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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesarbeitsgericht
Urteil verkündet am 18.05.1999
Aktenzeichen: 9 AZR 682/98
Rechtsgebiete: ArbGG, AVR Diakonie, AVR Caritas


Vorschriften:

ArbGG § 4
ArbGG § 101
AVR Diakonie § 44
AVR Caritas § 22
Leitsätze:

Mit der in einem Arbeitsvertrag mit einem kirchlichen Arbeitgeber vereinbarten Verpflichtung, bei Meinungsverschiedenheiten aus dem Vertrag zunächst eine kirchliche Schlichtungsstelle anzurufen, wird keine prozessual beachtliche Einwendung begründet, mit der die staatliche Gerichtsbarkeit ausgeschlossen ist(Anschluß an BAG Urteile vom 26. Mai 1993 - 4 AZR 130/93 - BAGE 73, 191 = AP Nr. 3 zu § 12 Diakonisches Werk; vom 7. Februar 1996 - 10 AZR 225/95 - ZTR 1996, 319).

Aktenzeichen: 9 AZR 682/98 Bundesarbeitsgericht 9. Senat Urteil vom 18. Mai 1999 - 9 AZR 682/98 -

I. Arbeitsgericht Herne - 6 Ca 2374/97 - Teilurteil vom 12. November 1997

II. Landesarbeitsgericht Hamm - 7 Sa 157/98 - Urteil vom 21. Juli 1998


---------------------------------------------------------------------- Für die Amtliche Sammlung: Nein Für die Fachpresse : Ja Für das Bundesarchiv : Nein ----------------------------------------------------------------------

Entscheidungsstichworte: Kirchliche Schlichtungsstelle - Prozeßeinrede

Gesetz: ArbGG §§ 4, 101; AVR Diakonie § 44; AVR Caritas § 22

9 AZR 682/98 7 Sa 157/98 Hamm

Im Namen des Volkes! Urteil

Verkündet am 18. Mai 1999

Brüne, als Urkundsbeamter der Geschäftsstelle

In Sachen

pp.

hat der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 1999 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Leinemann, den Richter Düwell und die Richterin Reinecke sowie die ehrenamtlichen Richter Fox und Unger für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm vom 21. Juli 1998 - 7 Sa 157/98 - aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung an das Landesarbeitsgericht Hamm - auch zur Entscheidung über die Kosten der Revision - zurückverwiesen.

Von Rechts wegen!

Tatbestand:

Die Parteien streiten über die Verpflichtung des Beklagten, der Klägerin Durchschriften von Honorarrechnungen/Auflistungen über seine ärztliche Tätigkeit zur Verfügung zu stellen.

Die Klägerin ist Trägerin eines Evangelischen Krankenhauses. Der 1945 geborene Beklagte war dort von 1991 bis 30. September 1996 als Chefarzt der Frauenklinik tätig. Das Arbeitsverhältnis endete auf Wunsch des Beklagten nach einer von ihm zum 31. Dezember 1996 erklärten Kündigung durch Aufhebungsvertrag vom 8. August 1996 zum 30. September 1996. Dort heißt es unter Nr. 3:

"Bis zu diesem Zeitpunkt werden die wechselseitigen vertragsgemäßen Leistungen ordnungsgemäß erbracht, insbesondere der dem Arbeitnehmer aus der Vergangenheit zustehende Urlaub ungekürzt gewährt."

Nr. 6 lautet:

"Mit der Erfüllung dieses Vergleiches sind sämtliche wechselseitigen Ansprüche der Parteien aus dem Arbeitsverhältnis und dessen Beendigung ausgeglichen."

Zur Vergütung der stationären Tätigkeit des Beklagten gehörte nach § 4 Nr. 1 b Satz 1 des Dienstvertrags vom 28. März/6. Mai 1991 das Liquidationsrecht für wahlärztliche Leistungen. Der Klägerin war eine Durchschrift der ärztlichen Honorarberechnungen zu übergeben (§ 4 Nr. 1 b Satz 3). Für die Einräumung des Liquidationsrechts hatte der Beklagte der Klägerin auf der Grundlage der Brutto-Honorareinnahmen ein Nutzungsentgelt nach näherer Maßgabe des Vertrags zu zahlen. Im Dienstvertrag ist außerdem bestimmt, mündliche Nebenabreden seien nicht getroffen. Änderungen oder Ergänzungen des Vertrages bedürften der Schriftform und der aufsichtsbehördlichen Genehmigung. Durch eine vom Vertragstext abweichende tatsächliche Übung würden Rechte und Pflichten nicht begründet (§ 11 Nebenabreden). Weiter heißt es in § 12 Schlichtungsstelle:

