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Gericht: Bundesfinanzhof
Beschluss verkündet am 05.04.2005
Aktenzeichen: I B 221/04
Rechtsgebiete: FGO, KStG 2002


Vorschriften:

FGO § 69 Abs. 2 Satz 2
FGO § 69 Abs. 3 Satz 1
KStG 2002 § 37
Es bestehen ernstliche Zweifel daran, ob § 37 KStG 2002 der Nutzung eines Körperschaftsteuerguthabens entgegensteht, das auf einer Ausschüttung eines Tochterunternehmens im laufenden Wirtschaftsjahr beruht und daher zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres nicht gesondert festgestellt wurde.
Gründe:

I.

Die Antragstellerin und Beschwerdegegnerin (Antragstellerin), eine GmbH, war im Streitjahr 2002 zu 100 v.H. an einer anderen GmbH (T) beteiligt. Das Körperschaftsteuerguthaben der Antragstellerin zum 31. Dezember 2001 wurde mit Bescheid vom 10. Dezember 2002 auf 12 707 € festgestellt. Laut Steuerbescheinigung der T schüttete diese für den Veranlagungszeitraum 2002 aufgrund Beschlusses vom 8. November 2002 3 118 000 € noch im Jahr 2002 an die Antragstellerin aus. Die Höhe des Körperschaftsteuerminderungsbetrages betrug 519 667 €. Am 15. November 2002 hat die Gesellschafterversammlung der Antragstellerin eine Gewinnausschüttung in Höhe von 3 150 000 € beschlossen.

Bei der Körperschaftsteuerveranlagung für 2002 begehrte die Antragstellerin eine Körperschaftsteuerminderung in Höhe von 525 000 € (= 1/6 von 3 150 000 €).

Im Körperschaftsteuerbescheid für 2002 wurde bei einer Tarifbelastung von 407 €, eines Körperschaftsteuerminderungsbetrages von 12 707 € und eines Körperschaftsteuererhöhungsbetrages von 519 667 € die Körperschaftsteuer auf 507 367 € festgesetzt. Das verbleibende Körperschaftsteuerguthaben wurde zum 31. Dezember 2002 mit 519 667 € gesondert festgestellt.

Der Antragsgegner und Beschwerdeführer (das Finanzamt --FA--) lehnte es ab, den Körperschaftsteuerbescheid 2002 von der Vollziehung auszusetzen. Vor dem Finanzgericht (FG) hatte der Antrag jedoch Erfolg.

Mit seiner dagegen gerichteten Beschwerde trägt das FA vor, die Auffassung des FG widerspreche dem Wortlaut des § 37 des Körperschaftsteuergesetzes in der für das Jahr 2002 gültigen Fassung (KStG 2002). § 37 Abs. 1 KStG 2002 setze für die Nutzung des Körperschaftsteuerguthabens dessen erstmalige Feststellung im ersten Geltungsjahr des Halbeinkünfteverfahrens für die jeweilige Körperschaft voraus. Nach § 37 Abs. 2 KStG 2002 mindere sich durch die Nutzung des Körperschaftsteuerguthabens mittels ordentlicher Gewinnausschüttungen die Körperschaftsteuer des jeweils folgenden Veranlagungszeitraumes. Damit ergebe sich gesetzestechnisch bei der Systemumstellung vom Anrechnungs- zum Halbeinkünfteverfahren eine Lücke zur Nutzung des Körperschaftsteuerguthabens von einem Wirtschaftsjahr. Diese Systematik gelte nach § 37 Abs. 3 KStG 2002 auch für die Nachsteuer durch ordentliche Gewinnausschüttungen von Tochter- an Mutterkapitalgesellschaften. Die Nachsteuer i.S. des § 37 Abs. 3 KStG 2002 sei auf der Ebene der Muttergesellschaft nur eine ergänzende Bestimmung für die Nutzung des Körperschaftsteuerguthabens, die sich aus der Systematik des § 8b KStG, nämlich der steuerneutralen Gewinnverwendung zwischen Kapitalgesellschaften, ergebe. Eine andere über den Gesetzeswortlaut und die Systematik des neuen KStG hinausgehende Auslegung sei nicht zulässig.

Das FA beantragt, den Beschluss des FG aufzuheben und die begehrte Aussetzung der Vollziehung abzulehnen.

Die Antragstellerin beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.

II.

Die Beschwerde des FA ist unbegründet. Das FG hat zu Recht den Körperschaftsteuerbescheid 2002 von der Vollziehung ausgesetzt.

1. Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) soll das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen oder wenn die Vollziehung für den Betroffenen eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsaktes neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen.

2. Es bestehen ernstliche Zweifel daran, ob § 37 KStG 2002 der Nutzung eines Körperschaftsteuerguthabens entgegensteht, das auf einer Ausschüttung eines Tochterunternehmens im laufenden Wirtschaftsjahr beruht und daher zum Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres nicht gesondert festgestellt wurde.

a) Erhält eine unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft oder Personenvereinigung, deren Leistungen bei den Empfängern zu den Einnahmen i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gehören, Bezüge, die nach § 8b Abs. 1 KStG bei der Einkommensteuerermittlung außer Ansatz bleiben und die bei der leistenden Körperschaft zu einer Minderung der Körperschaftsteuer geführt haben, erhöht sich bei ihr die Körperschaftsteuer und das Körperschaftsteuerguthaben um den Betrag der Minderung der Körperschaftsteuer bei der leistenden Körperschaft (§ 37 Abs. 3 Satz 1 KStG 2002). Beschließt die empfangende Körperschaft ihrerseits eine Gewinnausschüttung, wird dieses Körperschaftsteuerguthaben nach Maßgabe des § 37 Abs. 2 KStG 2002 wiederum an sie erstattet.

