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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 28.11.2001
Aktenzeichen: I B 169/00
Rechtsgebiete: FGO, EStG, AO 1977, GG


Vorschriften:

FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 3
EStG § 50d
EStG § 50d Abs. 1 a
EStG § 50d Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 2
GG Art. 59 Abs. 2
GG Art. 79 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) ist eine nach zypriotischem Recht errichtete Kapitalgesellschaft mit Sitz in Zypern (Offshore Private Limited Company). Ihre alleinige Gesellschafterin ist eine kanadische Kapitalgesellschaft, an der wiederum drei weitere Gesellschaften beteiligt sind. Direktoren der Klägerin sind der in Frankreich ansässige V, der in Großbritannien ansässige H und der in Kanada ansässige T. Das Tagesgeschäft der Klägerin wird nach deren Angaben in Zypern von Herrn K geführt.

T ist Inhaber von in den USA eingetragenen Schutzrechten, die sich auf eine von ihm entwickelte Lasertechnologie beziehen. Diese Rechte hatte er an die B-Inc., eine kanadische Kapitalgesellschaft, abgetreten. Die B-Inc. hatte die Rechte ihrerseits bis zum 31. Dezember 1993 der ebenfalls in Kanada ansässigen L-Inc. überlassen. Diese wiederum hatte an Dritte, u.a. die deutsche R-GmbH, Lizenzen für die Nutzung der Rechte vergeben. Der im Jahr 1990 abgeschlossene Lizenzvertrag zwischen der L-Ltd. und der R-GmbH sah vor, dass die R-GmbH für die ersten zwei Jahre einen Festbetrag und in der Folgezeit nach Nettoerlösen gestaffelte Lizenzgebühren zahlen sollte.

Durch einen ab 1. Januar 1994 gültigen Vertrag übertrug die B-Ltd. die ihr zustehenden Rechte gegen eine Lizenzgebühr von 300 000 kanadischen Dollar (CAD) auf die Klägerin. Diese überließ mit Vertrag vom 8./20. Februar 1996 der R-GmbH weiterhin die Lizenz zur Verwertung der Erfindung, wobei der Umfang des Nutzungsrechts auf Betreiben der R-GmbH erweitert wurde. Aufgrund dieses Vertrags zahlte die R-GmbH in den Jahren 1995 bis 1997 Lizenzgebühren an die Klägerin; die hierauf entfallende Abzugsteuer führte sie ab.

Am 3. April 1996 beantragte die Klägerin beim Beklagten und Beschwerdegegner (Bundesamt für Finanzen --BfF--), die seit April 1995 von der R-GmbH gezahlten Lizenzgebühren vom Steuerabzug freizustellen und die abgeführte Steuer zu erstatten. Das BfF ging davon aus, dass es sich bei der Klägerin um eine bloße Domizilgesellschaft handele und deshalb nur insoweit eine Steuerfreistellung erhalten könne, als diese nach dem Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Kanada zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und bestimmter anderer Steuern (DBA-Kanada) ihrer Alleingesellschafterin zustehe. Es erließ deshalb einen Bescheid, durch den es die in der Zeit vom 1. Dezember 1994 bis zum 30. November 2000 gezahlten Vergütungen bis auf einen Reststeuersatz von 10 v.H. vom Steuerabzug freistellte. Die gegen diesen Bescheid gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) abgewiesen, ohne die Revision zuzulassen.

Mit ihrer Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin geltend, dass die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung habe und dem FG Verfahrensfehler unterlaufen seien.

Das BfF ist der Nichtzulassungsbeschwerde entgegengetreten.

II. Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unbegründet und deshalb zurückzuweisen. Die von der Klägerin geltend gemachten Gründe für eine Zulassung der Revision greifen im Streitfall nicht durch.

1. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Klägerin sieht eine solche darin, dass klärungsbedürftig und im Streitfall klärungsfähig sei, ob § 50d Abs. 1 a des Einkommensteuergesetzes (EStG) mit Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 des Grundgesetzes (GG) unvereinbar und deshalb nichtig sei. Die hiermit angesprochene Problematik ist indessen durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt.

a) Die Klägerin hält § 50d Abs. 1 a EStG deshalb für verfassungswidrig, weil diese Vorschrift die Regelung in Art. 12 Abs. 1 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Zypern) für bestimmte Fallgestaltungen aushebele. Nach Abkommensrecht stehe das Besteuerungsrecht für aus Deutschland stammende und an eine zyprische Gesellschaft gezahlte Lizenzgebühren ausschließlich Zypern zu, während § 50d Abs. 1 a EStG bewirke, dass die genannten Entgelte unter bestimmten Voraussetzungen gleichwohl in Deutschland besteuert würden. Hierin sieht die Klägerin ein "treaty overriding" durch den deutschen Gesetzgeber, das gegen den völkerrechtlichen Grundsatz "pacta sunt servanda" verstoße und gemäß Art. 79 Abs. 2 GG allenfalls mit einer qualifizierten Mehrheit wirksam beschlossen werden könne.