"Krankenhaus und Arzt sind verpflichtet, bei Meinungsverschiedenheiten, die sich aus dem Vertrag ergeben, zunächst die beim Diakonischen Werk der Evangelischen Kirche von Westfalen - Landesverband der Inneren Mission - e.V. in Münster gebildete Schlichtungsstelle anzurufen.

Die Behandlung eines Falles vor der Schlichtungsstelle schließt die Anrufung des Arbeitsgerichts nicht aus."

Nach einer gesondert getroffenen Vereinbarung war der Beklagte außerhalb des Dienstes berechtigt, eine Sprechstundenpraxis sowie Tätigkeiten als Gutachter und Durchgangsarzt im Krankenhaus auszuüben. Die dem Krankenhaus entstehenden Kosten hatte er der Klägerin zu erstatten. Hierzu ist in § 2 Nr. 4 der Vereinbarung bestimmt:

"Der Arzt übergibt dem Krankenhaus für gesamte ärztliche Tätigkeit außerhalb der Dienstaufgaben eine Durchschrift seiner Honorarrechnungen bzw. der Abrechnungsunterlagen der Kassenärztlichen Vereinigung innerhalb von 8 Tagen nach Ausstellung oder Erhalt, aus der die für das Krankenhaus notwendigen Angaben hervorgehen müssen."

Im Juli 1994 forderte die Klägerin schriftlich vom Beklagten noch fehlende Patientenaufstellungen für das zweite Halbjahr 1993, getrennt nach ambulanten und stationären Einnahmen. Im Juli 1995 wies sie ihn darauf hin, sie benötige dringend die Aufstellung seiner Liquidationserlöse für das zweite Halbjahr 1994 und das laufende Jahr 1995, getrennt nach stationären und ambulanten Privatpatienten, um die bislang vom Beklagten eingezahlten Gelder korrekt verbuchen und die noch ausstehenden Arztabgaben ermitteln zu können. Im März 1996 übermittelte sie dem Beklagten Auszüge aus einem Kommentar zur Frage der korrekten Arztabgaben für wahlärztliche Leistungen. Mit Schreiben vom 28. November 1996 übersandte der Beklagte der Klägerin eine Aufstellung der Zahlungseingänge 1. Januar 1996 bis 30. Juni 1996 ambulant und stationär. Für die Abrechnung 1995 bitte er um Mitteilung, wie die Klägerin die von ihm geleisteten Pauschalzahlung zugeordnet habe. Wegen des erheblichen Zahlungseingangs - Nachlaufs sei er z.Z. noch nicht in der Lage, die Abrechnung für das zweite Halbjahr 1996 abzuschließen. Er komme von selbst auf die Angelegenheit zurück, wenn nach Mahnungen wenigstens der Großteil der offenen Posten eingegangen sei.

Nachdem die Klägerin den Beklagten erneut vergeblich im Januar 1997 zur Vorlage der aus ihrer Sicht erforderlichen Abrechnungsunterlagen aufgefordert hatte, hat sie im April 1997 Klage erhoben. Sie hat zuletzt beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, ihr für seine gesamte ärztliche Tätigkeit, die er in den Jahren 1995 und 1996 im Rahmen seines mit ihr bestehenden Chefarztvertrages geleistet hat

a) außerhalb der Dienstaufgabe,

b) bei stationärer Tätigkeit für Patienten, die dem Krankenhaus bei der Aufnahme schriftlich erklärt haben, daß sie gesondert berechenbare ärztliche Leistungen durch den Beklagten wünschen,

c) bei Konsiliararzttätigkeit bei Wahlleistungspatienten seine Brutto-Honorarrechnungen (entsprechend seiner Schweigepflicht ausgestellt) zu übergeben;

