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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 30.10.2008
Aktenzeichen: 8 AZR 886/07
Rechtsgebiete: TVG, BGB, EGBGB, MTV


Vorschriften:

TVG § 3 Abs. 1
TVG § 4 Abs. 1
BGB § 202 Abs. 1 n.F.
BGB § 276 Abs. 2 a.F.
BGB § 278 S. 2
EGBGB Art. 229 § 5
EGBGB Art. 229 § 6
MTV für Gas-, Wasser- und Elektrizitätsunternehmungen in Nordrhein-Westfalen (vom 15. Mai 1997/12. Juli 2000) § 21
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
BUNDESARBEITSGERICHT Im Namen des Volkes! URTEIL

8 AZR 886/07

Verkündet am 30. Oktober 2008

In Sachen

hat der Achte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 30. Oktober 2008 durch den Vorsitzenden Richter am Bundesarbeitsgericht Hauck, die Richter am Bundesarbeitsgericht Böck und Breinlinger sowie die ehrenamtlichen Richter Schuster und Dr. Mallmann für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln vom 20. April 2007 - 12 Sa 1036/06 - aufgehoben.

Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten der Revision - an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche wegen vorsätzlicher Pflichtverletzung des Klägers, die die Beklagte im Wege der Widerklage verfolgt.

Der Kläger trat bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin 1987 als Kaufmann ein. Er arbeitete seit 15. August 2000 in der Hauptverwaltung als Sachbearbeiter und war für den Einkauf von Elektromaterialien zuständig.

Der Kläger ist nicht Gewerkschaftsmitglied. Arbeitsvertraglich ist zwischen den Parteien vereinbart, dass auf das Arbeitsverhältnis die tarifvertraglichen Bestimmungen für Arbeitnehmer der Mitglieder des Arbeitgeberverbandes von Gas-, Wasser- und Elektrizitätsunternehmungen e.V. in der jeweils gültigen Fassung Anwendung finden. Auch der Manteltarifvertrag vom 15. Mai 1997/12. Juli 2000, geschlossen zwischen dem Arbeitgeberverband von Gas-, Wasser- und Elektrizitätsunternehmungen e.V., der Gewerkschaft Öffentliche Dienste, Transport und Verkehr, Bezirke Nordrhein-Westfalen I und II und der Industriegewerkschaft Bergbau und Energie (im Folgenden: MTV) wird angewandt. Dessen § 21 lautet:

"Alle Ansprüche aus dem Manteltarifvertrag, dem jeweils gültigen Vergütungstarifvertrag und dem Arbeitsverhältnis sind binnen 3 Monaten nach Fälligkeit, auch im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, schriftlich geltend zu machen. Nach Ablauf der festgesetzten Frist können Ansprüche nicht mehr geltend gemacht werden."

Unter dem 8. November 2001 erteilte die Beklagte dem Kläger eine Abmahnung, mit der ihm Schlechtleistung und Bestellungen zu deutlich überhöhten Preisen bei einer einzelnen Firma in B vorgeworfen wurden. In B hatte die Firma F GbR ihren Sitz, deren Gesellschafter H F war. Dessen Kinder waren Geschäftsführer der TFI GmbH und TIS GmbH, Firmen, die wie die F GbR den Handel mit Elektrotechnik zum Geschäftsgegenstand hatten. Nach einem Gesprächstermin mit der Beklagten bestätigte H F am 10. April 2002 schriftlich, dass diese Firmen dem Kläger für Arbeiten an ihm gehörenden Mietshäusern erhebliche Preisnachlässe gewährt hatten, welche anschließend über erhöhte Preise gegenüber der Beklagten wieder ausgeglichen wurden; der Kläger habe als Einkäufer die diesbezügliche Auftragsvergabe bearbeitet. Der Kläger bestritt entsprechende Vorwürfe der Beklagten; gleichwohl wurde sein bestehendes Arbeitsverhältnis am 22. April 2002 von der Beklagten fristlos, hilfsweise fristgerecht wegen des Korruptionsvorwurfs gekündigt. Die Kündigungsschutzklage des Klägers blieb vor dem Arbeitsgericht ohne Erfolg (Arbeitsgericht Köln, Teilurteil vom 17. Januar 2003 - 5 Ca 4397/02 -), seine dagegen eingelegte Berufung wies das Landesarbeitsgericht Köln (18. Juli 2003 - 11 Sa 282/03 -) rechtskräftig zurück, da der dringende Verdacht der Untreue zum Nachteil der Beklagten bestehe.

