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Gericht: Bundesfinanzhof
Urteil verkündet am 08.08.2001
Aktenzeichen: II R 49/01
Rechtsgebiete: GrEStG 1983, BGB


Vorschriften:

GrEStG 1983 § 1 Abs. 1 Nr. 1
GrEStG 1983 § 2 Abs. 2 Nr. 1
GrEStG 1983 § 8 Abs. 1
GrEStG 1983 § 9 Abs. 1 Nr. 1
BGB § 320
BGB § 322
BGB § 452
Überlässt der Grundstücksverkäufer im Wege einer Vorleistung dem Käufer bereits vor der Zahlung des Kaufpreises die Nutzungen des Grundstücks, so stellt die vorzeitige Nutzungsüberlassung eine selbständige (Neben-)Leistung des Verkäufers dar, die weder in seiner kaufvertraglichen Verpflichtung zur Übertragung von Besitz und Nutzungen aufgeht, noch mit ihr identisch ist. Das für die Nutzungsüberlassung gesondert vereinbarte Entgelt gehört nicht zur Gegenleistung i.S. der §§ 8 Abs. 1 , 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983.
Gründe:

I.

Durch notariell beurkundeten Vertrag vom August 1991 wurde der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) an einer aus mehreren Grundstücken bestehenden, teilweise bebauten Gesamtfläche von insgesamt 9 931 qm ein einheitliches Erbbaurecht bis zum 30. Juni 2090 zu einem nach Eintragung des Erbbaurechts zu zahlenden Entgelt von 18,5 Mio. DM ("Einmalentschädigung") bestellt. Die Übergabe des Grundstücks sollte zum 1. August 1991 als erfolgt gelten. Die Klägerin war verpflichtet, vom Zeitpunkt der Übergabe bis zur Eintragung des Erbbaurechts im Grundbuch (April 1992) "eine Vergütung in Höhe von 7,5 v.H. p.a. von 18,5 Mio. DM zu zahlen" (§ 3 Abs. 3 des Vertrages). Die von der Klägerin an die Eigentümerin der Grundstücke, die B-Verwaltungs GmbH (B-GmbH), gezahlte "Nutzungsentschädigung" betrug 978 958,33 DM.

Die B-GmbH hatte ihrerseits durch Grundstückskaufvertrag vom selben Tage von der Klägerin eines dieser Grundstücke, nämlich eine 645 qm große Teilfläche, zu einem Kaufpreis von 1 750 000 DM erworben. Hierbei wurde u.a. vereinbart, dass der Kaufpreisanspruch der Klägerin mit dem Zahlungsanspruch ("Einmalentschädigung") der B-GmbH aus dem Erbbaurechtsbestellungsvertrag verrechnet werden sollte.

Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) beurteilte den Erbbaurechtsbestellungs- und den Grundstückskaufvertrag als zwei selbständige Erwerbsvorgänge. Er setzte wegen der Erbbaurechtsbestellung durch Bescheid vom Oktober 1991 nach einer Gegenleistung von 18,5 Mio. DM Grunderwerbsteuer in Höhe von 370 000 DM und wegen des Grundstückskaufs durch weiteren Bescheid vom Oktober 1991 nach einer Gegenleistung von 1 750 000 DM Grunderwerbsteuer gegen die B-GmbH fest.

Mit Änderungsbescheid vom Dezember 1995 erhöhte das FA die Steuer auf 389 656 DM. Hierbei ging das FA von einer Gegenleistung in Höhe von 19 482 812,50 DM (18,5 Mio. DM zuzüglich geschätzter "Nutzungsentschädigung") aus.

Der Einspruch der Klägerin, mit dem sie unter Hinweis auf § 16 Abs. 2 Nr. 1 des Grunderwerbsteuergesetzes (GrEStG) 1983 eine Herabsetzung der Steuer um 35 000 DM begehrte, weil die Bestellung des Erbbaurechts als Rückerwerb im Sinne dieser Vorschrift zu werten sei, hatte lediglich in geringem Umfang Erfolg. Das FA setzte die Steuer nach Bekanntwerden der endgültigen Höhe der Nutzungsentschädigung im Rahmen der Einspruchsentscheidung auf 389 579 DM herab. Den weitergehenden Einspruch wies es als unbegründet zurück.

Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG), dessen Urteil in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 1999, 856 veröffentlicht ist, sah in dem Erwerb des Grundstücks und in dem Erwerb des Erbbaurechts ebenfalls zwei voneinander unabhängige Erwerbsvorgänge. Entgegen der Ansicht des Niedersächsischen FG (Urteil vom 1. April 1992 III 225/88, EFG 1993, 245) könnten der Erwerb eines Grundstücks und die Bestellung eines Erbbaurechts an diesem Grundstück durch dessen Erwerber zugunsten des Veräußerers auch bei einem engen zeitlichen Zusammenhang zwischen den den Erwerbsvorgängen zugrunde liegenden Verträgen nicht als ein nur einmal Grunderwerbsteuer auslösendes sog. einheitliches Vertragswerk behandelt werden. Die Steuer könne auch nicht nach § 1 Abs. 6 oder 7 bzw. den §§ 5 und 6 GrEStG 1983 ermäßigt werden. Diese Vorschriften seien weder unmittelbar noch entsprechend anwendbar.

Mit der Revision rügt die Klägerin die Verletzung von § 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 und Abs. 7 sowie der §§ 5 und 6 GrEStG 1983.

Sie beantragt, unter Aufhebung des Urteils des FG Berlin vom 4. März 1999 1 K 1090/96, soweit es ihr gegenüber ergangen ist, den Grunderwerbsteuerbescheid vom Dezember 1995 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom Februar 1996 dahin zu ändern, dass die Grunderwerbsteuer auf 352 727 DM herabgesetzt wird.

Das FA beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.

Der Bundesfinanzhof (BFH) hat durch Beschluss vom 31. Juli 2001 II R 46/99 die vom FG zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Klageverfahren der Klägerin sowie der B-GmbH gegen die diese jeweils betreffenden Bescheide getrennt (§ 73 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

II.

Die Revision ist begründet. Die Vorentscheidung ist --soweit sie die Klägerin betrifft-- aufzuheben. Unter Abweisung der weitergehenden Klage sind der Grunderwerbsteuerbescheid vom Dezember 1995 und die Einspruchsentscheidung vom Februar 1996 aufzuheben (§ 126 Abs. 3 Nr. 1 FGO). Das FG hat zwar zutreffend entschieden, dass der Erwerb des Anspruchs auf Bestellung des Erbbaurechts in vollem Umfang der Grunderwerbsteuer unterliegt. Als Gegenleistung durfte jedoch nur der Erbbauzins ("Einmalentschädigung") und nicht auch das Entgelt für die (vorzeitige) Besitzüberlassung ("Nutzungsentschädigung") angesetzt werden.

1. a) Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 unterliegt der Erwerb eines Anspruchs auf entgeltliche Bestellung eines Erbbaurechts der Grunderwerbsteuer. Die Klägerin hat durch den Abschluss des Erbbaurechtsvertrags mit der B-GmbH einen Anspruch auf Bestellung des Erbbaurechts an den im Vertrag bezeichneten Flurstücken, darunter dem zuvor an die B-GmbH veräußerten Grundstück, erworben. Der Auffassung der Klägerin, sie habe einen Anspruch auf Bestellung des Erbbaurechts hinsichtlich dieses Grundstücks nicht mehr erwerben können, weil der Kaufvertrag so ausgelegt werden müsse, dass Gegenstand der Übereignungsverpflichtung das mit dem Erbbaurecht belastete Grundstück gewesen sei, kann nicht gefolgt werden.

Die Klägerin verkennt in tatsächlicher Hinsicht, dass sie sich nicht selbst ein Erbbaurecht bestellt und sodann ein belastetes Grundstück veräußert hat (zur Zulässigkeit der Bestellung eines Erbbaurechts an einem eigenen Grundstück vgl. Urteil des Bundesgerichtshofs vom 11. Dezember 1981 V ZR 222/80, Der Deutsche Rechtspfleger --Rpfleger-- 1982, 143). Gegenstand des Kaufvertrags war das unbelastete Grundstück. Das Erbbaurecht bestellt hat erst die B-GmbH. Nur dieser, tatsächlich verwirklichte Sachverhalt kann der Besteuerung zugrunde gelegt werden, nicht dagegen eine rechtlich mögliche andere Gestaltung.

