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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 17.05.2000
Aktenzeichen: II R 47/99
Rechtsgebiete: GrEStG 1983, FlurbG


Vorschriften:

GrEStG 1983 § 1 Abs. 2
FlurbG § 52
FlurbG § 65
BUNDESFINANZHOF

Der Verzicht des an einem Flurbereinigungsverfahren beteiligten Grundstückseigentümers auf Landabfindung zugunsten eines Dritten verbunden mit der Übertragung des vorläufig eingewiesenen Besitzes unterliegt nicht der Grunderwerbsteuer.

GrEStG 1983 § 1 Abs. 2 FlurbG §§ 52, 65

Urteil vom 17. Mai 2000 - II R 47/99 -

Vorinstanz: Niedersächsisches FG


Gründe

I.

Frau K war Eigentümerin von Grundstücken, die zu einem Flurbereinigungsgebiet gehörten. Am 25. August 1994 gaben Frau K und die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), ein gemeinnütziges Siedlungsunternehmen, vor dem örtlich zuständigen Amt für Agrarstrukturen Erklärungen ab, die schriftlich protokolliert wurden. Danach verzichtete Frau K zugunsten der Klägerin unwiderruflich auf Abfindung in Land für vier in ihrem Eigentum stehende Grundstücksflächen in dem Flurbereinigungsgebiet. Hierfür sollte sie von der Klägerin eine Geldabfindung erhalten. Darüber hinaus wurde vereinbart, dass Besitz, Verwaltung, Nutzung und Gefahr an den neugebildeten Grundstücksflächen, die nach der neuen Feldeinteilung an Frau K fallen sollten und in deren Besitz sie bereits vorläufig eingewiesen war, mit dem 1. Oktober 1994 auf die Klägerin übergehen sollten.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) sah diesen Vorgang als nach § 1 Abs. 2 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 grunderwerbsteuerpflichtig an. Mit Bescheid vom 3. November 1994 setzte er deshalb gegen die Klägerin Grunderwerbsteuer fest.

Die Klage blieb ohne Erfolg. Mit der Revision macht die Klägerin Verletzung materiellen Rechts geltend und beantragt, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Grunderwerbsteuerbescheid und die diesen bestätigende Einspruchsentscheidung des FA aufzuheben.

Der Tatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG 1983 sei nicht erfüllt. Dies ergebe sich schon daraus, dass sich der Verzicht auf die Abfindung in Land auf die ursprünglich im Eigentum der Frau K befindlichen Grundstücke beziehe, die Besitzübergabe aber auf die zwei neugebildeten Flurstücke. Eine vorläufige Besitzeinweisung nach den §§ 65 bis 67 des Flurbereinigungsgesetzes (FlurbG) beschränke sich gewöhnlich auf zwei bis drei Jahre. Bei einem derartigen Zeitraum könne von einer Übertragung einer wirtschaftlichen Verwertungsbefugnis an einem Grundstück nicht gesprochen werden.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen. Es sei allgemeine Auffassung der Verwaltung, dass bei einem Verzicht des Eigentümers auf Landabfindung zugunsten eines Dritten von einem Übergang der Verwertungsbefugnis i.S. des § 1 Abs. 2 GrEStG 1983 dann auszugehen sei, wenn der Dritte bis zur Neuverteilung bereits eine Einweisung in Besitz und Nutzungen erhalte (vgl. Tz. 5 Satz 3 des Runderlasses des Niedersächsischen Ministers der Finanzen und des Niedersächsischen Ministers für Ernährung und Landwirtschaft und Forsten vom 15. Oktober 1993 S 4500 - 133 - 36/304 - 61174 - 1/93).

II.

Die Revision der Klägerin ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung, der Einspruchsentscheidung und des angefochtenen Grunderwerbsteuerbescheids.

1. Die Vorentscheidung ist aufzuheben. Das Finanzgericht (FG) hat den angefochtenen Steuerbescheid aufgrund eines Sachverhalts bestätigt, der nicht Gegenstand der Besteuerung gewesen ist und dadurch § 65 Abs. 1, § 96 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verletzt, denn Streitgegenstand ist bei Anfechtungsklagen die Rechtmäßigkeit des die Steuer festsetzenden Steuerbescheides (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 11. Juli 1984 II R 87/82, BFHE 141, 569, BStBl II 1984, 840). Nur für den Lebenssachverhalt, der durch den angefochtenen Verwaltungsakt (i.d.F. der Einspruchsentscheidung) erfasst worden ist, darf das FG prüfen, ob die entstandene Steuer richtig festgesetzt worden ist (s. auch BFH-Urteil vom 19. Januar 1994 II R 32/90, BFH/NV 1994, 758). Hiergegen hat das FG verstoßen, denn Prüfungsgegenstand war im Streitfall der durch den Steuerbescheid vom 3. November 1994 der Besteuerung unterworfene Erwerb der Verwertungsbefugnis i.S. des § 1 Abs. 2 GrEStG 1983 an den neu gebildeten Grundstücksflächen, in deren Besitz Frau K bereits vorläufig eingewiesen war (vgl. auch Tz. 5 des Runderlasses des Niedersächsischen Ministers der Finanzen und des Niedersächsischen Ministers für Ernährung und Landwirtschaft und Forsten vom 15. Oktober 1993 S 4500 - 133/304 - 61 174 - 1/93). Das FG hat dagegen § 1 Abs. 2 GrEStG 1983 in Bezug auf die alten, noch im zivilrechtlichen Eigentum von Frau K stehenden Grundstücke geprüft und bejaht.

