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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 14.12.2004
Aktenzeichen: II R 35/03
Rechtsgebiete: FGO, ErbStG, EStG, BewG


Vorschriften:

FGO § 126 Abs. 2
AO 1977 § 165 Abs. 1 Satz 1
AO 1977 § 171 Abs. 14
AO 1977 § 173 Abs. 1
AO 1977 § 173 Abs. 1 Nr. 2
AO 1977 § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2
ErbStG § 10 Abs. 5 Nr. 1
EStG § 4 Abs. 1 Satz 1
EStG § 36 Abs. 1
BewG § 105
BewG § 118
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Gründe:

I. Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) ist Alleinerbe nach seinem im Jahr 1993 verstorbenen Vater (V). Er reichte die Erbschaftsteuererklärung noch im Jahr 1993 beim Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt --FA--) ein. Das FA setzte die Erbschaftsteuer gegen den Kläger zuletzt mit Änderungsbescheid vom 23. Juli 1996 auf 394 050 DM fest.

Am 7. Dezember 1999 erging gegen "die verstorbenen Eheleute ..." (die Eltern des Klägers) ein geänderter Einkommensteuerbescheid für 1993, dem folgender Sachverhalt zugrunde lag: V war als Architekt freiberuflich tätig gewesen. Mit dem Erbfall war es zur Betriebsaufgabe gekommen, bei der ein bisher zum Betriebsvermögen gehörender Grundstücksteil ins Privatvermögen überführt worden war. Der Kläger hatte den gemeinen Wert dieses Grundstücksteils in der von ihm eingereichten Einkommensteuererklärung für seine Eltern mit 400 773 DM angegeben. Das Wohnsitz-FA hatte diesen Wert zunächst dem ursprünglichen Einkommensteuerbescheid für 1993 zugrunde gelegt, war im Anschluss an eine 1998 durchgeführte Betriebsprüfung aber zu der Auffassung gekommen, der gemeine Wert sei mit 1 062 000 DM anzusetzen.

Nach Erlass des Einkommensteuer-Änderungsbescheids beantragte der Kläger, die sich daraus ergebende Nachzahlung von 258 065,78 DM durch Änderung der Erbschaftsteuerfestsetzung als Nachlassverbindlichkeit zu berücksichtigen.

Das FA lehnte den Änderungsantrag mit der Begründung ab, der Einkommensteuer-Änderungsbescheid sei nicht als rückwirkendes Ereignis anzusehen. Im Übrigen sei die Festsetzungsfrist für die Erbschaftsteuer am 31. Dezember 1997 abgelaufen. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2003, 1182 abgedruckt.

Mit seiner Revision vertritt der Kläger --unter Hinweis auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 19. August 1999 IV R 73/98 (BFHE 190, 5, BStBl II 2000, 18)-- weiterhin die Auffassung, die Änderung des der Einkommensbesteuerung zugrunde gelegten Wertansatzes sei für die Erbschaftsteuer ein rückwirkendes Ereignis. Nicht allein die Kenntnis von der Existenz eines Wirtschaftsguts, sondern auch das Wissen um dessen Wert sei ein wesentliches und für die Besteuerung unverzichtbares Sachverhaltsmerkmal.

Der Kläger beantragt sinngemäß, die Vorentscheidung sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und das FA zu verpflichten, den Erbschaftsteuerbescheid vom 23. Juli 1996 in der Weise zu ändern, dass bei der Ermittlung des steuerpflichtigen Erwerbs weitere Nachlassverbindlichkeiten in Höhe von 258 065,78 DM abgezogen werden.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II. Die Revision ist unbegründet und nach § 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zurückzuweisen.

1. Das FG hat zu Recht entschieden, dass eine Änderung des bestandskräftigen Erbschaftsteuerbescheids im Streitfall nicht auf die Vorschrift des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) gestützt werden kann.

Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerrechtliche Wirkung für die Vergangenheit hat. Ob ein Ereignis steuerrechtlich in die Vergangenheit zurückwirkt, beurteilt sich allein nach den Normen des jeweils einschlägigen materiellen Steuerrechts (BFH-Beschluss vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1. c). Materiell-rechtlich richtet sich der erbschaftsteuerrechtliche Abzug der vom Erblasser herrührenden persönlichen Steuerschulden nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 des Erbschaftsteuergesetzes (ErbStG). Der Abzug setzt voraus, dass die Steuerschulden rechtlich bestehen und den Erben wirtschaftlich belasten (BFH-Urteil vom 24. März 1999 II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339, m.w.N.).

a) Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis entstehen, sobald der Tatbestand verwirklicht ist, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (§ 38 AO 1977). Im Streitfall war der einkommensteuerrechtlich für die persönliche Steuerschuld des V maßgebende Tatbestand die Überführung des Grundstücks vom Betriebsvermögen ins Privatvermögen im Rahmen der im Jahr 1993 verwirklichten Betriebsaufgabe. Die Einkommensteuerschuld des V für 1993 ist gemäß § 36 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) jedenfalls im Jahr 1993 entstanden. Da die Änderung eines Steuerbescheids nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 voraussetzt, dass das maßgebende Ereignis eintritt, nachdem der zu ändernde Steuerbescheid ergangen ist (BFH-Beschluss in BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897, unter C. II. 1. a), kann die Änderung des letzten Erbschaftsteuerbescheids vom 23. Juli 1996 nicht auf die Verwirklichung eines Einkommensteuertatbestands im Jahr 1993 gestützt werden.

Alle späteren vom Kläger angeführten Umstände --insbesondere die Ermittlung des zutreffenden Aufgabegewinns durch den Betriebsprüfer sowie der Erlass des geänderten Einkommensteuerbescheids-- ziehen lediglich Folgerungen aus dem bereits im Jahre 1993 verwirklichten und zur rechtlichen Entstehung der Einkommensteuerschuld führenden Tatbestand. Insoweit unterscheiden sich diese Umstände im Hinblick auf die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 nicht vom Ergehen eines zivilgerichtlichen Urteils, das --anders als etwa ein Gestaltungsurteil-- rechtliche Folgerungen aus einem feststehenden Sachverhalt zieht und ebenfalls kein rückwirkendes Ereignis ist (BFH-Beschluss vom 8. August 2002 II B 157/01, BFH/NV 2002, 1548).

Aus dem vom Kläger herangezogenen BFH-Urteil in BFHE 190, 5, BStBl II 2000, 18 folgt nichts anderes. Dort ging es um die Korrektur der Höhe eines Wertansatzes in der Steuerbilanz eines Vorjahres. Der BFH hat zwar insoweit die Möglichkeit einer Änderung der Gewinnfeststellung für ein Folgejahr nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 bejaht und die Korrektur des Wertansatzes als rückwirkendes Ereignis angesehen. Maßgeblich dafür war aber allein das Bedürfnis, dem in § 4 Abs. 1 Satz 1 EStG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Zweischneidigkeit der Bilanz und der daraus resultierenden Tatsache, dass das Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres materiell-rechtliches Tatbestandsmerkmal des Einkommensteueranspruchs für das Folgejahr ist, auch verfahrensrechtlich zur Geltung zu verhelfen. An einer vergleichbaren materiell-rechtlichen Lage fehlt es im Streitfall. Denn der Wert des einkommensteuerlichen Betriebsvermögens ist --anders als bei der durch einen Betriebsvermögensvergleich vorzunehmenden Gewinnermittlung für ein Folgejahr-- nicht etwa unmittelbares Tatbestandsmerkmal des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG, sondern geht lediglich mittelbar in die Höhe der erbschaftsteuerrechtlich allein tatbestandsmäßigen Nachlassverbindlichkeit "Einkommensteuerschuld" ein.

b) Die Anwendung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 kann auch nicht auf die Erwägung gestützt werden, eine wirtschaftliche Belastung des Klägers durch die Einkommensteuerschulden des V sei erstmals im Zeitpunkt ihrer Festsetzung eingetreten.