In rechtlicher Hinsicht hat die von den Vertragsparteien gewählte Gestaltung zur Folge, dass zwei Erwerbsvorgänge vorliegen, die sich auf unterschiedliche Gegenstände beziehen. Nach § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 steht das Erbbaurecht einem Grundstück gleich. Zivilrechtlich handelt es sich beim Erbbaurecht zwar um eine Belastung des Eigentums (§ 1 Abs. 1 der Verordnung über das Erbbaurecht). Das Erbbaurecht gewährt dem Berechtigten jedoch eine eigentumsähnliche Form der Herrschaft an der Grundstücksfläche. Durch die Bestellung eines Erbbaurechts kann weitgehend der gleiche rechtliche und wirtschaftliche Erfolg erzielt werden wie durch die Übertragung des vollen Eigentums. Eben wegen dieser Annäherung der Rechte aus dem Erbbaurecht an das Eigentum stellt § 2 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 die Erbbaurechte den Grundstücken gleich (vgl. Urteil des BFH vom 28. November 1967 II R 37/66, BFHE 91, 191, BStBl II 1968, 223; Viskorf, in: Boruttau, Grunderwerbsteuergesetz, 14. Aufl., § 2 Rn. 117 f., 134, 136). Die Bestellung eines Erbbaurechts stellt grunderwerbsteuerrechtlich einen im Verhältnis zum Erwerb des Eigentums am Grundstück selbständigen Grundstücksumsatz dar. Das Erbaurecht ist danach nicht ein bloßer Ausschnitt des Grundstückseigentums, sondern ein eigener Steuergegenstand. Daraus folgt zugleich, dass es sich bei der Bestellung eines Erbbaurechts seitens des Erwerbers eines Grundstücks zugunsten des Veräußerers nicht um einen steuerfreien Rückerwerb i.S. von § 16 Abs. 2 Nr. 1 GrEStG 1983 handelt. Die Vertragsparteien haben weder den der Grunderwerbsteuer unterliegenden Kaufvertrag noch einen ebenfalls steuerpflichtigen Erbbaurechtsvertrag rückabgewickelt, sondern die sich aus beiden Verträgen ergebenden zivilrechtlichen Rechtsfolgen eintreten lassen und aufrechterhalten.

b) Liegen aber zwei selbständig der Grunderwerbsteuer unterliegende Rechtsvorgänge vor, kann sich aus der Rechtsprechung des BFH zum (einheitlichen) grunderwerbsteuerrechtlich maßgeblichen Gegenstand des Erwerbsvorgangs beim Erwerb eines Grundstücks im zukünftig bebauten Zustand (vgl. zuletzt Urteil vom 27. Oktober 1999 II R 17/99, BFHE 189, 550, BStBl II 2000, 34) keine andere Beurteilung ergeben. Der Gegenstand der jeweiligen Erwerbsvorgänge und der Umfang der jeweiligen Gegenleistung ergeben sich allein und unmittelbar aus den in grunderwerbsteuerrechtlicher Hinsicht getrennt zu beurteilenden Verträgen.

c) Das FG hat es schließlich rechtsfehlerfrei abgelehnt, die Grunderwerbsteuer für den Erwerb des Grundstücks nach § 1 Abs. 6 oder 7 oder den §§ 5 und 6 GrEStG 1983 zu ermäßigen. Die Voraussetzungen dieser Vorschriften sind offenkundig nicht gegeben.

2. Die Vorentscheidung ist gleichwohl aufzuheben, weil das FG die "Nutzungsentschädigung" gemäß § 3 Abs. 3 des Erbbaurechtsvertrags zu Unrecht als Teil der Gegenleistung (§§ 8 Abs. 1, 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983) für die Bestellung des Erbbaurechts behandelt hat.

Die Vereinbarung über die Zahlung der Vergütung für die Grundstücksnutzung in der Zeit bis zur Eintragung des Erbbaurechts im Grundbuch stellt eine vertragliche Regelung der gesetzlich in § 452 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) vorgeschriebenen Kaufpreisverzinsung dar. Danach ist der Käufer verpflichtet, den Kaufpreis von dem Zeitpunkt an zu verzinsen, von welchem an die Nutzungen des gekauften Gegenstandes ihm gebühren. Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor, da der Kaufpreis erst nach Eintragung des Erbbaurechts (April 1992), frühestens am ... Januar 1992 fällig wurde, und der Klägerin die Nutzungen des Grundstücks bereits ab dem 1. August 1991 zustanden.