b) Entgegen der Auffassung des FA folgt aus dem Wortlaut des § 37 Abs. 2 KStG 2002 nicht eindeutig, dass nur ein auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres festgestelltes Körperschaftsteuerguthaben für eine Ausschüttung genutzt werden darf. Eine derartige Auslegung ist zwar möglich, weil § 37 Abs. 2 Satz 1 KStG 2002 bestimmt, dass sich das Körperschaftsteuerguthaben um jeweils ein Sechstel der Gewinnausschüttungen mindert, die in den folgenden Wirtschaftsjahren erfolgen und die auf einem den gesellschaftsrechtlichen Vorschriften entsprechenden Gewinnverteilungsbeschluss beruhen (in diesem Sinne Dötsch in Dötsch/Eversberg/Jost/Witt, Die Körperschaftsteuer, Kommentar zum Körperschaftsteuergesetz, Rz. 9 ff., 78 zu § 37 KStG n.F.; Lang, Der Betrieb --DB-- 2002, 1793, 1795; s. auch Bauschatz in Gosch, Körperschaftsteuergesetz, § 37 Rz. 126; Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen --BMF-- vom 6. November 2003, BStBl I 2003, 575, Rz. 40 zu § 37 Abs. 2a Nr. 2 KStG i.d.F. des Steuervergünstigungsabbaugesetzes vom 16. Mai 2003, BGBl I 2003, 660; Frotscher in Frotscher/Maas, Körperschaftsteuergesetz, Umwandlungssteuergesetz, § 37 KStG, Rz. 26).

Zwingend ist dies jedoch nicht. Bei summarischer Prüfung der Rechtslage erscheint auch die Auslegung möglich, dass § 37 Abs. 2 KStG 2002 lediglich an § 37 Abs. 1 KStG 2002 anknüpft. § 37 Abs. 2 Satz 1 KStG 2002 wäre danach so zu verstehen, dass sich das auf den Schluss des in § 36 Abs. 1 KStG genannten Wirtschaftsjahres ermittelte Körperschaftsteuerguthaben in den folgenden Jahren um jeweils 1/6 der Gewinnausschüttung minderte. Eine Regelung darüber, ob ein Körperschaftsteuerguthaben, das durch die Ausschüttung eines Tochterunternehmens nach § 37 Abs. 3 KStG 2002 entstanden ist, nur genutzt werden darf, wenn es zuvor gesondert festgestellt wurde, enthielte nach dieser Auslegung § 37 Abs. 2 KStG 2002 nicht. Vielmehr beschriebe die Vorschrift nur den Regelfall, in dem sich das nach Maßgabe des Abs. 1 festgestellte Körperschaftsteuerguthaben in den Folgejahren durch Gewinnausschüttungen mindert.

Auch § 37 Abs. 3 KStG 2002 selbst enthält keine Regelung, wann das durch die Ausschüttung erhöhte Körperschaftsteuerguthaben von der empfangenden Körperschaft genutzt werden kann.

c) Der Zweck der gesonderten Feststellung des Körperschaftsteuerguthabens und der Regelung in § 37 Abs. 3 KStG gebieten bei summarischer Prüfung keine Auslegung im Sinne des FA.

Ziel des § 37 Abs. 3 KStG 2002 ist es, die Realisierung eines Körperschaftsteuerguthabens nur zu ermöglichen, wenn sichergestellt ist, dass die Ausschüttung bei den Anteilseignern versteuert wird (BTDrucks 14/2683, S. 127). Dieses Ziel wird jedoch auch dann erreicht, wenn die Muttergesellschaft im selben Jahr, in dem das Tochterunternehmen Gewinne an sie ausschüttet, ihrerseits eine Ausschüttung beschließt und vornimmt. Auch in diesem Fall ist gewährleistet, dass im Jahr der Ausschüttung der Tochtergesellschaft die Gewinne bei den Anteilseignern der Muttergesellschaft versteuert werden.

Das Körperschaftsteuerguthaben wird aus Gründen der Rechtssicherheit und Verfahrensvereinfachung verbindlich festgeschrieben. Nachfolgende Veranlagungszeiträume sollen nicht mehr mit der Prüfung belastet werden, ob es in den Vorjahren zutreffend ermittelt wurde. Vielmehr sollen alle Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit der festgestellten Guthaben abgeschnitten werden. Dötsch (Deutsches Steuerrecht --DStR-- 2003, 1997) folgert hieraus, dass die sog. Nachsteuer nach § 37 Abs. 3 KStG 2002 nur erstattet werden darf, wenn sie auf den Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres gesondert festgestellt wurde. Es könnte allerdings auch die Auffassung vertreten werden, vom Zweck des Feststellungsverfahrens nicht erfasst würden Vorgänge, die das laufende Wirtschaftsjahr betreffen; eine gesonderte Feststellung des Körperschaftsteuerguthabens führe im Gegenteil in diesen Fällen zu einer unnötigen Komplizierung des Verfahrens.

d) Auch in der Literatur wird die Auffassung vertreten, § 37 KStG 2002 setze für die Nutzung des Körperschaftsteuerguthabens, das durch eine Ausschüttung nach § 37 Abs. 3 KStG 2002 entstanden ist, keine vorhergehende gesonderte Feststellung voraus (Kramer, DStR 2003, 1866; Bren/Kirste, GmbH-Rundschau 2003, 1047; Lornsen-Veit/Möbus, Betriebs-Berater 2003, 1154; Bott in Ernst & Young, Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 37, Rz. 120.1 f.).

e) Es ist daher ernstlich zweifelhaft, ob der angefochtene Bescheid rechtmäßig ist.

Ende der Entscheidung

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