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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 20.12.2007
Aktenzeichen: I B 147/07
Rechtsgebiete: AO, FGO


Vorschriften:

AO § 34
AO § 69
AO § 71
FGO § 76 Abs. 1 Satz 1
FGO § 76 Abs. 1 Satz 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides über Körperschaftsteuer 1999.

Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) war seit April 1999 alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer der X-GmbH, die im Rahmen eines Firmenverbundes (mit der ... GmbH und der ... GmbH, an denen der Kläger ebenfalls allein beteiligt und als Geschäftsführer tätig war) einen Großhandel mit diätetischen Nahrungsmitteln betrieb. Am 31. März 2000 kam es zur Übertragung der Geschäftsanteile des Klägers auf die Y-GmbH, später zur Verschmelzung beider GmbH und anschließend zu einer Verschmelzung auf das Einzelunternehmen des seit 31. März 2000 zum Geschäftsführer bestellten alleinigen Gesellschafters der Y-GmbH, Z. Dieser hat am 11. Oktober 2000 die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Auch die Anteile an den anderen Gesellschaften des Firmenverbundes wurden vom Kläger auf mittellose Personen übertragen. Die Geschäftsunterlagen der X-GmbH sind angeblich durch einen Wasserschaden vernichtet worden.

In den Monaten April bis Juni 1999 erzielte die X-GmbH Umsätze in Höhe von ca. 7 Mio. DM. Im Fragebogen zur Gründung einer Kapitalgesellschaft, der (vom Kläger unterschrieben) am 20. Juli 1999 beim Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--) einging, war der Punkt 19 ("Angaben zur Festsetzung von Vorauszahlungen (geschätzt)") gestrichen worden. Die X-GmbH gab bis einschließlich März 2000 fristgerecht Umsatzsteuervoranmeldungen ab, die teilweise Vorsteuerüberschüsse in sechsstelliger Höhe auswiesen. Eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung führte zu keiner Änderung der Besteuerungsgrundlagen. Mit an den damaligen steuerlichen Berater der X-GmbH gerichteten Bescheid vom 1. Dezember 1999 setzte das FA erstmals eine Körperschaftsteuervorauszahlung fest (40 000 DM zuzüglich Solidaritätszuschlag); in den Erläuterungen zum Bescheid wurde die X-GmbH zur Ermittlung der voraussichtlichen Körperschaftsteuerschuld aufgefordert (Monatsfrist). Die X-GmbH entrichtete die Vorauszahlung; der Überweisungsträger ist von der inzwischen verstorbenen Mutter des Klägers unterschrieben worden, die Kontovollmacht besaß und nach der Darstellung des Klägers "die finanziellen Dinge" erledigt hatte. Der Aufforderung zur Mitwirkung im Besteuerungsverfahren kam die X-GmbH nicht nach.

Nach einem Darlehensvertrag vom 1. März 2000, der vom FA als Scheinvertrag angesehen wird, gewährte die X-GmbH dem Kläger ein Darlehen von 6,8 Mio. DM, das bereits zum 31. Dezember 1999 ausgezahlt worden sein sollte. Bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung hat Z eine Darlehensforderung nicht angegeben. Am 29. Januar 2002 vereinbarte der Kläger mit Z die vorzeitige Beendigung des Darlehensvertrages gegen eine Zahlung des Klägers in Höhe von 770 000 €.

Am 13. April 2000 ging beim FA eine Kontrollmitteilung des Umsatzsteuer-Sonderprüfers ein, dass die X-GmbH in 1999 einen voraussichtlichen Gewinn von ca. 8 Mio. DM erzielt habe. Das FA erließ auf dieser Grundlage unter dem 4. Mai 2000 einen Bescheid mit einem Erhöhungsbetrag zu den Körperschaftsteuervorauszahlungen 1999 (offene Vorauszahlungsschuld ca. 3,2 Mio. DM). Eine Zahlung erfolgte nicht. Gegenüber dem Handelsregister hatte die X-GmbH erklärt, in 1999 einen Jahresüberschuss von ca. 8 Mio. DM erzielt zu haben.

