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Beginn der Entscheidung

Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 27.08.2008
Aktenzeichen: II R 23/06 (1)
Rechtsgebiete: ErbStG, BGB


Vorschriften:

ErbStG § 6 Abs. 2
ErbStG § 15 Abs. 3
BGB § 2269
BGB § 2280
Haben sich Ehegatten durch gemeinschaftliches Testament oder Erbvertrag gegenseitig als Erben und Verwandte als Schlusserben eingesetzt, ist das beim Tod des länger lebenden Ehegatten dem Werte nach noch vorhandene Vermögen des zuerst verstorbenen Ehegatten im Rahmen der Bindungswirkung der getroffenen Verfügungen erbschaftsteuerrechtlich nach § 15 Abs. 3 ErbStG vorrangig und ohne weitere Quotelung den mit dem Erstverstorbenen näher verwandten Schlusserben zuzuordnen.
Gründe:

I.

Der im Jahr 1986 verstorbene Onkel (O) der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) und ihres Bruders (B) und die im Jahr 2004 verstorbene Ehefrau (E) des O hatten sich durch notariell beurkundeten Erbvertrag gegenseitig als Alleinerben eingesetzt und weiter verfügt, dass der zuletzt versterbende Ehegatte als Erben je zur Hälfte einerseits Verwandte der E und andererseits den Bruder des O und als dessen Ersatzerben zu gleichen Teilen dessen Kinder, die Klägerin und B, berufe. E machte nach dem Tod des O von der ihr bezüglich ihrer eigenen Verwandten zustehenden Änderungsbefugnis keinen Gebrauch. Beim Tod der E war der Bruder des O bereits verstorben. B verstarb während des Revisionsverfahrens. Das seine unbekannten Erben betreffende Revisionsverfahren wurde abgetrennt.

Der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) ging bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer gegen die Klägerin und B von deren Angabe aus, der Nachlass der E stamme je zur Hälfte seines Werts von O und E, und nahm an, diese Herkunft des Nachlasses führe nach § 15 Abs. 3 i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 3 bis 5 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) zu folgender Berechnung der jeweils festzusetzenden Erbschaftsteuer:

 Gesamtwert der Nachlassgegenstände291 995 €
ein Viertel hiervon72 998 €
von O stammen36 499 €
abzüglich persönlicher Freibetrag./. 10 300 €
verbleiben abgerundet26 100 €
Steuersatz12 v.H.
Steuer3 132 €
  
von E stammen36 499 €
abzüglich 1/4 der Nachlassverbindlichkeiten./. 11 124 €
verbleiben abgerundet25 300 €
Steuersatz17 v.H.
Steuer4 301 €
festzusetzende Steuer 3 132 € + 4 301 € = 7 433 €

Dem Begehren der Klägerin und des B, ihre Anteile am Nachlasswert insgesamt als von O stammend zu besteuern, folgte das FA auch in der Einspruchsentscheidung nicht.

Das Finanzgericht (FG) gab der Klage durch das in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2006, 830 veröffentlichte Urteil mit der Begründung statt, der Besteuerung sei nach Wortlaut, Sinn und Zweck und Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG allein das Verhältnis der Klägerin und des B zu O zugrunde zu legen, weil der Nachlass der E zur Hälfte seines Werts von O gestammt und dieser hälftige Anteil rechnerisch für die Erbanteile der Klägerin und des B ausgereicht habe.

Das FG errechnete die nach seiner Ansicht jeweils festzusetzende Erbschaftsteuer von 6 180 € demgemäß in der Weise, dass es von dem nach Abzug der anteiligen Nachlassverbindlichkeiten verbleibenden Erbanteil von je 61 872 € einen persönlichen Freibetrag von 10 300 € abzog und auf den abgerundeten steuerpflichtigen Erwerb von 51 500 € einen Steuersatz von 12 v.H. anwandte.

