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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 02.08.2006
Aktenzeichen: I B 134/05
Rechtsgebiete: FGO, AO 1977


Vorschriften:

FGO § 105 Abs. 4 Satz 3
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
AO 1977 § 163
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Streitig ist, ob Steuern aus Billigkeitsgründen abweichend festzusetzen sind.

Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin), eine AG, die ..., war vor ihrer Umwandlung (bis 1992) ein Eigenbetrieb des Landes Berlin. Am Grundkapital der Klägerin von ... DM waren im Streitjahr 1994 das Land Berlin zu 64,15 v.H. und die A-AG, die B-AG und die C-AG (beide in Essen) zu jeweils 11,95 v.H. beteiligt.

Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) setzte den einheitlichen Gewerbesteuermessbetrag und die Gewerbesteuer (mit ... DM) sowie die Vermögensteuer auf den 1. Januar 1994 (mit ... DM) entsprechend den abgegebenen Steuererklärungen fest. Diese Festsetzungen beruhen --da die Klägerin und Beschwerdeführerin (auch) im Streitjahr einen Jahresfehlbetrag erwirtschaftete-- auf ertragsunabhängigen Komponenten der gesetzlichen Bemessungsgrundlagen.

Im Einspruchsverfahren beantragte die Klägerin, die Steuern aus Billigkeitsgründen auf 0 DM festzusetzen. Die gegen die ablehnende Einspruchsentscheidung erhobene Klage wurde durch Urteil des Finanzgerichts (FG) Berlin vom 27. April 2005 6 K 6374/01 abgewiesen. Die Zustellung der Urteilsabschrift an die Klägerin erfolgte am 18. August 2005.

Die Klägerin beantragt, die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und wegen eines Verfahrensfehlers zuzulassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde ist als unbegründet zurückzuweisen, da die von der Klägerin geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 115 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) nicht vorliegen.

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Eine solche grundsätzliche Bedeutung ist für eine Rechtsfrage im Zusammenhang mit einem Begehren auf eine abweichende Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen gemäß § 163 der Abgabenordnung (AO 1977) insbesondere dann nicht ausgeschlossen, wenn es um einen Billigkeitserlass aus sachlichen Gründen --z.B. im Zusammenhang mit der Prüfung der verfassungskonformen Auslegung eines Gesetzes-- geht (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 15. Oktober 1991 VIII B 89/90, juris). Dazu bedarf es aber der besonderen Darlegung, warum eine Entscheidung des BFH über die begehrte Billigkeitsmaßnahme --auf der Grundlage des bei § 163 AO 1977 geltenden Maßstabs, ob die Besteuerung den Wertungen des Gesetzgebers im konkreten Einzelfall zuwiderläuft (z.B. BFH-Beschluss vom 23. Juni 1998 V B 60/96, juris)-- eine über diesen Einzelfall hinausgehende Bedeutung für die Allgemeinheit hat (BFH-Beschluss vom 24. Juli 2002 VI B 205/99, BFH/NV 2002, 1603). Darüber hinaus ist --da die Erhebung der Vermögensteuer und der Gewerbekapitalsteuer nicht mehr der aktuellen Rechtslage entspricht-- darzulegen, dass der zur Entscheidung gestellten Rechtsfrage noch für eine Vielzahl anhängiger Verfahren entscheidungserhebliche Bedeutung zukommt (z.B. BFH-Beschluss vom 1. April 2005 VIII B 157/03, BFH/NV 2005, 1540).

a) Die besonderen Darlegungsnotwendigkeiten zur Frage des Allgemeininteresses an einer Entscheidung des BFH zur abweichenden Steuerfestsetzung aus Billigkeitsgründen im Einzelfall bzw. zur Bedeutung der auslaufendes Recht betreffenden Rechtsfrage sind im Streitfall nicht erfüllt. Die Klägerin hat weder ausreichend dargelegt, inwieweit es nach dem Fortfall der streitigen Steuern (bzw. Steuerbemessungsgrundlagen) noch zu einer "additiven Erhebung von Substanzsteuern" kommen kann, noch hat sie auf eine Entscheidungserheblichkeit der dem Begehren zugrunde liegenden Rechtsfrage in bereits anhängigen Verfahren verwiesen.

b) Soweit die Klägerin ein Allgemeininteresse an der Klärung der Rechtsfrage schon daran erkennen will, dass hinsichtlich der Substanzbesteuerung ertraglosen Vermögens verfassungsrechtliche Zweifel bestünden und zur Frage der additiven Erhebung von Substanzsteuern bei ertraglosem Vermögen noch keine höchstrichterliche Rechtsprechung ergangen sei, folgt der Senat dem nicht. Auch wenn der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91 (BVerfGE 93, 121, BStBl II 1995, 655) zur Vermögensbesteuerung einer natürlichen Person als Steuerpflichtiger ergangen ist, ist darin allgemein --und damit auch für die Besteuerung der juristischen Person-- die Substanzbesteuerung des Vermögens auf der Grundlage eines typischerweise möglichen Ertrages (Sollertrages) abgehandelt (z.B. auch --zugleich zur "sachlichen Unbilligkeit" mit Blick auf die Festsetzung von Vermögensteuer bis Ende 1996-- BFH-Beschluss vom 29. August 2003 II B 15/01, BFH/NV 2004, 98). Das Betriebsvermögen der Klägerin ist auch diesem Typus ("ertragsfähig") zuzuordnen. Dass im Streitfall neben die Vermögensteuer die Gewerbesteuer (in ihrer gewerbekapitalbezogenen Komponente) tritt, berührt nicht die Frage der Zulässigkeit einer Sollertragsteuer, sondern die im konkreten Einzelfall zu beantwortende Frage, ob die "additive Erhebung von Substanzsteuern" bei diesem Steuerpflichtigen zu einer sog. Übermaßbesteuerung führt (insoweit auch BFH-Beschluss vom 6. August 1998 II B 53/98, BFH/NV 1999, 228).

2. Es liegt kein Verfahrensfehler i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO vor. Das Urteil ist mit Gründen (§ 119 Nr. 6 FGO) versehen. Denn das Urteil wurde innerhalb der vom Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes im Beschluss vom 27. April 1993 GmS-OGB 1/92 (BVerwGE 92, 367) festgelegten "5-Monats-Grenze" --und damit i.S. des § 105 Abs. 4 Satz 3 FGO alsbald nach der Übergabe des Tenors an die Geschäftsstelle (zur entsprechenden Anwendung dieser Maßgabe im Falle der Zustellung des Urteil gemäß § 104 Abs. 2 FGO s. BFH-Beschluss vom 7. Juli 1999 VIII R 81/98, BFH/NV 1999, 1626)-- "komplettiert". Der Klägerin, die sich auf in der Literatur geäußerte Bedenken gegen die Länge der Frist bezieht, ist zuzugestehen, dass die Gefahr für die Übereinstimmung der im Urteil fixierten Gründe mit den im Zeitpunkt der Fällung des Urteils bestehenden Überzeugungen oder Einschätzungen (z.B. nach einer Beweisaufnahme) mit zunehmendem zeitlichen Abstand wächst. Der Senat sieht aber im Streitfall keinen Anhaltspunkt dafür, dass sich eine solche Gefahrenlage verwirklicht hätte, und damit keinen Anlass, auf eine Änderung der von der ständigen Rechtsprechung des BFH gestützten Praxis (zuletzt Senatsurteil vom 17. November 2004 I R 20/04, BFH/NV 2005, 892, II.1.c der Gründe) hinzuwirken.

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