2. Die Sache ist spruchreif. Hinsichtlich der neuen Grundstücksflächen, in deren Besitz Frau K bereits vorläufig eingewiesen war, wurde durch die Vereinbarung vom 25. August 1994 zwischen Frau K und der Klägerin kein der Grunderwerbsteuer unterliegender Tatbestand verwirklicht.

a) Der Tatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG 1983 ist im Streitfall nicht erfüllt. Nach dieser Vorschrift unterliegen Rechtsvorgänge, die es ohne Begründung eines Anspruchs auf Übereignung einem anderen rechtlich oder wirtschaftlich ermöglichen, ein inländisches Grundstück auf eigene Rechnung zu verwerten, der Grunderwerbsteuer. Erfasst werden davon solche Rechtsvorgänge, die den in § 1 Abs. 1 GrEStG 1983 beschriebenen Tatbeständen so nahe kommen, dass sie wie diese es ermöglichen, sich den Wert des Grundstücks auf eigene Rechnung nutzbar zu machen (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 27. Juli 1994 II R 67/91, BFH/NV 1995, 269).

Der Klägerin wurde lediglich das Recht zur Nutzung der Grundstücksflächen übertragen, nicht aber die rechtliche Möglichkeit zu einer Verfügung (Verwertung) über diese selbst, noch erhielt sie eine dem wirtschaftlich gleichstehende Rechtsposition. Die Besonderheit der Konstellation im Streitfall, auf die das FA die Steuerpflicht des Vorgangs stützt, besteht allein darin, dass aller Voraussicht nach mit der Ausführung des Flurbereinigungsplans die Klägerin auch rechtlich Eigentümer der bisher nur in ihrem Besitz befindlichen Grundstücksflächen wird. Diese Rechtsposition ist jedoch so ungesichert, dass sie den Tatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG 1983 nicht erfüllt (vgl. Pahlke in Pahlke/Franz, Grunderwerbsteuergesetz, Kommentar, 2. Aufl., § 1 Rdnr. 188). Der Flurbereinigungsplan kann geändert werden (§ 60 FlurbG). Das Flurbereinigungsverfahren muss auch nicht notwendigerweise mit der Rechtskraft des Flurbereinigungsplans enden. Es kann z.B. auch nach § 9 FlurbG mit einer Einstellung des Verfahrens enden mit der Folge, dass die im Flurbereinigungsplan vorgesehenen Rechtsänderungen endgültig nicht eintreten. Die Übertragung des Anspruchs auf Abfindung in Land verbunden mit der Übertragung des vorläufig eingewiesenen Besitzes an den neuen Grundstücksflächen ist insgesamt eine Rechtsposition, die zwar auf Übertragung des Eigentums an diesen Grundstücken zielt und diese vorbereitet, diese aber rechtlich noch nicht gewährleistet. Die Erklärung vom 25. August 1994 sollte mithin zwar zu einem Erwerb des Eigentums der Klägerin an den betreffenden Grundstücken führen, diesen jedoch erst mit Eintritt der Rechtsänderung durch Ausführungsanordnung des Flurbereinigungsplans bewirken. Erst dann tritt Steuerpflicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 GrEStG 1983 ein. Ein Entstehen der Steuer bereits mit Übertragung des Besitzes auf die Klägerin wäre demgegenüber eine unzulässige Vorverlegung der Steuerpflicht. Die im Streitfall vorliegende Übertragung des Besitzes an den neuen Grundstücksflächen verbunden mit der rechtlich ungesicherten Aussicht auf den späteren Erwerb des Eigentums an diesen erfüllt den Tatbestand des § 1 Abs. 2 GrEStG 1983 nicht.

b) Die Erklärung vom 25. August 1995 unterliegt hinsichtlich der neuen Grundstücksflächen auch nach keinem anderen rechtlichen Gesichtspunkt der Grunderwerbsteuer.

Der bereits durch Anordnung der Flurbereinigung grundsätzlich entstehende Anspruch des beteiligten Eigentümers auf Abfindung in Land unterliegt nicht nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 der Grunderwerbsteuer, da dieser nicht auf Übertragung eines bestimmten Grundstücks oder bestimmter Grundstücksflächen gerichtet ist. Die Abtretung dieser Rechtsposition führt dementsprechend auch zu keinem nach § 1 Abs. 1 Nrn. 5 und 7 GrEStG 1983 der Grunderwerbsteuer unterliegenden Vorgang (vgl. für die Abtretung eines Anspruchs nach dem Vermögensgesetz auf Rückübertragung des Eigentums BFH-Urteil vom 10. Dezember 1997 II R 27/97, BFHE 185, 63, BStBl II 1998, 159).

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