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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 17.12.2003
Aktenzeichen: I R 1/02
Rechtsgebiete: AO 1977, ZPO, KO


Vorschriften:

AO 1977 § 282
AO 1977 § 324
AO 1977 § 325
ZPO § 916
ZPO § 917
ZPO § 924
ZPO § 925
ZPO § 927
KO § 29
KO § 35

Entscheidung wurde am 11.03.2004 korrigiert: unter II.3.a 2. Abs. letzter Satz muß es statt § 924 AO 1977 richtig 324 AO 1977 heißen
Eine rechtmäßig erlassene Arrestanordnung ist nicht gemäß § 325 AO 1977 wegen der Eröffnung des Konkurs-/Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arrestschuldners aufzuheben, wenn das FA die Arrestanordnung bereits vollzogen und dadurch ein Absonderungsrecht erlangt hat.
Gründe:

I.

Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) ist Konkursverwalter in dem auf Antrag des Beklagten und Revisionsklägers (Finanzamt --FA--) vom 27. August 1998 am 26. April 1999 eröffneten Konkursverfahren über das Vermögen der W-GmbH (auch Gemeinschuldnerin). Das FA ist einer der Gläubiger der Gemeinschuldnerin. Zwischen ihm und dem Kläger ist streitig, ob eine vom FA vor Konkurseröffnung in das Vermögen der W-GmbH erlassene Arrestanordnung und eine auf Grund des Arrestes vorgenommene Pfändung aufzuheben sind. Dem Rechtsstreit liegt im Wesentlichen folgender Sachverhalt zu Grunde:

1996 gerieten die W-GmbH und ihre Gesellschafter-Geschäftsführer in den Verdacht, Geschäftsbeziehungen zu Straftätern zu unterhalten. Deshalb wurden die Geschäftsräume der W-GmbH durchsucht und Unterlagen sichergestellt. Auf Grund dieser Unterlagen gelangte das FA zu der Überzeugung, die W-GmbH habe erheblich höhere Gewinne erzielt als bisher erklärt. Es erließ deshalb am 19. Dezember 1996 in das Vermögen der W-GmbH eine Arrestanordnung über einen Betrag von mehr als 880 000 DM (dinglicher Arrest) und pfändete auf Grund der Anordnung am 20. Dezember 1996 ein Bankguthaben der W-GmbH von mehr als 800 000 DM. Zum Arrestgrund führte das FA sinngemäß aus: Die W-GmbH werde vom Ausland aus gesteuert. Sie verfüge über kein Anlagevermögen. Ihre nicht für das laufende Geschäft benötigten finanziellen Mittel würden ständig ins Ausland überwiesen. Daher bestehe die Gefahr, dass die W-GmbH sich einer zu erwartenden Steuernachforderung entziehen werde.

Die W-GmbH legte gegen die Arrestanordnung fristgerecht Einspruch ein. Nachdem das Konkursverfahren über das Vermögen der Gemeinschuldnerin eröffnet worden war, führte der Kläger das Einspruchsverfahren fort und beantragte, die Arrestanordnung aufzuheben, da durch die Eröffnung des Konkursverfahrens kein vorläufiges Sicherungsinteresse mehr bestehe und somit der Arrestgrund entfallen sei. Das FA wies den Einspruch durch die an den Kläger adressierte Einspruchsentscheidung vom 2. Oktober 2000 --an den Kläger abgesandt am 4. Oktober 2000-- als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es u.a. aus: Durch die Eröffnung des Konkursverfahrens hätten sich die Verhältnisse hinsichtlich des Arrestgrundes nicht geändert. Gemäß § 14 Abs. 1 der Konkursordnung (KO) sei dem FA zwar nunmehr eine weitere Vollziehung der Arrestanordnung verboten; die vor der Eröffnung des Konkursverfahrens vorgenommene Pfändung und das durch sie erlangte Sicherungsrecht blieben aber bestehen und berechtigten das FA als Arrestgläubiger zu einer abgesonderten Befriedigung gemäß §§ 47 f. KO.