2. hilfsweise den Beklagten zu verurteilen, ihr für seine gesamte ärztliche Tätigkeit, die er in den Jahren 1995 und 1996 im Rahmen seines mit ihr bestehenden Chefarztvertrages geleistet hat

a) außerhalb der Dienstaufgabe,

b) bei stationärer Tätigkeit für Patienten, die dem Krankenhaus bei der Aufnahme schriftlich erklärt haben, daß sie gesondert berechenbare ärztliche Leistungen durch den Beklagten wünschen,

c) bei Konsiliararzttätigkeit bei Wahlleistungspatienten unter Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht und der Vorschriften über den Datenschutz Auflistung über die in Rechnung gestellten Bruttohonorare zu erteilen;

3. bei begründeten Zweifeln an der Richtigkeit und Vollständigkeit der übergebenen Honorarrechnungen bzw. der Auflistung die Richtigkeit und Vollständigkeit an Eides statt zu versichern.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Im August 1997 hat der Beklagte die Schlichtungsstelle angerufen. Mit Schreiben vom 3. September 1997 hat deren Vorsitzender mitgeteilt, er entnehme den Akten, daß der Antragsteller ausgeschieden sei und es jetzt um die nachträgliche Abwicklung des Anstellungsverhältnisses gehe. Hierfür sei die Anrufung der Schlichtungsstelle nicht obligatorisch. Es bestünden jedoch keine Einwände, wenn beide Parteien einvernehmlich den Fall vor der Schlichtungsstelle behandeln wollten. Er bitte um baldige Stellungnahme, da ggf. der anberaumte Termin aufgehoben werden müßte. Während der Beklagte um Verhandlung vor der Schlichtungsstelle bat, teilte die Klägerin mit, sie beabsichtige nicht, den Fall vor der Schlichtungsstelle behandeln zu lassen.

Das Arbeitsgericht hat dem Hauptantrag durch Teilurteil vom 12. November 1997 stattgegeben. In dem Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 2. Juni 1998 haben die Parteien sich widerruflich verglichen. Danach verpflichtete sich der Beklagte, an die Klägerin zum Ausgleich aller wechselseitigen Ansprüche 25.000,00 DM zu zahlen. Die Klägerin hat den Vergleich innerhalb der ihr eingeräumten Widerrufsfrist widerrufen und gleichzeitig mitgeteilt, sie habe bei der Schlichtungsstelle die Feststellung beantragt, daß diese unzuständig sei. Außerdem hat die Klägerin Anschlußberufung eingelegt und angekündigt, über die bis dahin gestellten Anträge hinaus zu beantragen,

4. den Beklagten zu verurteilen, den sich aus den Bruttohonorarrechnungen bzw. der Auflistung zugunsten der Klägerin ergebenden Erstattungsbetrag an diese auszuzahlen.

Der Vorsitzende der Kammer des Landesarbeitsgerichts hat daraufhin Termin zur Verkündung einer Entscheidung auf den 21. Juli 1998 bestimmt. Mit Schriftsatz vom 22. Juni 1998 hat die Klägerin einen Beschluß der Schlichtungsstelle des diakonischen Werkes der evangelischen Kirchen von Westfalen vom 16. Juni 1998 eingereicht, mit dem sich die Schlichtungsstelle für unzuständig erklärt. In dem Verkündungstermin hat der Vorsitzende die am 2. Juni 1998 beratene Entscheidungsformel verkündet, wonach das Urteil des Arbeitsgerichts abgeändert und die Klage als unzulässig abgewiesen wird. Hiergegen richtet sich die vom Landesarbeitsgericht zugelassene Revision der Klägerin. Der Beklagte bittet um deren Zurückweisung.

Entscheidungsgründe:

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des Urteils des Landesarbeitsgerichts und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.

I. Die Revision der Klägerin ist zulässig.

1. Entgegen der Auffassung des Beklagten entspricht die Begründung den Anforderungen von § 554 Abs. 3 Nr. 3 ZPO. Danach gehört die Angabe der Revisionsgründe unter Bezeichnung der verletzten Rechtsnorm zur ordnungsgemäßen Begründung. Das erfordert grundsätzlich, daß sich die Revisionsbegründung mit dem Inhalt des angefochtenen Urteils auseinandersetzt (BAG Urteil vom 16. Mai 1990 - 4 AZR 145/90 - BAGE 65, 147 = AP Nr. 21 zu § 554 ZPO). Ist das Berufungsurteil auf mehrere, voneinander unabhängigen selbständig tragenden Erwägungen gestützt, muß sich die Revisionsbegründung auf jede dieser Erwägungen beziehen, wobei sich der Mindestgehalt der Revisionsbegründung nach dem Gehalt der Urteilsbegründung bestimmt (BAG Urteil vom 16. Januar 1997 - 2 AZR 35/96 - AP Nr. 14 zu § 779 BGB).

2. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage u.a. deshalb als unzulässig abgewiesen, weil sich der Beklagte zu Recht auf § 12 Chefarztvertrag berufen und damit eine prozeßhindernde Einrede geltend gemacht habe. Mit dieser Begründung setzt sich die Revision der Klägerin eingehend auseinander.

Das Landesarbeitsgericht hat die Klage außerdem "aus anderen Gründen" als unzulässig beurteilt. Hierzu hat es zur Begründung lediglich ausgeführt, die Klägerin habe "durch tatsächliche anderweitige Handhabung der Rechnungslegung ihr vertragliches Recht auf Überlassung der Rechnungsdurchschriften verwirkt". Weitere Ausführungen zu den tatsächlichen Umständen und rechtlichen Voraussetzungen oder Erwägungen des Landesarbeitsgerichts zur sog. Prozeßverwirkung enthält das Urteil nicht. Für eine ordnungsgemäße Revisionsbegründung genügt deshalb der Hinweis der Revisionsklägerin auf diese Mängel des Berufungsurteils.

II. Haupt- und Hilfsantrag sind hinreichend bestimmt im Sinne von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.

Der Beklagte soll verurteilt werden, der Klägerin die von ihm außerhalb seiner Dienstaufgabe für ärztliche Leistungen den sog. Privatpatienten/Wahlleistungspatienten erstellten Honorar-Rechnungen zu übergeben, hilfsweise eine Auflistung über die in Rechnung gestellten Bruttohonorare zu erteilen. Die im Anschluß an den Vertragstext (§ 2 Chefarztvertrag) in den Anträgen formulierten Vorbehalte "entsprechend der ärztlichen Schweigepflicht" und "unter Beachtung der ärztlichen Schweigepflicht und der Vorschriften des Datenschutzes" machen den Umfang der vom Beklagten verlangten Leistung nicht zweifelhaft. Die Klägerin bringt damit zum Ausdruck, daß der Beklagte aufgrund bestehender ärztlicher Schweigepflichten und des Datenschutzes gehindert sein kann, der Klägerin die von ihr verlangten Informationen im Einzelfall zu geben. Deren Konkretisierung obliegt dem Beklagten, ggf. unter Berücksichtigung der mit seinen Patienten getroffenen Vereinbarungen.

III. Die Klage ist nicht aufgrund der in § 12 Chefarztvertrag vereinbarten Anrufung der Schlichtungsstelle unzulässig.

1. Nach § 4 ArbGG kann der Rechtsweg zu den Arbeitsgerichten nur nach Maßgabe der §§ 101 bis 110 ArbGG ausgeschlossen werden. Diese Voraussetzungen liegen hier unstreitig nicht vor. Die Parteien sind auch zu Recht darüber einig, daß die Schlichtungsstelle nicht anstelle der staatlichen Gerichte als Schiedsgericht i.S.v. §§ 101 ff. ArbGG tätig werden sollte.

2. Mit der Vertragsklausel wird entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts keine prozeßhindernde Einrede des Beklagten begründet.

a) In der Vertragsklausel ist nicht festgelegt, daß eine Klage unzulässig ist, wenn die klagende Partei die Schlichtungsstelle nicht vor Klageerhebung anruft oder daß eine erhobene Klage unzulässig wird, wenn die klagende Partei an dem von der beklagten Partei eingeleiteten Schlichtungsverfahren nicht mitwirkt. Die Vorschrift bedarf deshalb der Auslegung. Diese ist dem Revisionsgericht uneingeschränkt eröffnet, da sie wörtlich § 8 des von der Evangelischen Kirche in Westfalen veröffentlichtem Muster - Arbeitsvertrags entspricht (Kirchliches Arbeitsrecht in Westfalen, Lose-Blattsammlung I A 3). Diese Schiedsklausel soll danach dann gesondert vereinbart werden, wenn das Arbeitsverhältnis sich nicht ohnehin nach den für den Arbeitgeber verbindlichen Arbeitsrechtsregelungen bestimmt. Ihre regelmäßige Vereinbarung kann deshalb angenommen werden (vgl. BAG Urteil vom 26. Mai 1993 - 4 AZR 130/93 - BAGE 73, 191 = AP Nr. 3 zu § 12 AVR Diakonisches Werk).