Die Beklagte hat behauptet, der Kläger habe, um die Vergünstigungen bei den Arbeiten an seinen Häusern zu bekommen, mit H F abgesprochen, dass er als Einkäufer der Beklagten bei den Firmen F GbR und TFI GmbH Elektromaterial bestelle und die Auftragnehmer dann der Beklagten unangemessen hohe Preise in Rechnung stellten. Nach der Abmahnung vom 8. November 2001 sei es der Kläger gewesen, der die Gründung einer neuen GmbH angeregt habe, nachdem der Beklagten die bisherigen Geschäftsbeziehungen aufgefallen seien. Gemäß einer von der Beklagten erstellten Aufstellung vom 3. September 2002 hätten die Firmen F GbR, TFI GmbH und TIS GmbH Rechnungen für Warenlieferungen im Gesamtbetrag von 381.305,63 Euro erstellt, die von der Beklagten auch in dieser Höhe bezahlt worden seien. Tatsächlich hätten die gelieferten Waren vom Kläger zum jeweils günstigsten Marktpreis für nur 258.785,39 Euro beschafft werden können. Damit sei der Beklagten ein Schaden in Höhe von 122.520,24 Euro entstanden.

Von dem Zusammenwirken des Klägers mit H F habe die Beklagte erstmals am 10. April 2002 erfahren. Nach der Kündigung vom 22. April 2002 habe sie noch Monate benötigt, um sich einen Überblick zu verschaffen und den durch den Kläger angerichteten Schaden annähernd beziffern zu können. Die am 10. Juli 2002 als Feststellungsklage erhobene Widerklage habe sie am 6. September 2002 auf eine bezifferte Leistungsklage umgestellt, nachdem sie einen Teilschaden iHv. 122.520,24 Euro, verteilt auf 1.417 Fälle, habe beziffert darstellen können.

Die Beklagte hat widerklagend beantragt,

den Kläger zu verurteilen, an sie 122.520,24 Euro nebst jährlichen Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Juli 2002 zu zahlen.

Der Kläger hat Abweisung der Widerklage beantragt. Er hat die gegen ihn erhobenen Vorwürfe bestritten und behauptet, durch H F zu Unrecht belastet worden zu sein. Weder habe er Vorteile bei Elektroarbeiten an seinen Häusern verlangt noch habe er die fraglichen Bestellvorgänge alle oder überhaupt selbst veranlasst. Auch Dritte könnten sich unter seinem Namen in das Datenverarbeitungssystem der Beklagten einloggen, alle Bestellungen seien zudem erst nach Unterschrift durch die handlungsbevollmächtigten Vorgesetzten ausgeführt worden. Die Vergleichspreise seien von der Beklagten unter falschen Voraussetzungen ermittelt worden; nach eigenem Vortrag seien der Beklagten angeblich überhöhte Bestellungen schon früher, jedenfalls aber zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs bekannt gewesen. Die Beklagte habe daher mit der erst im September 2002 erhobenen Zahlungsklage die Ausschlussfrist nicht eingehalten.

Auf die Säumnis des Klägers im Verhandlungstermin vom 22. April 2005 hat das Arbeitsgericht Köln ein Versäumnisurteil in beantragter Höhe erlassen und dieses durch Schlussurteil vom 2. Juni 2006 - 5 Ca 4397/02 - aufrechterhalten. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht die Widerklage abgewiesen. Mit der durch Beschluss des Senats vom 25. Oktober 2007 zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte die Wiederherstellung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Beklagten ist begründet. Ihre Schadensersatzansprüche hat sie binnen der arbeitsvertraglich in Bezug genommenen Ausschlussfrist des § 21 MTV geltend gemacht. Für die Entscheidung, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für diese Ansprüche vorliegen, bedarf es weiterer Feststellungen des Landesarbeitsgerichts.

A. Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, etwaige Schadensersatzansprüche der Beklagten seien nach § 21 des auf das Arbeitsverhältnis anzuwendenden Manteltarifvertrages verfallen. Auch Ansprüche aus unerlaubter Handlung seien solche "aus dem Arbeitsverhältnis" im Sinne der Ausschlussklausel. Schadensersatzansprüche der Beklagten seien spätestens Ende Mai 2002 fällig gewesen, da sie die Beklagte zu diesem Zeitpunkt hätte feststellen und geltend machen können. Jedenfalls ab 10. April 2002 habe die Beklagte sichere Kenntnis davon gehabt, dass der Kläger und H F zu ihrem Nachteil zusammengearbeitet hätten. Ab diesem Tag hätte die Beklagte mit der gebotenen Zügigkeit zumutbare Ermittlungen über den Sachverhalt einleiten müssen, woran sie es habe fehlen lassen. Eine Liste über sämtliche dem Kläger zuzurechnenden Bestellungen wäre in recht kurzer Zeit zu erstellen gewesen. Auch Preisvergleiche hätten sich anhand von Preislisten, Vorbestellungen und Rahmenverträgen relativ einfach feststellen lassen. Die Beklagte habe nicht erklärt, warum erst zum 3. September 2002 eine Liste mit Schadensbezifferung fertiggeworden sei. Die Beklagte habe eine konzentrierte Aufarbeitung unterlassen und stattdessen die Zeugin S die Schadensermittlung neben ihrer laufenden Arbeit durchführen lassen. Für eine mögliche Sachverhaltsfeststellung bis Ende Mai 2002 spreche auch, dass die Beklagte mit Schriftsatz vom 3. Juni 2002 bereits sehr konkrete Zahlen vorgetragen habe. Da etwaige Ansprüche der Beklagten wegen Nichteinhaltung der Ausschlussfrist verfallen seien, könne dahinstehen, ob der Kläger rechtswidrig und schuldhaft gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen und der Beklagten einen Schaden in der verlangten Höhe zugefügt habe.

B. Dem folgt der Senat nicht.

I. Die durch einzelvertragliche Bezugnahme auf den Manteltarifvertrag vereinbarte Ausschlussfrist ist grundsätzlich anwendbar. Ihre Wirksamkeit ist nicht nach § 202 Abs. 1 BGB idF vom 2. Januar 2002 zu beurteilen.

1. § 21 MTV gilt für das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht unmittelbar und zwingend nach § 4 Abs. 1 TVG. Diese normative Wirkung setzt beiderseitige Tarifgebundenheit iSd. § 3 Abs. 1 TVG voraus. In der Revisionsinstanz ist unstreitig geworden, dass die Beklagte zwar Mitglied des tarifschließenden Arbeitgeberverbandes von Gas-, Wasser- und Elektrizitätsunternehmungen e.V. ist, der Kläger ist indes kein Gewerkschaftsmitglied. Tarifvertragliche Regelungen, also auch die Ausschlussfrist des § 21 MTV sind daher ausschließlich kraft der arbeitsvertraglichen Bezugnahme in Nr. 2 des Arbeitsvertrages vom 16. März 1987 in ihrer jeweils gültigen Fassung anzuwenden.

2. Bedenken gegen die Wirksamkeit der in Bezug genommenen Ausschlussklausel des § 21 MTV bestehen grundsätzlich auch dann nicht, wenn ihre Auslegung ergibt, dass sie auch Ansprüche aus vorsätzlichen unerlaubten Handlungen erfassen will. Insbesondere ist ihre Wirksamkeit nicht nach § 202 Abs. 1 BGB nF zu beurteilen.

a) Eine Unwirksamkeit ergibt sich nicht aus den § 276 Abs. 2 BGB aF (§ 276 Abs. 3 BGB nF) in Verb. mit § 134 BGB. Denn durch die Ausschlussklausel wird die Haftung des Schuldners nicht im Voraus erlassen.

b) Ab Inkrafttreten des § 202 Abs. 1 BGB nF sind einzelvertraglich vereinbarte allgemeine Ausschlussfristen insoweit als nichtig anzusehen, als sie die Haftung wegen vorsätzlicher unerlaubter Handlungen mitumfassen (BAG 25. Mai 2005 - 5 AZR 572/04 - BAGE 115, 19 = AP BGB § 310 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 3; 28. September 2005 - 5 AZR 52/05 - BAGE 116, 66 = AP BGB § 307 Nr. 7 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 8). Dem hat sich der Senat, soweit es nicht um die wegen § 278 Satz 2 BGB nach wie vor ausschließbare Haftung für fremdes vorsätzliches Handeln geht, im Grundsatz angeschlossen (16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 43, BAGE 122, 304 = AP BGB § 611 Mobbing Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 6).