Mit der Revision rügt das FA Verletzung des § 15 Abs. 3 ErbStG. Die von ihm vorgenommene Steuerberechnung entspreche dem Gesetzeswortlaut und dem Willen des Gesetzgebers. In den Fällen des § 2269 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) beruhe die Stellung des Schlusserben auf den Verfügungen beider Ehegatten über den als Einheit zu sehenden Nachlass. Stamme wie im Streitfall der Nachlasswert jeweils zur Hälfte von den beiden Ehegatten, müssten der Besteuerung des Erwerbs der mit dem zuerst verstorbenen Ehegatten näher verwandten Schlusserben für die eine Hälfte der bei ihnen angefallenen Anteile am Nachlass die im Verhältnis zum zuerst verstorbenen Ehegatten maßgebende Steuerklasse und für die andere Hälfte die im Verhältnis zum zuletzt verstorbenen Ehegatten geltende Steuerklasse zugrunde gelegt werden. Die vom FG vorgenommene personenbezogene Aufteilung des Nachlasses scheide deshalb aus.

Das FA beantragt, die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

II.

Die Revision des FA ist --soweit die Klage der Klägerin betroffen ist-- unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Die vom FG vorgenommene Steuerberechnung ist zutreffend.

1. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG sind im Fall des § 2269 BGB und soweit der überlebende Ehegatte an die Verfügung gebunden ist, die mit dem verstorbenen Ehegatten näher verwandten Erben und Vermächtnisnehmer als seine Erben anzusehen, soweit sein Vermögen beim Tode des überlebenden Ehegatten noch vorhanden ist. § 6 Abs. 2 Satz 3 bis 5 ErbStG gilt in diesem Fall gemäß § 15 Abs. 3 Satz 2 ErbStG entsprechend.

a) Haben die Ehegatten in einem gemeinschaftlichen Testament (vgl. § 2265 BGB), durch das sie sich gegenseitig als Erben einsetzen, bestimmt, dass nach dem Tode des Überlebenden der beiderseitige Nachlass an einen Dritten fallen soll, so ist nach § 2269 Abs. 1 BGB im Zweifel anzunehmen, dass der Dritte für den gesamten Nachlass als Erbe des zuletzt versterbenden Ehegatten eingesetzt ist. Der Dritte ist der sog. Schlusserbe. Der Schlusserbe ist von jedem Ehegatten als sein Ersatzerbe (§ 2096 BGB) berufen für den Fall, dass der als Erbe berufene andere Ehegatte zuerst stirbt und deshalb nicht Erbe wird. Der überlebende Ehegatte wird beim Tod des anderen Ehegatten Vollerbe. Dadurch vereinigt sich in seiner Hand sein eigenes Vermögen mit dem Nachlass des Erstverstorbenen zu einem einheitlichen Vermögen, über das er unter Lebenden grundsätzlich frei verfügen kann. Was von dem Vermögen bei seinem Tod noch vorhanden ist, geht auf den Schlusserben als seinen Erben über (vgl. z.B. Palandt/Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl., § 2269 Rz 3, § 2271 Rz 10 f., m.w.N.).

b) § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG ist über den Wortlaut hinaus auch dann anwendbar, wenn Ehegatten in einem Erbvertrag dem § 2269 Abs. 1 BGB entsprechende Regelungen vorsehen (Kapp/Ebeling, § 15 ErbStG Rz 81.4). § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG beruht auf der Überlegung, dass es unbillig ist, allein auf das Verwandtschaftsverhältnis zu dem zuletzt verstorbenen Ehegatten abzustellen, soweit das dem Schlusserben anfallende Vermögen von dem zuerst verstorbenen Ehegatten stammt und der Erbe aufgrund seines Verwandtschaftsverhältnisses zu diesem Ehegatten in eine günstigere Steuerklasse fällt; denn beim gemeinschaftlichen Testament mit Bindung des zuletzt versterbenden Ehegatten erwirbt der Schlusserbe nach dem Tode dieses Ehegatten die Erbschaft aufgrund des Willens beider Ehegatten (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 16. Juni 1999 II R 57/96, BFHE 189, 537, BStBl II 1999, 789). Diese Erwägungen gelten gleichermaßen, wenn Ehegatten in einem Erbvertrag einem gemeinschaftlichen Testament i.S. des § 2269 Abs. 1 BGB entsprechende Verfügungen treffen. Die für Erbverträge geltende Vorschrift des § 2280 BGB verweist zudem ausdrücklich auf § 2269 BGB.