Im anschließenden Klageverfahren hob das Finanzgericht (FG) antragsgemäß die Arrestanordnung, die Einspruchsentscheidung und die Pfändung auf. Das FG-Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2002, 1275 veröffentlicht.

Mit der Revision macht das FA geltend, das FG-Urteil verletze die §§ 324, 325 der Abgabenordnung (AO 1977) und beruhe auf diesem Rechtsverstoß.

Das FA beantragt, das FG-Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision ist begründet. Das FG-Urteil war aufzuheben und die Klage abzuweisen (Entscheidung in der Sache gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Gemäß § 324 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 kann die für die Steuerfestsetzung zuständige Finanzbehörde zur Sicherung der Vollstreckung von Geldforderungen nach den §§ 249 bis 323 AO 1977 den Arrest in das bewegliche oder unbewegliche Vermögen anordnen, wenn zu befürchten ist, dass sonst die Beitreibung vereitelt oder wesentlich erschwert wird. Die Arrestanordnung ist gemäß § 325 AO 1977 aufzuheben, wenn nach ihrem Erlass Umstände bekannt werden, die die Arrestanordnung nicht mehr gerechtfertigt erscheinen lassen. Die Aufhebung nach § 325 AO 1977 setzt keinen Antrag voraus. Die Finanzbehörde muss die Anordnung von Amts wegen aufheben, wenn die Voraussetzungen des § 325 AO 1977 erfüllt sind (Hohrmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 10. Aufl., § 325 AO Rz. 5, 6; Ramackers in Beermann, Steuerliches Verfahrensrecht, § 325 AO Rz. 5; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, § 325 AO Rz. 6). Für eine Aufhebung gemäß § 325 AO 1977 ist es unerheblich, ob die Arrestanordnung noch mit Einspruch oder Klage angefochten oder bereits bestandskräftig ist (s. Bundesfinanzhof --BFH--, Urteil vom 10. März 1983 V R 143/76, BFHE 138, 16, BStBl II 1983, 401).

Bei der Entscheidung, ob eine Arrestanordnung --vollständig oder teilweise-- gemäß § 325 AO 1977 aufzuheben ist, muss die zuständige Finanzbehörde und ggf. das FG nur prüfen, ob und inwieweit die Arrestanordnung für die Zukunft aufrechtzuerhalten ist. Die Aufhebung gemäß § 325 AO 1977 wirkt nur für die Zukunft (ex nunc). Deshalb ist es für die Entscheidung nach § 325 AO 1977 unerheblich, ob die Arrestanordnung ursprünglich rechtmäßig war oder nicht; für die Aufhebung reicht es aus, dass sie nach den im Zeitpunkt der Entscheidung bekannten Umständen nicht mehr gerechtfertigt erscheint (Hohrmann in Hübschmann/ Hepp/Spitaler, a.a.O., § 325 AO Rz. 4).

Wurde die Arrestanordnung --wie im Streitfall-- form- und fristgerecht angefochten, ist im Einspruchsverfahren und ggf. im finanzgerichtlichen Verfahren auch zu prüfen, ob die Anordnung im Zeitpunkt ihres Erlasses rechtmäßig war (Hohrmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 324 AO Rz. 94; vgl. auch BFH-Urteil vom 17. April 1952 IV 27/52 U, BFHE 56, 389, BStBl III 1952, 152). Stellt sich heraus, dass sie nicht rechtmäßig erlassen wurde, ist sie auf Antrag des Einspruchsführers bzw. Klägers mit Wirkung für die Vergangenheit (ex tunc) aufzuheben.