c) Nach Art. 229 § 5 Satz 1 EGBGB ist jedoch auf Schuldverhältnisse, die vor dem 1. Januar 2002 entstanden sind, das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zu diesem Tag geltenden Fassung anzuwenden, soweit nicht ein anderes bestimmt ist. Bei Vereinbarungen über die Verjährung in Dauerschuldverhältnissen gilt Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB mit der Folge, dass die Wirksamkeit der Ausschlussklausel im Streitfall noch bis zum 31. Dezember 2002 nach altem Recht zu beurteilen ist. Zwischen den Parteien ist nicht streitig, dass die Ansprüche frühestens 2002, spätestens mit dem 3. September 2002 fällig geworden sind. Die an sich speziellere Überleitungsvorschrift des Art. 229 § 6 EGBGB (BGH 19. Januar 2005 - VIII ZR 114/04 - BGHZ 162, 30) dient der Klarstellung, welche Fristen auch bei Inkrafttreten der Neuregelung bereits entstandener, jedoch noch nicht verjährter Ansprüche Anwendung finden, wann der Lauf der Fristen beginnt und auf welche Weise der Fristlauf unterbrochen oder gehemmt werden kann. Weder dem Wortlaut des Gesetzes noch den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 14/6040 S. 273) ist zu entnehmen, dass diese Vorschrift auch für die Kontrolle von Vereinbarungen über die Verjährung Anwendung finden sollte. Solche Vereinbarungen sollen vielmehr gemäß der hinter Art. 229 § 5 Satz 2 EGBGB stehenden gesetzgeberischen Überlegung den Gestaltungsmöglichkeiten der Vertragsparteien überlassen werden, um ihren Vertrag dem neuen Recht bis zum 31. Dezember 2002 anzupassen (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - Rn. 44, BAGE 122, 304 = AP BGB § 611 Mobbing Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 6). Die Wirksamkeit der vereinbarten Ausschlussklausel steht daher vorliegend nicht in Frage.

II. Die in Bezug genommene tarifliche Ausschlussfrist umfasst auch Ansprüche aus vorsätzlicher deliktischer Haftung, wenn diese auf demselben Lebenssachverhalt beruhen wie vertragliche Schadensersatzansprüche.

1. Nach dem Wortlaut des § 21 MTV sind nicht nur tarifliche Ansprüche, sondern "alle Ansprüche aus ... dem Arbeitsverhältnis" binnen drei Monaten nach Fälligkeit schriftlich geltend zu machen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur bisherigen Rechtslage zählen zu den Ansprüchen aus dem Arbeitsverhältnis wegen eines einheitlichen Lebensvorgangs nicht nur vertragliche Erfüllungs- und Schadensersatzansprüche, sondern auch solche aus unerlaubter Handlung (26. Mai 1981 - 3 AZR 269/78 - Rn. 21 mwN, AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 71 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 71).

2. Zwar können bei einer in einem Formulararbeitsvertrag von dem Arbeitgeber vorformulierten Ausschlussklausel Zweifel angebracht sein, ob die Haftung wegen Vorsatzes nach dem Willen der Parteien umfasst sein soll (BAG 25. Mai 2005 - 5 AZR 572/04 - BAGE 115, 19 = AP BGB § 310 Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 3; 28. September 2005 - 5 AZR 52/05 - BAGE 116, 66 = AP BGB § 307 Nr. 7 = EzA BGB 2002 § 307 Nr. 8). Bei einer wie hier arbeitsvertraglich in Bezug genommenen tariflichen Ausschlussfrist ist aber grundsätzlich davon auszugehen, dass die Parteien des Arbeitsvertrages durch die vertragliche Einbeziehung eines Tarifvertrages diesen im tariflichen Verständnis auf ihr Arbeitsverhältnis anwenden wollten (BAG 12. August 1959 - 2 AZR 75/59 - BAGE 8, 91 = AP BGB § 305 Nr. 1). Wegen des einheitlichen Lebensvorgangs rechnen Schadensersatzansprüche wegen unerlaubter Handlungen auch dann zu den von einer tariflichen Ausschlussfrist erfassten Ansprüchen, wenn der Tarifvertrag die Ausschlussfrist ohne weiteren Zusatz für "Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis" regelt. Dies gilt unabhängig davon, ob es sich um Ansprüche aus Vorsatzhaftung oder um Ansprüche wegen fahrlässiger Pflichtverletzung handelt (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - BAGE 122, 304 = AP BGB § 611 Mobbing Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 6; 27. April 1995 - 8 AZR 582/94 - ZTR 1995, 520; 26. April 1990 - 8 AZR 153/89 - ZTR 1991, 26 mwN). Die Formulierung "alle Ansprüche" unterscheidet gerade nicht danach, ob diese auf vorsätzlicher oder nur fahrlässiger Tatbegehung beruhen. Durch die Wortwahl "alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis" bringen die Tarifvertragsparteien zum Ausdruck, dass sämtliche Ansprüche, die ihren Grund in der arbeitsvertraglichen Beziehung der Parteien haben, erfasst sein sollen, unabhängig davon, ob als weitere Anspruchsgrundlage auch das Recht der unerlaubten Handlung nach den §§ 823 ff. BGB in Betracht kommt. Daher unterfällt der von der Beklagten geltend gemachte, im Jahr 2002 entstandene und fällig gewordene Schadensersatzanspruch der im Jahr 2002 noch wirksamen Ausschlussklausel des § 21 MTV, die auch Ansprüche aus Vorsatzhaftung umfasst.

