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Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 11.11.1997
Aktenzeichen: 9 AZR 604/96
Rechtsgebiete: GG, BAT, SGB VI RRG, SGB VI ÄndG
Vorschriften:
GG Art. 3 Abs. 1 | |
BAT § 48 Abs. 5 | |
BAT § 60 Abs. 1 | |
SGB VI RRG § 41 Abs. 4 Satz 3 | |
SGB VI ÄndG Art. 2 |
Angestellte, die wegen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG über das 65. Lebensjahr hinaus beschäftigt wurden und deren Arbeitsverhältnisse nach Art. 2 SGB VI ÄndG mit dem 31. März 1995 endeten, haben keinen Anspruch auf den nach § 48 Abs. 5 BAT erhöhten Urlaub, der den Angestellten zusteht, die nach § 60 Abs. 1 BAT mit Erreichung des 65. Lebensjahres aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden.
Aktenzeichen: 9 AZR 604/96 Bundesarbeitsgericht 9. Senat Teilurteil vom 11. November 1997 - 9 AZR 604/96 -
I. Arbeitsgericht Urteil vom 07. März 1996 Berlin - 91 Ca 28999/95 -
II. Landesarbeitsgericht Urteil vom 06. August 1996 Berlin - 12 Sa 50/96 -
---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------
Entscheidungsstichworte: Altersgrenze - Weiterbeschäftigung - tarifliche Ansprüche bei späterer Beendigung
Gesetz: GG Art. 3 Abs. 1; BAT § 48 Abs. 5, § 60 Abs. 1; SGB VI RRG § 41 Abs. 4 Satz 3; SGB VI ÄndG Art. 2
9 AZR 604/96 ------------- 12 Sa 50/96 Berlin Im Namen des Volkes! Verkündet am 11. November 1997 T e i l u r t e i l Brüne, Justizsekretärin als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
In Sachen
pp.
hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 11. November 1997 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Leinemann, den Richter Böck und die Richterin Reinecke sowie die ehrenamtlichen Richter Schmidt und Unger für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Landesarbeitsgerichts Berlin vom 6. August 1996 - 12 Sa 50/96 - wird zurückgewiesen, soweit die Klägerin Abgeltung für neun Urlaubstage verlangt.
Der Rechtsstreit wird im übrigen an den Zehnten Senat abgegeben.
T a t b e s t a n d :
Die Parteien streiten über Urlaubsabgeltung und Zahlung einer Zuwendung.
Die am 26. Dezember 1928 geborene Klägerin war seit dem 1. Januar 1978 bei dem beklagten Land als Ärztin beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis sind die Bestimmungen des Bundes-Angestelltentarifvertrags und die ihn ergänzenden und ersetzenden Tarifverträge anzuwenden.
Diese lauten u.a.:
"§ 48 Abs. 5
Beginnt, endet oder ruht das Arbeitsverhältnis im Laufe des Urlaubsjahres, so beträgt der Urlaubsanspruch ein Zwölftel für jeden vollen Beschäftigungsmonat. Scheidet der Angestellte wegen Berufsunfähigkeit oder Erwerbsunfähigkeit (§ 59) oder durch Erreichung der Altersgrenze (§ 60) aus dem Arbeitsverhältnis aus, so beträgt der Urlaubsanspruch sechs Zwölftel, wenn das Arbeitsverhältnis in der ersten Hälfte, und zwölf Zwölftel, wenn es in der zweiten Hälfte des Urlaubsjahres endet. ...
§ 60 Abs. 1
Das Arbeitsverhältnis endet, ohne daß es einer Kündigung bedarf, mit Ablauf des Monats, in dem der Angestellte das 65. Lebensjahr vollendet hat."
Das beklagte Land beschäftigte die Klägerin, die sich auf die Rechtsunwirksamkeit der Altersgrenzenregelung berufen hatte, auf ihr Verlangen über das 65. Lebensjahr hinaus. Im September 1994 teilte das Land der Klägerin mit, das Arbeitsverhältnis werde infolge des Gesetzes zur Änderung des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VI ÄnDG) mit Ablauf des 30. November 1994 enden. Im Dezember 1994 erhielt die Klägerin die Mitteilung des beklagten Landes, im Hinblick auf den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 8. November 1994 - 1 BvR 1814/94 - sei Beendigungstermin der 31. März 1995. Den von der schwerbehinderten Klägerin für 1995 vor ihrem Ausscheiden geltend gemachten Urlaub von 18 Tagen gewährte das Land in Höhe von neun Urlaubstagen. Weitergehende Urlaubsansprüche bestünden nicht, da die Klägerin nicht mit dem 65. Lebensjahr ausgeschieden sei. Mit Schreiben vom 21. April 1995 teilte das Land mit, entgegen seiner im März geäußerten ursprünglichen Auffassung bestehe auch kein Anspruch der Klägerin auf anteilige Zuwendung für 1995.
Mit ihrer am 27. September 1995 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem beklagten Land am 11. Oktober 1995 zugestellten Klage hat die Klägerin in rechnerisch unstreitiger Höhe Urlaubsabgeltung für weitere neun Urlaubstage sowie die anteilige Zuwendung für drei Monate verlangt.
