschäftigt. Der Beklagte zu 1) war bei Radio Bremen Leiter des Sozial- und Personalwesens, der Beklagte zu 2) war Leiter der Betriebsdirektion Fernsehproduktion und Fernsehtechnik und der Beklagte zu 3) war Leiter der Fernsehproduktion. Zwischen dem Kläger und Radio Bremen gab es in der Vergangenheit eine Reihe von arbeitsrechtlichen Rechtsstreitigkeiten. Im letzten Kündigungsschutzverfahren einigten sich der Kläger und Radio Bremen darauf, daß der Kläger mit Ablauf des 30. April 1997 unter Fortzahlung von Ruhestandsbezügen in den Vorruhestand tritt.

Mit seiner am 30. September 1997 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage macht der Kläger gegenüber den Beklagten Schmerzensgeldansprüche geltend. Der Kläger hat vorgetragen, die Beklagten zu 1), 2) und 3) hätten über mehrere Jahre hinweg Mobbing gegen ihn betrieben und durch ihr Verhalten in seinem Persönlichkeitsrecht erheblich verletzt und gegen seinen Willen zum müßigen Spaziergänger gemacht.

Das Arbeitsgericht hat die Klage gegen die Beklagten auf Zahlung eines Schmerzensgeldes abgewiesen.

Gegen das ihm am 8. November 1999 zugestellte Urteil hat der Kläger mit einem am 8. Dezember 1999 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt. Nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis 8. Februar 2000 begründete der Kläger seine Berufung mit Schriftsatz vom 8. Februar 2000, der beim Landesarbeitsgericht per Telefax am 9. Februar 2000 und im Original am 10. Februar 2000 einging. Das Telefax war am 8. Februar 2000 bei der Musikschule Bremen eingegangen, die es am 9. Februar 2000 um 9.12 Uhr an das Landesarbeitsgericht Bremen weiterleitete.

Nachdem der Prozeßbevollmächtigte des Klägers durch richterlichen Hinweis von der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist erfahren hatte, hat er mit Schriftsatz vom 11. Februar 2000, eingegangen beim Landesarbeitsgericht am selben Tag, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.

Zur Begründung hat er anwaltlich versichert, er habe am 8. Februar 2000 gegen 20.00 Uhr den Begründungsschriftsatz verfaßt und die Telefaxnummer des Landesarbeitsgerichts selbst ermittelt, weil sämtliche Mitarbeiter die Kanzlei bereits verlassen hätten. Dabei habe er alle ihm zumutbaren Anstrengungen unternommen und sämtliche ihm zur Verfügung stehenden Quellen zu Rate gezogen, um die richtige Telefaxnummer zu erhalten. Schließlich habe er die Telefonauskunft der ehemals staatlichen Telekom unter der Rufnummer "11833" angerufen und um Angabe der Telefaxnummer des Landesarbeitsgerichts Bremen gebeten. Er sei auf die nachfolgende automatische Ansage verwiesen worden. Diese habe die Nummer "3615679" und als Vorwahl die "0421" angegeben. Er habe die Nummern aufgeschrieben und die aufgeschriebenen Nummern durch eine Wiederholung der Bandansage abgeglichen. Die Faxnummer sei mit den Ziffern "3615679" wiederholt worden. Daraufhin habe er den Begründungsschriftsatz per Telefax unter der angegebenen Nummer versandt. Der Sendebericht habe die vollständige Übersendung angezeigt. Er sei deshalb guten Glaubens gewesen, den Begründungsschriftsatz fristgerecht an das Landesarbeitsgericht gefaxt zu haben. Er habe nicht erkennen können, daß er durch einen Zahlendreher der Deutschen Telekom nicht das Landesarbeitsgericht Bremen unter dessen richtiger Faxnummer "3616579", sondern die Musikschule Bremen erreicht habe.

Das Landesarbeitsgericht hat dem Kläger die begehrte Wiedereinsetzung versagt und die Berufung wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gemäß § 519 b Abs. 1 ZPO als unzulässig verworfen.

Mit der vom Landesarbeitsgericht in den Urteilsgründen zugelassenen Revision begehrt der Kläger weiterhin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist und demgemäß die Aufhebung des angefochtenen Urteils des Landesarbeitsgerichts.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung (§ 565 ZPO), weil die Berufung entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts nicht unzulässig ist.

I. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem dem Kläger gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnenden Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten. Der Klägervertreter habe es verabsäumt, die richtige und zur Übersendung der Berufungsschrift verwendete Telefaxnummer des Landesarbeitsgerichts Bremen aus dem Telefaxübertragungsbericht herauszusuchen, der in einem Ordner in der Nähe des Telefaxgerätes aufbewahrt gewesen sei. Statt dessen habe er sich der telefonischen Auskunft der Telekom bedient, die auf Grund der Gefahr von Übermittlungsfehlern und -irrtümern als unzuverlässig gelte.