III. Etwaige Schadensersatzansprüche der Beklagten sind jedoch nicht nach § 21 MTV verfallen, weil die Beklagte sie rechtzeitig im Sinne der Ausschlussklausel geltend gemacht hat.

1. Nach § 21 MTV beginnt die Ausschlussfrist mit der Fälligkeit des Anspruchs zu laufen. Diese tritt bei Schadensersatzansprüchen ein, wenn der Schaden für den Gläubiger feststellbar ist, also sobald der Gläubiger vom Schadensereignis Kenntnis erlangt oder bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt hätte erlangen können (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - BAGE 122, 304 = AP BGB § 611 Mobbing Nr. 5 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 6 mit Verweis auf BAG 14. Dezember 2006 - 8 AZR 628/05 - AP BGB § 618 Nr. 28 = EzA BGB 2002 § 618 Nr. 2; 27. April 1995 - 8 AZR 582/94 - ZTR 1995, 520; 16. Mai 1984 - 7 AZR 143/81 - AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 85 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 58).

Geltend gemacht werden können Schadensersatzforderungen, sobald der Gläubiger in der Lage ist, sich den erforderlichen Überblick ohne schuldhaftes Zögern zu verschaffen und seine Forderungen wenigstens annähernd beziffern kann. Der Schuldner muss erkennen können, aus welchem Sachverhalt und in welcher ungefähren Höhe er in Anspruch genommen werden soll (BAG 16. Mai 2007 - 8 AZR 709/06 - AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 85 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 58; 17. Juli 2003 - 8 AZR 486/02 - AP BGB § 611 Haftung des Arbeitgebers Nr. 27; 27. April 1995 - 8 AZR 582/94 - ZTR 1995, 520). Dagegen ist ein Schadensersatzanspruch nicht schon dann fällig im Sinne der Ausschlussklausel, wenn nur die Möglichkeit der Erhebung einer unbezifferten Feststellungsklage besteht, eine annähernde Bezifferung der Forderung aber noch nicht möglich ist. Soweit der Bundesgerichtshof für die Möglichkeit, eine die Verjährung unterbrechende Feststellungsklage zu erheben, vom Erfordernis der Anspruchsbezifferung absieht (BGH 17. Februar 1971 - VIII ZR 4/70 - BGHZ 55, 340, 341; 22. Februar 1979 - VII ZR 256/77 - BGHZ 73, 363, 365; 18. Dezember 1980 - VII ZR 41/80 - BGHZ 79, 176, 178), gilt dies nicht bei einer tariflichen Ausschlussfrist. Diese wirkt sich für den Gläubiger des Anspruchs wesentlich schwerwiegender aus als die zivilrechtliche Verjährung. Der Ablauf der Ausschlussfrist hat rechtsvernichtende Wirkung und ist von Amts wegen zu berücksichtigen, die Verjährung gibt dem Schuldner dagegen nur eine Einrede (§ 214 Abs. 1 BGB). Für den Betroffenen hat die Ausschlussfrist eine stärkere, nachteiligere Rechtsfolgenwirkung als die Verjährung. Zudem ist die Kürze einer Ausschlussfrist für den Gläubiger wesentlich belastender als die Frist für die Verjährung. Schließlich dient die Notwendigkeit der wenigstens annähernden Bezifferung auch dem Schutz des Schuldners (BAG 14. Dezember 2006 - 8 AZR 628/05 - AP BGB § 618 Nr. 28 = EzA BGB 2002 § 618 Nr. 2).