Ist dem überlebenden Ehegatten im Erbvertrag das Recht eingeräumt, (teilweise) vom Erbvertrag abweichende Verfügungen von Todes wegen zu treffen, steht dies der Anwendbarkeit des § 15 Abs. 3 ErbStG nicht entgegen, soweit der überlebende Ehegatte von der Änderungsbefugnis hinsichtlich der Erbquote der Schlusserben keinen Gebrauch gemacht hat. Auch insoweit gilt nichts anderes als für ein gemeinschaftliches Testament i.S. des § 2269 BGB (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 189, 537, BStBl II 1999, 789).

c) § 15 Abs. 3 ErbStG folgt nicht der zivilrechtlichen Beurteilung, nach der der Schlusserbe allein Erbe des zuletzt verstorbenen Ehegatten ist und den Nachlass von diesem als Einheit erhält, ggf. anteilig in Höhe seiner Erbquote. Die Vorschrift nähert vielmehr die erbschaftsteuerrechtliche Behandlung des Schlusserben derjenigen des Nacherben an. Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut des § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG. Danach sind unter den in der Vorschrift genannten Voraussetzungen die mit dem zuerst verstorbenen Ehegatten näher verwandten Erben und Vermächtnisnehmer als seine Erben anzusehen, soweit sein Vermögen beim Tode des überlebenden Ehegatten noch vorhanden ist. Eine Quotelung, wie sie das FA vorgenommen hat, ist in § 15 Abs. 3 ErbStG nicht vorgesehen.

Der zivilrechtlich als Einheit zu beurteilende Nachlass des zuletzt verstorbenen Ehegatten ist somit für die Erbschaftsteuer aufzuteilen, und zwar in das vom zuerst verstorbenen Ehegatten stammende Vermögen, das beim Tod des Letztverstorbenen noch vorhanden ist, und den übrigen Nachlass. Der mit dem zuerst verstorbenen Ehegatten näher verwandte Schlusserbe ist im Hinblick auf das von diesem stammende Vermögen erbschaftsteuerrechtlich so zu behandeln, als ob er es unmittelbar als Erbe von diesem Ehegatten erworben hätte. Der Schlusserbe steht insoweit also einem Nacherben (§ 2100 BGB) gleich, der beim Eintritt der Nacherbfolge unmittelbar Erbe des ursprünglichen Erblassers (§ 2139 BGB) wird.

Anders als dem Nacherben, der beim Eintritt der Nacherbfolge wählen kann, ob er den Erwerb als insgesamt vom Vorerben stammend versteuern will oder ob hinsichtlich des der Nacherbfolge unterliegenden Vermögens der Besteuerung sein Verhältnis zum Erblasser zugrunde gelegt werden soll (§ 6 Abs. 2 Satz 1 und 2 ErbStG), steht allerdings den Schlusserben nach dem Gesetzeswortlaut keine Wahlmöglichkeit zu (kritisch Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14. Aufl., § 15 Rz 31). Die mit dem zuerst verstorbenen Ehegatten näher verwandten Schlusserben können sich nicht dafür entscheiden, den Erwerb als insgesamt von dem zuletzt verstorbenen Ehegatten stammend zu versteuern. Vielmehr ist der Besteuerung stets ihr persönliches Verhältnis zu dem zuerst verstorbenen Ehegatten zugrunde zu legen, soweit dessen Vermögen beim Tode des anderen Ehegatten noch vorhanden ist.

Durch die in § 15 Abs. 3 Satz 2 ErbStG vorgesehene Verweisung auf § 6 Abs. 2 Satz 3 bis 5 ErbStG wird der Schlusserbe insoweit einem Nacherben gleichgestellt, der beantragt hat, der Besteuerung sein Verhältnis zum Erblasser und nicht dasjenige zum Vorerben zugrunde zu legen. Der Nachlass des zuletzt verstorbenen Ehegatten ist danach im Grundsatz so aufzuteilen, wie wenn er lediglich Vorerbe gewesen wäre. Wenn das Gesetz --wie das FA meint-- den Schlusserben insoweit schlechter als den Nacherben hätte stellen wollen, hätte dies im Wortlaut zum Ausdruck kommen müssen.