II. Dem folgt der Senat nicht. Die Revision rügt zutreffend eine Verletzung von § 233, § 85 Abs. 2 ZPO. Dem Antrag des Klägers auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist ist stattzugeben (§ 233 ZPO). Der Prozeßbevollmächtigte des Klägers handelte nicht schuldhaft. Das Landesarbeitsgericht überspannt die anwaltliche Sorgfaltspflicht bei der Ermittlung der richtigen Telefaxnummer des Berufungsgerichts.

Die Verwendung der richtigen Empfängernummer kommt im Telefaxverkehr der Adressierung des Schreibens gleich. Deshalb muß ein Rechtsanwalt bei Übermittlung fristgebundener Schriftsätze mittels Telefax durch organisatorische Maßnahmen sicherstellen, daß der Sendebericht nicht nur auf vollständige und fehlerfreie Übermittlung des Textes, sondern auch auf die richtige Empfängernummer abschließend kontrolliert wird (BAG 30. März 1995 - 2 AZR 1020/94 - BAGE 79, 379). Bei der Ermittlung der Telefaxnummer bei der Telekom-Auskunft ist zu berücksichtigen, daß die Auskunft mit der Gefahr von Irrtümern behaftet ist, die sich infolge von Sprech- oder Hörfehlern ergeben können (BGH 26. Mai 1994 - III ZB 35/93 - NJW 1994, 2300).

Diesen Sorgfaltspflichten ist der Klägervertreter im Streitfall nachgekommen. Die Verwechslung der Telefaxnummer ist allein darauf zurückzuführen, daß dem Klägervertreter von der Telekom-Auskunft am 8. Februar 2000 über Tonband eine falsche Nummer genannt wurde. Der Senat konnte am 11. Oktober 2000 feststellen, daß die bei der Deutschen Telekom unter der Rufnummer 11833 über Tonband erhaltene Auskunft über die Faxnummer des Landesarbeitsgerichts Bremen immer noch den vom Klägervertreter am 8. Februar 2000 empfangenen Zahlendreher enthielt.

Der Klägervertreter durfte auf die Richtigkeit der automatischen Auskunft der Deutschen Telekom vertrauen. Es stellt grundsätzlich kein Verschulden des Anwalts dar, wenn er sich bei der Berufungseinlegung oder Berufungsbegründung durch Telefax auf die von der Deutschen Telekom über Tonband angegebene (falsche) Faxnummer des Landesarbeitsgerichts verläßt. Die automatische Auskunft der ehemals staatlichen Deutschen Telekom über eine Faxnummer ist ähnlich zuverlässig wie eine in einem gebräuchlichen Behördenverzeichnis enthaltene Faxnummer. So hat der Bundesgerichtshof die im "Ortsverzeichnis der Gerichte und Finanzbehörden des Deutschen Anwaltsverlages" enthaltenen Telefaxnummern als zuverlässig angesehen (vgl. BGH 19. März 1997 - IV ZB 14/96 - VersR 1997, 853). Ähnlich wie in einem gebräuchlichen Behördenverzeichnis werden bei der automatischen Telefonauskunft Übermittlungsfehler wie sie bei individuell angesagten Auskünften vorkommen, weitgehend vermieden. Im Streitfall hat der Prozeßbevollmächtigte darüber hinaus einen möglichen Hörfehler dadurch ausgeschlossen, daß er die vom Tonband erhaltene Telefaxnummer durch nochmaliges Abhören mit der notierten Nummer abglich. Aus dem Sendebericht konnte der Klägervertreter die fehlerhafte Übermittlung auch nicht erkennen. Da das unter der falschen Nummer abgesandte Fax bei der Musikschule Bremen ankam, hatte der Sendebericht eine ordnungsgemäße Übertragung bestätigt. Damit hatte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers die von ihm zu fordernde besondere Sorgfaltspflicht erfüllt.

Dem Klägervertreter kann auch nicht als Verschulden angelastet werden, daß er die richtige Telefaxnummer des Landesarbeitsgerichts nicht dem Sendebericht über das Telefax der Berufungseinlegung entnahm. Insoweit lag keine uneingeschränkt bessere Informationsquelle vor, deren sich der Anwalt hätte bedienen müssen. So wäre nicht auszuschließen gewesen, daß sich die Telefaxnummer des Berufungsgerichts zwischen der Berufungseinlegung und der zwei Monate späteren Berufungsbegründung geändert hätte.

III. Mit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist die Berufungsbegründungsfrist gewahrt und die Berufung zulässig. Zur Entscheidung der Sache ist der Rechtsstreit an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Soweit das Berufungsgericht hilfsweise darauf hingewiesen hat, daß die Berufung auch unbegründet wäre, gelten diese Ausführungen als nicht geschrieben (vgl. nur BGH 7. Juni 1990 - III ZR 216/89 - NJW 1990, 2125). Sie stellen keine Grundlage für eine Sachentscheidung des Senats dar.

Ende der Entscheidung

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