aa) Nach der ständigen höchstrichterlichen Rechtsprechung zum Abzug von Steuerschulden nach § 105 des Bewertungsgesetzes (BewG) in der bis 1992 geltenden Fassung bzw. nach § 118 BewG in der bis 1996 geltenden Fassung --deren Grundsätze auch im Rahmen des § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG anzuwenden sind (BFH in BFH/NV 1999, 1339)-- ist eine wirtschaftliche Belastung mit Steuernachforderungen, die vom Steuerpflichtigen zunächst nicht konkret vorausgesehen worden, aber spätestens am Bewertungsstichtag entstanden sind, grundsätzlich bereits zu diesem Stichtag gegeben. Dies gilt auch dann, wenn sich die Steuernachforderung --wie hier-- erst aufgrund einer Außenprüfung ergibt (Urteil des Reichsfinanzhofs vom 7. November 1940 III 107/40, RStBl 1941, 63; BFH-Urteile vom 10. Mai 1972 III R 83/71, BFHE 106, 96, BStBl II 1972, 688, unter 3.; vom 8. Dezember 1993 II R 118/89, BFHE 173, 82, BStBl II 1994, 216, unter II. 1. a, und vom 27. Januar 1999 II R 81/96, BFH/NV 1999, 913, unter II. 2. c).

Das Vorbringen des Klägers, er habe nicht mehr mit der Durchführung einer Außenprüfung und der Änderung der Einkommensteuerfestsetzung gerechnet, ist insoweit ohne Belang, weil es nicht auf die individuellen Vorstellungen des jeweiligen Steuerpflichtigen, sondern auf die rechtlichen und faktischen Ermittlungsmöglichkeiten der Finanzbehörde ankommt. Eine Ausnahme gilt lediglich dann, wenn der Steuerpflichtige steuererhebliche Sachverhalte bewusst verheimlicht und aus diesem Grunde selbst nicht damit rechnet, auf die Zahlung der entstandenen Steuern in Anspruch genommen zu werden (BFH-Urteile vom 18. September 1975 III R 76/74, BFHE 117, 263, BStBl II 1976, 87, unter 2., und in BFH/NV 1999, 1339, unter II. 2.). Dies ist für den Streitfall aber weder vom FG festgestellt noch vom Kläger behauptet worden.

bb) Daher kommt es auch nicht darauf an, ob die für 1993 ergangenen Einkommensteuerbescheide wegen fehlender inhaltlicher Bestimmtheit (§ 119 Abs. 1 AO 1977) nichtig waren (dazu BFH-Entscheidungen vom 21. Oktober 1985 GrS 4/84, BFHE 145, 110, BStBl II 1986, 230, und vom 17. Juni 1992 X R 47/88, BFHE 169, 103, BStBl II 1993, 174, unter 1. a). Zwar wurden in diesen Bescheiden als Inhaltsadressaten allein die verstorbenen Eltern des Klägers bezeichnet, während der Kläger, der als Gesamtrechtsnachfolger (§ 45 Abs. 1 Satz 1 AO 1977) der richtige Inhaltsadressat gewesen wäre, an keiner Stelle erwähnt wurde. Jedoch könnte das Wohnsitz-FA bei Geltendmachung der Nichtigkeit dieser Bescheide und des entsprechenden Steuererstattungsanspruchs (§ 37 Abs. 2 Satz 1 AO 1977) wegen § 171 Abs. 14 AO 1977 jederzeit einen inhaltsgleichen erneuten Einkommensteuerbescheid erlassen.

c) Zu Recht weist der Kläger darauf hin, dass es sich in Fällen, in denen der Steuerpflichtige mit einer Erhöhung der bisher festgesetzten und als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähigen Einkommensteuer infolge einer Außenprüfung rechnen kann, empfiehlt, beim FA anzuregen, die Erbschaftsteuerfestsetzung hinsichtlich der noch ungewissen Höhe der Nachlassverbindlichkeiten vorläufig (§ 165 Abs. 1 Satz 1 AO 1977, vgl. auch § 171 Abs. 8 AO 1977) vorzunehmen. Unterbleibt indes eine vorläufige Festsetzung der Erbschaftsteuer und ist auch eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 AO 1977 wegen des Ablaufs der regulären Festsetzungsfrist ausgeschlossen, bietet § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 keine verfahrensrechtliche Handhabe für eine nachträgliche Berücksichtigung des zutreffenden Wertansatzes der Nachlassverbindlichkeit.

2. Ob eine Änderung des Erbschaftsteuerbescheids tatbestandlich auf andere Korrekturvorschriften --insbesondere § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 1977-- gestützt werden könnte, kann im Streitfall offen bleiben. Denn nach den revisionsrechtlich bedenkenfreien und auch vom Kläger nicht angegriffenen Ausführungen des FG ist die erbschaftsteuerliche Festsetzungsverjährung mit Ablauf des Jahres 1997 eingetreten.

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