Das FA nahm den Kläger nach vergeblichen Vollstreckungsversuchen bei Z mit Haftungsbescheid vom 15. November 2005 für rückständige Körperschaftsteuer 1999, Solidaritätszuschlag zur Körperschaftsteuer und Säumniszuschläge der X-GmbH als deren gesetzlicher Vertreter gemäß §§ 69, 34 der Abgabenordnung (AO) sowie als Beteiligten an einer Steuerhinterziehung zugunsten der X-GmbH gemäß § 71 AO in Anspruch. Dabei ermittelte das FA die rückständige Steuer im Haftungsbescheid anhand der zum Handelsregister eingereichten Gewinn- und Verlustrechnung. Im Klageverfahren hat das FA den angefochtenen Bescheid zurückgenommen, soweit der Kläger für Säumniszuschläge haften sollte. Die Klage blieb erfolglos (Urteil des Niedersächsischen Finanzgerichts --FG-- vom 12. Juli 2007 11 K 240/06). Das FG hat als Rechtsgrundlage für die Haftung § 69 AO herangezogen; der Haftungsbescheid sei innerhalb der Festsetzungsfrist ergangen, da der Kläger leichtfertig eine Steuerverkürzung begangen habe.

Der Kläger beantragt, die Revision gegen das Urteil des Niedersächsischen FG vom 12. Juli 2007 11 K 240/06 zuzulassen.

Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II. Die Beschwerde (§ 116 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) ist unbegründet. Die geltend gemachten Revisionszulassungsgründe (§ 115 Abs. 2 FGO) liegen nicht vor.

1. Der Kläger hat einen Sachaufklärungsmangel als Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO nicht dargelegt. Das FG hat zwar nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen. Indes wird der Amtsermittlungsgrundsatz durch die Mitwirkungspflichten der Beteiligten nach § 76 Abs. 1 Satz 2 FGO begrenzt. Aufklärungsmaßnahmen muss das Gericht nur ergreifen, wenn ein Anlass dazu besteht, der sich aus den beigezogenen Akten, dem Beteiligtenvorbringen oder sonstigen Umständen ergeben kann (z.B. Senatsbeschluss vom 3. August 2005 I B 9/05, BFH/NV 2005, 2227). Die Sachaufklärungsrüge kann nicht dazu dienen, Beweisanträge oder Fragen zu ersetzen, die ein fachkundig vertretener Beteiligter selbst in zumutbarer Weise hätte stellen können, jedoch zu stellen unterlassen hat (z.B. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. August 2007 VIII B 211/06, BFH/NV 2007, 2312, m.w.N.).

Im Streitfall ist das FG --abzuleiten aus dem in der Niederschrift der mündlichen Verhandlung festgehaltenen Gegenstand der Befragung des Klägers und dem vom Kläger vorgetragenen Inhalt der Befragung (S. 6 f. des Begründungsschriftsatzes vom 15. Oktober 2007)-- davon ausgegangen, dass der Vorauszahlungsbescheid vom 1. Dezember 1999 vom Steuerberater der X-GmbH an diese weitergeleitet und aufgrund der Fälligstellung des Betrages von der Mutter des Klägers für die X-GmbH eine Kontoüberweisung angewiesen wurde. Ein Zugang des Bescheides bei der X-GmbH (durch mandatsentsprechende Weiterleitung des Bescheids nach einer Überprüfung durch den Steuerberater) ist im Verlaufe des Klageverfahrens vom Kläger nicht bestritten worden; es ist in diesem Verfahren auch nicht --sondern erst im Beschwerdeverfahren-- vorgetragen worden, der Überweisung des Zahlbetrages könne eine lediglich telefonische Übermittlung über die Fälligkeit zugrunde gelegen haben. Insoweit ergibt sich nicht, welcher Anlass für das FG bestanden haben sollte, zum Zugang des Vorauszahlungsbescheids bei der X-GmbH konkrete Ermittlungen anzustellen. Diese Entscheidungsgrundlage war als üblicher Ablauf aus dem in der mündlichen Verhandlung unstreitigen Umstand abzuleiten, dass die Mutter des Klägers die betragsgenaue Überweisung der Vorauszahlungen veranlasst hat, sie war nicht --wie der Kläger anführt-- erstmals aus den schriftlichen Entscheidungsgründen ersichtlich. Es hätte daher für den Kläger in der mündlichen Verhandlung ausreichend Möglichkeit bestanden, den Zugang des Bescheids bei der X-GmbH (die körperliche Weiterleitung durch den Steuerberater) zu bestreiten und durch entsprechende Beweisanträge weitere Ermittlungen in Gang zu setzen.