2. Entgegen der Annahme des Berufungsgerichts sind die Schadensersatzansprüche der Beklagten jedoch erst Anfang September 2002 und nicht bereits Ende Mai 2002 fällig geworden.

a) Zutreffend hat das Landesarbeitsgericht gesehen, dass die Beklagte erst aufgrund des Gespräches mit H F am 10. April 2002 den Eintritt eines Schadens überhaupt feststellen konnte. Der Gläubiger muss Kenntnis von den Tatsachen haben, aus denen sein Anspruch folgt. Mindestens muss er bei Beachtung der gebotenen Sorgfalt in der Lage sein, Kenntnis von solchen Tatsachen zu nehmen (vgl. BAG 16. Mai 1984 - 7 AZR 143/81 - AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 85 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 58). Auch unter Beachtung der gebotenen Sorgfalt waren für die Beklagte vor dem 10. April 2002 die einen Schadensersatzanspruch begründenden Tatsachen nicht erkennbar. Bis dahin hatte sie nur Kenntnis davon, dass der Kläger häufig und in einem weit größeren Umfang als andere Einkäufer bei den Firmen F GbR, TFI GmbH und TIS GmbH Material bestellte. Die Beklagte wusste auch, dass diese Firmen höhere Preise berechneten als andere Lieferanten oder Hersteller. Diese Umstände ließen aber noch nicht auf Schadensersatzansprüche der Beklagten gegen den Kläger schließen. Eine festgestellte objektive Schlechtleistung des Arbeitnehmers, die zu Vermögensnachteilen des Arbeitgebers führt, kann nicht mit der Kenntnis eines Schadensereignisses gleichgesetzt werden, weil die Frage, ob und in welchem Umfang der Arbeitnehmer für Schlechterfüllung haftbar gemacht werden kann, von dem Grad des Verschuldens bei der Pflichtverletzung abhängt. Erst aufgrund der Aussage des H F in dem Gespräch am 10. April 2002 war es für die Beklagte möglich, das Verhalten des Klägers einzuordnen und den Grad des Verschuldens einzuschätzen. Erst dann war das kollusive Zusammenwirken des Klägers mit H F als schadensersatzbegründende Tatsache erkennbar.

b) Nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten dauerten ihre Ermittlungen zu Schadensumfang und Schadenshöhe bis Anfang September 2002. Der Kläger hat nicht in Abrede gestellt, dass die Beklagte tatsächlich vom 10. April 2002 bis zum 3. September 2002 Ermittlungen durchführte, um die ungefähre Forderungshöhe darstellen zu können. Auch hat der Kläger nicht geltend gemacht, die Beklagte sei in der Zeit nach dem 10. April 2002 über erhebliche Zeiträume hinweg untätig geblieben. Damit ist der Vortrag der Beklagten zugestanden (§ 138 Abs. 3 ZPO). Die Behauptung des Klägers, die Beklagte habe spätestens bei Kündigungsausspruch am 22. April 2002 "von einem Teil" der Bestellungen Kenntnis gehabt und sie habe die weiteren Ermittlungen nicht unverzüglich vorgenommen, steht dem nicht entgegen. Auch das Landesarbeitsgericht hat nicht festgestellt, dass die von der Beklagten zur Bezifferung ihrer Zahlungsklage zusammengestellte Forderungsaufstellung vor dem 3. September 2002 fertiggeworden ist.

c) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts hat die Beklagte bei der Schadensfeststellung nicht schuldhaft gezögert.

aa) Die Feststellung, ob ein Gläubiger die Fälligkeit hinausgezögert hat, weil er sich den erforderlichen Überblick über seine Schadensersatzansprüche zum Zweck ihrer annähernden Bezifferung nur unter schuldhaftem Zögern verschafft hat, obliegt grundsätzlich dem Tatrichter. Das Revisionsgericht kann nur prüfen, ob der Tatrichter von den richtigen rechtlichen Beurteilungsmaßstäben ausgegangen ist, die wesentlichen Umstände berücksichtigt und Denkgesetze, Erfahrungssätze und Verfahrensvorschriften beachtet hat. Auch diesem eingeschränkten revisionsrechtlichen Überprüfungsmaßstab hält das Berufungsurteil nicht stand.