2. Dazu hat das FG in tatsächlicher Hinsicht und gemäß § 118 Abs. 2 FGO für den erkennenden Senat bindend festgestellt:

Als das FA am 19. Dezember 1996 die angefochtene Arrestanordnung erließ, waren alle Voraussetzungen des § 324 AO 1977 für die Anordnung des dinglichen Arrestes in das Vermögen der W-GmbH erfüllt. Alleiniger Arrestgrund war die Gefahr, dass Vermögen der W-GmbH ins Ausland gebracht und dadurch die Beitreibung der in der Arrestanordnung aufgeführten Steueransprüche (Körperschaftsteuer und Solidaritätszuschlag) vereitelt oder wesentlich erschwert würde. Der Arrest wurde formgerecht angeordnet.

Ab dem 26. April 1999, dem Tag, an dem das Konkursverfahren über das Vermögen der W-GmbH eröffnet und der Kläger zum Konkursverwalter bestellt wurde, war eine Vermögensverschiebung seitens der W-GmbH nicht mehr zu befürchten. Andere Umstände, die --abgesehen von den sich aus dem Konkursverfahren u.U. ergebenden Beschränkungen-- nach diesem Zeitpunkt die Beitreibung der Steueransprüche hätten vereiteln oder erschweren können, lagen nicht vor.

3. Diese Feststellungen lassen zwar den Schluss zu, dass der im Zeitpunkt der Arrestanordnung bestehende Arrestgrund mit Eröffnung des Konkursverfahrens und der Bestellung des Klägers zum Konkursverwalter entfallen ist und dass ab diesem Zeitpunkt auch kein anderer Arrestgrund mehr bestand. Entgegen der Auffassung des Klägers und des FG folgt daraus aber nicht, dass die rechtmäßig erlassene Arrestanordnung deshalb aufzuheben ist und die in Vollzug der Arrestanordnung vorgenommene Pfändung nicht mehr aufrechtzuerhalten ist.

a) Gemäß § 927 der Zivilprozessordnung (ZPO) --dem § 325 AO 1977 nachgebildet ist-- kann ein dinglicher Arrest (§§ 916, 917 ZPO) auch nach seiner Bestätigung (§ 925 Abs. 2 ZPO) wegen veränderter Umstände, insbesondere wegen Erledigung des Arrestgrundes, aufgehoben werden. Die Aufhebung wirkt wie diejenige nach § 325 AO 1977 lediglich ex nunc; nur die Rechtmäßigkeit des Arrestes für die Zukunft wird verneint. Ob der Arrest vor Eintritt der veränderten Umstände rechtmäßig oder rechtswidrig war, ist nicht zu prüfen (Heinze in Münchener Kommentar zur Zivilprozessordnung, 2. Aufl., 2001, § 927 Rz. 1 bis 3; Vollkommer in Zöller, Zivilprozessordnung, 23. Aufl., 2002, § 927 Rz. 1, § 924 Rz. 1; Grunsky in Stein/Jonas, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 22. Aufl., 2002, § 927 Rz. 1; Huber in Musielak, Zivilprozessordnung, 3. Aufl., 2002, § 927 Rz. 1, 6).

Wird gegen einen Arrestbeschluss Widerspruch (§ 924 Abs. 1 ZPO) eingelegt, ist über die Rechtmäßigkeit des Arrestes durch Endurteil zu entscheiden; das Gericht kann den Arrest ganz oder teilweise bestätigen, abändern oder aufheben (§ 925 Abs. 1 und 2 ZPO). Im dem Verfahren auf Grund des Widerspruchs ist zu prüfen, ob der Arrestbefehl nach dem Sach- und Streitstand bei Schluss der mündlichen Verhandlung sachlich gerechtfertigt ist. Das bedeutet, dass alle Voraussetzungen des Arrestes erneut zu prüfen sind. Dabei kann der Schuldner auch geltend machen, der Arrest sei von Anfang an nicht gerechtfertigt gewesen (Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 925 Rz. 2, 3; Grunsky in Stein/Jonas, a.a.O., § 925 Rz. 4, 5; Heinze, a.a.O., § 925 Rz. 1, 2; Huber in Musielak, a.a.O., § 925 Rz. 1, 6). Die Rechtslage stimmt also insoweit mit derjenigen bei der Arrestanordnung nach § 324 AO 1977 in vollem Umfang überein.

