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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 20.10.2004
Aktenzeichen: I R 31/04
Rechtsgebiete: FGO


Vorschriften:

FGO § 90a Abs. 1
FGO § 121 Satz 1
FGO § 126 Abs. 3 Nr. 2
FGO § 143 Abs. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Die Beteiligten streiten darüber, ob Einkünfte des Klägers und Revisionsklägers (Kläger) nach Art. 15a des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Schweizerischen Eidgenossenschaft zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen vom 11. August 1971 (DBA-Schweiz) der deutschen Besteuerung unterliegen.

Die Kläger sind Eheleute, die im Streitjahr (1998) in Deutschland wohnten und zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden. Der Kläger war bei der Schweizer X-AG in B nichtselbständig tätig. Die Entfernung zwischen seinem inländischen Wohnort A und B betrug 125 km.

In ihrer Einkommensteuererklärung für das Streitjahr behandelten die Kläger den Arbeitslohn des Klägers als steuerfrei. Dazu trugen sie vor, der Kläger habe an mehr als 60 Tagen abends nicht von seiner Arbeitsstelle nach Hause zurückkehren können. Zum Nachweis legten sie eine Aufstellung vor, die insgesamt 68 Nichtrückkehrtage ausweist.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) bezog bei der Veranlagung der Kläger für das Streitjahr den Arbeitslohn des Klägers in die Bemessungsgrundlage der Steuer ein und rechnete auf die hiernach ermittelte Einkommensteuer Schweizer Quellensteuer an. Einspruch und Klage der Kläger gegen den entsprechenden Bescheid hatten keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) führte aus, die vorgelegte Aufstellung zeige, dass die Arbeitszeit des Klägers an zahlreichen Tagen erst nach Mitternacht geendet habe; diese Tage seien nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht als Nichtrückkehrtage zu werten. Unter Berücksichtigung dessen ergäben sich für den Kläger im Streitjahr weniger als 60 Nichtrückkehrtage, so dass der Kläger Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz sei und mithin sein Arbeitslohn der deutschen Besteuerung unterliege.

Mit ihrer vom erkennenden Senat zugelassenen Revision rügen die Kläger eine Verletzung des Art. 15a DBA-Schweiz. Sie beantragen, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Einkommensteuer für das Streitjahr auf 0 DM festzusetzen.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist begründet. Sie führt gemäß § 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das FG. Dessen Feststellungen lassen keine abschließende Entscheidung darüber zu, ob der Arbeitslohn des Klägers nach dem DBA-Schweiz in Deutschland besteuert werden darf oder nicht.

1. Nach Art. 15a Abs. 1 Satz 1 DBA-Schweiz sind Gehälter, Löhne und ähnliche Vergütungen, die ein Grenzgänger aus unselbständiger Arbeit bezieht, in dem Vertragsstaat zu besteuern, in dem der Grenzgänger ansässig ist. Demgegenüber gelten für Einkünfte von in einem Vertragsstaat ansässigen Arbeitnehmern, die in dem anderen Vertragsstaat ihre Arbeit ausüben und nicht Grenzgänger sind, hinsichtlich des Besteuerungsrechts die Regelungen in Art. 15 i.V.m. Art. 24 DBA-Schweiz; danach ist bei einem in Deutschland ansässigen Arbeitnehmer mit Arbeitsort in der Schweiz --vorbehaltlich der im Streitfall nicht eingreifenden Sonderregelung in Art. 15 Abs. 2 DBA-Schweiz-- die Schweiz zur Besteuerung der Arbeitseinkünfte berechtigt (Art. 15 Abs. 1 Satz 2 DBA-Schweiz) und Deutschland zur Freistellung dieser Einkünfte von der Einkommensteuer verpflichtet (Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. d DBA-Schweiz). Für den Streitfall folgt hieraus, dass der Arbeitslohn des Klägers nur dann der deutschen Besteuerung unterliegt, wenn der Kläger Grenzgänger ist.