Die Auffassung des FA würde zudem in Fällen der vorliegenden Art zu einer vom Zufall abhängigen und daher nicht sachgerechten erbschaftsteuerrechtlichen Bevorzugung der Verwandten des Ehegatten führen, der länger lebt. Der Besteuerung dieser Verwandten als Erben würde nämlich stets in vollem Umfang die nach ihrem persönlichen Verhältnis zu diesem Ehegatten maßgebende günstige Steuerklasse zugrunde gelegt werden, während die Verwandten des zuerst verstorbenen Ehegatten für einen Teil des Erwerbs die Anwendung einer ungünstigeren Steuerklasse in Kauf nehmen müssten, obwohl ihr Erwerb insgesamt nicht höher ist als das beim Tod des Letztverstorbenen noch vorhandene Vermögen des Erstverstorbenen.

d) Bei der Prüfung, inwieweit beim Tod des zuletzt verstorbenen Ehegatten noch Vermögen des anderen Ehegatten i.S. des § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG vorhanden ist, kommt es nicht auf die einzelnen Vermögensgegenstände, sondern lediglich auf den Gesamtwert des Vermögens an (Moench, Erbschaft- und Schenkungsteuer, § 15 Rz 50; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 15 Rz 152). Der Begriff "Vermögen" umschreibt regelmäßig eine Gesamtheit geldwerter Gegenstände (BFH-Urteil vom 22. Juni 1994 II R 1/92, BFHE 174, 377, BStBl II 1994, 656). Die erbschaftsteuerrechtliche Stellung des Schlusserben ist auch insoweit derjenigen eines Nacherben angenähert (vgl. § 2111 BGB).

2. Das FG ist danach von zutreffenden Rechtsgrundsätzen ausgegangen (zustimmend ebenfalls Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, a.a.O.; Kapp/Ebeling, a.a.O.).

a) Die Klägerin ist als Tochter des Bruders des O mit O in der Seitenlinie verwandt (§ 1589 Satz 2 BGB). Zu O besteht daher eine nähere Verwandtschaft i.S. des § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG als zu E. Dass die Klägerin mit E nicht verwandt, sondern nur verschwägert ist (§ 1590 Abs. 1 und 2 BGB), steht der Anwendbarkeit des § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG nicht entgegen. Anders als die Worte "näher verwandt" vermuten lassen könnten, setzt diese Vorschrift keine Verwandtschaft zu dem zuletzt verstorbenen Ehegatten voraus. Andernfalls würde die Vorschrift abgesehen von dem Ausnahmefall, dass die Ehegatten miteinander verwandt waren, leerlaufen. Dies wäre mit ihrem Sinn und Zweck nicht vereinbar. Maßgebend ist vielmehr, ob die Erben nach den persönlichen Verhältnissen zu den beiden Ehegatten verschiedenen Steuerklassen unterliegen (§ 15 Abs. 1 ErbStG).

b) Die erforderliche Bindung der E an die Erbeinsetzung des Bruders des O und von dessen Kindern als Ersatzerben sowie die Höhe der Erbquoten ergeben sich aus dem Erbvertrag (§ 2278 Abs. 1 BGB). E hat im Übrigen von der ihr bezüglich ihrer eigenen Verwandten eingeräumten Änderungsbefugnis keinen Gebrauch gemacht.

c) Bei der für die Besteuerung der Nachlassanteile der Klägerin und des B vorzunehmenden Aufteilung des Nachlasses der E ist das bei deren Tod noch vorhandene Vermögen des O allein der Klägerin und dem B zuzuordnen. Diese sind insoweit erbschaftsteuerrechtlich so zu behandeln, als ob sie im Zeitpunkt des Todes der E unmittelbare Erben des O geworden wären. Da der Wert des beim Tod der E noch vorhandenen Vermögens des O nach den Angaben der Klägerin und des B, denen das FA und das FG gefolgt sind, die Hälfte des Wertes des gesamten Nachlasses der E ausmachte und somit der Summe der Erbanteile dieser Erben entspricht, ist danach für die Besteuerung ausschließlich das persönliche Verhältnis der Klägerin und des B zu O maßgebend. Aus erbschaftsteuerrechtlicher Sicht ist kein eigenes Vermögen der E auf die Klägerin und B übergegangen.

Ende der Entscheidung

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