b) Die Eröffnung des Konkurs-/Insolvenzverfahrens über das Vermögen des Arrestschuldners lässt jedoch einen rechtmäßig erlassenen Arrest unberührt, wenn der Gläubiger durch den Vollzug des Arrestes bereits ein Absonderungsrecht erlangt hat; in einem solchen Fall reicht die Eröffnung des Konkurs-/Insolvenzverfahrens allein nicht zur Aufhebung des Arrestes aus (s. Reichsgericht, Urteil vom 6. November 1903 VII 497/03, RGZ 56, 145; Heinze, a.a.O., § 927 Rz. 8; Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 927 Rz. 7; Huber in Musielak, a.a.O., § 927 Rz. 7; Grunsky in Stein/Jonas, a.a.O., § 927 Rz. 8 a.E.; s. auch Urteile des Bundesgerichtshofs --BGH-- vom 15. Januar 1962 VIII ZR 189/60, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 1962, 591; vom 19. Oktober 1995 IX ZR 82/94, BGHZ 131, 95 [106]). Denn anderenfalls würde die Aufhebung des Arrestes zum Wegfall des Vollstreckungstitels für die Zukunft führen und dem Arrestschuldner die Möglichkeit eröffnen, gemäß § 776 ZPO die Aufhebung der auf Grund des Arrestes vorgenommenen Vollstreckungsmaßnahmen zu erreichen (vgl. BGH-Urteil vom 9. Juni 1976 VIII ZR 19/95, BGHZ 66, 394; Vollkommer in Zöller, a.a.O., § 925 Rz. 10; Heinze, a.a.O., § 925 Rz. 10; Grunsky in Stein/Jonas, a.a.O., § 925 Rz. 20). Der Arrestgläubiger würde auf diese Weise seinen durch das Pfandrecht erlangten Vorrang vor den anderen Konkursgläubigern verlieren, was nicht sachgerecht wäre.

Der erkennende Senat schließt sich für Arrestanordnungen gemäß § 324 AO 1977 dieser Rechtsprechung der Zivilgerichte an (gl.A. Hohrmann in Hübschmann/Hepp/Spitaler, a.a.O., § 327 AO Rz. 12; Tipke/Kruse, a.a.O., § 325 Rz. 3). Es gibt keinen Grund, Arrestbeschlüsse nach der ZPO und Arrestanordnungen gemäß § 324 AO 1977 insoweit unterschiedlich zu behandeln (vgl. auch BFH-Urteil vom 27. November 1957 II 66/56 U, BFHE 66, 130, BStBl III 1958, 51).

c) Daraus folgt für den Streitfall: Die Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der W-GmbH und die Bestellung des Klägers zum Konkursverwalter sind keine Umstände, wegen der gemäß § 325 AO 1977 die rechtmäßig erlassene Arrestanordnung aufzuheben ist. Denn das Land Hessen, dessen Behörde das FA ist, erlangte durch die in Vollzug der Arrestanordnung vorgenommene Pfändung vom 20. Dezember 1996 ein Pfandrecht an der gepfändeten Forderung (§ 282 Abs. 1 AO 1977), das --da die Pfändung nicht nach konkursrechtlichen Vorschriften (§§ 29 f., 35 KO) angefochten wurde-- als konkursrechtliches Absonderungsrecht dem Konkursbeschlag gegenüber durchdringt (Jaeger/Henckel, Konkursordnung, 9. Aufl., 1997, § 14 Rz. 23; Kilger/Karsten Schmidt, Insolvenzgesetze, 17. Aufl., 1997, § 14 KO Anm. 3).

4. Da dem Antrag des Klägers, die Arrestanordnung aufzuheben, nicht zu entsprechen war, kann auch sein Antrag, die in Vollziehung der Arrestanordnung erwirkte Pfändung aufzuheben, keinen Erfolg haben.

Ende der Entscheidung

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