b) Ob § 50d Abs. 1 a EStG ein "treaty overriding" beinhaltet (so z.B. Kirchhof/Gosch, Einkommensteuergesetz, § 50d Rz. 1; Köhler in Arthur Andersen, Körperschaftsteuergesetz, § 50d EStG Rz. 42) oder ob die Vorschrift sich im Rahmen eines allgemeinen völkerrechtlichen Umgehungsvorbehalts hält (so z.B. Vogel, Doppelbesteuerungsabkommen, 3. Aufl., Art. 1 Rz. 100; Blümich/ Wied, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, § 50d EStG Rz. 33), ist im Schrifttum streitig. Diese Frage muss im vorliegenden Verfahren jedoch nicht abschließend erörtert werden. Denn selbst wenn man annimmt, dass abkommensrechtliche Regelungen nicht unter einem generellen Missbrauchsvorbehalt stehen, könnte sich hieraus allenfalls eine Unvereinbarkeit des § 50d Abs. 1 a EStG mit DBA ohne Missbrauchsklausel --hier: des DBA-Zypern-- ergeben. Es bedarf indessen keiner Klärung durch ein Revisionsverfahren, dass diese Rechtsfolge nicht zur Unwirksamkeit oder zur Unanwendbarkeit der gesetzlichen Regelung führen würde.

aa) Der Senat hat im Zusammenhang mit § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG entschieden, dass Rechtsgrundlage für die Anwendung eines DBA das jeweilige innerstaatliche Zustimmungsgesetz ist und dass dieses vom Gesetzgeber nachträglich mit Vorbehalten versehen, aufgehoben oder geändert werden kann (Senatsurteil vom 13. Juli 1994 I R 120/93, BFHE 175, 351, BStBl II 1995, 129). Er hat dabei die von der Klägerin vertretene Ansicht, dass eine Änderung des Zustimmungsgesetzes den Anwendungsbereich des Art. 25 GG berühre und deshalb dem Mehrheitserfordernis des Art. 79 Abs. 2 GG unterliege, ausdrücklich verworfen. In diesem Zusammenhang hat er auch die von der Klägerin zitierten Gegenstimmen in der Literatur (Eckert, Recht der Internationalen Wirtschaft 1992, 386; Wohlschlegel, Finanz-Rundschau 1993, 48) berücksichtigt. Die Klägerin hat in der Beschwerdeschrift keine Gesichtspunkte aufgezeigt, die seinerzeit nicht beachtet worden oder mittlerweile neu zu Tage getreten sind. Deshalb ist weiterhin als geklärt anzusehen, dass der deutsche Gesetzgeber ein "treaty overriding" wirksam anordnen kann, ohne dass es hierzu einer qualifizierten Gesetzgebungsmehrheit bedarf.

bb) Allerdings ergibt sich aus der genannten Entscheidung des Senats, dass im Hinblick auf § 2 der Abgabenordnung (AO 1977) ein wirksames "treaty overriding" möglicherweise nur dann vorliegt, wenn der Gesetzgeber die Abweichung von den einschlägigen Zustimmungsgesetzen ausdrücklich anordnet (Senatsurteil in BFHE 175, 351, BStBl II 1995, 129, 130). Auch dieser Frage muss im Streitfall indessen nicht weiter nachgegangen werden. Denn § 50d Abs. 1 a EStG wird dem betreffenden Erfordernis jedenfalls gerecht.

Nach dem Wortlaut der Vorschrift hat eine ausländische Gesellschaft unter den dort bezeichneten Voraussetzungen "keinen Anspruch auf Steuerentlastung ... nach einem Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung". Abs. 1 a schränkt damit, genau wie Abs. 1 Satz 1 des § 50d EStG, ausdrücklich die in Frage kommenden abkommensrechtlichen Steuervergünstigungen ein. Die dort gewählte Formulierung bringt ebenso eindeutig wie diejenige in § 50d Abs. 1 Satz 1 EStG ("ungeachtet des Abkommens") zum Ausdruck, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die einkommensteuerrechtliche Regelung abweichenden Entlastungsregelungen in DBA grundsätzlich vorgehen soll. Zudem würde jede andere Deutung, was den Bereich der Doppelbesteuerungsabkommen angeht, die in § 50d Abs. 1 a EStG getroffene Regelung gegenstandslos machen. Angesichts dessen hält der Senat es trotz vereinzelter im Schrifttum geäußerter Zweifel (hierzu Köhler, a.a.O., § 50d EStG Rz. 42 ff.; Strunk in Korn, Einkommensteuergesetz, § 50d Rz. 28) nicht für klärungsbedürftig, dass der Gesetzgeber in § 50d Abs. 1 a EStG eine klare und eindeutige Vorrangbestimmung getroffen hat. Damit ist, sofern es sich bei § 50d Abs. 1 a EStG um ein "treaty overriding" handeln sollte, auch dieses Erfordernis erfüllt. Ob spezielle abkommensrechtliche Missbrauchsregelungen ihrerseits der einkommensteuerrechtlichen Vorschrift vorgehen (hierzu z.B. Hahn-Joecks in Kirchhof/Söhn/ Mellinghoff, Einkommensteuergesetz, § 50d Rz. E 26, m.w.N.), muss im Streitfall nicht entschieden werden, da das DBA-Zypern eine solche Regelung nicht enthält.