b) Der Wortlaut der Vertragsklausel bietet keinen Anhalt für die Annahme, die staatliche Gerichtsbarkeit sei vorläufig ausgeschlossen. Der Inhalt von § 12 Satz 1 Chefarztvertrag beschränkt sich auf die rechtsgeschäftliche Verpflichtung der Parteien, bei Meinungsverschiedenheiten aus dem Dienstvertrag die Schlichtungsstelle "anzurufen". Die Formulierung, diese Anrufung müsse "zunächst" erfolgen, legt allerdings eine zeitliche Reihenfolge zwischen der Schlichtung und dem staatlichen Rechtsschutz fest. Die Rechtsverfolgung vor den Gerichten für Arbeitssachen soll danach nachrangig sein. Hieraus allein läßt sich aber nicht ablesen, die gleichwohl unmittelbar erfolgte Anrufung des staatlichen Gerichts und die weitere Durchführung dieses Verfahrens begründe für die Beklagten eine prozessual beachtliche Einrede. Hätten die Parteien eine derart weitgehende Beschränkung des Klagerechts vereinbaren wollen, hätte dies ausdrücklich bestimmt werden müssen (zu den Anforderungen vgl. BGH Urteil vom 23. November 1983 - VIII ZR 197/82 - NJW 1984, 669).

c) Nach § 12 Satz 2 Chefarztvertrag schließt die Behandlung des Falles vor der Schlichtungsstelle die Anrufung des Arbeitsgerichts zudem nicht aus. Das Verfahren vor der Schlichtungsstelle muß danach nicht abgeschlossen sein, ehe Klage vor den Gerichten für Arbeitssachen erhoben wird. Es ist mithin möglich, parallel beide Verfahren zu führen. Entgegen der Auffassung des Beklagten dient die Klausel deshalb nicht nur der Klarstellung, die Schiedsstelle sei kein nach § 4 ArbGG unzulässiges Schiedsgericht. Ihr Inhalt spricht vielmehr gegen einen, wenn auch nur vorübergehenden Ausschluß der Zuständigkeit der staatlichen Gerichten, zumal es an weiteren vertraglichen Bestimmungen zum prozessualen Verhalten der Parteien bei gleichzeitig betriebenen Verfahren fehlt.

d) Auch die vom Landesarbeitsgericht betonte Interessenlage der Parteien stützt seine Auffassung nicht. Hierzu hat die Revision zu Recht darauf hingewiesen, die kirchlichen Schiedsstellen sollten der Befriedung der innerkirchlichen Dienstgemeinschaft dienen und eine interne Lösung des Konflikts versuchen. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses endet indessen auch die Einbindung des Arbeitnehmers in die Dienstgemeinschaft. Die Schlichtungsstelle kann ihre Aufgabe, den Arbeitsfrieden in den Dienstgemeinschaften zu wahren (§ 1 Abs. 1 Satz 1 Satzung der Schlichtungsstelle des diakonischen Werkes der evangelischen Kirche von Westfalen vom 13. März 1989) nicht erfüllen.

Das schließt zwar eine den Interessen der Parteien förderliche Tätigkeit der Schlichtungsstelle auch nach beendetem Dienstverhältnis nicht aus; sie kann zu einer einvernehmlichen Regelung des aufgetretenen Streits beitragen. Es können, wie der Beklagte insoweit zutreffend anführt, Kosten für Gericht und Rechtsanwalt erspart werden. Derartige Kostengesichtspunkte rechtfertigen jedoch für sich nicht die von dem Beklagten gewünschte Auslegung. Es kann deshalb auch dahinstehen, ob § 12 Chefarztvertrag dahin auszulegen ist, die vorherige Anrufung der Schlichtungsstelle sei nur im bestehenden Arbeitsverhältnis für beide Parteien "obligatorisch". Das betrifft allein die zeitliche Bindung der Parteien durch die Klausel, nicht aber ihre Auslegung als Prozeßvereinbarung.