Die Klägerin hat beantragt,
das beklagte Land zu verurteilen, an sie 5.987,55 DM brutto nebst 4 % Zinsen aus dem daraus folgenden Nettobetrag seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Das beklagte Land hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision. Das Land bittet um deren Zurückweisung.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die Revision der Klägerin ist unbegründet, soweit sie sich gegen die Abweisung ihrer Klage auf Urlaubsabgeltung wendet. Insoweit war Teilurteil zu erlassen.
I. Die Klägerin hat für das Urlaubsjahr 1995 keinen Urlaubsanspruch erworben, der über den von dem Land bereits gewährten Urlaub hinausgeht. Das beklagte Land ist nicht verpflichtet, wegen der Verweigerung des von der Klägerin rechtzeitig verlangten weiteren Urlaubs diesen abzugelten oder hierfür Schadenersatz zu leisten.
1. Das beklagte Land hat den der Klägerin für das Jahr 1995 aufgrund gesetzlicher und tariflicher Bestimmungen zustehenden Urlaubsanspruch erfüllt.
a) Der Urlaubsanspruch der Klägerin belief sich für das Jahr 1995 nach § 48 Abs. 1 BAT auf 30 Tage. Hinzu traten fünf Tage Zusatzurlaub nach § 47 SchwbG. Da das Arbeitsverhältnis im Lauf des Urlaubsjahres endete, verkürzte sich ihr Anspruch nach § 48 Abs. 5 Satz 1 BAT, § 5 Abs. 1 c BUrlG auf ein Zwölftel für jeden vollen Beschäftigungsmonat. Rechnerisch ergaben sich damit unter Berücksichtigung der Aufrundungsbestimmungen des § 48 Abs. 5 b BAT neun Tage (35 : 12 x 3). Diesen Urlaub hat die Klägerin erhalten.
b) Die Klägerin kann sich auf die Ausnahmebestimmung des § 48 Abs. 5 Satz 2 BAT nicht berufen. Diese ist unmittelbar nicht anzuwenden, wie das Landesarbeitsgericht zu Recht und von der Revision nicht angegriffen, entschieden hat.
Der Urlaubsanspruch erhöht sich nur dann auf sechs Zwölftel, wenn der Angestellte in der ersten Hälfte des Urlaubsjahres wegen Erwerbs- oder Berufsunfähigkeit oder durch Erreichung der Altersgrenze ausscheidet. Nach § 60 BAT, auf den § 48 Abs. 5 Satz 2 BAT verweist, endet das Arbeitsverhältnis mit dem Ende des Monats, in dem der Angestellte das 65. Lebensjahr vollendet. Das ist vorliegend nicht gegeben. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde nicht zum 31. Dezember 1993 beendet.
2. Die von der Klägerin geltend gemachte analoge Anwendung von § 48 Abs. 5 Satz 2 BAT kommt nicht in Betracht. Eine durch Analogie zu schließende unbewußte Tariflücke besteht nicht.
a) § 60 BAT galt allerdings in der Zeit vom 1. Januar 1992 bis 31. Juli 1994 nicht. Denn nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG waren tarifliche Regelungen, die ohne weitere Voraussetzungen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei Erreichung des 65. Lebensjahres vorsahen, unwirksam (BAGE 74, 363; 75, 166 = AP Nr. 3 und 4 zu § 41 SGB VI). § 48 Abs. 5 Satz 2 BAT lief damit während dieser Zeit ins Leere.
b) Mit dem am 1. August 1994 in Kraft getretenen Gesetz zur Änderung des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch (SGB VI ÄndG) vom 26. Juli 1994 (BGBl. I S. 1797) wurde im wesentlichen die vor dem 1. Januar 1992 geltende Rechtslage wieder hergestellt. Altersgrenzen, die auf das Erreichen des 65. Lebensjahres abstellen, sind nach Art. 1 SGB VI ÄndG wirksam. Arbeitsverhältnisse, die wegen § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI über das 65. Lebensjahr hinaus fortgesetzt worden sind, enden nach Art. 2 SGB VI ÄndG mit Ablauf des 30. November 1994. Die Anwendung von Art. 2 SGB VI ÄndG hat das Bundesverfassungsgericht durch Beschluß vom 8. November 1994 (- 1 BvR 1814/94 - BGBl. I S. 3992 = BVerfGE 91, 252 = AP Nr. 5 zu § 41 SGB VI) bis zum 31. März 1995 ausgesetzt. Die Entscheidung hat Gesetzeskraft (§ 31 BVerfGG).
c) Seit dem 1. August 1994 ist § 60 BAT wieder geltendes Tarifrecht. Durch den 71. Änderungstarifvertrag vom 26. Juni 1995 haben die Tarifvertragsparteien § 60 Abs. 3 BAT mit Wirkung zum 1. August 1994 geändert, damit die gesamte Norm einschließlich der Altersgrenzenregelung bestätigt (vgl. Clemens/Scheuring/Steingen/Wiese, BAT, Stand August 1997, § 60 Anm. 1,3 a.E.; vgl. auch BAG Urteil vom 11. Juni 1997 - 7 AZR 186/96 -, zur Veröffentlichung vorgesehen). Angestellte im öffentlichen Dienst, die ab 1. August 1994 aufgrund von § 60 BAT aus dem Arbeitsverhältnis ausscheiden, können damit den erhöhten Urlaub beanspruchen. Verfassungsrechtlich ist die tarifliche Altersgrenzenregelung unbedenklich (vgl. BAG Urteil vom 11. Juni 1997 - 7 AZR 186/96 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).