Dieser von der Klägerin für die (vorzeitige) Überlassung der Nutzungen zu zahlende Zins ist nicht Teil der von ihr geschuldeten Vergütung für die Bestellung des Erbbaurechts. Denn als "Kaufpreis" i.S. von § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 kann nur der Geldbetrag angesehen werden, den der Erwerber für den Erwerb des Grundstücks (Erbbaurechts) an den Verkäufer (Eigentümer) zu zahlen hat. Dies ist im Streitfall die vereinbarte "Einmalvergütung" in Höhe von 18,5 Mio. DM.

Die übernommene Zahlungsverpflichtung stellt auch keine "sonstige Leistung" der Klägerin i.S. von § 9 Abs. 1 Nr. 1 GrEStG 1983 dar. Denn diese Zahlung wurde von der Klägerin nicht als Entgelt für den Erwerb des Erbbaurechts erbracht, sondern für die vorzeitige Nutzungsüberlassung der Grundstücke, zu der die B-GmbH nach der im bürgerlich-rechtlichen Modellfall des gegenseitigen Vertrages vorgesehenen Zug-um-Zug-Erfüllung der beiderseitigen Ansprüche (sog. funktionelles Synallagma; §§ 320, 322 BGB) nicht verpflichtet war. Sie stellt Aufwand für den Erwerb einer geldwerten Vermögensposition (vorzeitige Nutzungsmöglichkeit) dar, die nicht unter den Grundstücksbegriff des GrEStG 1983 fällt.

Überlässt der Grundstücksverkäufer im Wege einer Vorleistung dem Käufer bereits vor der Zahlung des Kaufpreises die Nutzungen des Grundstücks, so stellt die vorzeitige Nutzungsüberlassung eine selbständige (Neben-)Leistung des Verkäufers dar, die weder in seiner kaufvertraglichen Verpflichtung zur Übertragung von Besitz und Nutzungen aufgeht, noch mit ihr identisch ist. Denn mit der vereinbarten Vorleistung (Nutzungsüberlassung) "verzichtet" der Verkäufer zu seinem Nachteil auf die Zug-um-Zug-Erfüllung der beiderseitigen Ansprüche (nach §§ 320, 322 BGB), wonach jeder Vertragspartner die Leistung des anderen erst dann verlangen kann, wenn er gleichzeitig die eigene Leistung anbietet (vgl. Larenz, Lehrbuch des Schuldrechts, Bd. I, Allgemeiner Teil, 14. Aufl., § 15 I, S. 205). "Verzichtet" der Verkäufer im Kaufvertrag auf diese Rechtsposition, indem er sich einer Vorleistungspflicht unterwirft, so gewährt er dem Käufer einen zusätzlichen geldwerten Vorteil in Gestalt der vorzeitigen Nutzungsüberlassung.

Diese Voraussetzungen lagen im Streitfall vor, da der Kaufpreis erst nach Eintragung des Erbbaurechts (15. April 1992), frühestens am 2. Januar 1992, fällig wurde, und der Klägerin die Nutzungen des Grundstücks bereits ab dem 1. August 1991 vorzeitig zustanden. Die Vertragsparteien haben im Streitfall die Nutzung des Grundstücks zum Gegenstand eines besonderen, im Verhältnis zum Kaufvertrag (hier: Erbbaurechtsbestellungsvertrag) selbständigen Nutzungsverhältnisses gemacht, was auch dadurch deutlich wird, dass der Übergang der Nutzungen (für wenige Tage) rückwirkend auf den 1. August 1991 vereinbart wurde. Dieser Umstand spricht dagegen, die Überlassung der Nutzungen als (untrennbaren) Teil der kaufvertraglichen Pflichten der B-GmbH anzusehen.

3. Die Sache ist spruchreif. Gegenleistung ist allein der Erbbauzins in Höhe von 18,5 Mio. DM. Anhaltspunkte dafür, dass die für die Nutzungsüberlassung vereinbarte Vergütung unangemessen hoch ist, sind angesichts des der Vereinbarung zugrunde liegenden Zinssatzes von 7,5 v.H./p.a. nicht ersichtlich. Die Steuer beträgt demnach --wie im ursprünglichen Bescheid vom Oktober 1991 festgesetzt-- 370 000 DM. Der Änderungsbescheid vom Dezember 1995 sowie die Einspruchsentscheidung vom Februar 1996, die beide eine höhere Steuer ausweisen, sind aufzuheben.

Ende der Entscheidung

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