2. Grenzgänger i.S. des Art. 15a DBA-Schweiz ist jede in einem Vertragsstaat ansässige Person, die im anderen Vertragsstaat ihren Arbeitsort hat und von dort regelmäßig an ihren Wohnsitz zurückkehrt (Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz). Nach Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz entfällt bei in einem Vertragsstaat ansässigen und im anderen Vertragsstaat arbeitenden Personen die Grenzgängereigenschaft nur dann, wenn die Person bei einer Beschäftigung während des gesamten Kalenderjahres an mehr als 60 Arbeitstagen auf Grund ihrer Arbeitsausübung nicht an ihren Wohnsitz zurückkehrt. Ergänzend dazu heißt es in Nr. II. 1. des Verhandlungsprotokolls zum Änderungsprotokoll vom 18. Dezember 1991 (BStBl I 1993, 929), die Annahme einer regelmäßigen Rückkehr an den Wohnsitz i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 1 DBA-Schweiz werde nicht dadurch ausgeschlossen, dass sich die Arbeitsausübung bedingt durch betriebliche Umstände --wie z.B. bei Schichtarbeitern oder Krankenhauspersonal mit Bereitschaftsdienst-- über mehrere Tage erstreckt. Diese Bestimmung enthält eine verbindliche Vorgabe für die Auslegung des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz (Senatsurteil vom 16. Mai 2001 I R 100/00, BFHE 195, 341, BStBl II 2001, 633; Kempermann in Flick/Wassermeyer/Wingert/Kempermann, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, Art. 15a Anm. 8, jeweils m.w.N.).

3. Der Senat hat die zitierte Protokollbestimmung zunächst dahin verstanden, dass in den dort genannten Fällen eine zwischenzeitliche Rückkehr des Arbeitnehmers an den Wohnort fingiert wird (Senatsurteil in BFHE 195, 341, BStBl II 2001, 633, 634). Das entscheidende Abgrenzungskriterium zwischen den Fällen der hiernach "fingierten Rückkehr" und der beruflich bedingten Nichtrückkehr hat er darin gesehen, ob der Arbeitnehmer über die Tagesgrenze hinaus seiner Arbeit nachgeht oder ob er --aus beruflichen Gründen-- nach getaner Arbeit außerhalb des Ansässigkeitsstaates verbleibt. An dieser Rechtsprechung hat sich das FG in dem angefochtenen Urteil orientiert.

Inzwischen hat der Senat die genannte Betrachtungsweise aber modifiziert. Nach seinem zur amtlichen Veröffentlichung bestimmten Urteil vom 15. September 2004 I R 67/03 kann Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz auch unter Berücksichtigung des Verhandlungsprotokolls vom 18. Dezember 1991 nicht in dem Sinne verstanden werden, dass ein Arbeitnehmer immer dann, wenn sich seine Arbeitszeit über Mitternacht hinaus erstreckt, als an den Wohnort zurückgekehrt gilt. Vielmehr fingiert das Verhandlungsprotokoll lediglich, dass in den dort genannten Fällen eine tatsächlich erst am nächsten Tag erfolgte Rückkehr schon vor dem Tagesende stattgefunden hat. Es wird mithin nicht die Rückkehr als solche fingiert, sondern nur der Zeitpunkt einer tatsächlich erfolgten Rückkehr fiktiv vorverlegt. An diesem Verständnis der einschlägigen Regelungen, wegen dessen Herleitung auf das zitierte Urteil verwiesen wird, hält der Senat fest.

4. Im Streitfall können hiernach nicht alle Tage, an denen der Kläger über Mitternacht hinaus in der Schweiz gearbeitet hat, als Rückkehrtage i.S. des Art. 15a Abs. 2 DBA-Schweiz gewertet werden. Vielmehr liegt, wenn in einem solchen Fall der Kläger nach Arbeitsende aus beruflichen Gründen in der Schweiz übernachtet hat, ein Nichtrückkehrtag i.S. des Art. 15a Abs. 2 Satz 2 DBA-Schweiz vor. Dabei ist von einer beruflichen Veranlassung der Nichtrückkehr u.a. dann auszugehen, wenn dem Kläger eine Rückkehr nach Deutschland nicht zumutbar war (vgl. hierzu die "Generelle Verständigungsvereinbarung" vom 24. Juni 1999, abgedruckt bei Locher/Meier/von Siebenthal/Kolb, Doppelbesteuerungsabkommen Deutschland-Schweiz, B 15a.2 Nr. 11).

5. Das FG hat, von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig, weder die Zahl der Übernachtungen des Klägers in der Schweiz festgestellt noch deren Veranlassung überprüft. Das kann im Revisionsverfahren nicht nachgeholt werden, weshalb die Sache zu diesem Zweck an das FG zurückverwiesen werden muss. Im zweiten Rechtsgang wird das FG beachten müssen, dass sowohl hinsichtlich der Zahl als auch in Bezug auf die berufliche Veranlassung der auswärtigen Übernachtungen die objektive Beweislast (Feststellungslast) bei den Klägern liegt (vgl. hierzu ebenfalls Senatsurteil vom 15. September 2004 I R 67/03, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt).

6. Die Übertragung der Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.

7. Die Beteiligten haben nicht auf mündliche Verhandlung verzichtet. Der Senat hält eine solche aber nicht für erforderlich und entscheidet deshalb gemäß § 90a Abs. 1 i.V.m. § 121 Satz 1 FGO durch Gerichtsbescheid.

Ende der Entscheidung

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