Diese tarifliche Regelung ist nicht deshalb lückenhaft, weil die auf ihren Wunsch über das 65. Lebensjahr hinaus weiterbeschäftigten Angestellten keinen tariflichen Anspruch auf erhöhten Urlaub haben. Anhaltspunkte dafür, daß die Tarifvertragsparteien diesen Sachverhalt versehentlich nicht geregelt haben, bestehen nicht.
3. Ein Urlaubsanspruch ist auch nicht unter Berücksichtigung des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG gegeben.
a) Der allgemeine Gleichheitssatz verbietet es, wesentlich gleiche Sachverhalte ohne sachlichen Grund unterschiedlich zu behandeln; gleiche Sachverhalte sind gleich und ungleiche Sachverhalte ihrer Eigenart nach verschieden zu regeln. Eine Tarifnorm ist dann unwirksam, wenn sie für gleiche Sachverhalte unterschiedliche Bestimmungen enthält und ein vernünftiger, aus der Natur der Sache sich ergebender oder sonstwie einleuchtender Grund sich nicht finden läßt (BAGE 76, 74, 77 = AP Nr. 5 zu § 47 SchwbG 1986, zu II 4 der Gründe).
b) So verhält es sich im Streitfall nicht. Es fehlt bereits an einer den Tarifvertragsparteien zurechenbaren Ungleichbehandlung. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zum 31. März 1995 ist nicht Folge einer tariflichen Regelung. Vielmehr ist sie unmittelbar kraft Gesetzes aufgrund Art. 2 SGB VI ÄndG aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden. Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ist lediglich mittelbar auf die tarifliche Altersgrenzenregelung zurückzuführen. Die Entscheidung, die Arbeitsverhältnisse der nach § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG 1992 weiterbeschäftigten Arbeitnehmer kraft Gesetzes enden zu lassen, hat indessen der Gesetzgeber getroffen.
c) Wie bereits das Landesarbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, wird zudem der pauschal erhöhte Erholungsurlaub mit Rücksicht auf das automatische, durch die Tarifvertragsparteien bestimmte Ausscheiden aus dem Erwerbsleben eingeräumt. Er kompensiert damit die auf seiten der Angestellten möglicherweise nicht gewünschte und damit unfreiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die Befristung der Arbeitsverhältnisse auf das 65. Lebensjahr liegt demgegenüber regelmäßig im Interesse des öffentlichen Dienstherrn, der auf eine verläßliche Personal- und Nachwuchsplanung angewiesen ist. Die durch § 41 Abs. 4 Satz 3 SGB VI RRG gebotene unbefristete Fortsetzung von Arbeitsverhältnissen über das 65. Lebensjahr der Angestellten hinaus widersprach damit dem Zweck, den die Tarifvertragsparteien mit § 60 BAT verfolgt haben. Die Beendigung der Arbeitsverhältnisse zu einem späteren Zeitpunkt hat an dieser Zweckverfehlung nichts geändert.
d) Zu Recht hat das Landesarbeitsgericht auf die Angestellten zum Vergleich verwiesen, die auf eigenen Wunsch und mit Einverständnis des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis nach § 60 Abs. 2 BAT fortsetzen. Diese erhalten bei ihrem späteren Ausscheiden nur ein Zwölftel pro Beschäftigungsmonat Urlaub nach § 48 Abs. 5 Satz 1 BAT. Auch die Klägerin ist auf ihren Wunsch hin weiterbeschäftigt worden. Mit der Entscheidung für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses konnte und mußte sie mithin davon ausgehen, daß sie die an die Erreichung der Altersgrenze von 65 Jahren geknüpften tariflichen Leistungen nicht erhält.
e) Die soziale Lage der Angestelltengruppen ist überdies nicht vergleichbar. Die nach § 60 BAT ausscheidenden Arbeitnehmer erhalten gesetzliche Altersrente erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Demgegenüber arbeiteten die Angestellten wie die Klägerin beitragsfrei und konnten gleichzeitig Arbeitsentgelt und gesetzliche Altersrente beziehen. Außerdem enthält § 48 Abs. 5 Satz 2 BAT eine pauschale Regelung, die auch die von § 60 BAT betroffenen Angestellten durchaus ungleich behandelt. Bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30. Juni oder 31. Dezember entsteht ebenfalls kein zusätzlicher Urlaubsanspruch. Die möglichen Unterschiede zu den zum Stichtag 31. März 1995 ausgeschiedenen Mitarbeitern sind damit derart gering und zufällig, daß sie vernachlässigt werden können.
II. Die Kostenentscheidung bleibt dem Schlußurteil vorbehalten.
ehalten.
Ende der Entscheidung
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