2. Die Verfahrensrügen der Klägerin greifen ebenfalls nicht durch.

a) Das gilt zunächst für die Rüge, dass das FG seinem Urteil eine Sachverhaltswürdigung zu Grunde gelegt habe, die gegen den klaren Inhalt der Akten verstoße. Die Klägerin beanstandet insoweit die in den Urteilsgründen enthaltene Wendung, sie --die Klägerin-- habe "unwidersprochen keine eigenen Telekommunikationseinrichtungen". Dies sei deshalb unzutreffend, weil im Gegenteil unstreitig sei, dass sie auf Zypern einen professionellen Büroservice in Anspruch genommen habe. Hiermit vermag die Klägerin indessen nicht durchzudringen.

Ein Verstoß gegen den klaren Inhalt der Akten kann nämlich nur dann als Verfahrensfehler zur Zulassung der Revision führen, wenn er darin besteht, dass das FG einen sich aus den Akten ergebenden Umstand nicht berücksichtigt oder --umgekehrt-- seine Entscheidung auf einen aus den Akten nicht ersichtlichen Umstand gestützt hat (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 22. März 1999 X B 142/98, BFH/NV 1999, 1236; vom 8. September 2000 VII B 92/00, BFH/NV 2001, 605; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 4. Aufl., § 115 Rz. 26, m.w.N.). Eine solche Situation liegt im Streitfall nicht vor. Im Tatbestand des angefochtenen Urteils ist der Vortrag der Klägerin zur Nutzung eines professionellen Büroservice ausdrücklich erwähnt, was die Annahme ausschließt, dass das FG ihn übersehen haben könnte. Die Ausführungen des FG zum Fehlen "eigener" Telekommunikationseinrichtungen sind deshalb erkennbar so zu verstehen, dass das FG angenommen hat, eine Geschäftstätigkeit der von der Klägerin behaupteten Art setze das Vorhandensein unmittelbar von der Klägerin selbst betriebener Einrichtungen voraus. Es mag dahingestellt bleiben, ob diese Annahme nahe liegend oder sogar zwingend ist. Selbst wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen würde, könnte sich hieraus jedenfalls kein Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO ergeben (BFH-Beschlüsse vom 23. April 1992 VIII B 49/80, BFHE 167, 488, BStBl II 1992, 671; vom 29. Oktober 1998 X B 132/98, BFH/NV 1999, 510; Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz. 29, m.w.N.). Entscheidend ist, dass das FG den genannten Vortrag der Klägerin zur Kenntnis genommen und bei der Urteilsfindung berücksichtigt hat; von Letzterem ist auch dann auszugehen, wenn der Vortrag in den Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich gewürdigt worden ist (BFH-Beschlüsse vom 14. Juli 1998 I B 8/98, BFH/NV 1999, 193; vom 21. Dezember 2000 VII B 163/00, BFH/NV 2001, 917).

b) Im Ergebnis dasselbe gilt im Hinblick auf den Vortrag der Klägerin, das FG sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie --die Klägerin-- nur eine einzige Erfindung verwertet habe. Im Tatbestand des finanzgerichtlichen Urteils wird ausdrücklich zwischen den verschiedenen Erfindungen unterschieden und speziell das von der Klägerin angesprochene Gassuchgerät erwähnt. Das FG hat mithin den vorgetragenen und aktenkundigen Sachverhalt in diesem Punkt vollständig erfasst. Damit liegt ein zur Revisionszulassung führender Verfahrensmangel auch insoweit nicht vor.

c) Schließlich beanstandet die Klägerin, dass das FG die von ihr vorgelegten Verträge für nicht beweiskräftig erachtet habe, ohne ihr --der Klägerin-- zuvor einen entsprechenden Hinweis zu geben. Aus der Beschwerdeschrift ergibt sich jedoch, dass dieser Punkt in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist und dass das FG schon damals Zweifel an der Aussagekraft der Verträge hat erkennen lassen. Damit hat es seiner Hinweispflicht jedenfalls genügt. Wenn die Klägerin daraufhin weitere Urkunden vorlegen oder die Einvernahme von Zeugen erreichen wollte, wäre es ihre Aufgabe gewesen, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Das ist nicht geschehen, so dass auch eine Revisionszulassung wegen Verletzung der Sachaufklärungspflicht nicht in Betracht kommt.

Ende der Entscheidung

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