e) Die Erwägung des Landesarbeitsgerichts, der von den Parteien vereinbarte Güteversuch sei in den kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien verankert, ist zwar zutreffend, sie rechtfertigt aber gerade nicht sein Ergebnis. Sowohl § 44 AVR Diakonie wie auch § 22 AVR Caritas eröffnen ein Wahlrecht zwischen der kirchlichen Schlichtung und dem staatlichen Gericht (BAG Urteile vom 26. Mai 1993 - 4 AZR 130/93 - BAGE 73, 191 = AP Nr. 3 zu § 12 AVR Diakonisches Werk; vom 7. Februar 1996 - 10 AZR 225/95 - ZTR 1996, 319; Scheffer/Mayer, AVR Diakonie, 21. Ergänzungslieferung, § 44 Anm. 3; Schilberg, Rechtsschutz und Arbeitsrecht in der evangelischen Kirche, S. 97). Für die hierauf zurückgehende Vertragsklausel gilt nichts anderes. Unerheblich ist, daß im Streitfall klagende Partei der Arbeitgeber und nicht der Arbeitnehmer ist. § 12 Chefarztvertrag betrifft ebenso wie die jeweiligen Bestimmungen der Arbeitsvertragsrichtlinien Dienstgeber und Mitarbeiter in gleicher Weise. Eine unterschiedliche Behandlung ist nicht vorgesehen. Deshalb verfängt auch nicht der Hinweis des Landesarbeitsgerichts auf die Bindung der Klägerin an das Kirchenrecht und ihre vermeintlich satzungswidrige "Blockade" der Schlichtungsstelle.

IV. Die Klägerin hat ihre Klagebefugnis entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht prozessual verwirkt.

1. Das Recht eines Arbeitnehmers, gegen eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses oder dessen Befristung zu klagen, kann prozessual verwirken. Das wird angenommen, wenn die Klage erst nach Ablauf eines längeren Zeitraums erhoben wird (Zeitmoment) und dadurch beim Arbeitgeber ein Vertrauenstatbestand geschaffen würde, er werde nicht mehr gerichtlich belangt (Umstandsmoment). Hierbei muß das Erfordernis des Vertrauensschutzes des Beklagten das Interesse des Arbeitnehmers an einer sachlichen Prüfung des Klagebegehrens derart überwiegen, daß ihm nicht mehr zugemutet werden kann, sich auf den Rechtsstreit materiell einzulassen (vgl. BAG Urteil vom 27. Oktober 1998 - 9 AZR 726/97 - zur Veröffentlichung in der Fachpresse vorgesehen).

2. Ob dem für Leistungsansprüche überhaupt gefolgt werden kann, kann hier offen bleiben. Der Sachverhalt rechtfertigt es keinesfalls, den Anspruch der Klägerin als prozessual verwirkt anzusehen. Es ist weder ersichtlich, daß die Klägerin unangemessene Zeit mit ihrer Rechtsverfolgung zugewartet hätte, noch ist erkennbar, warum es dem Beklagten unzumutbar ist, sich auf den Rechtsstreit materiell einzulassen. Im übrigen hat das Landesarbeitsgericht insoweit nicht zwischen Haupt- und Hilfsantrag differenziert. Der Hilfsantrag der Klägerin ist nicht auf Vorlage von Honorardurchschriften gerichtet, sondern auf Auflistungen von Honoraren. Solche hat der Beklagte der Klägerin - wenigstens teilweise - auch noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses zur Verfügung gestellt.

V. Da das Landesarbeitsgericht keine hinreichenden tatsächlichen Feststellungen zu den von der Klägerin erhobenen Ansprüchen getroffen hat, ist dem Senat eine Entscheidung in der Sache verwehrt. Der Rechtsstreit ist deshalb an das Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen. Wegen der fehlenden materiell-rechtlichen Erörterung durch das Landesarbeitsgericht sind Hinweise zur weiteren Sachbehandlung nicht angezeigt.

Ende der Entscheidung

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