bb) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, den Geschädigten treffe die Verpflichtung, zügig den Sachverhalt zu ermitteln. Damit verkennt es den Rechtsbegriff des "schuldhaften Zögerns". Dieser beinhaltet zwar das Verbot, grundlos und in vorwerfbarer Weise untätig zu bleiben und enthält die Verpflichtung, zumutbare Ermittlungen anzustellen. Der Geschädigte muss zumutbare Maßnahmen ergreifen. Dazu gehört es nicht, Personal von seinen eigentlichen Arbeitsaufgaben freizustellen, um "zügig" festzustellen, in welchen Fällen und in welcher ungefähren Höhe ein Schaden eintrat. Der Geschädigte ist nicht gehalten, zusätzliche Nachteile oder Kosten in Kauf zu nehmen, um den Schädiger so schnell wie möglich über die Schadensersatzansprüche zu informieren. Gerade bei vorsätzlicher Schädigung und bei einem komplexen und streitigen Sachverhalt kann es dem Geschädigten nicht im Sinne einer "schuldhaften" Verzögerung zum Vorwurf gemacht werden, wenn die Aufarbeitung des Sachverhalts mehrere Monate dauert, weil Mitarbeiter die entsprechenden Ermittlungen neben ihren eigentlichen Arbeitsaufgaben durchführen müssen. Bei vorsätzlichem Handeln kann der Schädiger zudem keine erhöhte Schutzbedürftigkeit geltend machen.

cc) Das Landesarbeitsgericht hat angenommen, die Beklagte habe bis Ende Mai 2002 ihre Forderung wenigstens annähernd beziffern können. Diese Annahme hat es nicht auf eine von ihm festgestellte, hinreichende Tatsachengrundlage gestellt. Der in diesem Zusammenhang gegebene Hinweis auf den Schriftsatz der Beklagten vom 3. Juni 2002 deckt die Annahme nicht. Zwar hat dort die Beklagte bereits zu Einzelauswertungen von Einkaufsvorgängen vorgetragen. Sie hat sich insoweit aber nur auf die Auswertung von 228 Einkaufsvorgängen bezogen, die schon durch eine zwischenzeitlich durchgeführte externe Revision bis April 2002 durchgearbeitet worden waren. Anhaltspunkte dafür, dass die Beklagte danach ihre Ermittlungen und die weitere Sachverhaltsaufklärung zur Darstellung der nunmehr geltend gemachten Schadenshöhe nicht fortgeführt hat, sind weder dem Schriftsatz der Beklagten vom 3. Juni 2002 zu entnehmen noch hat das Landearbeitsgericht entsprechende Feststellungen getroffen.

dd) Die Ausschlussfrist des § 21 MTV begann nicht jeweils in dem Moment zu laufen, in dem die Beklagte hinsichtlich einzelner Einkaufsvorgänge eine ungefähre Schadenshöhe ermittelt hatte. Das Verhalten des Klägers beruhte auf einer einheitlichen Absprache zwischen ihm und H F. Es handelt sich um einen einheitlichen Lebenssachverhalt. Erlangt der Geschädigte von einem solchen Sachverhalt Kenntnis, kann er sich zunächst einen Überblick darüber verschaffen, in wie vielen Fällen der Schädiger nachteilige Bestellungen vorgenommen hat und in welcher Größenordnung sich daraus Schäden für ihn ergeben. Er muss nicht einzelne Schadenselemente aus einem einheitlichen Lebenssachverhalt gesondert geltend machen, um die dreimonatige Ausschlussfrist zu wahren. Sinn und Zweck der Ausschlussfrist ist es auch, dem Schädiger zu verdeutlichen, in welchem Umfang insgesamt Ersatz von ihm verlangt wird. Nur so kann er seinerseits entscheiden, ob er in Ansehung der gegen ihn geltend gemachten Ansprüche eine Rechtsverteidigung durchführen und in welcher Weise diese geschehen soll.

IV. Da das Landesarbeitsgericht zu Unrecht von einem Verfall des geltend gemachten Schadensersatzanspruches ausgegangen ist, muss das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen werden (§ 563 Abs. 1 ZPO, § 72 Abs. 5 ArbGG). Die Sache ist nicht zur Endentscheidung nach § 573 Abs. 3 ZPO, § 72 Abs. 5 ArbGG reif, da die Entscheidung über die von der Beklagten geltend gemachten Schadensersatzansprüche weiterer tatrichterlicher Feststellungen bedarf.

Ende der Entscheidung

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