2. a) Der Kläger hat nicht dargelegt, dass infolge einer Abweichung des angefochtenen Urteils vom Senatsurteil vom 29. November 2006 I R 103/05 (BFH/NV 2007, 1067) die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erfüllt sind. Zwar hat der Kläger ausgeführt, dass das FG versäumt habe, eine Kausalität zwischen Pflichtverletzung und Schaden festzustellen. Denn die X-GmbH sei auch später noch "bis in die Zeit nach der Abgabe der Geschäftsanteile ... ohne Weiteres" in der Lage gewesen, die Körperschaftsteuer-Vorauszahlung zu bezahlen; insoweit fehle es an einer Feststellung, dass die X-GmbH (spätestens bei Bescheiderteilung am 4. Mai 2000) nicht mehr in der Lage gewesen sei, die Steuern zu bezahlen. Im Übrigen hätte der Kläger darauf vertrauen können, dass die X-GmbH ihre steuerlichen Verpflichtungen in der Hand des neuen Gesellschafters und Geschäftsführers erfüllen würde. Mit diesen Ausführungen ist schon nicht dargelegt, dass das FG seiner Entscheidung einen Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von den tragenden Rechtssätzen im Senatsurteil in BFH/NV 2007, 1067 abweicht. Im Übrigen hat das FG durch die Annahme einer Unternehmensübertragung auf eine "letztlich mittellose Person(en)" in Verbindung mit dem Hinweis auf die Abgabe der eidesstattlichen Versicherung durch Z sieben Monate nach der Anteilsübertragung und den Abschluss des Darlehensvertrages über 6,8 Mio. DM unmittelbar vor der Anteilsübertragung ausreichende Feststellungen für eine Kausalität getroffen.

b) Auch eine Divergenz zu den vom FG ausdrücklich herangezogenen BFH-Beschlüssen vom 19. März 1999 VII B 158/98 (BFH/NV 1999, 1304), vom 11. Mai 2000 VII B 217/99 (BFH/NV 2000, 1442) und dem BFH-Urteil vom 22. Juli 1986 VII R 191/83 (BFH/NV 1987, 140) kann dem Vorbringen des Klägers nicht entnommen werden. Mit dem Hinweis, dass das FG, wenn es denn ernstlich die wechselseitigen Beiträge des Klägers und des FA zum Steuerausfall gegeneinander abgewogen hätte, zu einem abweichenden Ergebnis gelangt wäre, wird nicht dargelegt, dass das FG seiner Entscheidung einen Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der von den tragenden Rechtssätzen in den angeführten Entscheidungen abweicht. Dieses Erfordernis ist auch nicht entbehrlich, wenn das FG, wie der Kläger meint, die Rechtssätze des BFH im konkreten Fall falsch angewendet habe. Der Kläger trägt damit nur vor, dass im Streitfall die Abwägung nach seiner Überzeugung zu seinen Gunsten hätte ausfallen müssen. Für die Darlegung einer Divergenz reicht das nicht aus.

c) Soweit der Kläger geltend macht, das angefochtene Urteil weiche von der ständigen strafgerichtlichen Rechtsprechung zur Frage der Voraussetzungen für die Annahme einer leichtfertigen Steuerverkürzung ab, fehlt es schon an einer konkreten Benennung der Entscheidungen, von denen abgewichen worden sein soll.

3. Eine Zulassung der Revision kommt auch nicht auf der Grundlage des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO in Betracht. Der Kläger trägt insoweit vor, es sei von grundsätzlicher Bedeutung, ob sich die Festsetzungsverjährung für den Haftungsbescheid bei leichtfertiger Steuerverkürzung auf fünf Jahre verlängern könne. So habe das FG Mecklenburg-Vorpommern im Urteil vom 9. Mai 2007 1 K 634/03 entschieden, dass eine Verlängerung der Festsetzungsfrist wegen des Vorwurfs einer leichtfertigen Steuerverkürzung dann nicht in Betracht komme, wenn ein Haftungsbescheid (nur) auf § 69 AO gestützt werde. Die in dem anstehenden Revisionsverfahren (Zulassung der Revision durch das FG wegen einer möglichen Abweichung vom BFH-Beschluss vom 7. Februar 2002 V B 86/01, BFH/NV 2002, 755; Aktenzeichen beim BFH: VII R 21/07) zu klärende Rechtsfrage betrifft die Situation des Klägers nicht, da das FA im Streitfall den Haftungsbescheid sowohl auf § 69 AO als auch auf § 71 AO gestützt und das FG die Voraussetzungen einer leichtfertigen Steuerverkürzung als erfüllt angesehen hat.

Ende der Entscheidung

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